Fitness, Gesundheit | Autor/in: Florian Schmidt |

Interview mit Lena Emilia Gähl & Marlon Kreis: „Wir müssen aktiv zuhören und dann gezielt in die Bewegungsförderung investieren.“

Gesprächsführung und Beratung kommen in der Ausbildung von Physiotherapeutinnen und -therapeuten zu kurz. Lena Emilia Gähl hat mit ihrer Bachelor-Thesis einen Gesprächsleitfaden erstellt, der es den Mitarbeitenden der therapiePunkt GmbH erleichtert, auf die individuellen Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten einzugehen und sie dadurch zu motivieren, selbst aktiv für ihre Gesundheit zu werden. Im Interview gehen die DHfPG-Absolventin und ihr Abschlussarbeitsbetreuer Marlon Kreis auf die Vorteile ihrer Arbeit ein.

Lena Emilia Gähl & Marlon Kreis im Interview zum Motivational-Interviewing-Ansatz

mfhc: Wie sind Sie auf das spannende Thema Ihrer Abschlussarbeit gekommen?

Lena Emilia Gähl: Das Thema meiner Thesis entstand aus einer bekannten Problematik heraus, die uns wohl in allen Physiotherapiepraxen regelmäßig begegnet. (Lesen Sie auch: Grundpfeiler der aktiven Trainingstherapie: Zeit und Eigenverantwortung')

Die Aspekte Eigenantrieb und Motivation sind für den Therapieerfolg besonders wichtig – leider erleben wir in der Praxis aber immer wieder, dass Patienten ihren Therapeuten in der alleinigen Verantwortung sehen, sie wieder gesund zu machen.


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Schon die Berufsbezeichnung und -beschreibung der Physiotherapeuten, die unter den Heilberufen angesiedelt werden, impliziert diese Sichtweise. Ich habe mich gefragt, wie wir uns von diesem Gedanken lösen und ein positives Bewusstsein dafür schaffen können, dass Gesundheit etwas ist, das man selbst aktiv mitgestalten kann und muss.

Woran haben Sie sich bei der Entwicklung Ihres Motivationsleitfadens orientiert und wie haben Sie dieses Praxistool in das Beratungs- und Betreuungskonzept eingebunden?

Bei meinen Recherchen stieß ich auf den Ansatz des Motivational Interviewings – eine Methode, um Menschen für eine Veränderung aus eigener Kraft heraus zu gewinnen. Gesprächsführung und Beratung spielen in der physiotherapeutischen Behandlung bisher eine eher untergeordnete Rolle – nicht zuletzt, weil sie in der Ausbildung häufig unzureichend thematisiert werden. (Lesen Sie weiter: 'Erfolgsfaktor professionelle Beratung')

Mit meinem selbstentwickelten Leitfaden bekamen unsere Therapeutinnen und Therapeuten erstmalig ein greifbares, auf Basis wissenschaftlicher Techniken beruhendes Werkzeug an die Hand.

Dieses Tool wurde in die Behandlung und Beratung sinnvoll integriert, um bestehende Denkmuster der Patientinnen und Patienten aufzubrechen, sie zu mehr Eigenverantwortung zu motivieren und so ihr Bewegungsverhalten nachhaltig zu verändern.

Welche Erfahrungen konnten Sie damit in der Praxis sammeln und welche konkreten Erfolge konnten Sie dadurch erzielen?

Der Leitbogen wurde von den Therapeuten dankbar angenommen. Das Praxistool bot wertvolle Orientierung und verhalf ihnen dazu, Gesprächsverläufe nach und nach sicherer und strukturierter zu gestalten – denn zielführende und gleichzeitig motivierende Beratung muss definitiv geübt sein.


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Am Ende profitierten alle davon: Die Patienten wurden noch mehr in die Zielplanung miteinbezogen und Lösungen wurden gemeinsam erarbeitet. Das Bild von körperlicher Aktivität als etwas, das nur Anstrengung mit sich bringt, wurde vielfach erfolgreich aufgelöst und ein verändertes Gesundheitsbewusstsein geschaffen. Das war ein wertvoller Lernprozess für beide Seiten.

Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Erfolgsfaktoren, um Menschen nachhaltig zu mehr körperlicher Aktivität und einem gezielten Training zur Gesunderhaltung zu motivieren?

Sprechen wir von Motivation, dann geht es immer darum, jemandem den persönlichen Mehrwert aufzuzeigen. Welcher Nutzen ergibt sich für den Menschen, der beraten wird? Mit den Enkelkindern spielen, die Lieblingssportart endlich wieder schmerzfrei ausführen können, mobil bleiben usw.


 

Über die Interviewpartnerin

Lena Emilia Gähl absolvierte an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) den Bachelor-Studiengang Gesundheitsmanagement. Nach dem erfolgreichen Abschluss ihres dualen Studiums arbeitet sie seit 2023 als Projektmanagerin in der therapiePUNKT GmbH und kümmert sich dort um verschiedenste Themen in den Bereichen BGM, Marketing und Personalmanagement.


Wir sollten anfangen, mehr zuzuhören und uns in den Menschen und seine individuellen Bedürfnisse hineinzuversetzen. Empathie und Verständnis füreinander sind meiner Meinung nach der Schlüssel für erfolgreiche Kommunikation und Motivation.

Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht ein fließender Übergang zwischen Therapie und Training – einerseits für den Therapieerfolg und andererseits für die unternehmerische Zukunft von Physiotherapieeinrichtungen im Zweiten Gesundheitsmarkt?

Leben ist Bewegung, Bewegung ist Leben. Physiotherapie in Verbindung mit körperlicher Aktivität bezieht sich nicht nur auf die Symptombehandlung, sondern zielt auch auf langfristige Erfolge ab. Patienten, die zu Mitgliedern werden, schätzen es, dass die Ansprechpartner im Studio mit ihrer Gesundheitsgeschichte vertraut sind. Das gibt ihnen mehr Sicherheit und Motivation.


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Den Physiotherapiepraxen eröffnet sich dadurch die Möglichkeit, ihre Patienten während und auch nach der Therapie bestmöglich zu unterstützen und langfristig zu binden. Somit entsteht ein neuer Geschäftszweig im Bereich der Prävention und Bewegungsförderung, von dem die Patientinnen und Patienten persönlich und die Physiotherapiepraxen wirtschaftlich nachhaltig profitieren.

Für Sie als Betreuer war das sicher auch ein spannendes Projekt. Wie beurteilen Sie den Nutzen und Mehrwert dieser praxisnahen Abschlussarbeit?

Marlon Kreis: Ja, spannend war es in der Tat. Trifft es doch genau den Nerv der Zeit. Denn Fachkräftemangel und ein erhöhter Bedarf an therapeutischen Maßnahmen machen nochmals klar, was bereits in Paragraf eins im SGB V festgehalten ist: „… die Versicherten sind für ihre Gesundheit mitverantwortlich“. Und das geht nur über Training und eine gezielte Bewegungsförderung.

Der Mehrwert dieser Arbeit hat vier Ebenen:

  1. Die Patienten: Patientinnen und Patienten werden durch den Gesprächsleitfaden angeregt, selbst etwas für ihre Gesundheit zu tun. Das ist enorm wichtig.
  2. Das Gesundheitssystem: Dieses kann Patienten nur auf den richtigen Weg bringen, für die lebenslange Umsetzung sind die Patientinnen und Patienten selbst verantwortlich. Geschieht dies nicht, ist das System – wie aktuell der Fall – überlastet. Durch diese Arbeit wird ein gesellschaftlicher Nutzen geschaffen, der das Gesundheitssystem entlastet und vor Rezidiven schützt.
  3. Der Ausbildungsbetrieb: Wer Studierende ausbildet, hat nicht nur großartige Mitarbeitende, sondern kann durch die Abschlussarbeit auch Fragen des Unternehmens auf wissenschaftliche Art lösen. Das hiesige Unternehmen hat durch diese Arbeit eine Problemlösung und mehr Vertragsabschlüsse erhalten. Das ist ein doppelter Gewinn.
  4. Die Studierende: Sie hat eine tolle Abschlussarbeit mit direktem Nutzen für das Unternehmen erarbeitet. Sich so einzubringen und den Betrieb aktiv mitzugestalten macht stolz, motiviert und schafft auch neue Jobperspektiven.

Abschließend gibt es noch einen Gewinner dieser Abschlussarbeit. Ist es doch als Dozent der größte Segen, eine Arbeit begleiten zu dürfen, die ein aktuelles, in vielen Betrieben vorliegendes Problem löst. Ich bin sehr glücklich über die tolle Arbeit von Frau Gähl.


Über den Interviewpartner

Marlon Kreis, M. A. Prävention und Gesundheitsmanagement, arbeitete mehrere Jahre in Physiotherapie- und Arztpraxen. Er behandelte Profisportler und Patienten in der Schmerztherapie und im Rehabilitationstraining. Zwei Jahre leitete er das Zentrum für Bewegungsanalyse in Köln. Seit 2018 ist er Dozent an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) und der BSA-Akademie.


Welche Schlüsse lassen sich aus der Bachelor-Thesis für das Praxismanagement, die Beratung sowie die Überführung in den Selbstzahlerbereich ziehen?

Vor allem der entscheidende Schluss, dass es durchaus möglich ist, Patienten ins Training zu überführen. Es gibt sie: Menschen, die wir z. B. durch Leitfäden zu einem eigenständigen Training motivieren können. Und aus Sicht des Praxismanagements ist das heute ein Muss. Denn es hilft dem Gesundheitssystem, den Patientinnen und Patienten und gleichzeitig den eigenen ökonomischen Interessen. Eine Win-win-win-Situation sozusagen.

Warum sollten Ihrer Meinung nach mehr Unternehmen den Ansatz der motivierenden Gesprächsführung fürsich nutzen? Inwiefern lässt sich dadurch langfristig die Beratungsqualität und die Kundenbindung steigern?

Aus meiner Sicht ist Motivation ein zentraler Schlüssel für den langfristigen Geschäftserfolg. Die Bachelor-Thesis zeigt signifikante Kundenzuwächse und das sorgt für mehr ökonomische Erträge. Aber die Ökonomie mal beiseite:

Stellen Sie sich vor, Sie kommen in Ihre Praxis und neben den alltäglichen Therapien sind über den Tag verteilt zusätzlich 20, 30 oder 50 glückliche Trainierende vor Ort. Angenehme, zufriedene Menschen mit hoher Compliance, die engagiert an der eigenen Gesundheit arbeiten. (Lesen Sie auch: 'Qualität für Zufriedenheit')

Das löst bei Ihnen und Ihrem Team Zufriedenheit aus, denn Ihr Job trägt Früchte. Gleichzeitig werden andere Patienten von diesem positiven Elan angesteckt und motiviert, selbst aktiv zu werden und mehr für die eigene Gesundheit zu tun.


Weitere Hintergründe zum Thema

Lesen Sie unseren Artikel 'Motivierende Beratung' als Einstieg zu den Interviews. Indem Sie auf das Bild oberhalb dieses Textes klicken, gelangen Sie direkt zum Artikel.


Die Themenfelder Therapie und Training rücken immer enger zusammen. Mit dem neuen DHfPG-Studiengang Sport- und Bewegungstherapie ergeben sich zahlreiche neue Einsatzbereiche und Möglichkeiten. Wie beurteilen Sie das Entwicklungspotenzial dieses innovativen Studiengangs und welchen Mehrwert bringt er für die Unternehmen?

Durch die Integration von Sport- und Bewegungstherapie hat man einen noch größeren zeitlichen Spielraum, um Patientinnen und Patienten von den positiven Effekten des Trainings zu überzeugen.

So kann z. B. Rehasport als ergänzende Maßnahme eingesetzt werden, um den Behandlungserfolg einer Physiotherapie langfristig zu sichern. (Lesen Sie mehr: 'Professionalisierung der Bewegungsförderung')

Hat der Patient von den Ärzten Sport verschrieben bekommen, von den Physiotherapeuten gehört, dass Bewegung wichtig ist, und in der Praxis erfahren, wie gut das tut, ist der Schritt zur Verhaltensänderung und dem Abschluss einer langfristigen Mitgliedschaft im Selbstzahlerbereich deutlich einfacher.

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