Therapie und Training unter einem Dach
Mit dem Eintritt in den Zweiten Gesundheitsmarkt ergeben sich für Physiotherapieeinrichtungen zahlreiche Chancen und Potenziale. Wie man mit kombinierten Angeboten aus Therapie und Training neue Synergien schafft, Patienten langfristig glücklich macht, sie bindet und so das eigene Unternehmen zukunftssicherer aufstellt, erfahren Sie in diesem Artikel.
Auch in ansonsten eher schwierigen Zeiten gibt es noch positive Nachrichten vom Gesundheitsmarkt. Die Corona-Pandemie hat deutlich vor Augen geführt, dass die Physiotherapie gerade auch in Krisenzeiten gefragt ist. Angesichts des großen Präventionsbedarfs und zunehmender Beschwerden suchen immer mehr Menschen professionelle Hilfe und Unterstützung (Sörensen & Wolff, 2021). (Lesen Sie dazu: 'Fusion von Fitnesstraining und Physiotherapie')
So titelte das Handelsblatt Anfang 2022: „Der Gesundheitsmarkt gilt als krisensicher“ (Empley, 2022). Doch eine hohe Nachfrage allein heißt im therapeutischen Kontext nicht automatisch, dass der wirtschaftliche Erfolg zwangsläufig immer gegeben ist. Tatsächlich lassen feste Preisstrukturen durch vorgegebene Rezeptwerte der gesetzlichen Versicherungen in der Praxis relativ wenig Spielraum für hohe Erträge und Gewinne.
Wachsende Herausforderungen im Rahmen des Praxismanagements
Die Konsequenz ist ein ständiger unternehmerischer Spagat zwischen dem Wohl der Patientinnen und Patienten, den Interessen der Mitarbeitenden und dem langfristigen wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens. Durch die vorgegebene Preisgestaltung sind faire Arbeitnehmerlöhne gerade in Ballungsgebieten aufgrund der hohen Mieten, Lebenshaltungskosten usw. häufig nur schwer zu ermöglichen.
Des Weiteren stellt der anhaltende Fachkräftemangel (Bundesagentur für Arbeit, 2019) viele Praxen vor große personelle Herausforderungen. Umso wichtiger wird es, dass Unternehmen bestehende Geschäftsmodelle, Recruitingprozesse und vor allem auch das eigene Praxismanagement sowie die internen Prozesse auf den Prüfstand stellen und nach geeigneten Lösungen suchen, um diesen Entwicklungen zielführend zu begegnen (Kreis, 2021; Rolli, 2022). Aber wie schafft man neue Einnahmequellen und Jobperspektiven? Wie erzeugt man Mehrwerte für die Patienten und deren wachsende Bedürfnisse? (Lesen Sie auch: 'Recruitingstrategien')
Ein Blick auf die drei zentralen Handlungsfelder im therapeutischen Training liefert wertvolle Praxisimpulse, wie man diesen Herausforderungen erfolgreich entgegenwirken und das eigene Angebot zukunftsorientiert aufstellen kann.
Physiotherapie
Die klassische Physiotherapie bietet die Möglichkeit, alle gesellschaftlichen Schichten zu erreichen und Betroffenen bei ihren Beschwerden zu helfen. Wahrscheinlich gibt es kaum einen anderen Beruf mit mehr Abwechslung. Neben der Therapie spielt auch das Training im Verlauf der Behandlung eine wichtige Rolle. Die Therapeuten begleiten die Patientinnen und Patienten bei diesem Prozess aktiv und schaffen im Idealfall ein positives Bewegungsverständnis.
Dass Training gut für die Prävention und die langfristige Gesunderhaltung ist, unterstreicht allen voran die Weltgesundheitsorganisation mit ihren evidenzbasierten Empfehlungen zur optimalen gesundheitsförderlichen Aktivitätsdosis (WHO, 2020) nachdrücklich. Erwachsenen werden mindestens 150 bis 300 Minuten pro Woche moderat-intensives oder 75 bis 150 Minuten intensives Ausdauertraining empfohlen. Zusätzlich sollte an mindestens zwei Tagen pro Woche ein Krafttraining durchgeführt werden. (Mehr dazu erfahren Sie hier: 'WHO warnt vor Bewegungsmangel')
Die Integration einer Trainingsfläche in der Physiotherapiepraxis ermöglicht ein gezieltes Training, positive gesundheitliche Erfolge und auch eine gesetzlich attraktiv vergütete Behandlung von Krankengymnastik am Gerät (KGG). Die Abrechnung eines KGG-Rezepts umfasst seit dem 1. März 2023 49,18 Euro je Behandlung und darf mit bis zu drei Patienten gleichzeitig durchgeführt werden (GKV Spitzenverband, 2022). Bei optimaler Organisation bedeutet dies einen Stundenertrag von 147,54 Euro, was einer vergleichsweise hohen Vergütung entspricht. Dennoch ist es utopisch, eine Trainingsfläche allein durch KGG-Patienten voll auszulasten, was zum zweiten wichtigen Handlungsfeld führt. (Auch interessant: 'Physiotherapie im Fitnessstudio')
Sport- und Bewegungstherapie
Die Sport- und Bewegungstherapie ist ein Bindeglied zwischen Erstem und Zweitem Gesundheitsmarkt. Denn der sonst übliche Sport, der normalerweise dem Zweiten Gesundheitsmarkt zuzuordnen ist, wird in diesem Fall von den Versicherungen und Kostenträgern finanziert. Solche Reha- und Präventionssportkurse können dadurch wie KGG auf Rezept verordnet werden. Dass dies Vorteile in der Patientengewinnung hat, ist offensichtlich.
Die Sport- und Bewegungstherapie ist ein Türöffner für neue Patientinnen und Patienten sowie potenzielle langfristige Kundschaft.Neben neuen Patienten können auch bestehende Kunden, die aufgrund der Heilmittelrichtlinie keine weiteren Physiotherapierezepte verordnet bekommen, das therapeutische Training weiterhin nutzen. (Lesen Sie auch: 'Aus- und Weiterbildung in Sport- und Bewegungstherapie')
Zu beachten gilt: Auch in der Sport- und Bewegungstherapie ist man an feste preisliche Vorgaben und Abrechnungsmodelle gebunden. Die Rentabilitätsberechnung von Präventionskursen nach Paragraf 20 oder Rehabilitationskursen nach Paragraf 64 sind immer wieder Gegenstand wissenschaftlicher Arbeiten. Deren Ergebnisse machen eins deutlich: Die Sport- und Bewegungstherapie generiert zusätzlichen Umsatz, bietet sehr viel Potenzial in puncto langfristiger Kundenbindung und sollte von Praxisleitungen deshalb berücksichtigt werden.
Patientinnen und Patienten, die über regelmäßiges Training positive Effekte am eigenen Körper erfahren, sind nämlich deutlich eher gewillt, dauerhaft aktiv zu bleiben und nach der Therapie in den angeschlossenen Selbstzahlerbereich zu wechseln (Tetzlaff, 2020) – womit an dieser Stelle zum dritten Handlungsfeld übergeleitet werden kann. (Auch interessant: 'Selbstzahler binden')
Gesundheitstraining
Das dritte Handlungsfeld vereint Therapie und Training. Der Eintritt in den Zweiten Gesundheitsmarkt ermöglicht Physiotherapiepraxen die Chance zur freien Preisgestaltung. Eine entsprechende Geschäftsfelderweiterung erschließt Physiotherapiepraxen nicht nur zusätzliche Einnahmequellen, sondern erlaubt auch mehr unternehmerische Flexibilität.
Um ihrem Training weiter nachgehen zu können, schließen Kunden beispielsweise ein Abonnement ab, bezahlen pro Trainingseinheit oder nutzen Zehnerkarten. Die Preisgestaltung der verschiedenen Dienstleistungen obliegt dabei dem Unternehmen selbst. So kann u. a. schneller auf steigende Mieten, hohe Nebenkosten oder Inflation reagiert und das Unternehmen deutlich breiter aufgestellt werden (Rolli, 2021). Dieses wertvolle Potenzial wird in der Praxis häufig noch unterschätzt. (Lesen Sie auch: 'Physiotherapeuten und Selbstzahlerleistungen')
Ein Blick auf die kürzlich veröffentlichten „Eckdaten der deutschen Fitnesswirtschaft 2023“ zeigt, dass die Mitgliederzahlen in den Fitness- und Gesundheitsanlagen nach dem „Corona-Knick“ wieder deutlich steigen (DSSV, 2023). Immer mehr Unternehmen positionieren sich im Schwerpunkt Gesundheit (43,7 %) und die Nachfrage nach gesundheitsnahen Dienstleistungen wächst. (Auch interessant: 'Eckdaten 2023')
Dadurch ergeben sich auch für Physiotherapieeinrichtungen neue Wachstumschancen und Möglichkeiten. Diese können sie aber nur nutzen, wenn sie ihr Angebot und das Praxismanagement professionell aufstellen und auf wachsende Herausforderungen im Rahmen des Praxismanagements zielführend reagieren (Kreis, 2021).
Grundsätzlich gilt es bei den drei aufgezeigten Handlungsfeldern Folgendes zu beachten: Das physiotherapeutische und das sporttherapeutische Setting ist und bleibt ein zentraler Teil der Therapie. Mit dem Eintritt in den Zweiten Gesundheitsmarkt ergeben sich für die Unternehmen zusätzliche Geschäftsfelder, die nahtlos an die Therapie anknüpfen können (Sörensen, 2022). Wichtig ist dabei, dass die neuen ergänzenden Angebote bereits frühzeitig im Rahmen der Beratung erstmals aufgezeigt und deren langfristiger Gesundheitsnutzen während der Behandlung immer wieder klar kommuniziert werden. (Lesen Sie auch: 'Übergang zwischen Therapie und Training')
Motivation und langfristige Kundenbindung
Physiotherapieeinrichtungen können beispielsweise Gesprächsleitfäden nutzen, um bei ihren Patientinnen und Patienten ein Bewusstsein für Bewegung zur Gesundheitsförderung zu schaffen und ihr Trainingsverhalten positiv zu verändern. Dieser gesellschaftliche Mehrwert hat den erfreulichen Nebeneffekt einer Steigerung der Anzahl von Patientinnen und Patienten, die eine Mitgliedschaft zur Nutzung der angeschlossenen Trainingsfläche buchen. (Lesen Sie dazu: 'Symbiose aus Therapie und Training')
Praxisleitungen, denen es gelingt, ihre ganzheitlichen Gesundheitsdienstleistungen innovativ, emotional und zielgruppenadäquat zu vermarkten (Tetzlaff, 2021), sind auf dem besten Weg, ihr Unternehmen zukunftssicher aufzustellen und aus zufriedenen Patienten langfristige Kunden bzw. Mitglieder zu machen.
Wie Patientinnen und Patienten auch über das therapeutische Setting hinaus nachhaltig zu mehr Bewegung motiviert werden können, zeigte eine DHfPG-Studierende in ihrer Abschlussarbeit vom November 2022. Lesen Sie dazu den Artikel 'Motivierende Beratung' und erfahren Sie hier, wie durch den Einsatz eines innovativen Gesprächsleitfadens das Trainingsverhalten der Patienten positiv beeinflusst werden konnte.
Fazit
Therapie, Training und Gesundheit gehen Hand in Hand. Ein ganzheitliches Angebot aus Physio-, Sporttherapie und Gesundheitstraining unter einem Dach schafft neue Synergieeffekte und hat aus unternehmerischer Sicht zahlreiche Vorteile. Ein breites Dienstleistungsspektrum schafft neue Umsatzpotenziale, bietet mehr Freiraum bei der Preisgestaltung und sorgt gleichzeitig für eine noch bessere Patientengewinnung und Kundenbindung. Gleichzeitig ergeben sich dadurch für die Mitarbeitenden neue spannende Einsatzfelder und langfristige Jobperspektiven. Das stellt einen deutlichen Mehrwert sowohl für die Patientinnen und Patienten als auch für die Therapeutinnen und Therapeuten sowie das Unternehmen insgesamt dar – eine Win-win-Konstellation für alle Beteiligten.
Über den Autor
Marlon Kreis, M. A. Prävention und Gesundheitsmanagement, arbeitete mehrere Jahre in Physiotherapie- und Arztpraxen. Er behandelte Profisportler und Patienten in der Schmerztherapie und im Rehabilitationstraining. Zwei Jahre leitete er das Zentrum für Bewegungsanalyse in Köln. Seit 2018 ist er Dozent an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) und der BSA-Akademie.
Auszug aus der Literaturliste
DSSV e. V. – Arbeitgeberverband deutscher Fitness- und Gesundheits-Anlagen (Hrsg.). (2023). Eckdaten der deutschen Fitnesswirtschaft 2023. Hamburg: Hrsg.
GKV Spitzenverband. (Hrsg.). (2022). Preise zum Vertrag nach § 125 Abs. 1 SGB V Physiotherapie gemäß Schiedsspruch 6 HE 57-22 Diese Preisliste gilt für Behandlungen, die ab dem 01.03.2023 durchgeführt werden (Stand: 23.12.2022). Zugriff am 10.03.2023.
Rolli, N. (2021). Weiterentwicklung im Rahmen der Unternehmensführung: Neue Geschäftsfelder für Physiotherapeuten. medical fitness and healthcare, 01, 62–64.
Sörensen, A. (2022). Therapie und Training: Wie gelingt der Übergang? medical fitness and healthcare, 01, 18–25.
Tetzlaff, S. (2020). Zwischen Therapie und Training: Praxistipps für die Umsetzung: Selbstzahlerbereiche als Erfolgsmodell. medical fitness and healthcare, 02, 40–42.
Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte marketing@dhfpg-bsa.de.
Diesen Artikel können Sie folgendermaßen zitieren:
Kreis, M. (2023). Therapie und Training unter einem Dach. medical fitness and healthcare, 1, 80–83.
Diesen und weitere Artikel finden Sie in der mfhc 01/2023 & für Abonnenten EXKLUSIV vorab.
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