Lösungsstrategien im Zweiten Gesundheitsmarkt: Individuelle und gesellschaftliche Herausforderungen
Angesichts dramatischer Daten zum gesundheitsriskanten Verhalten innerhalb der Gesellschaft muss mit adäquaten Angeboten des Zweiten Gesundheitsmarktes, also Gesundheitsangeboten außerhalb der Krankenversorgung, reagiert werden. Dazu ist es nötig, dass sich Anbieter mit ihren Leistungen und der Mitarbeiterausbildung verstärkt auf den Aspekt Gesundheit fokussieren.
Die Bevölkerung wie auch die Gesundheits- und Sozialsysteme der modernen Industrienationen sehen sich großen Herausforderungen gegenübergestellt. Neben soziologischen Entwicklungen wie der zunehmenden Alterung der Bevölkerungen geht es auch um den 'westlichen Lebensstil' bzw. die Konsumkultur in diesen Ländern.
Über die vergangenen Jahrzehnte hinweg hat sich dieser Lebensstil trotz großer medizinischer Fortschritte sowohl zu einem gesundheitlichen Risiko für die Einzelnen als auch zur Gefahr für die sozialen Sicherungssysteme entwickelt.
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Im Zentrum der Herausforderungen stehen Bewegungsarmut, ein Übermaß an Ernährung, starker Genuss- und Suchtmittelkonsum sowie die Zunahme psychischer Belastungen.
Letztere können wiederum dazu führen, dass gesundheitsschädliche Verhaltensweisen zur Kompensation von Stress besonders stark ausgelebt werden. Die Datenlage zu diesen verhaltensbezogenen Risikofaktoren ist mittlerweile erdrückend und wird von Jahr zu Jahr und von Studie zu Studie größer.
Bewegungsmangel & Übergewicht gravierend
Hinsichtlich Bewegungsmangel zeigen internationale wie nationale Studien ein gravierendes Ausmaß (z. B. Manz, Domanska, Kuhnert & Krug, 2022; Richter et al., 2021; Techniker Krankenkasse [TK], 2022; World Health Organization [WHO], 2022). Ähnlich ist die Datenlage zu Übergewicht und dessen extremer Form, der Adipositas (Schienkiewitz, Kuhnert, Blume & Mensink, 2022).
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Potenziert werden beide Problembereiche dadurch, dass sie Menschen mit zunehmendem Alter immer stärker betreffen, was angesichts einer stetig älter werdenden Bevölkerung keine guten Aussichten verheißt.
Verhalten und Gesundheit
Die positiven Wirkungen eines gesunden Lebensstils sind umfassend. Neben einer ausgewogenen Ernährung ist insbesondere regelmäßige Bewegung als gesundheitsförderlich zu nennen: Es zeigen sich zunehmende gesundheitspositive Wirkungen von körperlicher Aktivität auf den Organismus. Folgende Tabelle zeigt den Stand der Evidenz (Miko et al., 2020; Physical Activity Guidelines Advisory Committee [PAGAC], 2018, S. D-5 - D-6).
So offensichtlich die Zusammenhänge von Lebensstil und Gesundheit sind, so groß sind aber auch die Herausforderungen in dieser Hinsicht.
Änderungen des Lebensstils stellen für viele Menschen eine große Schwierigkeit dar, insbesondere wenn sie nicht nur die Abkehr von Gewohnheiten bedeuten, sondern auch noch in den Alltag integriert werden müssen.
So lautet eine der häufigsten Angaben, warum Menschen ihre Gewohnheiten nicht ändern: 'keine Zeit' (TK, 2022, S. 9). Es gilt also, einerseits auf einer übergeordneten Ebene eine gesundheitsförderliche Umwelt zu schaffen, die Verhaltensänderungen erleichtert, andererseits geht es aber auch um die Menschen selbst.
Hier ist das Bewusstsein für den Zusammenhang von Gesundheit und eigenem Verhalten zu stärken. In einem zweiten Schritt müssen dann passende Bewegungsangebote zur Verfügung gestellt werden.
Angebote des Zweiten Gesundheitsmarktes
Die Tragweite der verhaltensbedingten Erkrankungen ist so groß, dass mit den Mitteln des vor allem kurativ ausgelegten Gesundheitssystems keine entscheidenden Lösungen zu erwarten sind.
Es gilt, in größerem Maße an die Selbstverantwortung jedes Einzelnen für seine Gesundheit zu appellieren und den Menschen in diesem Zuge Know-how und Angebote zur Umsetzung eines gesunden Lebensstils bereitzustellen.
An diesem Punkt kommen Angebote des Zweiten Gesundheitsmarktes ins Spiel, also Angebote, die privat finanziert sind und gesundheitspositiv wirken (Bundesministerium für Gesundheit [BMG], 2015).
Mit Blick auf den Zweiten Gesundheitsmarkt rücken zwei Angebotsformen in den Fokus, die breite Bevölkerungsgruppen erreichen und Abhilfe schaffen können: Gesundheitsanlagen und der Selbstzahlerbereich physiotherapeutischer Praxen sowie digitale Angebote.
Egal welcher der Bereiche betrachtet wird, es geht darum, dass sich die Gesundheit neben der Fitness als eigener Schwerpunkt etabliert.
Training in Gesundheitsanlagen
Schaut man zunächst auf die Bewegungsanbieter vor Ort, positionieren sich bereits 43,7 Prozent der knapp 9.800 Fitness- und Gesundheitsanlagen in Deutschland im Bereich Gesundheit (DSSV – Arbeitgeberverband deutscher Fitness- und Gesundheits-Anlagen [DSSV], Deloitte & Deutsche Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement [DHfPG], 2023).
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Den Gesundheitsanlagen ist eine Erweiterung der Zielgruppe zu empfehlen, sodass sich nicht nur sport- und fitnessaffine Menschen angesprochen fühlen, sondern auch ältere Menschen oder Personen, die 'nur' das gesundheitsförderliche Bewegungsminimum erreichen möchten.
Dieser Fokus auf die Gesundheit ist Erfolg versprechend für die Anbieter, denn Gesundheit gilt über alle Altersgruppen hinweg als wichtigster Grund, Sport zu treiben (TK, 2022, S. 48–49).
Diese Motivation potenzieller Kunden kann noch besser bedient werden, wenn Bewegungsanbieter ihr Dienstleistungsportfolio erweitern und die Gesundheit ihrer Kundschaft nicht nur in dem Sinn verstehen, dass diese gar nicht erst krank werden, sondern auch Angebote für Erkrankte (Sekundärprävention) oder Personen nach einer Behandlung (Tertiärprävention/Rehabilitation) gestalten.
Um solche Leistungen optimal zu erbringen, werden auch in Gesundheitsanlagen Fachkräfte benötigt, die Bewegungsangebote bei orthopädischen, internistischen und neurologischen Gesundheitsproblemen entwickeln und umsetzen können.
Kooperationen mit medizinischen Einrichtungen können die Akzeptanz von Fitness- und Gesundheitstraining steigern und öffentlichkeitswirksam für die Außendarstellung genutzt werden. (Auch interessant: 'Therapie und Training unter deinem Dach')
Digitale Angebote
Digitale Angebote wie Trainings-Apps bedürfen ebenfalls einer gezielteren Ausrichtung auf das Thema Gesundheit, da auch hier die Aspekte Fitness bzw. Training oftmals im Mittelpunkt stehen.
Diese digitalen Tools können allerdings auch für Gesundheitsfragestellungen genutzt werden, da sie Daten erheben, die sich zur Anwendung in der Prävention und Gesundheitsförderung nutzen lassen (Deloitte & Touche, 2014, S. 11).
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Ein weiterer Pluspunkt digitaler Applikationen ist, dass Gruppen, die sonst schwer zugänglich für Präventionsangebote sind, besser erreicht werden können, wie z. B. junge Menschen (die digitale Tools aus ihrem Alltag kennen).
Aus diesen Gründen zeigen Rutz, Kühn und Dierks (2016a, 2016b) positive Trends für die Nutzung von Apps in Prävention, Diagnostik und Therapie. Jedoch sind diese Apps allenfalls als Unterstützung anzusehen, um einen Trainingsanreiz zu geben sowie Daten zu erheben und zu speichern.
Die Auswertung, Interpretation und damit einhergehende Trainings-, Bewegungs- und Ernährungsempfehlungen sollten stets durch entsprechend qualifiziertes Fachpersonal erfolgen.
Den Pluspunkten steht zudem eine weitere Herausforderung gegenüber, die bewältigt werden muss, um digitale Tools erfolgreich zur Verhaltensänderung einzusetzen: die Unübersichtlichkeit des Angebots und die damit verbundene Schwierigkeit für die Nutzenden, passende Anwendungen zu erkennen, zu verstehen und für ihre Gesundheit zu gebrauchen.
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Die Zahl von gesundheitsbezogenen Apps wird allein im Apple App Store auf über 300.000 geschätzt. So fällt es Nutzerinnen und Nutzern schwer, den Überblick über sinnvolle und nicht sinnvolle Anwendungen zu behalten (Grundy, 2022).
Die Verwendung dieser Apps wird zusätzlich dadurch erschwert, dass viele Menschen Probleme haben, die Daten, die die Apps sammeln und ausgeben, zu verstehen. Es geht darum, die 'eHealth Literacy' zu verbessern – also die Fähigkeit, digitale Gesundheitsinformationen zu verstehen und zu nutzen.
Diese Aufgabe fällt zum einen den Anbietern von digitalen Tools zu, denn diese sollten gut verständliche, leicht zu handhabende und einfach zu interpretierende gesundheitsorientierte Angebote erstellen, die die Nutzer mit einbinden und so 'bei der Stange halten'.
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Zum anderen sollten ausgebildete Fachkräfte in Gesundheitsanlagen sowie in Physiotherapiepraxen mit angeschlossenem Selbstzahlerbereich unterstützend wirken und den Kundinnen und Kunden die aufgenommenen Daten erklären, um somit eine verbesserte Kundenbindung zu generieren und aufbauend hierauf individuelle Gesundheitsangebote für die betroffene Person zu empfehlen.
Gelingt es, die eHealth Literacy der Nutzenden zu steigern und zugleich maßgeschneiderte Angebote zu schaffen, kann die Anwendung digitaler Tools zum Erfolg führen (Centers for Disease Control and Prevention [CDC], 2022; Geukes, Stark & Dockweiler, 2022; Kim, Shin, Kim & Lee, 2023).
Fazit
Egal auf welcher Ebene der Prävention angesetzt wird oder ob Gesundheitsangebote digital oder in Gesundheitsanlagen sowie im Selbstzahlerbereich physiotherapeutischer Einrichtungen erbracht werden, von besonderer Bedeutung ist die Betreuung der Trainierenden und die Bereitstellung maßgeschneiderter Angebote.
Fehlende Trainingsbegleitung ist ein essenzieller Grund vieler, keinen Sport zu treiben (TK, 2022, S. 30–31). Hier gilt es für Anbieter im Zweiten Gesundheitsmarkt, ihre Angebote im Hinblick auf Gesundheit zu schärfen und entsprechend in die Ausbildung von Mitarbeitern zu investieren.
Über den Autor
Matthias Schömann-Finck (u. a. M. Sc. Patientenmanagement) ist seit 2010 pädagogischer Mitarbeiter der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) im Fachbereich Gesundheitsförderung sowie als Referent der BSA-Akademie im Fachbereich Gesundheit tätig.
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Auszug aus der Literaturliste
Manz, K., Domanska, O. M., Kuhnert, R. & Krug, S. (2022). Wie viel sitzen Erwachsene? Ergebnisse der Studie Gesundheit in Deutschland aktuell (GEDA 2019/2020-EHIS). Journal of Health Monitoring, 7 (3), 32–40.
Miko, H.-C., Zillmann, N., Ring-Dimitriou, S., Dorner, T. E., Titze, S. & Bauer, R. (2020). Auswirkungen von Bewegung auf die Gesundheit. Das Gesundheitswesen, 82 (S 03), S184-S195.
Richter, A., Schienkiewitz, A., Starker, A., Krug, S., Domanska, O., Kuhnert, R. et al. (2021). Gesundheitsfördernde Verhaltensweisen bei Erwachsenen in Deutschland – Ergebnisse der Studie GEDA 2019/2020-EHIS. Journal of Health Monitoring, 6 (3), 28–48.
Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte marketing@dhfpg-bsa.de.
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