Ernährung, Gesundheit, Ernährung | Autor/in: Matthias Schömann-Finck |

Zusammenhang zwischen Vitamin D und Krebs: Forschungskontroverse um ein Dilemma

Kampf dem Krebs: Neben der klassischen Betrachtung von Vitamin D als Regulator für den Calciumstoffwechsel und damit für die Knochengesundheit gibt es seit den 1980er-Jahren Forschungsbefunde, die positive Wirkungen von Vitamin D hinsichtlich einer Krebserkrankung zeigen. Allerdings sind diese Befunde teils widersprüchlich und werden von einem buchstäblichen „D-ilemma“ begleitet.

Vitamin D: Zwischen Risiko und Vorteilen

Vitamin D ist als Regulator für den Calciumstoffwechsel und damit für die Gesundheit der Knochen bekannt. Seit den 1980er-Jahren gibt es außerdem Forschungsergebnisse, die Vitamin D mit der Vermeidung von Krebserkrankungen beziehungsweise einer Reduktion der Krebssterblichkeit in Verbindung bringen.

Ausgehend von Korrelationsstudien zu Sonnenbestrahlung, der damit eingehenden Vitamin-D-Synthese in der Haut und Darmkrebs (Garland & Garland, 1980) konnte für viele Krebsentitäten ein inverser Zusammenhang zwischen der Sonnenbestrahlung eines Gebietes und dem Auftreten von Krebs gezeigt werden (Grant, 2012).


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Da diese Studien nur zusammengefasste Daten nutzen – z. B. Sonnenbestrahlung in einem Land, ohne zu erfassen, wer sich wie der Sonne aussetzt –, können Korrelationsstudien allerdings nicht zur Bestätigung von Kausalitäten genutzt werden.

Aber sie können, wie im Hinblick auf Vitamin D und Krebs, Hypothesen liefern, die dann mit anderen Studienformen überprüft werden können.

Die Hypothese zur schützenden Wirkung von Vitamin D ist aus zwei Gründen von Bedeutung: Einerseits haben Krebserkrankungen einen hohen Anteil an der Krankheitslast und dem Sterbegeschehen in Nationen mit alternden Gesellschaften wie Deutschland.

Rund 500.000 neue Krebserkrankungen pro Jahr und 230.000 Krebstodesfälle pro Jahr sind die traurige Bilanz in Deutschland (Zahlen ohne nicht-melanotischen Hautkrebs; Robert Koch-Institut, Gesellschaft der Epidemiologischen Krebsregister & Zentrum für Krebsregisterdaten, 2021).

Andererseits sorgt die Alterung in Ländern wie Deutschland im Zusammenhang mit verschiedenen modernen Verhaltensweisen für einen verbreiteten Vitamin-D-Mangel, da ältere Menschen meist geringere Vitamin-D-Spiegel haben (Rabenberg & Mensink, 2016).

Wirkungsmechanismen

Die Hypothese zur schützenden Wirkung von Vitamin D beruht nicht nur auf Korrelationen, sondern wird untermauert durch biologisch plausible Wirkungsmechanismen (Bandera Merchan, Morcillo, Martin-Nuñez, Tinahones & Macías-González, 2017; Bouillon et al., 2019).

Somit lohnt an dieser Stelle ein Blick auf den Vitamin-D-Stoffwechsel und die Wirkungen von Vitamin D hinsichtlich der Entstehung und Progression von Krebs (vgl. Abb. 1).

Vitamin D kann über die Nahrung aufgenommen werden, dies macht aber nur einen geringen Teil der Vitamin-D-Versorgung aus. Hauptquelle für Vitamin D ist die Synthese in der Haut durch die Einwirkung von UV-B-Strahlung (= ultraviolette Strahlung mit 280–315 nm Wellenlänge).

Somit ist Vitamin D im engeren Sinne kein Vitamin, sondern ein Prohormon beziehungsweise Hormon. Nach ersten Syntheseschritten in der Haut bindet Vitamin D3 an ein spezifisches Transportprotein.

Aus dem Komplex aus Vitamin D3 und Vitamin-D-bindendem Protein wird in der Leber 25-Hydroxyvitamin D3 (25[OH]D3, Calcidiol) gebildet. 25(OH)D3 ist die wichtigste zirkulierende Form von Vitamin D und wird als Messwert für den Vitamin-D-Status genutzt.

Vitamin D Stochwechsel

Über den Blutkreislauf gelangt 25(OH)D3 zu den Nieren. Dort findet eine zweite Hydroxylierung statt, aus der der aktive Metabolit 1,25-Dihydroxyvitamin D3 (1,25[OH]2D3, Calcitriol) hervorgeht. 1,25(OH)2D3 wird über das Blut zu den Zielzellen transportiert.

Ziel für 1,25(OH)2D3 sind nicht nur Zellen zur Regulation des Calciumstoffwechsels. Denn mittlerweile wurde der Vitamin-D-Rezeptor (VDR) in vielen Geweben nachgewiesen. Es konnte in den letzten Jahren zudem gezeigt werden, dass viele Zellen selbst die Fähigkeit zur lokalen Produktion von 1,25(OH)2D3 besitzen. Hierzu gehören beispielsweise Immunzellen.

Zusätzlich wurde ein weiterer Vitamin-D-Stoffwechselmechanismus entdeckt, der nicht über den VDR läuft (Chun et al., 2014; Saternus & Reichrath, 2020; Slominski et al., 2015).

Vitamin D reguliert auf diesen Wegen eine Vielzahl von Prozessen im Körper. Unter anderem auch Prozesse, die Einfluss auf die „Hallmarks of Cancer“ (Hanahan & Weinberg, 2000), also die grundlegenden Merkmale von Krebserkrankungen, haben.

Bandera Merchan et al. (2017) geben in ihrem Review einen Überblick über die entsprechenden Prozesse.

Beginnend bei Wirkungen auf chronische Entzündungen, die oft Ausgangspunkt der Krebsentstehung sind, über die Regulation des programmierten Zelltodes (= Apoptose) sowie der Gefäßneubildung (= Angiogenese) und der Zelldifferenzierung bis hin zum Einfluss auf die Metastasenbildung spielt das Vitamin-D-System eine Rolle (vgl. Abb. 2).

Aufgrund dieser Wirkungen schätzen Bandera Merchan et al. Vitamin D sogar als wichtigsten Faktor im Rahmen der körpereigenen Bekämpfung von Neubildungen ein.

Daten zur protektiven Wirkung von Vitamin D

Über die letzten Jahre gab es eine Zunahme an Studien zum Thema „Vitamin D und Krebs“. Jedoch zeigen sich je nach betrachteter Krebsart, gewählter Studienform und zugrunde gelegtem -fokus teils widersprüchliche Ergebnisse.

Die schon erwähnten Korrelationsstudien, in denen die Vitamin-D-Versorgung über die Sonnenbestrahlung geschätzt wird, zeigen hinsichtlich des Krebsrisikos wie auch der Krebssterblichkeit einen positiven Einfluss von Vitamin D (Grant, 2012).

Aufgrund der Defizite dieses Studientyps wurde eine Vielzahl von Beobachtungsstudien, Kohortenstudien oder Fall-Kontroll-Studien durchgeführt. Hier zeigten sich für verschiedene Krebsarten unterschiedliche Befunde.

Ebenso fallen die Daten zum Einfluss des Vitamin-D-Spiegels auf die Krebssterblichkeit positiver aus als die Daten zum Vitamin-D-Spiegel in Bezug auf das Risiko des Entstehens von Krebserkrankungen.


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Wird statt des Vitamin-D-Spiegels im Körper die Aufnahme von Vitamin D durch Supplemente oder die Nahrung betrachtet, ergeben epidemiologische Studien oft keine Zusammenhänge, was aber nicht zuletzt daran liegt, dass im Rahmen solcher Studien die Vitamin-D-Aufnahme schwer zu messen ist.

Dementsprechend zieht sich aufgrund der widersprüchlichen Datenlage und der methodischen Defizite von Beobachtungsstudien der Ruf nach randomisiert-kontrollierten Interventionsstudien (RCT) wie ein roter Faden durch die Literatur.

Die Hoffnung ist, dass durch die Befunde solcher Studien Vitamin D als kostengünstiges und sicheres Mittel im Kampf gegen Krebserkrankungen allgemein oder zumindest gegen einige Krebsarten bestätigt wird (Maalmi, Ordóñez-Mena, Schöttker & Brenner, 2014; Maalmi et al., 2018).

Im Rahmen von RCTs ergeben sich jedoch immer wieder keine oder nur schwache Effekte. Dies liegt auch an methodischen Problemen, z. B. sehr geringe Vitamin-D-Dosierungen oder Proband:innen, die gar kein Vitamin-D-Defizit haben.

Ein aktueller Umbrella Review von Sluyter, Manson und Scragg (2021) wertet Übersichtsarbeiten, die RCTs zusammenfassen aus und kommt hinsichtlich des Krebsrisikos zu dem Schluss, dass hier keine Verbindung zur Vitamin-D-Aufnahme besteht.

Jedoch zeigen die Daten für die Aufnahme von Vitamin D in Zusammenhang mit der Krebssterblichkeit einen statistisch gesicherten positiven Einfluss bei Vitamin-D-Supplementierung. Die Risikoreduktion liegt hier bei etwa 15 Prozent.


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Beim Blick auf die verschiedenen Krebsarten fällt insbesondere der Zusammenhang zwischen hohen Vitamin-D-Spiegeln und reduzierter Darmkrebsmortalität auf, auch die Daten zum Brustkrebs ergeben ein positives Bild (u. a. Maalmi et al., 2014).

Andere Tumorarten wie beispielsweise Pankreas- oder Prostatakarzinome zeigen sich dagegen weniger Vitamin-D-sensitiv. Bei selteneren Krebsarten ist die Datenlage oft schwach.

Auch Befunde zu Dosis-Wirkungs-Beziehungen sind uneinheitlich. Hier gibt es Kontroversen, ob die Dosis-Wirkungs-Beziehung linear verläuft oder ob es einen u-förmigen Zusammenhang gibt, dass also das Risiko ab einem gewissen Vitamin-D-Spiegel wieder steigt (Ekmekcioglu, Haluza & Kundi, 2017; Grant et al., 2016).

Vitamin-D-Spiegel optimieren – auf welches Maß und wie?

Die Frage nach dem optimalen Vitamin-D-Spiegel spielt in der Wissenschaft eine wichtige Rolle. Eine mangelhafte Vitamin-D-Versorgung wird definiert als eine 25(OH)D3-Serumkonzentration von weniger als 25 bis 30 nmol/l. Uneinigkeit herrscht jedoch über den „optimalen“ Bereich.

Das amerikanische Institute of Medicine (heute: National Academy of Medicine) oder die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfehlen mindestens 50 nmol/l. Die Endocrine Society und die International Osteoporosis Foundation sprechen dagegen von mindestens 75 nmol/l (Maretzke et al., 2020, S. 393).


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Um das entsprechende 25(OH)D3-Level zu erreichen, stehen die exogene Zufuhr von Vitamin D über die Nahrung bzw. über Nahrungsergänzungsmittel und die körpereigene Vitamin-D-Synthese in der Haut zur Verfügung.

Über die Haut können tagsüber bei wolkenlosem Himmel im Sommer in Mitteleuropa bei einer Ganzkörperexposition rund 25 μg (1.000 IE) Vitamin D pro Tag bereitgestellt werden, entsprechend weniger bei geringerer UV-Bestrahlung und weniger Hautexposition.

Bei Gruppen mit eingeschränkter endogener Synthese raten Fachgesellschaften wie die DGE zu einer Substitution von 10 bis 20 μg (400–800 IE) (Maretzke et al., 2020, S. 392).


Fazit

Auch wenn noch viel Forschungsbedarf besteht, zeigen die verfügbaren Daten die Wichtigkeit eines guten Vitamin-D-Status. Um diesen zu erreichen, ist die kutane Vitamin-D-Synthese das zentrale Element.

Jedoch ist für diesen Prozess UV-B-Strahlung notwendig und diese ist der größte Risikofaktor für die beiden Formen des weißen Hautkrebs und ein wichtiger Risikofaktor für das maligne Melanom, also den aggressiveren schwarzen Hautkrebs (Pfeifer & Besaratinia, 2012).

Richtige Dosierung wichtig

Es muss somit ein Maß gefunden werden, um einerseits eine ausreichende Vitamin-D-Produktion sicherzustellen und andererseits die Gefahren durch UV-Strahlung zu minimieren. Hier gilt es vor allem Sonnenbrände zu vermeiden.

Denn im Hinblick auf Vitamin D und UV ist das Motto: „Viel hilft viel“ nicht zutreffend! Denn bereits moderate Sonnenexpositionen von Armen, Beinen und Gesicht im Sommerhalbjahr über die Mittagszeit (5 bis maximal 30 Minuten abhängig von Tages-/Jahreszeit, Breitengrad, Hautpigmentierung, zwei- bis dreimal pro Woche) sorgt für eine ausreichende Vitamin-D-Versorgung (Saternus & Reichrath, 2020).


Über den Autor

Matthias Schömann-Finck (u. a. M. Sc. Patientenmanagement) ist als pädagogischer Mitarbeiter der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) im Fachbereich Gesundheitsförderung sowie als Referent der BSA-Akademie im Fachbereich Gesundheit u. a. für den Lehrgang  „Fachkraft UVSV“ tätig.


Auszug aus der Literaturliste

Maretzke, F., Bechthold, A., Egert, S., Ernst, J. B., Melo van Lent, D., Pilz, S. et al. (2020). Die Rolle von Vitamin D bei der Prävention und Behandlung ausgewählter extraskelettaler Erkrankungen – ein Umbrella Review. In Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) (Hrsg.), 14. DGE-Ernährungsbericht (S. 390–440). Bonn: Deutsche Gesellschaft für Ernährung.
Rabenberg, M. & Mensink, G. B. M. (2016). Vitamin-D-Status in Deutschland. Journal of Health Monitoring, 1 (2), 36–42.
Saternus, R. & Reichrath, J. (2020). Kraftwerk Sonne und Hormonfabrik Haut. Aktuelle Standortbestimmung zur Bedeutung des Vitamin-D-Stoffwechsels während der menschlichen Evolution und Strategien zur UV-Prävention. Der Hautarzt, 71 (10), 772–785.

Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte marketing@dhfpg-bsa.de.

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