Digital, Management | Autor/in: Prof. Dr. Marco Speicher |

Mobile Endgeräte effizienter nutzen

Nicht nur, dass Sensoren heutzutage unsere Aktivitäten überwachen – unabhängig davon, ob man sich im Fitnessstudio befindet, zu Hause, im Büro oder schläft. Auch Kurse können online gebucht, storniert und abgerechnet werden. Die Digitalisierung im Fitnessbereich ist also voll im Gange. Doch viele digitale Angebote sind zurzeit entweder mobil nicht verfügbar oder wenig benutzungsfreundlich.

Eine benutzerfreundliche Studio-App entwickeln

Die Erweiterung des unternehmenseigenen digitalen Portfolios auf mobile Endgeräte ist in der heutigen Zeit nahezu unumgänglich. Doch wie schafft man es, dass die eigene App nicht in der Masse an ungenutzten Apps in den App Stores untergeht?


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Der Großteil der existierenden Angebote an Apps aus dem Gesundheits- und Fitnessbereich stellt meist nur Lösungen dar, die entweder eine benutzerfreundliche und funktionierende IT-Lösung ohne brauchbares branchenspezifisches Fachwissen anbieten, oder eine fachlich wertvolle Software, die jedoch schlecht bedienbar oder sogar fehlerhaft ist.

Lange vor dem Schreiben der ersten Codezeile müssen wichtige Schritte unternommen werden, um eine möglichst zielgruppenorientierte und benutzungsfreundliche Lösung zu finden. Eine Smartphone-App hat gegenüber einer mobilen Website klare technische Vorteile, wie zum Beispiel das Erfassen und die Speicherung von Trainings- und Gesundheitsdaten.

Vorteile einer Studio-App

Zudem ist während der Verwendung von Smartphone-Apps nicht zwingend ein Internetzugang notwendig, was besonders beim Training in Räumlichkeiten mit schlechtem Empfang von Vorteil sein kann. Mobile Websites bieten hingegen schnelleren und einfacheren Zugang zu Informationen und sind günstiger in der Entwicklung.

Doch welche Art der mobilen Lösung und welche Funktionalitäten kommen konkret für eine eigene Studio-App infrage? Die Lösung sollte immer nah an dem:der Benutzer:in und der Zielgruppe orientiert sein und nicht an den technischen Möglichkeiten des Endgeräts.

Im Folgenden wird anhand eines konzeptionellen Beispiels aufgezeigt, wie sich ein kleines Projekt zur Erstellung einer eigenen Smartphone-App oder mobilen Weboberfläche angehen lässt.

Die Benutzer:innen verstehen

Bevor man sich mit der Entwicklung von ersten Designentwürfen oder Funktionen befasst, ist es wichtig, die Benutzer:innen und die Zielgruppe besser und in einem mobilen Kontext zu verstehen.

  • Wie ziehen sie es vor, auf das Internet zuzugreifen? Über stabile WLAN-Verbindungen oder über das mobile Netz? Oder sollte sogar offline voller Zugriff möglich sein?
  • Wie viel Zeit verbringen sie im Moment der Interaktion mit der Website (sofern bereits eine existiert) oder mit schon vorhandenen Apps oder sonstigen digitalen Angeboten (wie z. B. Fitnessvideos)?
  • Welche Funktionen wären für die bestmögliche mobile Erfahrung entscheidend?
  • Sind die Nutzer:innen an einigen Stellen des digitalen oder auch analogen Angebots in der Fitness- oder Gesundheitseinrichtung frustriert, weil sie Potenzial sehen, einige Dinge besser über das Smartphone oder Tablet erledigen zu können (Stichwort: „Pain Points“)?
  • Welche Geräte benutzen sie für den Zugang zum mobilen Web? Smartphone, Tablet, Desktop-PC oder Laptop? Welche Betriebssysteme werden genutzt?

Verfügt man über mehr als eine Zielgruppe, muss man diese Fragen für jede einzeln beantworten. Man sollte die Antworten außerdem in ein übergeordnetes Bild eingliedern und die Trends in der Branche vor Ort, in den App-Stores und im mobilen Web untersuchen.


 

Über den Autor

Prof. Dr. Marco Speicher ist stv. Fachleiter Informatik an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) und leitet den IT-Bereich „App- & Webentwicklung“. 2019 promovierte er an der Universität des Saarlandes zum Thema „Measuring User Experience for Virtual Reality“.

Von 2014 bis 2019 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und dort im Ubiquitous Media Technologies Lab (UMTL) und Innovative Retail Laboratory (IRL) tätig.


Vielleicht stellt sich heraus, dass Smartphone-Apps beliebter sind als das Surfen im mobilen Web – spielt das für die Benutzer:innen eine Rolle? Was sind die Schlüsselelemente der besten Apps, die auf dem Markt sind? Warum sollten die Kund:innen gerade die eigenen digitalen Angebote nutzen und nicht die der anderen?

App mit Gutscheinen attraktiv machen

Beispielsweise bieten viele Shopping-Plattformen in ihren individuellen Applikationen spezielle Gutscheine, die die Kund:innen ausschließlich an dieser Stelle erhalten. Das bringt die Benutzer:innen dazu, die Apps regelmäßig zu öffnen und nicht nach kurzer Zeit wieder zu entfernen.

Entsprechende Lösungen können auch für Apps, die für Sport-, Fitness- und Gesundheitsstudios entwickelt werden, interessant sein.

Was soll die mobile Erfahrung bieten?

Nach einer ersten Bestandsaufnahme ist es an der Zeit, Prioritäten für die mobile Erfahrung zu setzen. Eine Benutzeranalyse wird aufzeigen, was die Benutzer:innen an Funktionen nutzen wollen, aber noch viel wichtiger: was die App nicht benötigt.

Wenn die Benutzer:innen ohnehin immer online sind, ist es zum Beispiel unnötig, eine Offline-Variante zu implementieren. Sind z. B. die Kund:innen zufrieden mit der Art, wie die aktuelle Kommunikation mit dem:der Trainer:in abläuft, sollte die App eine diesbezügliche Funktion nicht auch noch enthalten.


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Der Fokus sollte nicht auf mehr als zwei bis drei Schlüsselelementen liegen, die explizit auf die Benutzer:innengruppe(n) zugeschnitten sind.

Man sollte aber auch berücksichtigen, was das Sport-, Fitness- und Gesundheitsunternehmen – also der:die Anbieter:in der App – von diesem Prozess erwartet. Möglicherweise muss man Komponenten der Benutzererfahrung (engl. User Experience) überarbeiten und modifizieren, um Kundenbedürfnissen möglichst optimal zu entsprechen.

Kompromisse als Schlüsselfaktor

Die User Experience ist unerlässlich, aber sie nutzt nichts, wenn sie nicht für Geschäftsergebnisse sorgt. Kompromisse können hier der Schlüsselfaktor sein.

Es sollte außerdem nicht vergessen werden, dass zu hohe Komplexität zu Beginn des Produktlebenszyklus ein großer Nachteil sein kann. Bedürfnisse zu priorisieren bedeutet auch, keine Angst davor zu haben, Bedürfnisse für zukünftige Versionen zurückzuhalten.

Diese Art der Anforderungen an eine Software nennt man auch May-haves, im Vergleich zu den unbedingt notwendigen Must-haves oder den Must-not-haves, die auf keinen Fall enthalten sein sollten. Ein Projekt sollte daher möglichst wenig Must-haves und so wenig May-haves wie möglich haben.

Ein großes, minimal realisierbares Produkt ist oft besser als ein übermäßig komplexes.

Überlegungen zum Mobile Design

Bei der Planung einer mobilen App oder Weboberfläche sollte es auch mobilspezifische Designüberlegungen geben. Wird man zum Beispiel die eigenen Kursangebote oder sonstige eigene Produkte in das aktuelle Angebot integrieren?

Jede Überlegung hat ihre Vor- und Nachteile und Entscheidungen müssen aufgrund des Kontextes, in dem das mobile Gerät genutzt werden soll, getroffen werden. Wenn Benutzer:innen von ihrem Schreibtisch aus auf die mobile Weboberfläche zugreifen, ist das großartig, aber viele werden das nicht tun.

Eine alltagstaugliche App

Sie werden eher geneigt sein, die App oder mobile Website unterwegs in alltäglichen Situationen zu benutzen – oder auch bequem von ihren Sofas aus (oder wo auch immer sie ihre mobilen Endgeräte nutzen).

Das bedeutet auch, dass man sich überlegen muss, wie man potenzielle Ablenkungen reduzieren und es dem:der Benutzer:in leicht machen kann, sich auf die eigentliche Aufgabe in der App zu konzentrieren, wie z. B. das Ausfüllen einer Umfrage, das Lesen von Neuigkeiten oder das Erstellen eines neuen Trainings.

Josh Clark, der Autor von „Tapworthy: Designing Great iPhone Apps“ (Clark, 2010), unterscheidet drei Kategorien des mobilen Webzugriffs

  • Mikrotasking: Wenn der:die Benutzer:in für kurze, aber hektische Aktivitätsperioden mit seinem:ihrem Gerät interagiert – zum Beispiel der Check der gelaufenen Strecke oder der Herzfrequenz während des Cardiotrainings.
  • Lokal: Wenn der:die Benutzer:in das Gerät intensiver nutzt, aber dennoch wissen will, was um ihn:sie herum vorgeht.
  • Gelangweilt: Wenn der:die Benutzer:in nichts Besseres zu tun hat und unterhalten oder anderweitig abgelenkt werden möchte, wie zum Beispiel in den Ruhephasen oder nach dem Training.

Wenn man diese Kategorien im Hinterkopf behält, kann es viel einfacher werden, auf die Bedürfnisse der Benutzer:innen einzugehen und sich auf das zu konzentrieren, was mobile Anwendungen von anderen Zugangsplattformen unterscheidet.

Überprüfung und Verfeinerung

Nun können Skizzen, Designentwürfe und einfache Prototypen für die ersten Iterationsphasen erstellt werden. Es sollte sichergestellt sein, dass man jede einzelne Iterationsphase mit ausgewählten Benutzer:innen testet. Hier sind nicht mehr als fünf Tester:innen notwendig, um mehr als 95 Prozent aller Fehler zu finden (Nielsen & Landauer, 1993).


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Zunächst sollte Feedback eingeholt und dann unmittelbar iteriert werden. Man sollte außerdem nicht vergessen, sicherzustellen, dass die App oder Weboberfläche den Standards (z. B. W3C) entspricht. Anschließend geht man zum Anfang zurück und iteriert ein weiteres Mal, bis keine Fehler mehr gefunden werden und alle Anforderungen aus der Benutzer:innen- und Marktanalyse in einem finalen Prototyp enthalten sind.


Fazit

Bei der Entwicklung einer mobilen Lösung für Sport-, Fitness- und Gesundheitseinrichtungen ist neben der Programmierung und dem Design im Vorfeld einiges an benutzerzentrierter Analyse und anschließender Bewertung notwendig.

Dafür ist Fachwissen sowohl aus dem IT-Bereich als auch aus dem fachspezifischen Fitness- oder Gesundheitsbereich notwendig. Die Sport- und Gesundheitsinformatik steht hierbei für eine interdisziplinäre Lösung, sowohl die theoretischen als auch die praktischen Aspekte und Methoden der Informatik und der Sportwissenschaft zu verbinden.


Auszug aus der Literaturliste

Nielsen, J. & Landauer, T. K. (1993). A mathematical model of the finding of usability problems. In B. Arnold, G. van der Veer & T. White (Hrsg.), Proceedings of the SIGCHI conference on Human factors in computing systems - CHI '93 (S. 206–213). New York : ACM Press.
Clark, J. (2010). Tapworthy: Designing Great iPhone Apps (1st. ed.). Farnham: O'Reilly Media, Inc.

Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte marketing@dhfpg-bsa.de.


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