Fitness, Gesundheit | Autor/in: Harald Gärtner |

Evidenzbasierte Hypertrophie – 'No pain, no gain?'

Der Wunsch nach Muskelaufbau treibt zahlreiche Studiokund:innen an. Über die vergangenen Jahrzehnte wurden viele Halbwahrheiten und Mythen rund um das optimale Training für den Muskelaufbau in Umlauf gebracht. Grund genug, genau auf die Datenlage zu schauen, um wissenschaftlich gesicherte Trainingsempfehlungen als Basis für die Trainingsplanung anzuwenden.

Optimales Trainingsvolumen beim Krafttraining: Sportwissenschaftler Harald Gärtner gibt einen Überblick zur Studienlage in Bezug auf Hypertrophie und Muskelaufbau.

In den vergangenen Jahren wurde zunehmend klar, dass nicht ein einziger Faktor Hypertrophie auslöst, sondern mehrere. (Lesen Sie auch: 'Hypertrophietraining')

Neben ernährungsspezifischen Faktoren, auf die im vorliegenden Beitrag nicht genauer eingegangen werden soll, sind vor allem die trainingsspezifischen Faktoren wie eine hohe muskuläre Spannung, die Ansammlung von Stoffwechselprodukten in der Muskulatur sowie Mikroverletzungen der Muskulatur beim Muskelaufbau entscheidend (Schoenfeld, 2010).


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Die muskuläre Spannung muss ausreichend hoch sein und wird unter anderem vom Trainingsgewicht beeinflusst. Die Ansammlung von Stoffwechselprodukten ist eine Folge von Sauerstoffmangel während muskulärer Arbeit.

Ob Mikroverletzungen der Muskulatur nur eine Folge der ersten zwei Prozesse sind oder eine eigenständige Rolle spielen, ist noch nicht abschließend geklärt.

Den Trainierenden oder den betreuenden Trainer:innen stellt sich die Frage, wie der Trainingsplan aufgebaut sein muss, damit die benannten Faktoren optimal angesteuert werden. Konkrete Angaben zur Satz- und Wiederholungszahl sowie Intensitätssteuerung des Trainings sind wichtige Aspekte, auf die spezifisch eingegangen werden soll.

Wie wichtig ist das verwendete Gewicht?

Schwere Gewichte sind für einen gezielten Muskelaufbau nicht unbedingt erforderlich. Wahrscheinlich kennen die meisten Trainierenden den für das Hypertrophietraining häufig empfohlenen Bereich von acht bis zwölf Wiederholungen.

Ein Blick auf neuere Studienergebnisse zeigt jedoch, dass identische Hypertrophieeffekte auch bei einer Trainingsintensität von 30 bis 50 Prozent oder mit über 70 Prozent des Einer-Wiederholungs-Maximums (1-RM) hervorgerufen werden können (Morton, Colenso-Semple & Phillips, 2019; Vargas et al., 2019).


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Dies gilt vor allem dann, wenn das Training mit geringer Intensität bis zum muskulären Versagen oder zumindest bis kurz davor durchgeführt wird, wohingegen beim Training mit höheren Gewichten muskuläres Versagen nicht ausschlaggebend ist.

Hieraus resultiert für die Praxis, dass unabhängig vom Trainingsgewicht Hypertrophieeffekte erzielt werden können. Wiederholungszahlen zwischen acht und zwölf bleiben für den Großteil der Trainierenden aufgrund der Praktikabilität allerdings der effizienteste Bereich, da Sätze mit 20 oder gar 30 Wiederholungen bis zum Muskelversagen im Vergleich zu niedrigeren Wiederholungszahlen oft als anstrengender und unangenehmer empfunden werden.

No pain, no gain – ist muskuläre Auslastung notwendig?

Aussagen wie: „Mach so viele Wiederholungen wie möglich und dann noch zwei mehr!“ stellen sich angesichts der Ergebnisse einer großen Zahl an Studien zu diesem Thema als inkorrekt heraus. (Lesen Sie auch: 'Ganzheitlich trainieren: Holistisches Krafttraining')


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In einer aktuellen Metaanalyse (Vieira et al., 2021) kamen die Autor:innen zu dem Schluss, dass es für Hypertrophie nicht entscheidend ist, ob ein Satz bis zum muskulären Versagen durchgeführt wird oder nicht. Dies gilt vor allem dann, wenn die Versuchsgruppen in Bezug auf das Trainingsvolumen identisch sind.


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Trainiert eine Gruppe fünf Sätze mit je zehn Wiederholungen bis zum Muskelversagen, resultieren hieraus insgesamt 50 Wiederholungen. Trainiert eine Vergleichsgruppe ebenfalls fünf Sätze mit acht Wiederholungen, so macht diese insgesamt 40 Wiederholungen.

Muskelaufbau & Regenerationsbedarf

Bei Erhöhung der absoluten Wiederholungszahl durch einen weiteren Satz auf 48 Wiederholungen gleicht sich die Anzahl weitestgehend aus und es ergibt sich hinsichtlich des Muskelaufbaus kein messbarer Gruppenunterschied.

Demnach erscheint bei einem geringen Zeitbudget ein Training bis zum Muskelversagen mit einer erhöhten Wiederholungszahl sinnvoll, allerdings entsteht dadurch auch ein höherer Regenerationsbedarf als bei einem nicht ausbelastenden Training.


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Bei ausreichender Zeit und demnach einer möglichen Erhöhung des Trainingsvolumens ist das Trainieren bis zum muskulären Versagen nicht notwendig und geht eventuell sogar zu Lasten der Regeneration (Vieira et al., 2021).

Wie nahe sollten die Trainierenden also dem Muskelversagen kommen?

Hierzu gibt es bisher keine klaren Daten. Sofern am Ende eines Satzes nicht mehr als zwei bis drei weitere Wiederholungen ausführbar sind, scheint dies aber bereits einen ausreichend hohen Reiz darzustellen.

Wöchentliches Trainingsvolumen

Als Trainingsvolumen wird hier die Anzahl der durchgeführten Sätze pro Woche und Muskelgruppe definiert, unabhängig der Verteilung auf die Trainingstage. (Lesen Sie auch: 'Faktor Trainingshäufigkeit: So oft sollten Sie trainieren')

Mehrere Sätze (für fortgeschrittene Kraftsportler:innen mehr als zehn Sätze pro Woche pro Muskelgruppe) scheinen zur Erreichung von Hypertrophieeffekten zielführender als eine reduzierte Satzzahl bei Erhöhung der Wiederholungszahl.

Doch wie viele Sätze sind wiederum zu viele? Darauf hat die Literatur keine einheitliche Antwort. In einer exemplarischen Periodisierung des Trainingsvolumens im Jahresverlauf geben Schoenfeld, Ogborn und Krieger (2017) allerdings maximal 20 bis 25 Sätze wöchentlich pro Muskelgruppe als temporären Höchstwert an.


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Hierbei wird allerdings betont, dass die Steuerung des Trainingsvolumens einer hohen Individualität unterliegt und daher speziell an die Trainierenden und ihre Regenerationsfähigkeit angepasst werden sollte.

Steigerung der Skelettmuskelmasse

Eine langfristige Steigerung der Skelettmuskelmasse ist bei nicht ausreichender Regeneration durch eine zu hohe Gesamtbelastung nicht mehr möglich (Schoenfeld, Ogborn & Krieger, 2017).


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Daher sollte in der Praxis bei einer Stagnation der Trainingsfortschritte nicht sofort die Satzzahl erhöht werden, sondern auch weitere mögliche Ursachen wie wenig Schlaf oder mangelnde Nährstoff- und Proteinzufuhr in Betracht gezogen werden.

Optimales Trainingsvolumen

Laut den Studienergebnissen von Baz-Valle, Balsalobre-Fernández, Alix-Fages und Santos-Concejero (2022) scheint das optimale Trainingsvolumen durchschnittlich zwischen zwölf und 20 Sätzen wöchentlich pro Muskelgruppe zu liegen.

Zwar kann diese Angabe auch für kurze Zeit überschritten werden, jedoch sollte das wöchentliche Gesamtvolumen zumindest überwiegend in diesem Bereich geplant und bei Bedarf individuell angepasst werden, um langfristige Muskelaufbauprozesse zu optimieren.

Trainingseinheiten pro Woche

In der Literatur finden sich verschiedene Metaanalysen (Fröhlich, 2008; Schoenfeld, Ogborn & Krieger, 2016), die sich mit der optimalen Trainingsfrequenz pro Muskelgruppe beschäftigen.

Interessanterweise hat sich hier in den vergangenen Jahren ein Wandel ergeben: Während frühere Arbeiten zu dem Ergebnis kamen, dass eine Trainingsfrequenz von zwei- bis dreimal pro Woche pro Muskelgruppe bessere Resultate bringt, kommt eine neuere Metaanalyse (Schoenfeld, Grgic & Krieger, 2019) zu einem anderen Schluss.


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Hier wird darauf verwiesen, dass sich die Vorteile für mehrere Einheiten auflösen, sobald der Gesamtumfang pro Woche gleich ist. Sprich: Ob jemand in einer Trainingseinheit 14 Sätze für die Brustmuskulatur absolviert oder diese 14 Sätze auf zwei, drei oder gar vier Einheiten aufteilt, hat – wenn überhaupt – nur einen trivialen Effekt.

Für ein Trainingsprogramm bedeutet das in der Praxis Folgendes: Letzten Endes kommt es auf die Gesamtzahl der Sätze pro Woche an. Ob diese auf eine oder mehrere Einheiten aufgeteilt werden, sollte davon abhängig gemacht werden, wie lange die trainierende Person für eine Einheit Zeit hat und ob sie überhaupt in der Lage ist, eine lange Einheit mit vielen Sätzen ohne zu starke körperliche Ermüdung durchführen zu können. (Auch interessant: 'Effektiver trainieren')

Pausen zwischen den Sätzen

Bei wenig fortgeschrittenen Trainierenden scheint es keinen Unterschied zu machen, ob die Pausen zwischen den Sätzen eine Minute oder länger sind, bei Fortgeschrittenen sollten sie hingegen auf zwei Minuten verlängert werden (Grgic, Schoenfeld, Skrepnik, Davies & Mikulic, 2018).

Des Weiteren ist eine Verlängerung der Pausenzeit bei Übungen wie Kniebeugen oder Kreuzheben sinnvoll, da hier besonders viel Stoffwechselendprodukte entstehen, die die Erholung zwischen den Sätzen beeinflussen.


Fazit

Ein Hypertrophietrainingsprogramm für Fortgeschrittene sollte im Aufbau mehr als zehn Sätze pro Woche und Muskelgruppe bei einer Aufteilung auf eine bis vier Trainingseinheiten beinhalten.

Die Intensität sollte hier mit mindestens 30 Prozent des 1-RM gewählt werden. Bei geringen Intensitäten ist eine stärkere muskuläre Ausbelastung anstrebenswert als beim Training mit höheren Lasten.

Zwischen den Sätzen sollte eine Pausendauer von zwei Minuten angesetzt werden. Der Mythos „No pain, no gain“ gilt nach genauerer Betrachtung der Studienlage als nicht haltbar und hat daher für die Trainingspraxis keine Relevanz.


Über den Autor

Harald Gärtner, Diplom-Sportwissenschaftler, Autor, Trainer und Coach, ist seit mehr als 20 Jahren als Dozent für die Deutsche Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) und Referent für die BSA-Akademie tätig und absolvierte in den letzten Jahren viele Weiterbildungen in dem Gebiet „Einfluss von Neurologie auf Bewegung und Leistungsfähigkeit“.

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Auszug aus der Literaturliste

Baz-Valle, E., Balsalobre-Fernández, C., Alix-Fages, C. & Santos-Concejero, J. (2022). A Systematic Review of The Effects of Different Resistance Training Volumes on Muscle Hypertrophy. Journal of Human Kinetics, 81, 199–210.
Schoenfeld, B. J., Ogborn, D. & Krieger, J. W. (2017). Dose-response relationship between weekly resistance training volume and increases in muscle mass: A systematic review and meta-analysis. Journal of Sports Sciences, 35 (11), 1073–1082.
Schoenfeld, B. J., Grgic, J. & Krieger, J. (2019). How many times per week should a muscle be trained to maximize muscle hypertrophy? A systematic review and meta-analysis of studies examining the effects of resistance training frequency. Journal of Sports Sciences, 37 (11), 1286–1295.

Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte marketing@dhfpg-bsa.de.

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