Transformation und Arbeitskräfte – wichtige Rolle auch für die Fitnessbranche
Deutschland muss sich auf steigende Engpässe im Arbeitsmarkt auch in den kommenden 20 Jahren einstellen. Hier gilt es, den Arbeitsmarkt attraktiv zu gestalten und die Arbeitsfähigkeit der Erwerbstätigen zu erhalten. Wichtige Impulse können dabei Familien-, Bildungs-, Zuwanderungs- und Arbeitsmarktpolitik leisten. Die Fitness- und Gesundheitsbranche sollte die Chance der Digitalisierung und eingewanderten Fachkräfte nutzen. Der Branche kommt auch die bedeutende Aufgabe zu, die Fitness und Gesundheit erwerbstätige Personen zu stärken und zu erhalten und so das Fachkräfteangebot aller anderer Branche zu sichern.
Bereits heute Engpässe in vielen Bereichen
Viele Unternehmen klagen bereits heute über erhebliche Fachkräfteengpässe. Im Dezember 2022 betrug die Fachkräftelücke, also die Zahl der Stellen, für die es keine passend qualifizierten Arbeitslosen gibt, nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) knapp 533.000.
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Besonders schwierig war die Besetzung offener Stellen auf dem Niveau der Expertinnen und Experten und der Spezialisten und Spezialistinnen. Aber auch bei Fachkräften mit einer beruflichen Ausbildung bestehen sehr hohe Engpässe.
Seit dem Jahr 2010 zeigt sich ein, nur von der Corona-Pandemie kurz unterbrochener, starker Beschäftigungsaufbau in Deutschland. Für die kommenden fünf Jahre ist zu erwarten, dass die Engpässe weiter zunehmen. Zu den Top-Engpassberufen zählen mittelfristig vor allem Gesundheits- und MINT-Berufe (Burstedde, 2023).
Demografische Großwetterlage – Orkanfront im Anmarsch
Die heutigen Fachkräfteengpässe müssen allerdings eher als ein laues Lüftchen bezeichnet werden, verglichen mit der Orkanfront, die die demografische Entwicklung in der nächsten Zeit durch den Übergang der Babyboomer in den Ruhestand in den hiesigen Arbeitsmarkt treibt.
Bis zum Jahr 2040 dürfte nach Szenarioberechnungen des IW die Anzahl der erwerbstätigen Personen mit Berufsausbildung oder Hochschulabschluss im Alter zwischen 20 und 69 Jahren von 35,5 Millionen auf 32,4 Millionen sinken.
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Bei niedriger Erwerbsbeteiligung ist der Rückgang noch deutlich stärker. Nur durch eine hohe Zuwanderung und zugleich eine starke Erhöhung der Erwerbstätigenquoten auch der Älteren im Alter bis 69 Jahren kann das Fachkräfteangebot nahezu konstant gehalten werden (Geis-Thöne, 2021).
Die Unternehmen müssen sich in den kommenden rund 20 Jahren auf demografiebedingt stark steigende Engpässe am Arbeitsmarkt einstellen. (Auch interessant: 'Zielgruppenmanagement')
Dabei droht aus dem Fachkräftemangel in einzelnen Berufen ein genereller Arbeitskräftemangel zu werden, der auch einfache Helfertätigkeiten umfassen kann. Gerade Anreize, mehr und länger zu arbeiten, müssen daher deutlich gestärkt werden. Maßnahmen, bei denen ein Risiko besteht, dass sie Anreize zur Aufnahme oder Ausweitung der Erwerbstätigkeit senken, sind hingegen zu vermeiden.
Zunehmende Komplexität der Transformationsaufgabe
Deutschland steht dabei in den kommenden Jahren vor einer historisch einmaligen Herausforderung: Neben der demografisch bedingten Verknappung von Arbeit erhöhen Digitalisierung, Dekarbonisierung und Deglobalisierung durch ihr gleichzeitiges Auftreten und ihre Interdependenzen die Komplexität der Aufgabe.
Unternehmen sind sich der Relevanz der Digitalisierung für das eigene Geschäftsmodell bewusst. Innovationen stehen dabei im Fokus (Demary, Matthes, Plünnecke & Schaefer, 2021). Der Anpassungsdruck bei Energiewende und Strukturwandel nimmt durch den Ukraine-Krieg und die starke Zunahme der Energiepreise deutlich zu.
Über den Autor
Prof. Dr. Axel Plünnecke (Jahrgang 1971) hat Volkswirtschaftslehre in Göttingen studiert und an der Technischen Universität in Braunschweig promoviert. Seit 2003 ist er am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln tätig und leitet dort das Themencluster Bildung, Innovation und Migration.
Darüber hinaus ist Prof. Dr. Plünnecke stellvertretender Fachbereichsleiter Ökonomie an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG)
Resilienz wird für Betriebe und Beschäftigte dabei immer wichtiger. Es gilt, durch eine geeignete Fachkräftesicherungsstrategie Potenziale zu heben und Innovationskraft und Resilienz zu stärken. Wichtige Impulse können dabei Familien-, Bildungs-, Zuwanderungs- und Arbeitsmarktpolitik leisten.
Erwerbswünsche der Familien realisieren
Der Staat kann durch Familienpolitik helfen, Beschäftigungschancen zu erhöhen, Erwerbswünsche der Eltern zu erfüllen und die Resilienz der Gesellschaft im Transformationsprozess zu stärken. Der Neunte Familienbericht der Bundesregierung ordnet daher Maßnahmen zur Stärkung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf vor diesem Hintergrund ein. (Lesen Sie weiter: 'Fitte Kids')
Um Familien gegen ökonomische Risiken wie Trennung der Eltern oder transformationsbedingte Arbeitslosigkeit eines Elternteils abzusichern, ist die Erwerbstätigkeit beider Elternteile hilfreich. Besonders wirksam für ein höheres Arbeitsangebot der Eltern ist ein weiterer Ausbau der Betreuungsangebote.
Noch immer fehlen mehr als 340.000 Betreuungsplätze für unter dreijährige Kinder und viele Ganztagsplätze für Grundschulkinder. Auch eine gleichmäßigere Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen Vätern und Müttern kann die ökonomische Stabilität der Familien stärken (BMFSFJ, 2021; Plünnecke, 2021).
Bildungschancen verbessern
Produktivitätsfortschritte helfen, den Auswirkungen des demografischen Wandels entgegenzutreten. Um diese zu erreichen, sind Forschung und Innovationen von zentraler Bedeutung.
Doch auch hier hemmen Fachkräfteengpässe: Drei Viertel aller im Tätigkeitsfeld Forschung und Entwicklung erwerbstätigen Personen haben eine MINT-Qualifikation, dabei erreichen MINT-Engpässe bereits aktuell Rekordstände. Die Engpässe dürften sich künftig sogar noch weiter verschärfen.
So gehen aktuell die Studienanfängerzahlen in den MINT-Fächern – im Unterschied zu Studienanfängerzahlen in der Fitnessbranche – deutlich zurück. Dazu nahmen die MINT-Kompetenzen der 15-jährigen Schülerinnen und Schüler in den letzten Jahren ab.
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Zentrale Aufgabe ist daher die MINT-Bildung zu stärken. Hilfreich sind dafür eine Sicherung der Lehrkräfteversorgung, die weitere Digitalisierung des Bildungssystems, mehr MINT-Programme entlang der gesamten Bildungskette, eine Ausweitung des Schulfachs Informatik und mehr Berufs- und Studienorientierung (Anger, Betz, Kohlisch & Plünnecke, 2022).
Daneben ist die Lesekompetenz der Kinder und Jugendlichen besser zu fördern. Vor dem Hintergrund der gesundheitlichen Entwicklung der Bevölkerung durch die Corona-Pandemie sind auch eine Ausweitung des Sportunterrichts und zusätzliche Angebote im Bereich Gesundheit/Fitness erstrebenswert, um die Resilienz junger Menschen zu stärken. (Auch lesenswert: 'Alternative Beschäftigungsmöglichkeiten für Kinder')
Zuwanderung erleichtern
Die Zuwanderung ist zur Reduzierung der Arbeitskräfteknappheiten und für eine hohe regionale und berufliche Flexibilität im Transformationsprozess von hoher Bedeutung. Um Arbeitskräfte auch aus demografiestarken Drittstaaten für eine große Breite an Tätigkeiten zu gewinnen, sollten die Potenziale des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes durch eine Vereinfachung und Beschleunigung der Verwaltungsprozesse besser genutzt werden.
Ferner sollten die Bedingungen zur Arbeitsplatzsuche in Deutschland deutlich attraktiver gestaltet werden. Auch sollte die Politik zusätzlich die Kapazitäten für die Zuwanderung über die Hochschulen sowie die Mittel für die Begleitung international Studierender an deutschen Hochschulen deutlich erhöhen.
Auch für die Fitness- und Gesundheitsbranche sollten die Potenziale eingewanderter Fachkräfte aus Ländern außerhalb Europas stärker genutzt und entsprechende Rahmenbedingungen für die Zuwanderung verbessert werden.
Beschäftigung sichern
Es ist normal, dass Transformationsprozesse wie Digitalisierung und Dekarbonisierung stets mit Beendigungen und Neuaufnahmen von Beschäftigungsverhältnissen verbunden sind. Fluktuation ist Ausdruck dafür, dass Ausgleichsprozesse am Arbeitsmarkt funktionieren.
Unternehmen müssen daher durch ausreichende Flexibilität bei den Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktes einen Anreiz haben, auch in einem durch Unsicherheiten geprägten Umfeld neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Wenn Arbeitskräfte zukünftig knapper werden, werden die Unternehmen mehr und mehr einen Anreiz haben, auch solche Personen einzustellen und für die anstehenden Aufgaben zu qualifizieren, die in früheren Jahren bei Verlust eines Arbeitsplatzes eher geringe Wiederbeschäftigungschancen hatten.
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Dies gilt nicht zuletzt ebenfalls für ältere Beschäftigte. Sie bringen vielfältige Kompetenzen und Qualifikationen mit, die auch auf einem anderen Arbeitsplatz bei einem neuen Arbeitgeber von Nutzen sind.
Eine aktuelle Unternehmensbefragung des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt ferner, dass Unternehmen, die bereits heute große Rekrutierungsprobleme haben, auch deshalb in die Weiterbildung der Belegschaft investieren, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu binden und zu motivieren.
Daneben sind Motive zur flexiblen Anpassung von Aufgaben im Transformationsprozess besonders wichtig (Plünnecke & Vahlhaus, in Druck).
Körperliche Betätigung stärkt Resilienz und Erwerbspotenziale
Investitionen in Fitness und Gesundheit sind von herausragender ökonomischer Bedeutung, um die Potenziale der älter werdenden Belegschaften zu heben. So weisen körperlich aktive Personen unter sonst gleichen Bedingungen höhere Erwerbstätigenquoten, niedrigere Arbeitslosenquoten und höhere Produktivitäten auf.
Die positiven Effekte der körperlichen Aktivität zeigen sich auch zeitversetzt und nach Kontrolle anderer Variablen. Körperlich aktive Menschen fühlen sich darüber hinaus ausgeglichener und empfinden mehr Energie, haben mehr soziale Kontakte, enge Freunde, sind geselliger, haben eine höhere Arbeitsmarkt- und Lebenszufriedenheit (Geis-Thöne & Plünnecke, 2022). (Lesen Sie mehr: 'Tools und Erfolgsstrategien für mehr Resilienz')
Damit steigert körperliche Aktivität die Resilienz und erleichtert damit ökonomische und gesellschaftliche Transformationsprozesse.
Es ist daher auch vor dem Hintergrund der Transformation und der demografischen Herausforderungen der nächsten beiden Jahrzehnte ein gutes Zeichen, dass die Mitgliederzahl in Fitnessunternehmen im letzten Jahr nach dem coronabedingten Einbruch wieder gestiegen ist und die Reaktionsquote unter den 15- bis 65-Jährigen von 17,0 Prozent im Jahr 2021 auf 19,0 Prozent im Jahr 2022 gestiegen ist.
43,7 Prozent aller Anlagen positionieren sich im Jahr 2022 im Bereich Gesundheit und weitere 31,2 Prozent im Schwerpunkt Training. Die hohe Bedeutung der Qualität der Fitnessdienstleister zeigt sich dabei in steigenden Investitionen in Weiterbildung und der Qualifikationsbasis der Beschäftigten.
Weitere Interviews und Hintergründe
In weiteren Beiträgen und Interviews sprechen Oliver Walle (DHfPG), Henrik Gockel (PRIME TIME fitness) und Mathias Schilling (Sport-Park) über Lösungsstrategien zum Fachkräftemangel. Lesen Sie außerdem unseren Artikel 'Fachkräftemangel' als Einstieg zu den Artikeln.
Indem Sie auf das entsprechende Bild oberhalb dieses Textes klicken, gelangen Sie direkt zum jeweiligen Artikel.
So haben inzwischen 22,8 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Studium als höchste Qualifikation. Dual Studierende zeigen sich dabei als Erfolgsmodell und kombinieren Praxis mit akademischer Ausbildung.
Über 90 Prozent der Fitnessbetriebe haben ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitergebildet, Schwerpunkte bilden dabei gerätegestütztes Kraft- und Herz-Kreislauf-Training (DSSV, 2023). Damit hilft die Ausrichtung der Fitnessunternehmen sehr gezielt, die Gesundheit der Erwerbsbevölkerung zu stärken.
Um die wichtige volkswirtschaftliche Funktion der Aktivierung der Erwerbspotenziale erfüllen zu können, stehen die Fitnessunternehmen selbst auch vor der großen Herausforderung, gut qualifiziertes Personal zu gewinnen und zu binden. Wichtig ist es daher für die Fitnessunternehmen, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen und in die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu investieren.
Die aktuelle Eckdatenstudie des DSSV zeigt, dass 62 Prozent der Betriebe im Jahr 2022 in Mitarbeiterbildung und -weiterbildung und 59,1 Prozent in Digitalisierung investierten (DSSV, 2023). Innovative Studienangebote wie das Studium zum Bachelor Sport-/Gesundheitsinformatik an der DHfPG verbinden Qualifikationsbedarfe in den Bereichen Digitalisierung und Gesundheit.
Investitionen in die Qualifikationen des Personals sind auch aus volkswirtschaftlicher Sicht wichtig, denn die Vermeidung von Fachkräfteengpässen im präventiven Gesundheitssektor hilft dabei, auch das Fachkräfteangebot aller anderen Branchen zu sichern.
Literaturliste
Anger, C., Betz, J., Kohlisch, E. & Plünnecke, A. (2022). MINT-Herbstreport 2022: MINT sichert Zukunft. Köln: Institut der deutschen Wirtschaft e. V.
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ ). (Hrsg.). (2021). Neunter Familienbericht. Eltern sein in Deutschland. Berlin: Hrsg.
Burstedde, A. (2023). Die IW-Arbeitsmarktfortschreibung. Wo stehen Beschäftigung und Fachkräftemangel in den 1.300 Berufsgattungen in fünf Jahren? Methodenbericht. Köln: Institut der deutschen Wirtschaft e. V.
Demary, V., Matthes, J., Plünnecke, A. & Schaefer, T. (Hrsg.). (2021). Gleichzeitig: Wie vier Disruptionen die deutsche Wirtschaft verändern. Köln: Institut der deutschen Wirtschaft e. V.
DSSV e. V. – Arbeitgeberverband Deutscher Fitness- und Gesundheits-Anlagen (Hrsg.). (2023). Eckdaten der deutschen Fitnesswirtschaft 2023. Hamburg: Hrsg.
Geis-Thöne, W. & Plünnecke, A. (2022). Der zweite Gesundheitsmarkt – volkswirtschaftliche Effekte sportlicher Aktivität. In B. Allman, J. Loth & A. Morsch (Hrsg.), Zivilisationskrankheiten: Krankheitsketten vermeiden – Präventionskompetenzen entwickeln (S. 178–201). Saarbrücken, Hamburg: DHfPG, PIPG GmbH.
Geis-Thöne, W. (2021). Mögliche Entwicklungen des Fachkräfteangebots bis zum Jahr 2040. Köln: Institut der deutschen Wirtschaft e. V.
Plünnecke, A. (2021). Familienpolitische Ableitungen für Erwerbsarbeit, wirtschaftliche Stabilität und Bildungschancen. Stellungnahme zur Bundestagsanhörung zum Neunten Familienbericht „Eltern sein in Deutschland“. Köln: Institut der deutschen Wirtschaft e. V.
Plünnecke, A. & Vahlhaus, I. (in Druck). Zunehmende Bedeutung von Grundbildung und Weiterbildung für Geringqualifizierte – Ergebnisse einer IW-Unternehmensbefragung.Köln: Institut der deutschen Wirtschaft e. V.
Diesen und weitere Artikel finden Sie in der fMi 03/2023 & für Abonnenten EXKLUSIV vorab.
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