Fitness, Gesundheit, Markt | Autor/in: Conny Müller |

Fit Kids oder Couch-Potatoes? Kinder als Zielgruppe im Gruppentraining

Der richtige Zeitpunkt ist da, um über Kinder als Zielgruppe im Fitnessstudio nachzudenken. Welche aktuellen Entwicklungen zu dieser Aussage führen, welche Überlegungen bei der Umsetzung angestellt werden sollten und wie ein Programm für Kinder im Gruppentrainingsbereich beispielhaft umgesetzt werden kann, zeigt dieser Artikel.

Fit Kids oder Couch-Potatoes?

Als eine „stille Pandemie“ bezeichneten im Jahr 2021 die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V. (DGKJ), die Deutsche Adipositas-Gesellschaft e. V. (DAG) und die Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter e. V. (AGA) die Entwicklung des Übergewichts bei Kindern und mahnten die Gesundheitspolitik zur Aufnahme dieser Problematik in die Agenda (DGKJ, DAG & AGA, 2021).

Sie bezogen sich auf die Ergebnisse der KiGGS-Untersuchung aus dem Jahr 2018, wonach zu diesem Zeitpunkt 15,4 Prozent der Drei- bis 17-Jährigen in Deutschland übergewichtig und 5,9 Prozent adipös waren (Schienkiewitz, Brettschneider, Damerow & Schaffratz Rosario, 2018, S. 18). Die Querschnittergebnisse der KiGGS-Studie aus dem Jahr 2018 zeigten auch, dass lediglich 22,4 Prozent der Mädchen und 29,4 Prozent der Jungen im Alter von drei bis 17 Jahren die Bewegungsempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von täglich mindestens 60 Minuten körperlich-sportlicher Aktivität bei moderater bis hoher Intensität einhielten (Finger, Varnaccia, Borrmann, Lange & Mensink, 2018, S. 24).

Hauptsächlich bedingt durch den zweiten Lockdown ab Ende 2021 hat sich die Ernährungs- und vor allem die Bewegungssituation bei Kindern und Jugendlichen nun sogar noch verschlechtert (Schmidt et al., 2021; DAG & EKFZ, 2022, S. 15). (Lesen Sie auch: 'Akuter Bewegungsmangel')

Neben weiteren Studienergebnissen zeigt auch eine aktuelle repräsentative forsa-Umfrage im Auftrag der DAG und des Else Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin (EKFZ), dass seit Beginn der Corona-Pandemie jedes sechste Kind Gewicht zugenommen hat. In der Altersgruppe der Zehn- bis Zwölfjährigen ist sogar jedes dritte Kind von einer ungesunden Gewichtszunahme betroffen (DAG & EKFZ, 2022, S.12). (Lesen Sie dazu: 'Kinder beschäftigen')

Zeit zu handeln

Die beschriebene Situation macht deutlich, dass Fitness- und Gesundheitsanbieter sich die Zielgruppe Kinder im Alter zwischen drei und zwölf Jahren (noch einmal) ins Bewusstsein rufen sollten. Sie haben die Möglichkeit und das Potenzial, ein attraktives Angebot zu schaffen und damit einen wichtigen Beitrag zu leisten, sodass Kinder fit und nicht zu Couch-Potatoes werden. Folgende Überlegungen und Aspekte sollen auf dem Weg zum Angebot eines Kinderfitnessprogramms unterstützen:

1. Der Ansatz 

Kinder übernehmen in erster Linie ihre Verhaltensmuster von Vorbildern. Auch hinsichtlich Sport und Bewegung orientieren sich Kinder an Erwachsenen (Schmiade & Mutz, 2021, S. 122). Grundsätzlich ist es also zu empfehlen, den Kindern Sport als etwas Positives zu vermitteln und zu betonen, wie wichtig Bewegung für eine gute Gesundheit ist. (Auch interessant: 'Jugend braucht Vorbilder')

Allerdings können Kinder dieses Wohlbefinden nach dem Sport oft noch nicht einordnen oder den Bezug zu Gesundheit häufig noch nicht herstellen. Das heißt, hier ist ein anderer Ansatz nötig: Spaß! Ein Bewegungsprogramm für Kinder muss interessanter und spaßiger sein als das Sitzen auf der Couch. Es muss die natürliche Neugierde von Kindern sowie den Drang, sich auszuprobieren, befriedigen. Genau hier können Fitnessanbieter ansetzen, um diese neue Zielgruppe zu erschließen.

Zur praktischen Umsetzung bietet sich der Gruppentrainingsbereich in diverser Hinsicht optimal an: Der Kursraum bietet eine große Fläche, die bestens geeignet ist für freie Bewegungen, Spiele und Kreativität. Einfach und mit wenig Zusatzmaterial kann hier ein Programm umgesetzt werden. Zudem ist durch ein separiertes Angebot im Kursraum der Betrieb auf der Trainingsfläche unbeeinflusst.


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Aus wirtschaftlicher Sicht kann ein Kinderfitnessprogramm bei freien Kapazitäten den leerstehenden Kursraum füllen und den Eltern ein paralleles Training ermöglichen, das sie ohne ein solches Angebot möglicherweise nicht wahrnehmen könnten.

2. Die Akquise

In der Erstberatung von fitnessinteressierten Personen sollte in der Bedarfsanalyse die Frage nach eigenen Kindern selbstverständlich sein. Hier kann auf die bisherige Aktivität des Nachwuchses eingegangen und ein entsprechend attraktives Angebot vorab erstellt werden (z. B. Familienmitgliedschaften, Kinderkurse und Erwachsenenkurse zur gleichen Zeit).

Weiterhin können Kinder von Bestandsmitgliedern in allen Altersstufen über Gutscheinaktionen angeworben werden. Auch Kooperationen mit Kindergärten und/oder Schulen bringen neue Kontakte. Ein intensives und zielgruppenangepasstes Marketing auf Social-Media-Plattformen sollte ebenfalls in die Akquise integriert sein, um auch die Kinder, deren Eltern nicht im Fitnessstudio trainieren, sowie potenzielle Kooperationspartner optimal anzusprechen und die eigene Reichweite zu vergrößern.

3. Die Trainerkompetenz

Die Kompetenzen des Trainerteams sind entscheidend. Eine grundständige fachliche Qualifikation mit Spezialisierung im Bereich Kindertraining stellt die Basis dar. In der praktischen Umsetzung kommen weitere Überlegungen hinzu: Viel zu oft werden Kinder in ihrem Alltag zu hart kritisiert, stehen unter Leistungsdruck und verlieren somit den Spaß an der Sache. Viele Kinder und Jugendliche fühlen sich heutzutage in ihrem Alltag nahezu genauso gestresst wie Erwachsene (Hanewinkel, Hansen, Neumann & Petersen, 2021, S. 26).

Daher müssen die Empathie und das Verständnis gegenüber der neuen Zielgruppe priorisiert werden. Um die Kinder langfristig zu motivieren, stehen Lob und Wertschätzung, ehrliches Interesse und aktives Zuhören an erster Stelle. Aus langfristiger Motivation kann in der Folge auch eine langfristige Kundenbindung bis ins Erwachsenenalter entstehen.

4. Das Trainingsprogramm

Das übergeordnete Ziel aller Kinderfitnessprogramme sollte die Vermittlung von Freude und Spaß an der Bewegung sein. Nur wenn das gegeben ist, bleiben die Kinder längerfristig dabei und haben dadurch die Chance, die vielfältigen positiven Auswirkungen von Sport auf die körperliche und psychische Entwicklung sowie auf die Gesundheit zu erfahren.

Inhaltlich muss das Training der sportmotorischen Fähigkeiten unter Berücksichtigung des Entwicklungsstandes altersgemäß umgesetzt werden. So erfährt beispielsweise im frühen Schulkindalter (sechs/sieben bis zehn Jahre) die Schnelligkeit ihren höchsten Entwicklungsschub (Weineck, 2019, S. 676).

Bei Kindern entsprechenden Alters könnte diese sportmotorische Fähigkeit in der Praxis beispielsweise durch das Spiel „Tigerball“ gezielt angesprochen werden: Die Kinder bilden dazu einen Kreis. Ein oder zwei Kinder befinden sich in der Kreismitte und sind die Tiger. Die Außenspielenden werfen sich einen Ball kreuz und quer im Kreis über den Tigern zu. Diese versuchen den Ball abzufangen. Schaffen sie dies, muss das Kind, das zuletzt geworfen hat, in die Mitte und wird zum Tiger. Der Tiger, der den Ball abgefangen hat, stellt sich zu den Kindern in den Kreis. Als Variation können die Bälle gerollt oder geprellt werden oder es werden mehrere Bälle gleichzeitig eingesetzt.

Auch das kindgemäße Training der motorischen Fähigkeiten Kraft, Koordination und Beweglichkeit sollte im o. g. Alter verstärkt berücksichtigt werden (Lloyd & Oliver, 2012, S. 63–64). Umsetzen ließe sich dies etwa in einem Zirkel, in dem funktionelle Übungen als Bewegungsgeschichte unter dem Motto „Wir sind im Zoo“ zu passender Musik durchgeführt werden. Zum Beispiel:

  • Station eins – „Adler“ (mit Fitball): Hier führen die Kinder in Bauchlage auf dem Ball Flugbewegungen wie ein Adler durch.
  • Station zwei – „Flamingo“ (mit Balancepad): Die Kinder stehen einbeinig (im Wechsel) auf den Pads und ahmen einen Flamingo nach.
  • Station drei – „Raupe“ (mit Teppichfliesen): An dieser Station positionieren die Kinder im Vierfüßlerstand beide Knie und beide Hände jeweils auf eine Teppichfliese und bewegen sich im „Raupengang“ vorwärts.
  • Station vier – „Storch“ (mit Seilen): Die Kinder balancieren im „Storchengang“ über die auf dem Boden liegenden Seile, während sie das Knie des jeweils unbelasteten Beins so weit wie möglich nach oben ziehen.

Das Belastungsgefüge sowie die Pausen sind dem Alter und Leistungsstand der Kinder anzupassen. Die Pausen können auch aktiv gestaltet werden, z. B. mit einer einfachen Choreografie, deren Schritte passend zum Motto des Zirkels, in diesem Fall nach Tiernamen, benannt sind.


Fazit

Viele Kinder bewegen sich zu wenig und die Anzahl der übergewichtigen Kinder nimmt zu; beides kann erhebliche Folgen für deren Gesundheit mit sich bringen. Es ist also an der Zeit, als Fitness- und Gesundheitsanbieter diese Zielgruppe zu erschließen. Entsprechende Angebote und Programme können schnell und einfach im Gruppentrainingsbereich umgesetzt werden. Zudem können Studios über ein solches Angebot die Kundschaft der Zukunft bereits frühzeitig gewinnen und langfristig halten.


Über die Autorin

Conny Müller, M. A. Prävention und Gesundheitsmanagement, doziert seit fünf Jahren an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG)  und BSA-Akademie. Zuvor war sie u. a. für die Konzeption und Durchführung von Kinderaktivitäten in der Hotellerie im In- und Ausland verantwortlich und ist heute noch als Kinderfitnesstrainerin tätig.


Auszug aus der Literaturliste

Deutsche Adipositas Gesellschaft & Else Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin. (2022).Folgen der Pandemie: Wie Corona das Gesundheitsverhalten von Kindern und Jugendlichen verändert hat. Zugriff am 07.07.2022.

Hanewinkel, R., Hansen, J., Neumann, C. & Petersen, F. L. (2021). Präventionsradar. Erhebung Schuljahr 20/21. Kinder- und Jugendgesundheit in Schulen. Ergebnisbericht 2020/2021. Kiel: Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT-Nord).

Schmidt, S. C. E., Burchartz, A., Kolb, S., Niessner, C., Oriwol, D., Hanssen-Doose, A. et al. (2021). Zur Situation der körperlich-sportlichen Aktivität von Kindern und Jugendlichen während der COVID-19 Pandemie in Deutschland: Die Motorik-Modul Studie (MoMo). KIT Scientific Working Papers, 165. Karlsruhe: KIT.

Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte marketing@dhfpg-bsa.de.

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