Gesundheit, Management, DSSV | Autor/in: Gülizar Cihan |

Vorteile eines digitalen Gesundheitssystems und datenschutzrechtliche Gefahren

Das Gesundheitssystem wird digital, wie so vieles in unserem Leben. Digital heißt nicht immer besser. Weshalb Digitalisierung im Gesundheitssystem aber ein Muss ist, wo auf der einen Seite die Vorteile liegen, aber auf der anderen auch datenschutzrechtliche Gefahren lauern, schildert DSSV-Juristin Gülizar Cihan.

Was bringt die Digitalisierung des Gesundheitssystems mit sich?

Keine komplizierten Medikamentennamen und keine medizinischen Fachbegriffe mehr merken – in der Apotheke weiß die Fachkraft sofort, ob das neu verordnete Medikament mit der bisherigen Medikation gut verträglich ist.

Welche Vorteile bietet die ePa?

Röntgenaufnahmen, Blutwerte und vieles mehr stehen den Ärzten ohne weitere Erklärungen zur Verfügung. CD-ROM und Zettelkonglomerat, die vor allem bei chronisch kranken Menschen ständige Begleiter sind, müssen nicht mehr mitgeführt werden.

Das sind einige der vielen Vorteile für Patienten und Patientinnen, die die elektronische Patientenakte nutzen. (Lesen Sie auch: 'Self-Tracking und körperliche Aktivität – Systematischer Review zum Fitness-Tracking')

Gesundheitszustand mit wenigen Klicks im Blick

Mediziner und seit 2022 auch Physiotherapeuten, Pflegekräfte und Hebammen können sich mit wenigen Klicks ein gutes Bild vom Gesundheitszustand ihrer Patienten machen. Das erspart langwierige Gespräche, die besser als Behandlungszeit genutzt werden können, und lässt vor allem keine Termine mehr wegen fehlender Blutwerte o. Ä. ausfallen.

Nutzung via App oder am PC

Bereits seit Januar 2021 haben Patienten das Recht auf eine nutzergeführte digitale Patientenakte. Die jeweiligen Krankenkassen bieten hierzu kostenlose Apps an. Gleichzeitig ist auch die Nutzung an einem PC möglich – ein Smartphone oder Tablet ist keine zwingende Voraussetzung. (Auch interessant: 'Mobile Endgeräte effizienter nutzen')

Laut Gesetz müssen Arztpraxen seit dem 1. Juli 2021 technisch so gerüstet sein, dass sie die ePA befüllen können (Paragraph 341 Abs. 6 Sozialgesetzbuch V). Krankenhäuser müssen die elektronische Patientenakte seit spätestens 1. Januar 2022 ebenfalls unterstützen.

Technologisches Zusammenspiel

Eine große Rolle spielt hier die sogenannte Telematikinfrastruktur (TI). Telematik bedeutet Telekommunikation und Informatik, also ein Zusammenspiel von Informations- und Kommunikationstechnologien.

Im Rahmen der Gesundheitstelematik gilt es, für eine stabile Vernetzung von Krankenhäusern, Arzt- und Zahnarztpraxen, Apotheken sowie zwischenzeitlich auch Hebammen, Physiotherapeuten und Pflegekräften zu sorgen.


Auch lesenswert: 'Benutzerfreundlichkeit = Zielgruppenansprache'


So erfolgt der Zugriff auf die ePA seitens der Fachleute stets über die Praxissoftware durch Nutzung vorgenannter Telematikinfrastruktur. Der Patient selbst regelt aber – durch Einlesenlassen der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) und Eingabe einer PIN oder über die App –, ob und wann Behandelnde die Daten einsehen können.

Exkurs: eAU

Das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) schreibt allen Ärztinnen und Ärzten den elektronischen Versand der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) seit 01. Oktober 2021 verpflichtend vor. Eine Übergangsfrist für Praxen, die die technischen Voraussetzungen noch nicht erfüllen konnten, galt bis 30. Juni 2022.


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Die AU wird grundsätzlich an die Krankenkasse und an den Arbeitgeber übermittelt. Seit dem 1. Juli 2022 ist die elektronische Übermittlung an die Krankenkasse verpflichtend. Ab dem 1. Januar 2023 wird die Übermittlung der eAU durch die Krankenkasse an den Arbeitgeber verbindlich

Die laufende Erprobungsphase wurde aktuell bis 31. Dezember 2022 verlängert. Das bedeutet, dass Patienten, die arbeitsunfähig erkranken, die AU bereits heute schon nicht mehr selbst der Krankenkasse übermitteln und sich ab dem 1. Januar 2023 auch nicht mehr um die Übermittlung an den Arbeitgeber sorgen müssen. (Lesen Sie auch: 'Innovationen planen und umsetzen')

eRezept

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat die gesetzliche Pflicht zur Nutzung des eRezeptes, welche zum 1. Januar 2022 verbindlich sein sollte, vorerst ausgesetzt. Seit dem 1. September 2022 werden in einem Pilotprojekt in Arztpraxen und Krankenhäusern lediglich in Westfalen-Lippe und bei Zahnärzten in Schleswig-Holstein flächendeckend eRezepte ausgestellt.

Gleichzeitig müssen aber seit dem 1. September 2022 Apotheken bundesweit in der Lage sein, eRezepte entgegenzunehmen und einzulösen. Im ersten Schritt können mit dem eRezept nur apothekenpflichtige Arzneimittel verordnet werden, die durch die gesetzlichen Krankenkassen abrechnungsfähig sind.

In weiteren Schritten sollen Heil- und Hilfsmittel sowie Betäubungsmittel digital verschreibungsfähig sein und sogenannte T-Rezepte (Sonderrezepte, die Arzneimittel verschreiben, die die Wirkstoffe Lenalidomid, Pomalidomid oder Thalidomid enthalten) digital erstellt werden können.

Als Apotheker ausweisen

Auf Wunsch des Patienten kann das Rezept in der App verwaltet oder auf Papier ausgedruckt werden. Ausgelesen werden können diese Rezepte nur von Personen, die sich per elektronischem Heilberufsausweis anmelden oder sich als Apotheker ausweisen können. Wie ein eRezept dann beispielsweise aussehen könnte, zeigt Abbildung 1. (Auch interessant: 'Wie ein Modellprojekt Menschen aller Altersklassen bewegt')

Wie sicher sind die Daten?

Die ePA muss sicher und verschlüsselt in dem elektronischen Patientenaktensystem des Betreibers liegen. Welcher das ist, hängt von der jeweiligen Krankenkasse ab, die dem Patienten die ePA zur Verfügung stellt. Die Server werden bundesweit gehostet und unterliegen den europäischen Datenschutzrichtlinien (EU-DSGVO).

Um die Sicherheitsstandards besonders hochzuhalten, bedarf jede Zulassung einer Prüfung durch die gematik (gematik GmbH – Nationale Agentur für Digitale Medizin) sowie weiterer unabhängiger Gutachter. Die gematik ist gesamtverantwortlich für die zentrale Plattform der digitalen Anwendungen im deutschen Gesundheitswesen, also der Telematikinfrastruktur (TI).

Verantwortlich für die Datenverarbeitung in der TI ist außerdem die zuständige Krankenkasse.

Festzuhalten ist, dass weder die Krankenkasse noch der technische Dienstleister, der die Systeme betreut und verwaltet, Zugriff auf die Inhalte der ePA haben darf. Die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung macht gespeicherte Daten außerdem nur beim Arzt, Physiotherapeuten oder Apotheker lesbar – oder eben beim Versicherten selbst.

Nachbesserungen gemäß Patientendaten-Schutz-Gesetz

Unerwähnt darf an dieser Stelle nicht bleiben, dass 2020 der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (BfDI) die im Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG) normierte ePA als nicht datenschutz- und grundrechtskonform eingestuft hat.

Uneingeschränkter Zugriff

Dies basierte vor allem darauf, dass Patienten in der vorherigen Nutzervariante der ePA nicht den Zugriff der Leistungserbringer auf verschiedene Dokumente und Befunde einschränken konnten. Sobald der Patient eine Berechtigung für den Zugriff erteilt hatte, konnte der Berechtigte uneingeschränkt alle Informationen der jeweiligen Kategorie der ePA einsehen.

Das hat sich inzwischen geändert. Die Nutzer können genau bestimmen, welche Datensätze und Dokumente von wem eingesehen werden sollen. (Auch lesenswert: 'Sind Fitness- und Gesundheitstechnologien Fluch oder Segen?')

Beschränkter Nutzerkreis

Datenschutzrechtlich kritisch bewertet wurde auch, dass Menschen, die kein Endgerät wie PC, Tablet oder Smartphone haben oder nutzen wollen, die ePA nicht nutzen können und der Kreis der Nutzer insoweit beschränkt ist.

Gefordert wurden für diese Nutzer Kassenterminals, die in den Geschäftsstellen der Krankenkassen zur Verfügung gestellt werden könnten.


Fazit

Datenschutzrechtliche Bedenken schwingen immer mit, sobald sensible persönliche Gesundheitsdaten digitalisiert werden sollen. Die Vorteile der ePA überwiegen in der Gesamtschau aber deutlich:

So wird durch den Zugriff auf die Gesundheitsdaten das Risiko von Fehlbehandlungen minimiert, Doppeluntersuchungen reduziert und die verschiedenen Leistungserbringenden können sich verbessert und fachübergreifender austauschen.

Kürzere Wege für Patienten

Neben dieser Effizienzsteigerung in der Behandlung, der höheren Therapiesicherheit und den kürzeren Wegen für den Patienten erleichtert es vor allem chronisch Kranken, ihre meist komplexen Krankenhistorien inklusive Verfügbarkeit aller bildgebenden Speichermedien für alle Leistungserbringende parat zu halten.

Patienten haben die Entscheidung über ihre Daten

Gleichzeitig kann der Patient entscheiden, welchem Behandelnden welche Daten angezeigt werden sollen. So muss beispielsweise der Zahnarzt nicht darüber in Kenntnis gesetzt werden, dass der Patient unter Depressionen leidet.

Zentrale Beurteilung in der Apotheke

Der Apotheker kann später zentral beurteilen, ob evtl. eingenommene Antidepressiva sich mit den vom Zahnarzt verordneten Schmerzmitteln vertragen.

Außerdem gilt: Die ePA ist lediglich ein Aufbewahrungsort für die vom Patienten gewünschten Dokumente. Leistungserbringer sollen nur Dokumente lesen – selbst wenn alle freigegeben sind –, die für die Behandlung als erforderlich angesehen werden. Im Gespräch mit dem Patienten wird also weiterhin nach Vorbehandlungen und wichtigen Dokumenten gefragt werden.


Über die Autorin

Gülizar Cihan war jahrelang als selbstständige Rechtsanwältin in verschiedenen Fachrichtungen tätig. Gleichzeitig war sie einige Zeit in einem mittelständischen Unternehmen rechtsberatend aktiv. Seit August 2021 gehört sie zur Rechtsabteilung des DSSV und berät die Mitglieder vor allem in verwaltungsrechtlichen und arbeitsrechtlichen Fragen.

Rechtsberatung für DSSV-Mitglieder

Zu allen rechtlichen Fragen rund um den Studioalltag bietet die Rechtsabteilung des DSSV im Rahmen einer bestehenden Mitgliedschaft die Möglichkeit, eine kostenlose rechtliche Erstberatung in Anspruch zu nehmen.

Darin enthalten sind eine erste Einschätzung der Rechtslage, beispielsweise nach Erhalt einer Attestkündigung, zur Überprüfung von Vertragsklauseln oder zu arbeitsrechtlichen Themen.

Tel.: 040 - 766 24 00, E-Mail: jurist@dssv.de

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