Felix Streng im Interview: „To be in shape is the bare minimum“
Felix Streng ist erfolgreicher Para-Leichtathlet und hat bereits 16 Medaillen bei Paralympics, Welt- und Europameisterschaften gewonnen. Im fM Interview gibt er Einblicke in seinen Trainingsalltag und wie Fitnessstudios diesen integrieren und noch inklusiver werden können.
fM: Am 28. August 2024 werden die 17. Paralympischen Sommerspiele in Paris eröffnet. Welchen Stellenwert haben die Paralympics für dich als Sportler?
Felix Streng: Für uns Sportler sind die Paralympics der absolute Höhepunkt, der größte sportliche Wettkampf, den wir in unseren Sportarten erleben. In der Leichtathletik gibt es nichts Wichtigeres als Olympia und die Paralympics.
Sie sind das Ereignis, auf das ich hinfiebere, mich extrem freue und sehr akribisch vorbereite. Ich weiß genau, worum es dort für mich geht.
Eins deiner Ziele in Paris ist die Titelverteidigung über 100 Meter. Wie bereitest du dich darauf vor?
Mit täglichem Training. Wir haben den Trainingsprozess im Oktober gestartet und schaffen im Wintertraining eine gute Basis für den Sommer. Das Training ist sehr komplex und vielseitig. Viele denken, ich sprinte nur den ganzen Tag.
Aber im Winter laufe ich gar nicht so viel, sondern arbeite intensiv an der Technik, um gute Grundlagen an Lauf- und Sprintausdauer und im Laufprozess aufzubauen. Natürlich mache ich auch viel Krafttraining, arbeite an der Schnellkraft, der Maximalkraft sowie an der Athletik.
Über unseren Interviewpartner
Felix Streng: Der 29-Jährige ist erfolgreicher Para-Leichtathlet und startet in der Klasse T64 in den Disziplinen 100-Meter-Sprint, 200-Meter-Sprint, Weitsprung und 4-mal-100-Meter-Staffel.
Felix Streng wurde 1995 in La Paz (Bolivien) ohne rechten Unterschenkel geboren. Im Alter von zehn Monaten bekam er seine erste Prothese, trieb von früher Kindheit an intensiv Sport und sah sich selbst nie als Mensch mit Behinderung.
Er konnte bereits 16 Medaillen bei Paralympics, Welt- und Europameisterschaften erringen und mehrere Sprintrekorde aufstellen. Bei den Paralympics 2021 in Tokio erfüllte er sich mit der Goldmedaille über 100 Meter einen Traum. 2023 war er Botschafter der INVICTUS GAMES DÜSSELDORF 2023.
In die Übungen implementieren wir viele Qualitäten, die ich später auf der Bahn brauche. Es heißt nicht nur: „Werde stark“, sondern es geht um die Transferleistung, damit ich das, was ich im Gym mache, wirklich zeitnah auf der Bahn anwenden kann.
Der dritte wichtige Faktor sind Gesundheit und Therapie. Mit gesunder Ernährung, Regeneration, Physiotherapie und Osteopathie arbeiten wir schon jetzt daran, dass mein Körper gesund bleibt und die Belastung weiter aushält. Es ist ein sehr ganzheitliches Konzept.
Was sind die Unterschiede zwischen normalem Training und intensiver Vorbereitung? Wann beginnt die „heiße Phase“?
Im ersten Drittel des Jahres erfolgt der Switch: Die Umfänge werden reduziert, die Intensitäten gesteigert. Das Training wird intensiver und die Läufe werden schneller. Das Krafttraining wird reduziert, weil sich die Belastung auf der Bahn erhöht.
Bevor ich in die Wettkämpfe starte, muss ich meinen Körper auf diese intensive Belastung vorbereiten. Das ist auch die Aufgabe meines Trainers. Ich vertraue dem Team, dass es die richtigen Entscheidungen in der Trainingssteuerung trifft.
Aber die harte, intensive Phase findet definitiv im Winter statt, wenn ich die Grundlagen aufbaue, konsistent und konstant im Training bin und mit möglichst wenig Ausfallzeiten am Ball bleibe. Je näher die Paralympics kommen, umso eine größere Rolle spielt die Regeneration.
Es ergibt keinen Sinn, am Tag vor den Spielen nochmal volle Sprints zu machen und den Körper vollkommen zu ermüden.
Hast du dir noch weitere Ziele für Paris gesetzt?
Seit zwei Jahren sage ich, dass ich mir zutraue, einen Weltrekord zu laufen. Ich glaube, dass ich das kann, dass es in meinen Beinen steckt. Wir arbeiten auf jeden Fall an der Titelverteidigung und dem Weltrekord.
Damit habe ich mir dieses Jahr zwei sehr große Ziele gesteckt und freue mich darauf, dieser Herausforderung ins Auge zu schauen und mich entsprechend vorzubereiten.
Wie gehst du als Titelverteidiger mit dem Druck um und wie bereitest du dich mental auf den Wettkampf vor?
Gerade der 100-Meter-Sprint ist ein Sonderfall: Man hat nur diese eine Chance, steht gemeinsam mit den Gegnern in direktem Kontakt auf einer Linie und wartet auf den Startschuss. Dann darf man keinen einzigen Fehler machen, weil die Strecke so kurz ist. Dafür ist die mentale Komponente extrem wichtig.
Ein Part meines täglichen Trainings ist es, mir das Selbstvertrauen zu erarbeiten, mit dem ich mir zutraue, im entscheidenden Moment meine Höchstleistung abzurufen. So kann ich mich auf den mentalen Druck vorbereiten.
Ich weiß, wofür ich es mache, glaube an meine Vorbereitung und kann daher mit gutem Selbstbewusstsein ins Rennen gehen. Es ist schon immer meine Herangehensweise, dass ich jeden Tag an mir arbeite, die Situation visualisiere und mir vorstelle, wie es sein wird: Wie fühle ich mich dann, wie geht es mir?
2020 bist du nach London gezogen. Für welche neuen Impulse hat der Wechsel gesorgt und von welchen Personen profitierst du dort besonders?
Nach acht Jahren in Leverkusen brauchte ich einfach eine Veränderung. Der Wechsel und das neue Umfeld haben mir sehr gutgetan. Wir sind eine sehr kompetitive Trainingsgruppe mit sehr schnellen, erfolgreichen Sportlern. 18 Leute, die bereit sind, jeden Tag an sich zu arbeiten.
Alle wissen, wofür wir hier sind. Es ist ein riesiger Plusfaktor, dass wir uns gegenseitig supporten und trotzdem eine gewisse Kompetitivität im Training herrscht. Das gesamte Trainerteam unterstützt mich enorm.
Meinem Headcoach Steve Fudge und Jermaine Olasan als S&C (Anm. d. Red.: Strength and Conditioning Coach) vertraue ich vollkommen und merke, dass sie aktuell den entscheidenden Unterschied in meinen Leistungen bewirken. Es ist ein hervorragendes Training, das für mich sehr gut funktioniert.
Du wirst von Technogym ausgestattet, die gleichzeitig Offizieller Ausrüster der Olympischen sowie der Paralympischen Spiele sind. Welche Technogym Geräte nutzt du für dein Training und welche Features sind dir wichtig?
Aktuell benutzen wir am meisten die Langhantel, Gewichtsscheiben und Kurzhanteln. Ich mache vor allem freies Training, aber natürlich arbeiten wir auch an den Geräten. Die GHD Bench Pure von Technogym ist für mich sehr wichtig, ein unterschätztes Gerät, das es nur in wenigen Studios gibt.
Damit trainieren wir die ganze hintere Kette, die Hamstrings, den Gluteus und den unteren Rücken, machen aber auch Reverse-Übungen, arbeiten über den Hüftbeuger und trainieren die ganze Core-Muskulatur sowie die seitlichen Bauchmuskeln. Das Gerät gibt uns viele Freiheiten.
Der Crosstrainer ermöglicht ein wirklich gutes Training, auch zur Regeneration, außerdem nutze ich das Bike oft. Unser Seilzug ist extrem vielseitig und darf in keinem Studio fehlen, ebenso wie der Klassiker, die Beinpresse.
Was können sich ambitionierte Trainierende von deinem Training abschauen, um besser zu werden?
Ich arbeite immer stark an mir und sage nie: „Wow, das mache ich perfekt“. Ich bin ein sehr kritischer und reflektierter Mensch und denke immer, ich könnte mich weiter verbessern und noch ein bisschen mehr rausholen. Im Training bin ich allerdings sehr diszipliniert und kann darin ein Vorbild sein.
Es ist gar nicht kompliziert, ein gutes Training zu absolvieren. Im Sprintbereich wird allerdings zu wenig auf die technische Komponente geachtet. Natürlich spielen auch Schnelligkeit, Krafttraining und Sprintausdauer eine Rolle.
Aber wenn diese Dinge gegeben sind, macht die technische Komponente den entscheidenden Unterschied. Hart arbeiten und sich im Training verbessern macht jeder. Wir sagen: „To be in shape is the bare minimum“ – gut in Form zu sein ist das Minimum, was man von uns als Sprintern verlangt. Wir müssen fit sein.
Weitere Interviews und Hintergründe
In weiteren Interviews sprechen Arne Greskowiak, Patrick Esume und Kasim Edebali über leistungsorientiertes Training im Fitnessstudio. Lesen Sie außerdem unseren Artikel 'Train like an athlete' als Einstieg zu den Interviews.
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Sprint ist ein extrem physischer Sport, der auf einmal extrem mental wird und beide Aspekte auf einem sehr hohen Level einfordert. Daher glaube ich, dass die Regeneration für viele Menschen ein entscheidender, oft unterschätzter Faktor ist.
Wir trainieren vier bis fünf Stunden am Tag, das ist eigentlich der einfache Part. Die Frage ist eher, was mache ich in den restlichen 19 bis 20 Stunden? Wie bereite ich meine nächste Einheit vor, wie erhole ich mich und wie sieht meine Ernährung aus?
Das sind ganz wichtige Aspekte, doch viele Sportler konzentrieren sich nur auf ihr Training und unterschätzen alles abseits der Bahn. Das möchte ich vielen Leuten mitgeben: Achtet auf eure Regeneration, versucht auch dort, das Maximum rauszuholen! Dann könnt ihr konstant im Training sein, verletzt euch nicht und macht Schritt für Schritt Verbesserungen, denn erst dadurch hat der Körper auch Zeit, sich anzupassen.
Wie sieht die Regeneration bei dir konkret aus?
Ich gehe zweimal pro Woche in die Sauna und mache zweimal pro Woche Eisbäder. Physiotherapie und Osteopathie sind sehr wichtig; da bekomme ich regelmäßig Behandlungen. Zusätzlich unterstütze ich die Regeneration der Muskeln mit Elektrotherapie.
Wenn bestimmte Körperteile stark belastet oder zu fest sind, versuche ich, mit einem EMS-Gerät den Tonus zu reduzieren und die Muskeln zu entspannen. Auch Recovery Boots nutze ich fast jeden Abend für eine halbe Stunde.
Geregelte Schlafzeiten sind ebenfalls wichtig, genau wie die Ernährung. Ich achte darauf, dass ich immer gut hydriert bin, dank meines Ernährungsplans genug Elektrolyte und Eiweiß zu mir nehme und viel Gemüse und Obst esse, damit der Körper ausreichend Baustoffe hat, um sich zu regenerieren.
Welche spezifischen Trainingsbereiche und -angebote sollten Fitnessstudios ambitionierten Sportlern bieten?
Für ein ambitioniertes Training ist sehr wichtig, dass ein Studio eine gute Mischung bietet: einen freien Athletikbereich, wo man z. B. mit Freihanteln arbeiten kann, einen Ausdauerbereich und einen Rehabilitationsbereich, z. B. mit Schlingentraining, Faszienrollen; eventuell Recovery Boot.
Das Aufwärmen wird oft unterschätzt, dass man erst das Herz-Kreislauf-System in Schwung bringt, bevor man eine Trainingseinheit startet.
Und das Thema Regeneration. Es ist ein wichtiger Faktor, dass es eine Sauna, einen Pool oder ein Wärmebad gibt – das ist wahrscheinlich ein ausschlaggebender Grund, warum sich Menschen mit ambitionierten Zielen in einem Studio anmelden.
Für Menschen ohne Handicap ist es u. U. schwer, eine Vorstellung vom Training mit Handicap zu entwickeln. Wie können Studiobetreibende die besten Voraussetzungen bieten?
Man muss das Thema gar nicht so kompliziert machen. Wenn eine Person mit einem Handicap ins Studio kommt, sollten die ersten Trainings von einem Personal Trainer begleitet werden. Er kann sehen, wie die physischen Voraussetzungen sind, was der Trainierende kann und was nicht, und das Training von Anfang an steuern. So ist es überhaupt keine Herausforderung.
Natürlich muss man mit jeder Person individuell umgehen. Für Menschen mit einem Handicap ist es aber genauso wichtig oder sogar noch wichtiger, auf ihre Gesundheit zu achten und sportlich und körperlich in einer guten Verfassung zu bleiben.
Die Paralympics waren lange das einzige Event für Para-Sportler mit weitreichender Medienpräsenz. Das ändert sich langsam durch Formate wie „Die Finals“. Was wünschst du dir für den Para-Sport von Zuschauern und Medien?
Als Sportler hoffen wir natürlich, dass da noch ein bisschen mehr geht, aber unsere Sportart hat in den letzten Jahren ein sehr positives, konstantes Wachstum gezeigt. Für mich als paralympischen Sportler ist es wichtig, dass wir uns mit den Olympischen Spielen auf Augenhöhe sehen, da kommen wir immer mehr hin.
Wir haben zwar ein Handicap, aber machen das Beste aus der Situation, genau wie ein Olympionike. Bei uns herrscht ein extrem hohes Niveau, es ist sehr kompetitiv. Ich glaube, dass das Thema Inklusion durch Sport sehr wichtig ist.
Durch den Sport kann man Menschen mit einem Handicap integrieren, so wie das bei mir der Fall ist. Ich bin der einzige paralympische Sportler in meiner Trainingsgruppe und es funktioniert sehr gut, mit den olympischen Athleten zusammen zu trainieren. Wir pushen uns gegenseitig und respektieren uns – auch das ist Arbeiten auf Augenhöhe.
Dein Motto ist es, den Fokus auf Ability statt Disability zu richten. Wie setzt du dich persönlich dafür ein?
Absolut. Das lebe ich jeden Tag, im Alltag, überall. Es gibt eigentlich nichts, was ich mit meiner Prothese nicht machen kann, und ich versuche, mir keine Grenzen zu setzen. Meine Disability, meine Prothese, schränkt mich nicht ein.
Wenn ich etwas nicht kann, gibt es mir den Ansporn, es zu üben. Dabei sollte die Fitness- und Gesundheitsbranche alle Menschen mit Handicap unterstützen.
Diesen und weitere Artikel finden Sie in der fMi 03/2024 & für Abonnenten EXKLUSIV vorab.
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