Management, Markt | Autor/in: Jürgen Wolff |

„Kommunikation ist in diesen Tagen alles!“: Interview mit Henrik Gockel

Der behördlich angeordnete Shutdown hatte die Fitness- und Gesundheitsunternehmer bereits im März 2020 deutschlandweit vor bisher nie dagewesene Herausforderungen gestellt. Ein schnelles Krisenmanagement war gefragt. Selbiges gilt nun auch für den November-Lockdown. Die fitness MANAGEMENT international hat dazu mit drei Studiobetreibern gesprochen, die sich mit viel Know-how, Kreativität und starken Netzwerken der Krise entgegengestellt haben: Heute berichtet Henrik Gockel (PRIME TIME fitness) über seine Erfahrungen.

Interview mit Henrik Gockel

Die deutschlandweite Schließung der Fitness- und Gesundheitsstudios Mitte März 2020 hat die Branche hart getroffen. Die Zeit seit Beginn des Lockdowns war von vielen Unsicherheiten geprägt. Lange war nicht sicher, wann und unter welchen Bedingungen die Studios wieder öffnen dürfen. Daher mussten Fitnessunternehmer mehrere mögliche Szenarien in ihre Entscheidungen miteinbeziehen. Mit wenig bis gar keiner Vorlaufzeit mussten Betreiber vielfältige Probleme meistern und neue Prozesse aus dem Boden stampfen – gefragt waren Krisenmanager.

Komplexe Herausforderungen und viele Baustellen

Es galt, die Liquidität sowie die Handlungsfähigkeit des Unternehmens zu sichern, trotz der erheblichen Einschränkungen die Nähe zu seinen Mitgliedern nicht zu verlieren und gemeinsam mit den Trainern schnellstmöglich neue digitale Angebote zu entwickeln.

Auch hinsichtlich der Mitarbeiterführung wurde den Unternehmern einiges abverlangt. Angestellte hatten Angst vor Kurzarbeit, Arbeitsplatzverlust und einem ungewissen Ausgang der Corona-Krise. Sie sollten aber gleichzeitig hochmotiviert die Kunden während der Schließung aus der Ferne betreuen.

Im Rahmen der Kommunikation waren Fingerspitzengefühl und psychologische Soft Skills gefragt. Zusätzlich musste man mit Vertragspartnern, Zulieferern, Banken und Kunden in einer unsicheren Zeit offen und transparent kommunizieren. Die Führungskräfte waren täglich gezwungen, auf veränderte Rahmenbedingungen zu reagieren, ohne dabei den Masterplan für den Neustart aus den Augen zu verlieren.

Die Branche hat reagiert

Die Betreiber deutscher Fitness- und Gesundheitsanlagen haben mit ihren Teams erfolgreich Maßnahmen umgesetzt, die den eigenen Betrieb über mehrere Wochen Shutdown „getragen“ und auf die Wiedereröffnung unter Auflagen vorbereitet haben.


fM: Herr Gockel, Sie sind für elf Fitnessstudios im ganzen Bundesgebiet und 150 Mitarbeiter verantwortlich. Wie fühlt es sich an, wenn plötzlich flächendeckend der Studiobetrieb eingestellt werden muss?

Henrik Gockel: Ich war am 18. März 2020 abends bei der Schließung aller Frankfurter Clubs vor Ort und habe mit Mitgliedern und Mitarbeitern gesprochen. Es war eine merkwürdige Abschiedsstimmung in eine ungewisse Zukunft. Insbesondere im Westend, dem ersten unserer Clubs, der dieses Jahr sein zehnjähriges Jubiläum feiert, war die Stimmung sehr gedrückt. 120 Monate hatten wir jeden Tag von 6 bis 24 Uhr geöffnet, fast 3.600 Tage – und dann wird er vom einen auf den anderen Tag auf unbestimmte Zeit geschlossen.

fM: Mit welchen Maßnahmen haben Sie die Liquidität Ihres Unternehmens abgesichert?

Henrik Gockel: Als erste Maßnahme haben wir uns von allen Mitarbeitern inklusive Management die Zustimmung zur Kurzarbeit eingeholt. Auch gegenüber unseren Banken habe ich persönlich gleich einen kompletten Verzicht meiner Bezüge bis zur Wiedereröffnung kommuniziert und umgesetzt.

Trotz der Schließung Mitte März wurden die Märzgehälter inklusive Boni schon am 23. März 2020 voll ausbezahlt. Zugleich haben wir versprochen, keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen, wenn die Krise im zeitlichen Rahmen von zwei bis drei Monaten beendet ist. Wir haben sehr viel in unsere Mitarbeiter investiert und brauchen sie bei einer V-Krise bald wieder dringend. Bis Ende April 2020 waren rund 70 bis 80 Prozent unserer Mitarbeiter in Kurzarbeit.

Ende März hatten wir unsere Einnahmen für April noch mit mindestens 60 Prozent des „normalen“ Umsatzes geschätzt. Tatsächlich lagen die Abbuchungen im April sogar bei rund 80 Prozent, was hauptsächlich daran lag, dass wir seit Mitte März kein Neukundengeschäft hatten und damit die Einnahmen aus den Starterpaketen fehlten. Rücklastschriften gab es kaum.

Gleichzeitig haben wir alle Vermieter informiert. Die neuen Gesetze geben hier Spielräume zur Stundung von bis zu drei Monaten. Da beides zusammen bei uns etwa 65 Prozent der Kosten ausmacht, waren wir sozusagen bis über den Mai hinaus „safe“. Leasing und Tilgungen waren weitere Punkte, gegebenenfalls staatliche Beihilfen, Zuschüsse oder KfW-Kredite. Das haben wir parallel angeschaut. Weitere Maßnahmen waren Anträge für die Stundung der Sozialversicherungsbeiträge während der Zeit der Kurzarbeit. Wir konnten Steuervorauszahlungen anpassen oder sogar zurückholen.

An alle Studenten in Urlaub und/oder Kurzarbeit ging zudem der klare Auftrag, die Zeit intensiv für das Studium zu nutzen, sich auf Präsenzphasen vorzubereiten oder an Abschlussarbeiten zu schreiben. Das Studium geht ja weiter und wir haben auch die Studiengebühren weitergezahlt.

fM: Haben Sie Mitarbeitern oder dual Studierenden gekündigt?

Henrik Gockel: Kategorisch NEIN. Die Mitglieder zahlen nicht ihre Beiträge weiter wegen mir als Unternehmer, sondern allein damit die Mitarbeiter ihren Job behalten und das Center nach der Schließung mindestens genauso öffnet wie vorher. Mitglieder um Geld „anbetteln“ und gleichzeitig Mitarbeiter entlassen ist ein No-Go und schließt sich aus.

fM: Welche Rolle spielt die Kommunikation mit den Mitarbeitern, dem Vermieter und den Kunden in einer derartigen Krisensituation?

Henrik Gockel: Kommunikation ist immer das „A und O“, besonders mit den Kunden. Die Mitarbeiter brauchen etwas Eingewöhnung in die neue Situation. Dies ist eine extreme Veränderung von außen mit gravierenden persönlichen Folgen. Der duale Student, der bei Kurzarbeit nur 60 Prozent seines Gehaltes erhält, könnte vor finanziellen Herausforderungen stehen. Da muss man miteinander sprechen.

Außerdem habe ich eine lange E-Mail individuell an jeden einzelnen Vermieter geschrieben. Unsere Clubs liegen in Toplagen, was mit hohen Mieten einhergeht. Den Vermietern ist daran gelegen, uns in der Krisensituation zu unterstützen und als treue Mieter zu halten.

Wir standen von der Schließung bis zur ersten Abbuchung mit unseren Mitgliedern in regem Kontakt. Nach der Abbuchung der Mitgliedsbeiträge für April kamen viele Kundenanrufe, die wir sehr gut bewältigen konnten. Alle Anrufer, die in der Warteschleife verlorengegangen waren, haben wir zurückgerufen, sämtliche Fragen geklärt. Kommunikation ist in diesen Tagen alles!

fM: Wie planen Sie die Phase nach der gesetzlich verordneten Studioschließung?

Henrik Gockel: Vollgas! Sobald der Termin zur Wiedereröffnung absehbar ist, werden wir die meisten Mitarbeiter mindestens eine Woche vorher aus der Kurzarbeit aktivieren, dann laufen die Telefone heiß. Wir wollen Termine buchen und die Mitglieder persönlich einladen. Diese sind zurzeit gut erreichbar und freuen sich sehr, etwas von ihrem Club zu hören, in dem sie viel ihrer kostbaren freien Zeit verbringen. In dieser Phase wird die persönliche und authentische Kommunikation mit dem Kunden noch einmal enorm wichtig.

fM: Welche Maßnahmen haben Sie für die Wiedereröffnung Ihrer Studios geplant?

Henrik Gockel: Wir wollen sobald wie möglich starten! Die Frage über allem ist: Unter welchen Auflagen dürfen wir öffnen? Um bestmöglich vorbereitet zu sein, haben wir uns die Vorschläge und das empfohlene Hygienekonzept des DSSV sowie internationale Empfehlungen von der IHRSA genau angeschaut. Wir haben auch geprüft, unter welchen Bedingungen Studios z. B. in China oder Südkorea wieder öffnen durften. Das halte ich für wichtig, weil sich die Politik auch daran orientiert, welche Maßnahmen in anderen Ländern erfolgreich waren. Darüber hinaus haben wir Hygieneartikel wie Desinfektionsmittel und Handsprayer angeschafft, unsere Reinigungskräfte entsprechend gebrieft und ein operatives Handbuch geschrieben, in dem die wichtigsten Checks dokumentiert sind. Wir haben uns allerdings bewusst nicht für horrendes Geld mit Schutzmasken eingedeckt.

Wir haben uns auf rund 25 Punkte vorbereitet. Wenn es soweit ist, müssen wir nur die dann geforderten Auflagen umsetzen, wahrscheinlich zehn Quadratmeter pro Mitglied und zwei Meter Abstand zwischen den Geräten. Ob wir Trennwände zwischen die Geräte stellen, Abstandsmarkierungen auf den Boden kleben und Schutzmasken ausgeben müssen, wissen wir noch nicht.

fM: Wie schätzen Sie die mittelfristige Perspektive der Fitnessbranche nach dieser Krisensituation ein?

Henrik Gockel: Am Tag der Verkündung der Studioschließungen kamen auch die Ergebnisse der Eckdaten-Studie 2020 des DSSV heraus. Vergleichbar mit dem „ifo Geschäftsklimaindex“ gaben 80 Prozent der Studioinhaber an, dass 2020 noch besser für sie laufen wird als 2019. Das sehe ich hundertprozentig genauso. Wir erleben durch das Virus einen „exogenen Schock“ mit mehreren Erkenntnissen: Gesunde Menschen sind widerstandsfähiger und besser vorbereitet als kranke. Die Medizin kann nur in begrenztem Umfang helfen. Eigenverantwortliches Fitnesstraining wird deshalb einen noch höheren Stellenwert bekommen.

fM: Wie denken Sie über die Aktivitäten des DSSV während des Lockdowns und die Schreiben von Frau Schwarze an die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel?

Henrik Gockel: Ich verfolge mit Sorge, dass der DSSV mit viel Häme und Spott in den sozialen Medien überschüttet wird. Diejenigen, die etwas tun, werden kritisiert, aber die Diskussion sollte konstruktiv sein und man sollte mit dem DSSV in Kommunikation treten und schreiben, was man besser machen könnte.

Das Schreiben an die Kanzlerin fand ich bis auf einige Formalien gut. Es ging um die baldige Wiedereröffnung, d. h. es klarzumachen, dass kurzfristig Training wieder möglich ist, weil es sicher ist. Jetzt Punkte wie die Bekämpfung der Sarkophenie anzusprechen, ist strategisch völlig richtig, aber es wird die Studios nicht schneller öffnen.

Ich fand auch das Hygienevideo des DSSV vom April okay, obwohl die Maßnahmen, die beispielhaft herangezogen wurden, vielen Betreibern zu weit gehen. Ich denke, der Film signalisierte, dass wir Betreiber bereit sind, alle Maßnahmen zu ergreifen, damit wir zumindest teilweise in einer frühen Phase öffnen können. Beispielsweise die Empfehlung, den ÖPNV nicht zu nutzen, halte ich für ganz geschickt: Es signalisiert, dass die Studios wesentlich sicherer sind als das, was der Gesetzgeber bereits erlaubt – nämlich den ÖPNV. Auch die anderen Initiativen finde ich gut. Sie sollten aber ergänzend und nicht gegen den DSSV positioniert werden.

fM: Welche Voraussetzungen sind aus Ihrer Sicht entscheidend für einen erfolgreichen Neustart des Studiobetriebes nach dem Lockdown?

Henrik Gockel: Am 4. Mai hatten wir eine Web-Konferenz mit dem hessischen Innenministerium, der Wirtschaftsförderung Frankfurt, Prof. Dr. Wessinghage, Deloitte und den größeren Studiobetreibern aus Frankfurt, um neben den bundesweiten Initiativen föderal auf Gemeinde- und Landesebene unseren Nutzen zu kommunizieren und vor allem, dass wir professionelle und verlässliche Partner sind. Die politisch Verantwortlichen hatten Sorge, dass Fitnessstudios nicht ausreichend gut organisiert und strukturiert sind, um die erforderlichen Gesundheitsmaßnahmen umzusetzen. Wir konnten sicher „einen Mosaikstein“ hinzufügen, um dieses Vorurteil zu entkräften. Hessen hat Sport und Fitness in der Länderkonferenz sehr positiv vertreten.

Entscheidend ist für mich, dass wir diese Erfolge als Branche jetzt nicht „vermasseln“! Jeder muss sich im Klaren darüber sein, wie wichtig jetzt Disziplin in der Umsetzung ist. Die Regeln – auch wenn man sie für unsinnig hält, wenn z. B. das Tragen von Handschuhen und Masken verpflichtend werden würde – müssen strikt umgesetzt werden. Wir müssen uns gegenüber der Politik und gerade gegenüber unseren Fürsprechern, die wir dort haben, als hundertprozentig verlässliche „Bündnispartner“ beweisen. Das gilt für Premiumstudios genauso wie für Discounter.

Über den Interviewpartner

Seine Tätigkeit in der Fitnessbranche startete Henrik Gockel bereits während des Studiums, bevor er zehn Jahre bei Paul & Partner als Unternehmensberater tätig war. Den „Seitenwechsel“ zum Studiobetreiber vollzog er als CEO der TC Training Center Gruppe, wurde dann Operations Director Europe und Managing Director bei Fitness First. Seit 2008 ist Henrik Gockel Dozent an der DHfPG. 2010 gründete er PRIME TIME fitness mit bundesweit derzeit elf Clubs.

Interviewreihe 'Krisenmanagement im Lockdown'

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