Management, Markt, DSSV | Autor/in: Jürgen Wolff |

Ralf Capelan im Eckdaten-Interview: "Sobald die Handbremse gelöst wird, läuft es!"

Bereits seit vielen Jahren arbeitet Ralf Capelan (DHfPG/BSA) an der Eckdaten-Studie mit und bewertet diese dank seiner Expertise als Fachmann für den Fitness- und Gesundheitsmarkt im deutschsprachigen Europa. Im Interview mit der fitness MANAGEMENT international erläutert er die Ergebnisse der "Eckdaten der deutschen Fitness-Wirtschaft 2022". Welche Herausforderungen und Entwicklungen ergeben sich jetzt für die Zukunft der Branche?

Ralf Capelan im Eckdaten-Interview

Ralf Capelan hat durch seine langjährige Tätigkeit als öffentlich bestellter Sachverständiger für betriebswirtschaftliche Bewertung von Fitness- und Sportanlagen einen sehr guten Überblick über den Fitness- und Gesundheitsmarkt im deutschsprachigen Europa.

Zudem ist er als Unternehmensberater im Fitness- und Freizeitmarkt tätig sowie auch als Dozent im Fachbereich Management an der DHfPG und der BSA-Akademie.

fM: Sie begleiten die Eckdaten-Studie seit vielen Jahren als Experte. Nach einer Zeit des kontinuierlichen Wachstums verzeichnet die Branche seit Beginn der Pandemie im zweiten Jahr in Folge rückläufige Mitgliederzahlen. Welche Herausforderungen ergeben sich daraus für die Branche und durch welche Maßnahmen lässt sich dieser Negativtrend umkehren?

Ralf Capelan: Seit inzwischen acht Jahren bin ich federführend bei der Erhebung der Eckdaten dabei. Die Herausforderungen der vergangenen zwei Jahre waren enorm. Die Pandemie hat die Branche extrem hart getroffen. Insbesondere die Unsicherheit über die Entwicklung der Pandemie und die Maßnahmen der Politik – 3G, 2G, 2G plus – Ende des Jahres 2021 haben zu hohen Belastungen geführt.

Ich gehe auf ein paar Zahlen genauer ein, die die Herausforderungen und Chancen deutlich machen. 2020 hatten wir erstmals seit Erhebung der Eckdaten einen Rückgang um 1,35 Millionen bei der Mitgliederzahl. Das entspricht einem Minus von 11,6 Prozent.


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Für das Jahr 2021 weist die aktuelle Eckdaten-Studie einen Rückgang um 1,05 Millionen auf jetzt 9,26 Millionen Mitglieder aus. Das sind 10,2 Prozent weniger als 2020. Wenn wir die Entwicklung über beide Jahre betrachten, sehen wir einen Rückgang der Mitgliederzahl um etwas über 20 Prozent.

Das bedeutet, dass die Pandemie die Branche mitgliedertechnisch auf das Niveau von 2015 – also um etwa sechs Jahre – zurückgeworfen hat.

Die Fluktuation der Mitglieder ist dagegen in etwa auf Vorpandemieniveau geblieben. In einigen Anlagen war die Fluktuationsrate sogar niedriger als vor Corona. Die Studien, die Prof. Dr. Sarah Kobel für die DHfPG durchgeführt hat, belegen das.

In den Monaten, in denen die Clubs zwischen den Lockdowns geöffnet waren, lief das Neukund:innengeschäft besser als in den gleichen Monaten 2019. Das verdeutlicht zum einen, wie hart die Schließung von Januar bis Juni 2021 die Studios getroffen hat – in diesen Monaten werden sonst 30 bis 40 Prozent des Neukund:innengeschäfts getätigt.

Zum anderen sieht man ganz klar, wie gut die Perspektive der Fitness- und Gesundheitsbranche ist, wenn die Studios ohne Einschränkungen öffnen dürfen. Sobald die „Handbremse“ gelöst wird, läuft es!

Diese Nachholeffekte sehen wir in allen Zielgruppen und Marktsegmenten – sowohl bei den Jüngeren in den Discountanlagen als auch bei Älteren in Gesundheits- und Premiumstudios, aufgrund größerer Vorsicht etwas zeitverzögert. Ein internationaler Vergleich macht das enorme Potenzial dieser Entwicklung deutlich, obwohl die Märkte nicht zu 100 Prozent identisch sind.

Nachdem in Großbritannien zum Sommer 2021 alle Infektionsschutzmaßnahmen gefallen sind, die ja zum Teil noch härter waren als bei uns, konnte die Branche dort beim Mitgliederzuwachs die besten Monate überhaupt verzeichnen.

Ganz wichtig ist: Der Wert des Faktors Gesundheit ist bei allen Menschen sehr stark gestiegen – stärker als das ohne die Corona-Pandemie der Fall gewesen wäre. Dieses Phänomen zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten sowie Zielgruppen (Geschlechter, Altersgruppen etc.) und betrifft auch unseren Staat und die Unternehmen.

Durch Corona ist deutlich geworden, dass die Gesellschaft widerstandsfähiger ist, wenn die Menschen über ein gestärktes Immunsystem verfügen. Der Staat muss das Funktionieren seiner Gesellschafts- und Infrastrukturbereiche gewährleisten. Unternehmen müssen die Arbeitskraft ihrer Beschäftigten, die zukünftig wohl bis zum Alter von 70 Jahren arbeiten werden, erhalten und sichern.

All diese Entwicklungen werden dabei helfen, den Negativtrend der vergangenen zwei Jahre umzukehren.

Auf welche Teilbereiche der Eckdaten-Erhebung legen Sie in diesem Jahr ein besonderes Augenmerk und warum?

Die Zahl der Mitglieder ist ein wichtiger Indikator. Sie ist stark zurückgegangen. Das hat aber in erster Linie mit dem ausgebliebenen Neukund:innengeschäft zu tun. Viele Mitglieder haben sich loyal verhalten und ihren Clubs die Treue gehalten – die Kund:innenbindung ist gut.

Die Reaktionsquote ist analog zur Mitgliederentwicklung in dem Zeitraum von zwei Jahren absolut um 3,9 Prozent auf 11,1 Prozent zurückgegangen. Hauptursache ist wie bereits erwähnt  das weggebrochene Neugeschäft. Diese Zahlen sollten wir nicht nur pessimistisch betrachten, weil wir gesehen haben, wie gut es läuft, sobald die „Handbremse“ der Auflagen gelöst wird.


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Weitere wichtige Kennzahlen sind die Fluktuationsrate und die Zielgruppenmerkmale – insbesondere das Alter und die Geschlechterverteilung, weil das Verhalten einzelner Zielgruppensegmente Aufschluss darüber gibt, wo die Studios in den kommenden Monaten ansetzen können.

Sind unter den Mitgliedern, die länger wegbleiben, mehr ältere Menschen, so lässt das beispielsweise auf ein größeres Sicherheitsbedürfnis schließen.

Die Entwicklung der Preise der Kernleistung ist ein weiterer Punkt. In den letzten Jahren waren die Preise für Studiomitgliedschaften in Deutschland aufgrund eines steigenden Wettbewerbsdruckes insgesamt leicht rückläufig.

Bei einer Inflationsrate von derzeit fast fünf Prozent (Anm. der Red.: Januar 2022, destatis.de) ist das natürlich eine bedenkliche Entwicklung: Real steigende Kosten bei real sinkenden Einnahmen. Inzwischen haben vor allem Discountanbieter:innen reagiert und ihre Preise für Neukund:innen angehoben. Einzelbetreiber:innen sind da eher vorsichtiger.

Aus Preis und Mitgliederzahl ergibt sich die nächste wichtige Größe – der Umsatz. Bei den Umsätzen war der Rückgang in 2020 und 2021 noch einmal deutlich massiver als bei der Mitgliederzahl. 2020 gingen die Umsätze der Branche um 24,5 Prozent zurück, 2021 um 46,4 Prozent.

Im Vergleich zu 2019 haben die Studios in Deutschland über die zwei Pandemiejahre etwa 59,5 Prozent Umsatzrückgänge zu verzeichnen. Das ist ein immenser Verlust, der zu erwarten war, weil die Anlagen auch etwa die Hälfte der Zeit geschlossen waren.

Dieser Umsatzrückgang verliert etwas den Schrecken, wenn man ihn zu anderen Zahlen ins Verhältnis setzt: Die Anzahl der Anlagen ist 2020 um 1,4 Prozent und 2021 nur um 0,5 Prozent zurückgegangen. Daraus können wir schließen, dass viele Anlagen sehr solide aufgestellt waren und der Pandemie trotzen konnten.

Zusätzlich waren die Hilfspakete des Staates nach anfänglichen Schwierigkeiten doch so gut, dass die massiven Umsatzeinbrüche teilweise aufgefangen werden konnten.

Für die Jahre 2022 und 2023 können wir jedoch eine Marktbereinigung nicht gänzlich ausschließen. Zu Beginn des Jahres 2022 galt in den meisten Bundesländern weiterhin die 2G- bzw. 2G-plus-Regelung – bis im März 2022 dann endlich Lockerungen in Kraft getreten sind.

Dies hat weiter an der Substanz der Clubs genagt. Begründung: Die Clubs konnten im Winter 2021/22 zwar für den Trainingsbetrieb öffnen, trugen seitdem aber auflagenbedingt höhere Kosten – bei weniger Umsatz.

Aufgrund des hohen Fixkostenanteiles in vielen Studios könnte das dazu führen, dass in einigen Betrieben die Kosten die Einnahmen übersteigen. Nicht alle Studios werden nach zwei Jahren Krise dieser Situation lange standhalten können. Zeit ist für das Überleben vieler Studios ein entscheidender Faktor.

Welche Entwicklungen und Zahlen machen Hoffnung, dass die Branche sich erholen, weiterwachsen und sich professionalisieren wird?

Ich bin sehr zuversichtlich, obwohl Prognosen aufgrund der Corona-Politik sehr schwierig sind. Wir sehen es in anderen Ländern, wie Spanien, der Schweiz oder Dänemark: Sobald eine endemische Lage ausgerufen wird und die „Handbremse“ des Infektionsschutzes gelockert wird, treten die Effekte ein, die ich beschrieben habe.

Sobald Corona aus den Köpfen der Menschen verdrängt ist, die Angst und die Spaltung der Gesellschaft weg sind, werden die Anlagen sehr, sehr schnell ihre Mitgliederzahlen wieder nach oben ziehen können.

Ich sage das unter der Prämisse, dass nicht weitere Ereignisse eintreten, die neue Einschränkungen mit sich bringen: Wir werden das Niveau von 2019 schneller wieder erreichen können, als die meisten es erwarten. Meiner Einschätzung nach werden wir dafür keine drei oder vier Jahre brauchen. Die Menschen wollen Normalität und sich selbst etwas Gutes tun.


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Es kommt für die Studios jetzt darauf an, dass sie vor Ort weiter ihre Hausaufgaben machen und sich auf die veränderte Erwartungshaltung der Menschen vorbereiten. Hygiene und Sicherheit werden eine größere Rolle spielen ebenso wie die positiven Effekte des Trainings für die Gesundheit – Rücken, Gelenke, Herz-Kreislauf sowie das emotionale Thema Abnehmen bzw. Figurverbesserung.

Die Studie der DHfPG hat ergeben, dass die Menschen im Durchschnitt etwas mehr als fünf Kilogramm zugenommen haben.

Ein gutes Netzwerk mit Kooperationsunternehmen, die helfen, möglichst viele Menschen aus der jeweiligen Zielgruppe anzusprechen, wird wichtig für die Studios, um sich breit aufzustellen und so viele Menschen wie es geht zu erreichen.

Es gilt, Mitgliedern, die wegen der Pandemie gekündigt haben, attraktive Angebote für den Wiedereinstieg zu machen und Interessierte mit einem passenden Dienstleistungsportfolio zu überzeugen – ohne dabei die Bestandsmitglieder „vor den Kopf zu stoßen“.

Der Preis darf dabei nicht das Argument sein. Das wäre bei steigender Inflation fatal. Es muss darum gehen, die Leistung und die Kompetenzen der Studios nachhaltig zu kommunizieren, weil der Wert einer Betreuung durch Expert:innen und der Wert des Trainings für die Gesundheit sowie für soziale Kontakte und auch für den Spaß vielen Menschen bewusst ist und sie bereit sind, pro Monat entsprechendes Geld dafür auszugeben.

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