Fitness, Gesundheit | Autor/in: Jürgen Wolff |

'Es geht um die persönliche Betreuung von Menschen!'

Die Corona-Krise wird die Branche nachhaltig verändern und stellt den Zweiten Gesundheitsmarkt vor neue Herausforderungen. medical fitness and healthcare hat Gesundheitsdienstleister gefragt, zu welchen Schwierigkeiten die Schließungen geführt haben, welche Lösungen geplant sind und welche Chancen sich jetzt bieten.

'Es geht um die persönliche Betreuung von Menschen!'

Eine Einleitung in das Titelthema der mfhc Ausgabe 01/2021 'Gesundheitsdienstleister unter Pandemiebedingungen' können Sie im Artikel 'Medical Fitness vs. Corona' lesen. Eine Leseprobe haben wir hier für Sie verlinkt.


medical fitness and healthcare hat drei Gesundheitsdienstleister nach ihren persönlichen Erfahrungen während der Lockdown-Phasen befragt. Darunter auch Rüdiger Loy, Geschäftsbereichsleiter Rehabilitation & Medical Fitness der ORTEMA GmbH in Markgröningen.

mfhc: Inwieweit haben sich die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie einerseits auf den Betrieb Ihres Trainingsbereiches und andererseits auf den Betrieb Ihrer Praxis ausgewirkt?

Rüdiger Loy: Unser Medical-Fitness-Bereich, einschließlich der Präventionsangebote, befindet sich – wie alle anderen Fitnessstudios auch – seit November im zweiten Lockdown. In Erwartung der angekündigten Novemberhilfen haben wir seitdem die Abbuchungen der Beiträge ausgesetzt, während diese im ersten Lockdown weiterliefen. Da wir als Gesamtunternehmen nicht das staatlich festgelegte Mindestquorum der Umsatzausfälle erreichen, erhalten wir leider keinerlei Unterstützung aus den November- und Überbrückungshilfen.

Eine COVID-19-Infektion eines Rehamitarbeiters gleich zu Beginn der Pandemie hat dann noch zur zweiwöchigen Schließung der ambulanten Reha geführt. 80 Rehapatienten und 25 Mitarbeiter mussten in Quarantäne geschickt werden.

Nach dieser Phase konnten wir im Bereich Rehabilitation und Therapie jedoch unseren Betrieb langsam wieder zum vollen Umfang zurückführen. Ein umfassendes, an klinischen Vorgaben orientiertes Hygienekonzept und sehr hohe Sicherheitsstandards – alle Mitarbeiter und Patienten müssen in der Therapie eine FFP2-Maske tragen – haben dazu beigetragen, dass wir ohne weitere Absonderungen oder Schließungen durch die bisherige Pandemie gekommen sind.

Wie haben Sie als Unternehmer auf diese Situation reagiert?

Seit Mitte März 2020 sind etwa rund zehn Prozent unserer 170 Vollzeitkräfte in Kurzarbeit. Alles in allem ist das Gesamtunternehmen in 2020 mit einem 'hellblauen Auge' davongekommen. Allerdings sehen wir fürs laufende Jahr weiterhin große Umsatzrisiken und setzen weiter in bestimmten Bereichen auf Kurzarbeit.

Durch die erhöhten Hygiene- und Sicherheitsauflagen entstehen jedoch am Standort in Zusammenarbeit mit der Klinik viele zusätzliche Aufgaben, sodass wir vor allem unseren Mitarbeitern aus dem Fitnessbereich alternative Einsatzmöglichkeiten bieten können, z. B. bei den erweiterten Zugangskontrollen und in unserer Antigen-Schnelltest-Stelle für Mitarbeiter.


 


Inwiefern hat sich in der Zeit des Lockdowns der Kontakt zu und die Kommunikation mit Ihren Patienten der Praxis sowie Ihren Kunden und Mitgliedern des Trainingsbereiches verändert?

Die Kommunikation mit den Patienten der Praxis klappt unverändert gut. Die Hygieneregelungen werden weniger als Belastung empfunden, sondern sehr gut akzeptiert. Unsere Patienten und Kunden fühlen sich zu Recht sicher bei uns. Das zeigen auch die aktuellen Zahlen – wir sind in der Therapie komplett ausgebucht.

Anders ist das bei unseren Fitnesskunden. Über unsere Online-Kurse hinaus beschränkt sich der Kontakt auf das Telefon oder E-Mails.

In welchem Maß haben digitale Tools in Ihrem Unternehmen durch die Pandemie an Bedeutung gewonnen?

Wir haben schon Ende 2019 entschieden, eine App für die teletherapeutische Nachsorge anzuschaffen und dafür bereits Anfang 2020 – noch vor der Pandemie – eine Zulassung der Rentenversicherungsträger erhalten.

Unsere Mitgliederverwaltungssoftware Centercom konnten wir im ersten Lockdown um ein Online-Buchungsportal erweitern. Dadurch waren wir in der Lage, nach Wiedereröffnung einen reibungslosen Trainingsbetrieb mit Anmeldung und Beschränkung der Teilnehmerzahl umsetzen zu können. Inzwischen haben wir dieses Tool um die Centercom-App erweitert, sodass mit der nächsten Wiedereröffnung alle Kunden auch per App Kurse und Trainingsslots buchen können.

Wir bieten unseren Kunden Online-Kurse, aktuell zehn pro Woche, die auch ordentlich genutzt werden, und haben Übungsvideos über unsere Website zur Verfügung gestellt.


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Der lange Lockdown hat viele Trainierende körperlich zurückgeworfen und zahlreiche negative Begleiterscheinungen mit sich gebracht. Welche Beschwerden oder sogar Krankheitsbilder haben die Zeit der Schließungen für Sie besonders geprägt?

Aufgrund unserer Anbindung an die orthopädische Klinik haben wir einen Schwerpunkt auf operativ zu versorgenden Verletzungen. Dort zeigt sich deutlich, dass im Bereich der Sportverletzungen vor allem Knieverletzungen (Meniskus, Kreuzband, Seitenbänder) stark zurückgegangen sind, weil Freizeitsportarten wie Fußball, Handball, Basketball oder Eishockey lockdown-bedingt kaum stattfinden.

Deutlich häufiger geworden sind Verletzungen durch Fahrradstürze (Ellbogen, Schulter). Handverletzungen bleiben auf einem hohen Niveau.

Welche Lösungen wünschen Sie sich, damit vergleichbare Fälle in Zukunft vermieden werden können?

In unserem Therapie- und Rehabereich zeigt sich, dass es auch unter Pandemiebedingungen möglich ist, eine hochwertige und zielgerichtete Betreuung von Trainierenden zu gewährleisten. Dazu müssen Termine mit den Trainierenden festgelegt, Kapazitäten gesteuert sowie Trainingsinhalte definiert werden. Und es muss ein passendes Abrechnungsmodell gegeben sein. Unter diesen Voraussetzungen wäre es jederzeit möglich, auch präventives Training zur Gesunderhaltung anzubieten. Die damit einhergehenden Einschränkungen und die Hygienemaßnahmen werden jedoch von Patienten eher akzeptiert als von Gesundheitssportlern.

Müssen wir nicht die grundsätzliche Ausrichtung unserer Branche ändern bzw. an ihrer Wahrnehmung in der Öffentlichkeit und der Politik arbeiten? Dort herrscht noch immer der Eindruck vor, dass die Menschen im Fitnessstudio ihrem Freizeitvergnügen nachgehen und es wird nicht als ernstzunehmendes Gesundheitstraining angesehen. Die Fitnessbranche hat es in den vergangenen 20 Jahren nicht verstanden, sich für alle erkennbar als Gesundheitsanbieter zu positionieren.

Erst letzte Woche habe ich in einer (ernstzunehmenden) Fitnessfachzeitschrift einen Artikel über ein neues Medical-Fitness-Konzept gelesen. Die dort angegebene Zielgruppe sind Kunden mit Gelenkbeschwerden, Osteoporose, Arthrose und Rheuma. Ein wichtiger Hinweis war, dass die Personalkosten im Konzept so gering wie möglich gehalten werden: Ein Clubmanager, ein Auszubildender und zwei Aushilfen wären ausreichend! Dies ist aus meiner Sicht ein erneuter Beweis dafür, dass noch nicht verstanden wird, worum es im Gesundheitsbereich geht: um qualifizierte, wertschätzende und ernsthafte Ansprache und vor allem persönliche Betreuung von Menschen. Wer dabei mehr in Geräte und Ausstattung investiert als in qualifiziertes Personal, wird keinen nachhaltigen Erfolg haben können.


 


Können sich Ihrer Einschätzung nach aus diesen zunächst erzwungenen Veränderungen für Medical-Fitness-Anbieter auf der einen sowie Physiotherapeuten auf der anderen Seite auch neue Chancen entwickeln? Wenn ja, welche?

Ja, die Chancen sind auf jeden Fall da. Inwiefern sich die Trainingswirklichkeit durch die Pandemie ändern wird, muss sich erst noch zeigen. Digitale Angebote, die ein ortsunabhängiges Training ermöglichen, gehören zukünftig zwingend dazu. Dabei muss aber sichergestellt sein, dass der Trainierende nicht sich selbst überlassen bleibt, sondern gezielt betreut wird. Hybride Trainingskonzepte, evtl. als Personal Training oder Online-Trainingsangebote, bei denen der Kunde jederzeit teilnehmen kann, sowie individuelle und betreute Trainingspläne per App, halte ich in Zukunft für möglich.

Die oben beschriebene Positionierung bietet die Chance, auch ohne Angebote auf Rezept zukünftig besser als systemrelevanter Gesundheitsanbieter wahrgenommen zu werden.

Welchen Einfluss haben die Auswirkungen der Pandemie langfristig auf Ihre Therapieleistungen, Ihr Trainingsangebot und auch auf die Positionierung Ihres Unternehmens?

Zunächst einmal ist es gerade in so einer Krise wichtig zu sehen, dass die Therapie und die Rehabilitation als systemrelevant angesehen und anerkannt wurden. Dies stärkt den Sektor und bildet auch berufspolitisch die Möglichkeit, in Zukunft noch mehr zu erreichen, auch was eine angemessene Vergütung der Leistungen und damit eine dementsprechende Entlohnung der Therapeuten angeht.

Hinsichtlich der veränderten Angebote wirkt die Pandemie auf der einen Seite als Beschleuniger für sowieso notwendige Anpassungen bzw. für Digitalisierungsmöglichkeiten. Auf der anderen Seite zeigt sie uns, dass wir soziale Wesen sind, die auf den Kontakt und Austausch mit anderen Menschen angewiesen sind. Auch dies ist eine wichtige Erkenntnis, die nachhaltig für unsere persönlichen Dienstleistungen spricht.

Den Einstieg sowie die anderen beiden Interviews können Sie hier lesen.

  1. Einstieg: Medical Fitness vs. Corona
  2. Interview mit Prof. Dr. med. Oliver Tobolski: 'Bewegung leben'
  3. Interview mit Thilo Stumpf, Marc Wisner & Wolf Harwath: 'Zentrale Rolle'

Über den Autor

Rüdiger Loy (Jahrgang 1971) ist Diplom-Sportwissenschaftler und seit 1994 im Fitnessbereich tätig, zunächst als Trainer, sportlicher Leiter, Studioleiter, später als geschäftsführender Gesellschafter. Er absolvierte ein berufsbegleitendes Fernstudium der Wirtschaftswissenschaften, Abschluss Diplom-Kaufmann. Seit 2004 ist er Geschäftsbereichsleiter Rehabilitation & Medical Fitness der ORTEMA GmbH, die mit rund 270 Mitarbeitern in den Geschäftsbereichen Orthopädie-Technik, Sport-Protection, Rehabilitation & Therapie sowie Medical Fitness & Gesundheit eine hundertprozentige Tochter der Orthopädischen Klinik Markgröningen ist. Im Bereich Medical Fitness & Gesundheit betreuen rund 40 Mitarbeiter auf insgesamt 1.500 Quadratmetern die Kunden auf der Trainingsfläche, in Präventionskursen, mit Angeboten zur Leistungsdiagnostik und zu 'Return to Sports' sowie zahlreiche Unternehmen der Region als Partner im BGM.


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