Fitness, Gesundheit | Autor/in: Prof. Dr. Daniel Kaptain |

Dehntraining – Hintergründe und Anwendungsempfehlungen

Eine aktuelle Studie stellt die Effektivität von Dehnen zur Vorbereitung intensiver Belastungen in Frage (Blazevich et al., 2018). Demgegenüber steht die These, dass Dehnübungen zur Trainingsvorbereitung notwendig sind, um nachfolgend ein verringertes Verletzungsrisiko zu erreichen. Welche Effekte Stretching tatsächlich haben kann und welche Einflussfaktoren bestehen, thematisiert Prof. Dr. Daniel Kaptain (DHfPG) in diesem Artikel.

Trainer sowie Kunden stehen immer wieder vor der Frage: Ist Dehnen sinnvoll oder gar kontraproduktiv? Häufig wird postuliert, dass ein spezifisches Warm-up aus Dehn- und Mobilitätsübungen notwendig ist, um eine erhöhte Leistungsfähigkeit im folgenden Training oder Wettkampf zu erreichen. Auch wird ein vermindertes Verletzungsrisiko als möglicher Effekt genannt. Eine aktuelle Studie zum Thema heizt diese Diskussion noch an (Blazevich et al., 2018).

Um eine konkrete Aussage zu den Auswirkungen eines Dehntrainings formulieren zu können, muss zunächst eine Differenzierung der Dehnformen und Arbeitsweisen vorgenommen werden, da es verschiedene Umsetzungsmöglichkeiten gibt.

Stretching wird in die abgebildeten Methoden (Abb. 1) unterteilt, wobei in der Praxis auch Mischformen aus den dargestellten Arbeitsweisen und Dehnvarianten existieren:

Wirkung auf die Muskelspannung

Klassische Formen, die im Warm-up verwendet werden, sind das statisch-passive sowie das aktiv-dynamische Dehnen. Generell ist zu beachten, dass aufgrund der Unterschiede der Dehnmethoden hinsichtlich Dauer und Intensität sowie der individuellen Voraussetzungen des Sportlers (Trainingserfahrung, Beanspruchungszustand, Genetik u. v. a. m.) keine pauschale Anwendungsempfehlung ausgesprochen werden kann.

Letztendlich geht es um die Konditionierung/Gewöhnung der Rezeptoren (u. a. Golgi-Sehnenorgane und Muskelspindeln), die durch die dosierte und sukzessive Erweiterung der Bewegungsamplitude eine größere Reichweite ermöglicht bzw. ein vorzeitiges Aktivieren der Gegenspannung oder einen Dehnschmerz unterbindet.

Eine weitere entscheidende Rolle spielt die Dehnintensität. Je höher diese ist, desto größer ist die Beanspruchung des Gewebes durch die Zugbelastung auf den Muskel-Sehnen-Apparat und desto umfangreicher ist auch der Effekt auf die Steigerung der Beweglichkeit. Dies und die Tatsache, dass durch die kurzfristige Veränderung (Elongation) des beanspruchten Gewebes eine temporäre Absenkung des Ruhetonus erfolgt, sollte bei der Eingliederung von Dehnübungen in die Trainingsplanung berücksichtigt werden.

Die durch intensive Stretching-Übungen (bis Dehnschmerz) erwirkte Herabsetzung des Ruhetonus und die Veränderung der Gewebeeigenschaften (Hysterese) kann zu einer temporären Reduktion der Kontraktilität führen. Die im Sport notwendigen schnellen Kontraktionszeiten und ein schnelles Annähern von Ursprung und Ansatz der entsprechenden Muskulatur sind während dieser Phasen reduzierter Kontraktilität herabgesetzt. Somit sind die hervorgerufenen Effekte abhängig von der Dehnmethode sowie von der vorherigen bzw. nachfolgenden Aktivität (neuromuskuläre Beanspruchung). Ein intensives Dehnen vor oder nach einer beanspruchenden Trainings- bzw. Sporteinheit, in der schnellkräftige Bewegungen ausgeführt werden sollen, ist somit nicht empfehlenswert.

Effekte auf die Leistungsfähigkeit

Diese Tatsache wird von diversen Studien gestützt, die aufzeigen, dass beispielsweise ein statisches Dehnen vor höheren Krafteinsätzen die Leistungsfähigkeit reduziert (Ogura et al., 2011; Pacheco et al., 2007). So bewirkt ein Dehnprogramm mit einer intensiven und bis zu 90-sekündigen Dauer ein Nachlassen der Sprungleistung (Winchester, 2008; Vetter, 2007; Robbins & Scheuermann, 2008).

Generell bedeutet dies jedoch nicht, dass ein Stretching mit moderater Intensität zukünftig im Warm-up vermieden werden sollte, denn negative Effekte dieser Form des Beweglichkeitstrainings wurden ebenso nicht nachgewiesen (Blazevich et al., 2018). Des Weiteren ist der Einsatz von Dehnübungen von der darauffolgenden Belastungsphase abhängig. Erfolgt hier eine moderate Beanspruchung, so sind keine leistungshemmenden Einflüsse zu erwarten.

Außerdem konnte gezeigt werden, dass sich dynamisches Dehnen dem statischen vor intensiven Trainings- bzw. Wettkampfbelastungen als überlegen erweist. So konnten Sportler ihre Sprintleistung und die horizontale Sprungfähigkeit durch dynamisches Stretching signifikant verbessern (Haddad et al., 2013). Dies scheint durch die geringeren Reize eines aktiven Dehnens und durch die Aktivierung des neuronalen Systems sowie des Bewegungsapparates gegeben zu sein.

Allgemein ist bei den genannten Studien jedoch zu bedenken, dass

a) Sportler mit einer hohen Leistungsfähigkeit und Belastungstoleranz sowie

b) intensive sportliche bzw. körperliche Beanspruchungen untersucht wurden.

Diese Tatsachen muss ein Fitnesstrainer auf den Kunden und dessen individuelle Ziele, Leistungslevel und Trainingsinhalte übertragen.

Zusammenfassend gelten die folgenden Grundsätze hinsichtlich Dehnform bzw. -intensität in der Trainingsplanung:

Intensives Dehnen sollte zeitlich getrennt von beanspruchenden (v. a. schnellen) Muskelkontraktionen (Training, Wettkampf) absolviert werden. Tendenziell aktiv-dynamisches Stretching wird vor dem Training ausgeführt. Statische und intensive Dehnformen sind als separate Einheiten durchzuführen.

Auch die Antwort auf die Frage nach weiteren Effekten wie Verletzungsprophylaxe und/oder einer langfristigen, allgemeinen Leistungssteigerung ist häufig unklar. Der derzeitige Sachstand lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Die Aussage, dass eine Verletzungsprävention durch ein statisches Dehnen gegeben ist, widerlegten bereits diverse Studien (Thacker et al., 2004; Marchall & Ruckelshausen, 2004; Wiemeyer, 2002). Jedoch wurde ebenso nachgewiesen, dass statisches Dehnen die Sehnenstrukturen stärkt und belastbarer macht, was bei Lauf- und Sprungbelastungen eine positive Wirkung haben kann. Dieser positive Effekt bezieht sich auf die Verbesserung der Leistungsfähigkeit im kurzen Dehnungsverkürzungszyklus (DVZ) und wird durch spezifische Warm-ups vor der Belastung erreicht (Andrade et al., 2015).

Dehnen, Gelenkigkeit und Mobilität

Gemeinhin muss bedacht werden, dass Dehnfähigkeit, Gelenkigkeit und Koordination sowie situative, personenbezogene und konditionelle Aspekte (bspw. Ermüdungszustand) auf die Einflussfaktoren der Beweglichkeit einwirken. Folgende Abbildung (Abb. 2) zeigt diese Zusammenhänge auf:

Exkurs Foam Rolling

Eine Sonderform in Bezug auf die Trainingsmethoden nimmt das sog. Foam Rolling ein. Auch hier sind die Effekte uneinheitlich zu bewerten bzw. auch diese Variante des Beweglichkeitstrainings ist den anderen weder über- noch unterlegen (Howe et al., 2013). Wahrscheinlich ist, dass sich Behandlungen durch Hartschaumrollen (Foam Rolls) positiv auf die Muskulatur bzw. das gesamte involvierte Gewebe auswirken, was zu vielseitigen kurzzeitigen Adaptationen führen kann.

Foam Rolling beeinflusst die Beweglichkeit positiv (Jay et al., 2014). Hierbei handelt es sich jedoch nur um einen kurzweiligen Effekt. Langanhaltende positive Veränderungen für mehr als 30 bis 60 Minuten nach Beendigung des Trainings waren nicht nachzuweisen (Howe et al., 2013).

Die Beweglichkeit konnte durch Foam Rolling kurzzeitig um bis zu 15 Prozent gesteigert werden. Die Mechanismen, die dem zugrunde liegen, werden unterschiedlich interpretiert. Eine Veränderung der faszialen Gewebsstrukturen scheint nicht vorzuliegen, denn die mechanischen Reize reichen hierfür nicht aus, was sich schon vor dem „Faszien Trend“ herausstellte (Chaudry & Schleip, 2008).

Ein weiterer Erklärungsansatz ist das Argument, Foam Rolling würde das fasziale Gewebe rehydrieren, was durch diverse Studien nachgewiesen wurde. Doch auch hier zeigt sich, dass die fasziale Rehydration auch bei regulärem Stretching erfolgt (Hellmer et al., 2003). Somit lässt sich auch hier resümieren, dass dem Trainer diverse Strategien und Mittel zur Steigerung der Beweglichkeit zur Verfügung stehen.

Fazit

Der fachlich kompetente Trainer kann sich im Kontext des Beweglichkeitstrainings einer Vielzahl von Methoden bedienen. Es gilt dabei zu beachten, dass die Auswahl der Maßnahmen von diversen Überlegungen und Einflüssen abhängt. Der Zeitpunkt der Intervention (vor, während oder nach dem Training/Wettkampf), die Intensität der Maßnahme, der Ist-Zustand der Trainerenden (Leistungsstand, Verletzungshistorie, Erfahrung, derzeitiger Ermüdungszustand etc.) und das eigentliche Ziel (Vergrößerung der Bewegungsamplitude, Regenerationsförderung etc.), das mit einem Beweglichkeitstraining verbunden ist, sind nur einige Faktoren, die zur Entscheidungsfindung bedacht werden müssen.

Zur Person

Prof. Dr. Daniel Kaptain, Experte für Military Fitness, Athletiktraining und CrossFit, ist als Dozent für die Deutsche Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) sowie BSA-Akademie tätig. Zudem agiert der promovierte Sportwissenschaftler als wissenschaftlicher Leiter einer Premium-Fitnesskette und leitet das Athletiktraining mehrerer Profivereine. Seit 2002 ist er international (USA) und national als Personal Trainer aktiv.

Auszug aus der Literaturliste

Andrade, D., Henriquez-Olguín, C., Beltrán, A., Ramírez, M., Labarca, C., Cornejo, M., Álvarez, C. & Ramírez-Campillo, R. (2015). Effects of general, specific and combined warm-up on explosive muscular performance. Biology of sport 32 (2), 123 – 128.

Blazevich, A., Gill, N., Kvorning, T., Kay, A., Goh, A., Hilton, B., Drinkwater, E. & Behm, D. (2018) No effect of muscle stretching within a full, dynamic warm-up on athletic performance (Stretching during sports warm-up). Medicine and science in sports and exercise, 50 (6), 1258 – 1266.

Chaudhry H., Schleip R., Ji Z, Bukiet B., Maney M., Findley T. (2008). Three-dimensional mathematical model for deformation of human fasciae in manual therapy. The Journal of the American Osteopathic Association, 108 (8), 379 – 390.

Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte: marketing@dhfpg-bsa.de.

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