Fitness | Autor/in: Anke Sörensen |

„Für die persönliche Fitness ist jeder selbst verantwortlich“

Ohne körperliche Leistungsfähigkeit können viele Berufszweige ihre Arbeit nicht ausüben – in einer ehrenamtlichen Tätigkeit wie der Bergrettung ist Fitness darüber hinaus essenziell, weil es oft genug um Leben und Tod geht. Im 5. Teil unserer Artikelreihe 'Fitness mal anders' beschäftigen wir uns mit dem Stellenwert von Fitness und Athletik bei der Bergwacht Bayern.

Fitness mal anders: Die Bergwacht. fitness MANAGEMENT interviewt dazu David Pichler, Geschäftsführer der Bergwacht Region Chiemgau und Bergretter in Ruhpolding sowie Ausbildungsleiter der Anwärter.

fM: Welchen Stellenwert hat die körperliche Fitness und Athletik für die ehrenamtlichen Bergretter der Bergwacht Bayern?
David Pichler:
Buchstäblich spielt die körperliche Fitness bei uns eine tragende Rolle. Nur wenn es das Wetter und Einsatzbild zulassen, machen wir eine Hubschrauberrettung.

Wenn das aufgrund der örtlichen Gegebenheiten unmöglich ist, müssen die Bergretter schnell zu Fuß mit Ausrüstung und Material zum Einsatzort kommen, dort die Versorgung leisten können und noch genug Power haben, um gegebenenfalls über mehrere Stunden den Patienten mit einer Gebirgstrage vom Berg herunterzutragen oder im Winter zu fahren.

fM: Auf welchen Bereichen der körperlichen Fitness liegt der Schwerpunkt im Verlauf der Ausbildung?
David Pichler:
Das ist in unserer Prüfungsordnung genau festgelegt. Zuerst macht jeder Anwärter einen eintägigen Eignungstest, bestehend aus einem Sommer- und Winterteil für Klettern und Skifahren. Die Grundausbildung zur aktiven Einsatzkraft ist so getaktet, dass man sie gut in zwei Jahren absolvieren kann.

Die Anwärter haben Zeit, in das Thema hineinzuwachsen. Aufgeteilt ist die Basisausbildung in Sommer- und Winterthemen, weil das zwei komplett unterschiedliche Bereiche in der Rettungstechnik sind. Beide Parts enden mit einer Abschlussprüfung. Zur Ausbildung gehören auch eine Notfallmedizinausbildung und eine Naturschutzprüfung.

fM: Welche Kriterien müssen Anwärter erfüllen, um Bergretter bei der Bergwacht Bayern zu werden?
David Pichler:
Im Eignungstest wird erst die Kondition geprüft, in Form einer zweistündigen Belastung bei vierhundert Höhenmetern pro Stunde. Dann gibt es den Bereich Geländegängigkeit, also Gehen in steilem Gras, Kar (Anm. d. Red.: Kessel zwischen Steilwänden im Hochgebirge, oft mit Geröll), Sandreißen (Anm. d. Red.: geplättete Geröllfelder, loses Gestein) oder im Schrofengelände (Anm. d. Red.: steiles, felsiges Gelände mit Geröll).

Außerdem wird Klettern am Fixseil und auf einer Mehrseillängen-Route bis zum vierten Schwierigkeitsgrad geprüft. Die Prämisse ist, dass Anwärter das am Berg bereits können müssen.

Eine weitere Voraussetzung ist eine sehr gute Skitechnik. Wir können nicht vorhersehen, in welchem Gelände der Retter bei Wintereinsätzen einen Patienten abtransportieren wird.

Unsere Anwärter müssen im Wintereignungstest verschiedene Techniken vorfahren und bestehen, beispielsweise im Tiefschnee mit Zusatzgewicht im Rucksack. Im Einsatz sind ja immer die persönliche Ausrüstung und Rettungsgeräte dabei.

fM: Wie kann sich ein Anwärter gezielt auf den Eignungstest vorbereiten?
David Pichler:
Die Bergwacht ist ein relativ kleiner örtlicher Verband. Wenn ein neuer Anwärter zu mir als Ausbildungsleiter kommt, sage ich ihm, dass er frühestens in einem halben Jahr am Eignungstest teilnehmen kann. Dann schauen wir gezielt, wo noch Verbesserungsbedarf herrscht.

fM: Wie sind Fitness und Athletik strukturell, zeitlich und durch Zusatzangebote in die Ausbildung eingebunden?
David Pichler:
Körperliche Fitness ist die Grundvoraussetzung für den Bergretter. In der Ausbildung wird nicht gezielt auf die Fitness eingegangen, ein Anwärter muss sie mitbringen. Dazu haben wir keine Kapazitäten. Als Ehrenamtlicher kann ich nicht auch noch mit den Kandidaten Fitnesstraining machen oder laufen gehen.

Klar ist, dass jede Ausbildungseinheit im Gelände mit Materialtransport verbunden ist und wir beispielsweise klettern oder uns abseilen. Das ist für jemanden, der nicht viel Bergsport macht, eine große Anstrengung. Wer beim Klettern noch nicht fit ist, geht häufig mit seiner Bereitschaft trainieren, um Routine zu bekommen.

Die einzelnen Ausbildungsschritte und Übungen bieten letztendlich die Qualifikation dafür, sich selbstständig im Gelände zu bewegen.

fM: Gibt es bei der Ausbildung regionale Besonderheiten, abhängig von Geländebedingungen oder Infrastruktur?
David Pichler:
Bayernweit gibt es eine einheitliche Ausbildungs- und Prüfungsordnung, allerdings haben wir natürlich geländebedingte Besonderheiten. Im Hochgebirge, bei uns in den Berchtesgadener Alpen, im Allgäu und im Hochland sind die Aspekte Skifahren und Bergsteigen, also der Alpinismus, wichtiger für die einzelne Einsatzkraft. Im Frankenjura dagegen ist das Sportklettern der Haupteinsatzbereich, dort sind diese Fähigkeiten gefragt.

fM: Gab es in Bezug auf den Stellenwert der körperlichen Fitness und die Ausbildungsinhalte in den vergangenen Jahren wesentliche Veränderungen?
David Pichler:
Nein, jeder Bergretter braucht eine gewisse Grundkondition, damit er den Patienten überhaupt erreichen, eine qualifizierte medizinische Versorgung leisten und den Abtransport machen kann. Je nach Schwierigkeit des Geländes und Einsatzes kann es jedoch vorkommen, dass sich der Einsatzleiter wirklich nur die besten aus seiner Mannschaft auswählt. Manche Situationen erfordern einfach absolute Profis.

fM: Hat jeder Bergretter für die medizinische Versorgung eine Sanitäterausbildung oder ist immer ein Arzt dabei?
David Pichler:
Das kommt auf das Meldebild an. Grundsätzlich hat jeder Bergretter eine Grundausbildung in alpiner Notfallmedizin. Worauf es ankommt: Wir können erkennen, was dem Patienten fehlt und ihn möglichst effizient im Gelände behandeln.

Normale Einsatzkräfte dürfen allerdings keine Medikamente und Schmerzmittel verabreichen, dazu muss man Notfallsanitäter sein. Bei einem entsprechenden Meldebild wird ein Bergwachtnotarzt alarmiert, der zusätlich eine Bergrettungsausbildung hat. Dann arbeiten die Einsatzkräfte und medizinischen Spezialisten bei der Rettung Hand in Hand.

fM: Die Tätigkeit bei der Bergrettung fordert ein breites Spektrum verschiedener Disziplinen. Wie begegnen Sie dieser Herausforderung in der Praxis?
David Pichler:
Jeder Bergretter ist auch Bergsteiger. Das ist der Grundstein, auf dem die ganze weitere Ausbildung zum Bergretter fußt. Damit ist sichergestellt, dass man sich bei der Ausbildung auf die Medizin und die Rettungsteamtechniken konzentrieren kann.

Für die persönliche Fitness ist jeder im Laufe seines Werdegangs selbst verantwortlich. Es gibt keine wiederkehrenden Überprüfungen oder eine Altersgrenze nach oben, eher eine natürliche Selektion. Die älteren Kameraden sind im Einsatz meist nicht mehr an vorderster Front dabei, aber im Hintergrund als Fahrer und Funker tätig.

fM: Gibt es spezielle Angebote für Fitness und Athletik, durch die die Bergretter aktiv unterstützt werden?
David Pichler:
Die Anwärter bilden in der Regel schnell kleine Trainingsgruppen, um sich praktisch auf die Prüfungen vorzubereiten, auch Bergwacht übergreifend aus benachbarten Orten. Sie gehen gemeinsam zum Klettern und üben die Techniken.

So weit wie möglich kooperieren die örtlichen Bergwachten mit den Betreibern von Kletter- und Boulderhallen, Fitnessstudios und Skiliften in der Region. Für jede Einsatzkraft ist die sportliche Unterstützung, die man dort in Anspruch nehmen kann, auch eine Anerkennung der ehrenamtlichen Arbeit.

Das ist allerdings ausbaufähig und wir wünschen uns, dass noch etwas mehr geht.

Inhaltlich bieten wir mit der Wissensbox eine sehr gute E-Learning-Plattform mit allen Inhalten von Knotenkunde bis hin zu den kompliziertesten Seilbahnrettungsverfahren.

fM: Die mentalen Belastungen bei Einsätzen können extrem sein. In welchem Maß werden diese Aspekte bei der Ausbildung berücksichtigt?
David Pichler:
Die Bergretter werden im sogenannten Einsatzpraktikum möglichst langsam und stetig an die Belastung herangeführt. Dabei prüfen wir, inwieweit ein Anwärter der Situation in puncto Rettungstechnik und mentaler Belastung gewachsen ist. An Todesfälle muss man Bergretter langsam gewöhnen.

Im Idealfall beginnt man mit internistischen Notfällen wie einer Reanimation. Schlimm ist es, wenn es sich beim ersten Todesfall um eine abgestürzte, komplett entstellte Person handelt.

Bei der Bergwacht ist die eigenverantwortliche Selbstgefährdung ein geprägter Begriff. Obwohl immer ein Einsatzleiter die Koordination übernimmt, ist jede Einsatzkraft selbst dafür verantwortlich, wie weit sie sich in Gefahr bringen will. Wenn jemand sagt 'Stopp, das ist mir jetzt zu viel', dann ist es kein Problem.

Für denjenigen ist dann seine persönliche Grenze erreicht und er muss nicht weitermachen. Normalerweise besteht eine Standardmannschaft aus drei bis fünf Leuten, je nach Aufwand. Es kommt sehr selten vor, dass jemand während einer Rettungsaktion aussteigt.

Unsere Einsätze werden unmittelbar nachbesprochen, damit können wir die meisten Fälle gut aufarbeiten. Wenn jemand Schwierigkeiten hat, einen Einsatz zu bewältigen, spricht man auf der örtlichen Bergwachtebene darüber. Nicht jeder muss an vorderster Front mitarbeiten, mancher ist im Hintergrund besser aufgehoben.

Ich kann sehr gut reagieren, sobald ich Bescheid weiß. Wenn jemand wirklich traumatisiert ist, gibt es lokale Strukturen, um sich professionelle Hilfe zu holen, wie die Psychosoziale Notfallversorgung für Einsatzkräfte (PSNV) und die Stressbearbeitung nach belastenden Einsätzen (SbE).

Zur Person

David Pichler (33) ist seit 2009 ehrenamtlicher Bergretter. Seit 2017 ist er hauptamtlich Geschäftsführer der Bergwacht Region Chiemgau und damit für fünfzehn Bergwachten in der Region zuständig.

Ehrenamtlich arbeitet er darüber hinaus als Ausbildungsleiter und Bergretter in seiner Heimatbereitschaft Ruhpolding. Im Sommer 2020 wird der gelernte Ingenieur für Holzbau und Ausbau voraussichtlich seine Ausbildung zum Bergführer abschließen.

Die Bergwacht Bayern ist eine Unterorganisation des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) und für die Rettung Verunglückter in alpinen Einsatzbereichen und in unwegsamem Gelände zuständig.

Mit etwa 4.400 ehrenamtlichen Bergrettern leistet sie jährlich etwa 12.000 Einsätze.

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