Prof. Dr. Dr. Julia Krampitz im Interview: „Mit mehr Stärke im Kopf schaffen wir mehr Gesundheit“
Stärken Sie gezielt das Mindset Ihrer Mitglieder, um deren Gesundheit und Fitness zu verbessern. Prof. Dr. Dr. Julia Krampitz gibt wertvolle Einblicke, wie Sie durch einfaches Mentaltraining eine nachhaltige Motivation und Leistungssteigerung Ihrer Mitglieder erreichen können.
fM: Mentaltraining wird oft in die Esoterikecke geschoben. Was macht Mentaltraining aber wirklich aus?
Prof. Dr. Dr. Julia Krampitz: Bei Mentaltraining geht es darum, zu trainieren, Kontinuität und Gewohnheit in das Leben zu bringen. Zeitgleich ist die Formulierung von Zielen wichtig, denn ohne Ziel gibt es kein Mentaltraining. Oft wird mit Mentaltraining assoziiert, dass irgendwas nicht stimmt oder fehlt.
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Gerade im Spitzensport ist das häufig der Fall, wenn Sportpsychologen zum Einsatz kommen. Doch oftmals haben Personen, die proaktiv Mentaltraining in Anspruch nehmen, eine gute Basis und es geht ihnen darum, genau an diesem Potenzial weiterzuarbeiten.
Durch Corona ist das Thema „psychische Gesundheit“ enorm wichtig geworden, denn mit mehr Stärke im Kopf schaffen wir mehr Gesundheit. Das Hauptziel des Mentaltrainings ist es, sich selbst zu reflektieren, also in einen positiven Eigenzustand zu kommen.
Das Thema „Handeln“, also wann wird eine Aktion wirklich wirksam und welchen Weg muss ich gehen, um dort hinzukommen, ist ein entscheidender Aspekt. Indem ich die Ziele meiner Mitglieder kenne, kann ich Lust auf Mentaltraining machen.
Letztendlich macht aber jeder Mentaltraining. Das Durchgehen des Tages im Kopf, das Erstellen einer To-do-Liste oder automatische Dinge wie Einkaufen oder Autofahren sind eine gewisse Form des Mentaltrainings. Man baut eine Schablone für das Tun, eine Art Prüfgröße für das, was ich machen will.
Mentaltraining kann den entscheidenden Unterschied machen. Welche Gruppen können am meisten profitieren?
Zuerst sind Spitzen-, Leistungs-, aber auch Freizeitsportlerinnen und -sportler zu nennen. Sie wollen oder müssen Leistung bringen, da kann die mentale Komponente die entscheidende Stärke sein. Aber auch Schüler, Schülerinnen und Studierende profitieren stark. Die Leistungs- und Drucksituationen steigen und auch die Konzentrationsfähigkeit kann verbessert werden.
Auch die Punkte BGM und Arbeitswelt möchte ich ansprechen. Im medizinischen Bereich wird Mentales Training schon eingesetzt, um bspw. Praxisstunden zu reduzieren. Dazu kommt der Rehabereich: Aus der Rehabilitation gibt es Studien, die aufzeigen, dass die Erfolgsquote größer ist, wenn man das praktische Tun, also Rehatraining, mit Vorstellungstraining kombiniert.
Über unsere Interviewpartnerin
Nach dem Abitur absolvierte Prof. Dr. Dr. Julia Krampitz eine Ausbildung zur Fitnessfachwirtin, erwarb diverse weitere Lizenzen an der damaligen BA Akademie und bestritt darüber hinaus sowohl eine Ausbildung zur Diplom-Fitnessökonomin als auch einen Bachelor in Ernährungsberatung sowie einen zusätzlichen Master. Praktische Erfahrung sammelte sie u. a. durch ihre langjährige Tätigkeit in einem ambulanten Rehazentrum in Niedersachsen, in dem sie auch mit Profisportlern des Landeskaders arbeitete.
Seit vielen Jahren ist sie neben ihrer Tätigkeit als Dozentin der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) und BSA-Akademie als Coach, Supervisorin, Beraterin für sportpsychologisches Training und Ernährungsberaterin aktiv. Parallel dazu promovierte sie in den Bereichen Public Health sowie Psychologie und ist aktuell für einen weiteren Master im Bereich Coaching und Supervision eingeschrieben.
Das ist auch im Spitzensport ein großes Thema: Wenn der Körper Signale gesendet hat oder Verletzungen stattgefunden haben, wird dafür gesorgt, ebenso den Kopf wieder stark zu machen. Das lässt sich auch auf das Alter und die Arbeit mit Senioren übertragen.
Wenn vieles nicht mehr so richtig geht oder schwerer fällt, kann man mit den Komponenten des Mentaltrainings unterstützen. Aber einem muss auch bewusst sein: Mentaltraining ist nicht für jeden etwas.
Inwieweit sind Equipment und Räumlichkeiten erforderlich und worauf sollte dabei geachtet werden?
Erstmal muss ich differenzieren, ob und wie ich jemanden in den Prozess des Mentaltrainings begleiten möchte: Kann die Person schon damit umgehen oder möchte ich jemanden erstmal dafür begeistern, mental zu trainieren? Ist Letzteres der Fall, müssen die ersten Schritte gezeigt werden.
Es geht dabei um Vorstellungstraining und Visualisierung mit kleinen Tools und Tricks. Dabei ist es sehr sinnvoll, Räumlichkeiten zu haben, die ruhig sind. Es sollte eine angenehme Wohlfühlatmosphäre herrschen und ggf. kann dafür mit Licht gespielt werden. Unser Gehirn braucht immer eine wohlige Atmosphäre, um zu lernen.
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Wenn ich viele Reize von außen – wie sie auf der Trainingsfläche vorkommen – wegnehme, ist es viel leichter, einzusteigen. Wenn jemand anfängt, das Mentaltraining zu beherrschen und Techniken sehr schnell und leicht abrufen kann, was ja auch z. B. im Wettkampf später das Ziel ist, ist die Atmosphäre vielleicht nicht mehr so bedeutsam, weil die Trainierenden es ausblenden können.
Aber bis dahin sind eigene Räumlichkeiten schon sehr wichtig. Das Ganze geht aber auch sehr gut in der Natur. Wenn ich im Studio keine Möglichkeiten habe, kann ich mit den Klienten nach draußen gehen.
Weitere Hintergründe
Lesen Sie außerdem unseren Artikel 'Mentaltraining' als Einstieg zu den Interviews.
Indem Sie auf das Bild oberhalb dieses Textes klicken, gelangen Sie direkt zum Artikel.
Auch Equipment ist beim Mentaltraining nicht so abwegig, wie es im ersten Moment klingt. Alles, was zum Entspannen hilft, kann eingesetzt werden. Weitergedacht sind das aber auch Apps, Software und Künstliche Intelligenz. Beispielsweise können mit VR-Brillen Wettkampfsituationen besser nachempfunden werden oder Equipment für Neuro- und Biofeedback kann zum Einsatz kommen.
Zeitgleich bin ich aber auch ein Fan von „back to the roots“, also aus wenig Material viel rauszuholen. Mache ich mich zu sehr von Tools abhängig, vertraue ich nicht mehr auf das eigene Können. Aber genau das wollen wir den Menschen ja beibringen.
Insbesondere im Mentaltraining ist die Komponente Mensch eine entscheidende Rolle. Worauf kommt es genau an?
Man beschreibt das mit der „Coaching-Haltung“: Der Coach bzw. Begleiter muss echtes Interesse und Lust auf Menschen haben. Er sollte eine gewisse Offenheit mitbringen und auch Empathie und Wertschätzung sind entscheidend.
Letztendlich kommt es in den Sessions und im Studioalltag darauf an, den Mitgliedern wertfrei zu begegnen, d. h. das Gegenüber mit allen Ideen und Ideologien so anzunehmen, wie es ist. Dieses Wertfreie ist das Schwierigste, denn das Gehirn macht sich immer ein Bild und versucht bestehende Erfahrungen permanent einzubringen.
Davon muss man sich in den Coaching-Situationen frei machen. Dabei fällt es natürlich leichter, Sympathien aufzubauen, wenn ähnliche Ideen vorhanden sind und sich Wertvorstellungen decken. Zeitgleich ist es schwieriger, je unterschiedlicher man ist.
Daher ist unabhängig von der fachlichen Kompetenz und Spezialausbildungen besonders der Punkt Kommunikationsfähigkeit zu betonen. Studien belegen beispielsweise, dass die Erfahrung kaum eine Rolle dafür spielt, wie erfolgreich ein Coach ist. Tatsächlich ist die Beziehung zum Klient oder zur Klientin elementar.
Neben den Soft Skills kommt es auch auf fachliche Kompetenzen an. Worauf sollte hier speziell geachtet werden?
Oft ist die „Trainerschiene“ der erste Zugang. Daher sollten ein Bezug zum Sport und die notwendigen Grundkompetenzen vorhanden sein. Manchmal hilft es, wenn ich nicht nur die Rolle des Coaches, sondern auch die Rolle der Trainerin einnehmen kann.
Aber ich muss die Situationen klar trennen, denn als Trainerin biete ich Lösungen an, aber als Mental Coach mache ich etwas anderes. Ich begleite Menschen und zeige ihnen, wie sie Potenziale entfalten können, aber wohin sie wollen, gebe ich nicht vor.
Aus- und Fortbildungen für die Themen „Kommunikation“ und „Didaktik“, also pädagogische Grundlagen, sind sehr wichtig. Hinzu kommen psychologische Grundlagen wie sportpsychologische Ausbildungen. Um die ganzen Punkte zu vereinen, gibt es spezielle Mentaltrainingslizenzen.
Entscheidend ist auch immer die Frage, für welche Handlungsfelder ich meinen Klienten ein Coaching anbiete. Egal ob Wettkampfsport, Stressmanagement oder BGM – es lohnt sich, einen Blick auf diese Themen zu werfen und sich weiterzubilden. Je breiter mein Angebot ist, desto mehr Menschen kann ich begleiten.
Habe ich ein Verständnis von Gesundheitsmanagement in Unternehmen und verstehe den Aufbau von Organisationen, weiß ich, wie man in diesem Setting Menschen dazu einladen kann, gesünder zu arbeiten und mit Belastungen anders umzugehen. Denn an allem, was in der „Werkzeugkiste des Coachings“ liegt, kann ich mich bedienen: Verhaltenspsychologie, Gestaltungspsychologie oder Selbstmanagement.
Es geht darum, die richtigen Werkzeuge zu greifen und so einzusetzen, dass ich meine Klienten zu gesünderen Menschen mache und dass sie ihre Leistungen voll entfalten oder Ziele erreichen können.
Wie sollte das Angebot am besten transportiert werden, um etwaige Vorurteile direkt auszuräumen?
Im Marketing geht es vor allem um die Formulierungen. Manchmal hilft es, den Namen „Mentaltraining“ erst hinterher draufzulabeln. So habe ich es früher auch im Yoga gemacht: Wenn es um Kurse ging, habe ich ein Klammertraining gemacht, also am Anfang und Ende der Einheit etwas Yoga eingebunden.
Ich mache das Training also erst erlebbar, bevor ich den vielleicht vorurteilsbehafteten Namen nenne. Es können auch Kombiangebote für Bereiche erstellt werden, in denen Mentaltraining besonders nützlich ist. So kann im Rehatraining ein Mental Coach zur Seite stehen oder im BGM können Tools zur Stressreduktion und Resilienz angeboten werden.
Sind auch Angebote außerhalb von Personal Trainings möglich und wie können diese am besten gestaltet werden?
Workshops sind immer ein guter Einstieg, um Lust auf etwas zu machen. Wer sich dafür anmeldet, ist schon offen für Mentaltraining. In der Gruppe können dann auch Techniken vermittelt werden, die im Tandem ausprobiert werden.
Auch wenn mit Mannschaften gearbeitet wird, bietet sich manchmal eine Gruppensession an. Aber auch da muss einem bewusst sein, dass man nicht immer alle gleich erreichen kann. Im Verletzungsmanagement wird Mentaltraining häufig eingesetzt – da funktioniert eine Eins-zu-eins-Einheit oft besser.
In den Gesprächen und Einheiten ist das Team unter Umständen mit Situationen konfrontiert, die einen länger beschäftigen. Wie können Teammitglieder damit umgehen?
Fallbesprechungen können helfen, Dinge loszulassen. Insbesondere sind aber Selbstfürsorge und Routinen wichtig. Wie überall muss man lernen, Arbeit auch Arbeit sein zu lassen. Manchmal kann aus Gesprächen auch etwas Positives mitgenommen werden, es muss also nicht immer negativ sein.
Wenn Themen nachschwingen, liegt es oft daran, dass man gewisse Situationen selbst schon erlebt hat. Da gilt es, aufzupassen und sich abzugrenzen, um sich nicht in die eigene Erfahrungswelt reinziehen zu lassen – insbesondere, da ich meinen Klienten neutral und wertfrei begegnen will und muss.
Wenn ich merke, dass es für meinen eigenen Akku nicht gut ist, muss ich mir Routinen überlegen, wie ich es schaffe, die Arbeit langsam ausklingen zu lassen. Viele meiner Klienten nutzen Kleidung, d. h. mit dem Umziehen ändert sich die Arbeitswelt in die Private.
Zeitgleich bedeutet Mentaltraining zu lehren auch selbst mental zu trainieren. Yoga, an die frische Luft gehen oder Atem- und Entspannungstechniken laden den Akku auf und ich kann Gedanken ziehen lassen. Aber zum Vorbild sein gehört auch dazu, zu akzeptieren, wenn ein Tag nicht so gut läuft, denn das ist menschlich.
Welche Tipps können Sie noch mitgeben, um mit mentalen Trainingsangeboten auch die psychische Gesundheit optimal zu stärken?
Den Mut besitzen, ein solches Angebot zu testen, und auch Mut haben, damit eventuell auf die Nase zu fallen. Nicht jede Methode muss bis zum Ende durchgeführt werden, wenn man merkt, dass es nicht funktioniert. Dazu zählt auch, Dinge zu verändern, kreativ zu sein und auch mal auf die Intuition zu hören, anstelle immer nur strikt dem Gelernten zu folgen.
Gerade wenn Methoden und Tools nicht funktionieren, ist es wichtig, Feedback nicht als persönliche Kränkung zu verstehen, sondern auch damit mutig umzugehen und zu sagen: „Das ist ein wertvoller Hinweis, der in meine Handlungsweisen einfließen darf.“ Man muss nicht allen gefallen, auch wenn es manchmal das innere Bedürfnis ist.
Diesen und weitere Artikel finden Sie in der fMi 05/2024 & für Abonnenten EXKLUSIV vorab.
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