Die Kniebeuge – eine Königsübung … aber für wen?
Die klassische Kniebeuge hat eine Art Renaissance durchlaufen und gehört mittlerweile wieder zum Standardrepertoire im Fitnesstraining. Dies ist Fluch und Segen zugleich …
Generell muss man festhalten, dass eine Übung, korrekt dosiert und ausgeführt, selten problematisch ist. Eine Diskussion, ob „gut“ oder „schlecht“ bzw. „besser“ oder „schlechter“, ist hinfällig, wenn man nicht die Hintergründe bzw. vielmehr die Zielsetzung und Fähigkeiten der Person, die eben eine solche Übung vollzieht, kennt.
In folgender Serie werden diverse Übungen unter diesem Gesichtspunkt neutral analysiert.
1. Was wird durch die Kniebeuge trainiert?
Bei der vollständig möglichen und korrekt ausgeführten Bewegungsamplitude und einem ausreichenden Gewicht (theoretisch 30 % 1 RM) werden die motorischen Fähigkeiten
- Kraft
- Koordination
- Beweglichkeit
primär gefordert und trainiert; bei einer zügigen Ausführung relativ gesehen auch die motorische Fähigkeit „Schnelligkeit“ und bei langen Belastungszeiten (> 120 Sek.) die „Ausdauerleistung“. Letztere wird auch dann erreicht, wenn die Herzfrequenz eine Höhe von > 60 % der HFmax überschreitet. Das legendäre Tabata-Protokoll hat sich eben dieser Komplexität und Intensität bedient und alle Fähigkeiten gemeinsam abverlangt.
Exkurs: Tabata (original)
Kniebeugen mit 30 % 1 RM; 20 Sekunden maximale Wiederholungen, 10 Sekunden Pause, 8 Runden (= 4 Minuten Belastungszeit). Diese Trainingsform wurde für Hochleistungssportler konzipiert und ist eben auch nur für einen solchen Leistungslevel vertretbar.
Man erkennt also, dass „alles“ mit dieser Übung trainiert wird. Dies kann man erstmal als Vorteil verbuchen. Da Training jedoch immer möglichst spezifisch sein sollte, kann durch diese Diversität jedoch nie ein Fokus maximal herausgearbeitet werden. Noch deutlicher muss der Aspekt der Herausforderung für den Trainierenden angesehen werden – die Vorteile sind immer nur dann gegeben, wenn der Trainierende diese motorischen Fähigkeiten beherrscht. Als Trainer muss man sicherstellen, dass der Sportler diese Fähigkeiten besitzt. Andernfalls ist es Aufgabe, diese Fähigkeiten anzueignen. Erst dann ist ein Training möglich und sinnvoll.
2. Welche Körperregionen/Gelenke werden belastet?
Die Kniebeuge wird auch deshalb als Grundübung bezeichnet, weil nahezu alle Gelenke – und damit Körperpartien – involviert sind.
Auch dies ist von Vorteil, da durch eine solche Grundübung der ganze Körper trainiert wird – und „funktionieren“ muss. Ist Letztgenanntes nicht der Fall bzw. nicht voll gegeben, sind Belastungen (trainingswirksamer Reiz) kritisch zu betrachten, da eben alle Strukturen beansprucht werden, die insgesamt auch nur so belastbar sind wie der schwächste Part (sog. weak-link).
Im Genaueren betrachtet, werden folgende Gelenke beansprucht (konzentrische Phase):
Die obige Tabelle zeigt die umfassende Anzahl der beanspruchten Gelenke und anzusteuernden Muskeln.
Anm.: Genannt wurden nur die „primären“ Muskeln, die während der konzentrischen Phase arbeiten. Bezogen auf die untere Extremität werden diese Muskeln ebenfalls aktiviert, hier ist die primäre Muskelarbeit exzentrisch.
In welchen Kniegelenkwinkeln wird welcher Bereich des Kniegelenks beansprucht?
Modifiziert nach Swanson (2012)
Die dargestellte Tabelle verdeutlicht, dass in jedem Kniebeugewinkel eine Strukturbelastung vorliegt. Ob diese zu tolerieren ist, liegt neben der Intensität (Gewichtslast) an der Belastbarkeit eben dieser Struktur.
Aufgabe des Trainers ist es demnach, zu klären bzw. sicherzustellen, dass der Trainierende belastbar ist, oder aber eine entsprechende Übungsvariation auszuwählen.
In Teil 2 der Serie werden eben solche Übungsvarianten und die Trainingsstrategien zum Heranführen an die Kniebeuge mit Last vorgestellt und thematisiert.
Prof. Dr. Daniel Kaptain
Prof. Dr. Daniel Kaptain ist u. a. Dozent an der DHfPG und der BSA-Akademie. Von 2010 bis 2013 promovierte er im Fachbereich Sportwissenschaften. Darüber hinaus ist er Experte für Konditions- und Athletiktraining sowie ausgebildeter Trainingstherapeut.
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