Fitness, Management, Markt | Autor/in: Jürgen Wolff |

Sarah Staut (DHfPG/BSA): „Klar kommunizieren, was man wirklich kann“

Ein durchdachtes BGM-Konzept basiert auf den Erfolgsfaktoren Partizipation, Integration, Projektmanagement und Ganzheitlichkeit. Sarah Staut geht in ihrer Definition noch darüber hinaus und erläutert, wie wichtig auch Kommunikation und Motivation von Seiten der Führung sind.

BGM – Interview mit Sarah Staut, wissenschaftliche Mitarbeiterin der DHfPG

fM: Wie haben sich BGM-Angebote und -Konzepte auf der einen sowie der Bedarf an BGM auf der anderen Seite in den vergangenen Jahren aus Ihrer Sicht entwickelt?

Sarah Staut: Bereits 2017 gab es einen Boom an digitalen BGM-Maßnahmen, das konnte man auf den BGM-Messen beobachten. Damals waren es z. B. digitale Plattformen, über die Mitarbeiter BGM-Maßnahmen buchen konnten, weitere Tools zur BGM-Steuerung, Apps zur Verhaltensprävention oder für digitale Challenges.

Durch die Corona-Pandemie hat BGM einen enormen Digitalisierungsschub bekommen. Digitale BGM-Maßnahmen sind  wieder stark in den Fokus gerückt, weil man auch die Mitarbeiter im Homeoffice erreichen wollte. Die Themen 'Ergonomie im Homeoffice' und 'Psychosoziale Gesundheit im Homeoffice' haben deshalb eine zunehmend größere Rolle gespielt. Darüber hinaus wurden für viele bestehende BGM-Maßnahmen digitale Alternativen entwickelt.


 


 

 

Was zeichnet für Sie ein erfolgreiches BGM-Konzept aus? Was sind für Sie Erfolgsfaktoren auf der einen sowie hemmende Faktoren auf der anderen Seite?

In der Luxemburger Deklaration1 wurden die vier Erfolgsfaktoren Partizipation, Integration, Projektmanagement und Ganzheitlichkeit definiert, die ich kurz aufgreifen möchte. Darüber hinaus würde ich aber noch ein paar andere nennen.

Partizipation bedeutet, dass man die Beschäftigten der Firmen immer involvieren und integrieren sollte, damit sie „abgeholt“ werden. Sie sollten bei Entscheidungen mitbestimmen dürfen oder bei Mitarbeiterbefragungen mitmachen und so erkennen, welche Vorteile BGM bringt.

Integration meint, dass das Thema Gesundheit in alle wichtigen Unternehmensentscheidungen von vornherein integriert
werden sollte. Es sollte immer geprüft werden, welche Auswirkungen diese Entscheidung auf die Mitarbeitergesundheit oder das BGM haben könnte.

Projektmanagement bedeutet, dass für das BGM ein bedarfsorientierter Projektplan aufgestellt wird, der z. B. durch einen Plan-Do-Check-Act-Zyklus permanent evaluiert und gegebenenfalls optimiert wird. BGM kostet Geld und wenn man schon Geld in die Hand nimmt, dann sollte man es gleich richtigmachen: bedarfsorientiert. Wie ist der Krankenstand? Wie motiviert sind die Mitarbeiter? Wie hoch ist die Fluktuation? Welche Belastungen gibt es? Weitere Faktoren, auf denen das Projektmanagement basieren sollte, sind Unternehmensdaten, vielleicht Analysedaten, eine Unternehmensbegehung und eine Mitarbeiterbefragung. Es müssen adäquate BGM-Maßnahmen ermittelt werden, deren Effektivität regelmäßig überprüft wird. Bei Bedarf müssen Anpassungen an den Maßnahmen vorgenommen werden.

Ganzheitlichkeit beschreibt die Kombination aus Verhaltens- und Verhältnisprävention. Verhaltensorientierte Maßnahmen vermitteln den Mitarbeitenden Gesundheitskompetenzen, damit sie selbst in der Lage sind, gesundheitsförderlich zu leben und zu arbeiten. Verhältnisprävention heißt, dass auch an den Rahmenbedingungen angesetzt werden muss, zum Beispiel ergonomische Anpassung oder gesunde Schichtmodelle. Es sollen Rahmenbedingungen geschaffen werden, durch die gesundheitsförderliches Arbeiten möglich ist.


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Für den Erfolg eines BGMs ist wichtig, dass es als Führungsaufgabe verstanden wird. Das Thema BGM muss auf allen Ebenen eines Unternehmens gestreut werden. Führungskräfte müssen kommunizieren und motivieren und sie müssen – sofern BGM-Maßnahmen während der Arbeitszeit stattfinden dürfen – Verständnis dafür haben, dass Beschäftigte eine gewissen Zeit dafür unterwegs sind. Deswegen müssen insbesondere Führungskräfte „abgeholt“ und von Beginn an in die BGM-Gestaltung eingebunden werden. Am besten gelingt das in einer separaten Führungskräfteschulung, in der gezeigt wird, warum BGM so wichtig ist und welchen Mehrwert das Unternehmen gewinnt.

Kommunikation und Motivation sind für ein erfolgreiches BGM unabdingbar. Unternehmensangehörige aller Hierarchieebenen müssen wissen, welche Maßnahmen derzeit angeboten werden. Bei der Motivation können auch digitale Medien helfen, zum Beispiel in Form von Challenges mit einer App. Wichtig sind niedrigschwellige Angebote, damit die Mitarbeiter keine Hürde sehen oder Angst haben, an Maßnahmen teilzunehmen. Ähnlich wie für Studios ist es für Unternehmen und BGM-Dienstleister wichtig, dass gerade die Leute teilnehmen, die am wenigsten sportaffin sind und es am nötigsten haben.

Zu den hemmenden Faktoren gehören fehlende zeitliche und personelle Ressourcen. Es gibt immer noch Entscheider, die denken, Gesundheit ist etwas, um das sich Mitarbeitende in ihrer Freizeit kümmern sollen. Das Tagesgeschäft hat einfach Vorrang und man hat keine personellen Kapazitäten oder auch keine finanziellen Mittel, um das BGM voranzutreiben. Vielfach fehlt auch das Wissen für die Umsetzung oder das Verständnis dafür, warum man BGM umsetzen sollte. Hier können BGM-Anbieter mit einem nachhaltigen Konzept gute Aufklärungsarbeit leisten.

Fehlendes Wissen hinsichtlich der finanziellen Unterstützung ist ein weiterer Hemmschuh. Das Präventionsgesetz regelt ganz klar, dass Krankenkassen in Betriebliche Gesundheitsförderung investieren müssen, aber das ist vielen nicht bekannt.

Unsystematisches Vorgehen gefährdet auch den Erfolg des BGMs. Es scheitert dann daran, dass man nicht bedarfsorientiert vorgeht, sondern einfach mal so ein paar Maßnahmen macht und sich dann wundert, warum diese von Beschäftigten nicht genutzt werden.

Wie gehen Fitness- und Gesundheitsstudios als BGM-Anbieter erfolgreich auf Unternehmen zu?

Im Endeffekt ist es wichtig, dass man mit Kompetenz überzeugt, unabhängig davon, ob es sich um KMUs oder Großunternehmen handelt. Wenn Studios den Mehrwert ihrer BGM-Dienstleistung, den sie den Firmen als Gesundheitsunternehmen bieten wollen, in Gesprächen darstellen, dann geht das nur über die Fach- und Methodenkompetenzen des Teams – also von Betreibern und Trainern. Was kann das Team leisten? Kann ich im Unternehmen oder auch im Studio Kurse umsetzen? Kann mein Team darüber hinaus zum Beispiel Gesundheitszirkel leiten, Arbeitsplatzanalysen oder Rückencoachings durchführen? Können wir fachlichen Input liefern und auch Praxiseinheiten durchführen?

Referenzen sind natürlich äußerst hilfreich. Wenn Betreiber Firmen überzeugen möchten, sollten sie möglichen Kunden zeigen, wo sie dieselben Maßnahmen schon umgesetzt haben. Für Studios ist es wichtig, dass sie sich als Gesundheitsdienstleister positionieren, sich gut verkaufen, indem sie ihre Qualitäten gut präsentieren und einen professionellen Eindruck hinterlassen. Es geht darum, klar zu kommunizieren, was man wirklich kann. Qualifikationen, Ausbildungen oder abgeschlossene Studiengänge sind dabei entscheidend – vor allem auch im Hinblick darauf, wo sie absolviert wurden.

Welche Bedeutung hat Ihrer Erfahrung nach die Qualifikation von Mitarbeitern für eine produktive und gewinnbringende Umsetzung eines BGMs – in Unternehmen auf der einen sowie für Studios auf der anderen Seite?

Für ein Unternehmen ist es ganz wichtig, dass die Mitarbeiter geschult werden und Gesundheitskompetenzen erwerben. Ein BGM kann nicht nur von außen koordiniert und geleitet werden. Damit bedarfsorientiert vorgegangen werden kann, muss das BGM auch von innen gesteuert werden. Dafür muss in einem Unternehmen Gesundheitskompetenz aufgebaut werden. Mitarbeiter, die für das BGM verantwortlich sind, sollten so qualifiziert werden, dass sie wissen, wie BGM erfolgreich umgesetzt wird. Firmeninterne Gesundheitsmanager müssen in der Lage sein, das Thema Gesundheit in Managementstrukturen zu verankern und das BGM mit anderen Unternehmensbereichen zu vernetzen. So können sie sicherstellen, dass bei allen wichtigen Unternehmensentscheidungen auch immer die ganzheitliche, gesundheitliche Perspektive berücksichtigt wird.


 


Studios sollten für ihre BGM-Teams z. B. im Bereich Präventionssport und in den klassischen Handlungsfeldern Bewegung, Ernährung und Stress sowie in weiteren Bereichen, in denen sie BGM-Maßnahmen anbieten, Qualifikation nachweisen können – sowohl im Bereich der Verhaltensprävention, also bei der Umsetzung von praktischen Maßnahmen, als auch im Bereich der Verhältnisprävention, wenn man also Arbeitsplatzbegehungen vornimmt, das Thema 'Gesund Führen' im Unternehmen ausrollt oder auch Workshops und Vorträge hält. Für Betreiber ist es essenziell, dass sie diese Qualifikation nachweisen können, wenn sie sich präsentieren oder sich vorstellen. Die Auftraggeber müssen wissen, dass die Mitarbeiter des Studios z. B. die Methoden der Ergonomieanalyse kennen und durchführen können.

Darüber hinaus sollte auch explizit Wissen im Bereich Firmenfitness vorhanden sein. Es reicht nicht aus, nur in der Umsetzung von Maßnahmen fit zu sein. Firmenfitness ist quasi die Schnittstelle zwischen Unternehmen und Fitnessstudio. Mitarbeitende, die bei der Umsetzung von BGM mitwirken, müssen Verwaltungstätigkeiten durchführen können, also z. B. die Verträge zwischen Unternehmen und Fitnessstudio gestalten können.

Als Studiobetreiber oder als Mitarbeiter in einem BGM-Team braucht man weitere Schlüsselqualifikationen. Man muss sehr gut kommunizieren und die Beschäftigten der Firmen motivieren können. Je besser das Team ausgebildet ist, desto erfolgreicher können Studios BGM gestalten.

In welche Richtung werden sich die Anforderungen an und Voraussetzungen für ein erfolgreiches BGM Ihrer Einschätzung nach in den kommenden Jahren entwickeln?

Homeoffice wird nicht mehr wegzudenken sein. Viele haben sich daran gewöhnt und möchten es auch beibehalten. Deswegen ist Homeoffice ein ganz wichtiges Handlungsfeld, in dem BGM-Berater fit sein müssen. Ergonomieanalysen könnten z. B. für Mitarbeitende im Homeoffice digital über eine Kamera durchgeführt werden, weil die Berater ja nicht jeden zuhause besuchen können. Unternehmen werden sich damit auseinandersetzen müssen, ergonomische Arbeitsmittel zur Verfügung zu stellen, wie z. B. einen zweiten Bildschirm oder höhenverstellbare Schreibtische. Für alle Bereiche der Verhältnisprävention werden sich die Anforderungen weiter verändern. Das sind aber Veränderungen, die nicht nur im Homeoffice relevant sind, sondern auch generell in den Büros.

Es wird mehr in den Fokus rücken, wie die Beschäftigten arbeiten wollen, d. h. sie können mitentscheiden oder sich aussuchen, wo sie arbeiten – in einem Einzelbüro oder daheim im Homeoffice, um nicht gestört zu werden, oder z. B. im Bereich Projektmanagement mit mehreren Kollegen in einem offenen Bereich, vielleicht mit vielen Pflanzen, um die Kreativität anzuregen. Immer mehr Unternehmen schaffen Ruhe- und Rückzugsbereiche oder auch Arbeitsplätze an der frischen Luft. Feste Arbeitsplätze werden vermutlich zukünftig kein Standard mehr sein.

'New Work' wird im Bereich BGM auf jeden Fall immer größer werden. Dazu gehört, dass Unternehmen ihren Mitarbeitenden einfach zeigen: 'Ihr seid uns wichtig. Wir wollen euch Handlungsspielraum dabei lassen, wie ihr wann wo arbeitet'. Das muss von Unternehmen in der immer mehr in den Vordergrund rückenden Arbeitswelt 4.0, in der alles immer vernetzter und schnelllebiger wird, als Signal kommen. In vielen Branchen herrscht heute ein Fachkräftemangel, sodass die Firmen um die Talente kämpfen müssen, deswegen ist es für Unternehmen unabdingbar, BGM-Maßnahmen anzubieten, um sich von der Konkurrenz abzuheben.

Ein Thema, das im BGM immer mehr Bedeutung bekommt, ist die psychosoziale Gesundheitsförderung. Die Isolation durch Corona und Homeoffice, aber auch Existenzängste, führten zu psychischen Erkrankungen, wie beispielsweise Depressionen. Viele Unternehmen nehmen inzwischen Employee Assistance Programme (EAP) durch externe Unternehmen mit ins Boot, um diesem Phänomen zu begegnen.

Welche Tipps haben Sie für Studiobetreiber, die in naher Zukunft in den Bereich BGM investieren wollen?

Als Studio, das BGM-Maßnahmen anbieten möchte, verkauft man sein Know-how – wir besitzen die Expertise. Wenn Sie BGM als Geschäftsfeld aufbauen wollen, investieren Sie in Know-how. Entscheidend ist, dass die Studiomitarbeiter in ihrem Job gut sind, Fachkompetenz, Methodenkompetenz, aber auch Sozialkompetenz besitzen, dass sie die Beschäftigten der Firmen mitreißen und motivieren können, an den BGM-Maßnahmen teilzunehmen.

Unter Corona-Bedingungen ist es wichtiger denn je, auch technisch und digital immer up to date zu sein. Viele BGM-Maßnahmen müssen heute über digitale Tools laufen. Corona hat diese Entwicklung beschleunigt und es wurde viel gemacht. Diese Tools werden bleiben und in Zukunft weiter bedeutsam sein. Für Studios stellt sich die Frage, ob man unbedingt etwas Eigenes macht oder eher mit anderen kooperiert und gemeinsam digitale Angebote entwickelt. So könnte Geld gespart und Know-how gebündelt werden.


1 Die Luxemburger Deklaration zur Betrieblichen Gesundheitsförderung in der Europäischen Union ist eine Erklärung der Mitglieder des Europäischen Netzwerkes für betriebliche Gesundheitsförderung, die 1997 anlässlich eines Treffens in Luxemburg zur Bestimmung der Ziele und Inhalte der Betrieblichen Gesundheitsförderung verabschiedet und 2005, 2007 sowie 2014 aktualisiert wurde. (Quellen: www.dnbgf.de; www.haufe.de)


Über die Interviewpartnerin

Sarah Staut, Jahrgang 1993, schloss 2016 den Master Studiengang Prävention und Gesundheitsmanagement ab. Seit 2017 ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Deutschen Hochschule für Prävention undGesundheitsmanagement (DHfPG) sowie an der BSA-Akademie tätig. Als Tutorin, Fachautorin und Dozentinliegen ihre Arbeitsschwerpunkte im Bereich des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM). Praktische Erfahrungen sammelte sie in namhaften Unternehmen, wie z. B. Continental, u. a. in den Bereichen Betriebliches Eingliederungsmanagement und psychische Gefährdungsbeurteilung sowie bei der Planung, Umsetzung und Evaluation betrieblicher Gesundheitsprogramme. Sarah Staut ist Projektleiterin der Regionalgruppe Südwest des Bundesverbandes BGM (BBGM).


Diesen und weitere Artikel finden Sie in der fMi 05/2021 & für Abonnenten EXKLUSIV vorab.

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