Digital, Management, Markt | Autor/in: Nicolai Rolli |

Umdenken im Rahmen der Unternehmensführung

Wir befinden uns mitten in einem Wandel. Schon mehrfach haben sich in der Geschichte der Menschheit gerade in Zeiten des Umbruchs neue Weltsichten und Denkweisen entwickelt. Wir können den aktuellen Wandel und die Krise als Chance sowie als Einladung verstehen, unsere Sicht in Bezug auf die eigene Unternehmensführung zu überdenken. Wie dabei der Reinventing-Organizations-Ansatz von Management-Vordenker Frédéric Laloux weiterhelfen kann, erfahren Sie in diesem Kommentar.

Change Management: 'Reinventing-Organizations' liefert Input für einen Wandel in der Unternehmensführung

Mit Betreibern aus dem Fitness- und Gesundheitsbereich habe ich in den letzten Wochen viele persönliche Gespräche geführt. Durch diese Gespräche wurde deutlich, welche Auswirkungen die Corona-Krise voraussichtlich auf unsere Branche haben wird bzw. bereits hatte.

Eine zentrale Frage dabei war, ob die coronabedingten Veränderungen zu einem dauerhaften Bestandteil unseres Geschäftsmodells werden.

Bestehende Prozesse hinterfragen

Einige Betreiber sehen in der Krise eine Chance, das eigene Unternehmen weiterzuentwickeln. Nach dem ersten Lockdown wurde vieles auf den Prüfstand gestellt und teilweise neu 'gedacht'.

Auf einmal bot sich uns ein strategisches Fenster, um von unseren Mitgliedern eine verbindliche Online-Kurs- oder Trainingsanmeldung einzufordern. Die behördlich vorgegebenen maximalen Flächenauslastungszahlen und das damit verbundene geringere Infektionsrisiko für unsere Mitglieder konnten durch ein solches Online-Anmeldeverhalten effektiv organisiert werden – den zweiten Lockdown konnten wir dennoch nicht verhindern.

Die Digitalisierung der Trainingsbetreuung bietet Betreibern während und auch nach der Krise viele Vorteile, u. a. Peak-Zeiten-Steuerung, Trainer-Einsatzplanung, Kursauslastungskontrolle usw.

In Zeiten, in denen u. a. reservierte Timeslots und Online-Buchungen von Terminen branchenübergreifend bereits zum 'New Normal' gehören, muss man sich selbst organisieren und kann eben nicht mehr spontan jede Einrichtung besuchen.

Betreiber berichten, dass sich ältere Menschen nach der ersten Wiedereröffnung der Studios extra ein Smartphone zugelegt haben, um die Studio-App zur Buchung ihres Trainings nutzen zu können. Wenn wir die Perspektive wechseln, ergeben sich daraus neue Chancen für jedes Unternehmen und für die gesamte Branche.

Willkommen in der VUKA-Welt

Durch die Corona-Pandemie wird uns allen aufgezeigt, dass ein 'kleines' Virus einen großen Einfluss auf alle Lebensbereiche haben kann. VUKA (engl.: VUCA) beschreibt eine solche Welt, wie wir sie gerade erleben – es gilt, zu akzeptieren, dass es Umstände gibt, die nicht vorhersehbar bzw. veränderbar sind und die vom einen auf den anderen Tag zu großen Veränderungen gerade auch im Geschäftsleben führen können.

Die VUKA-(Arbeits-)Welt wird wie folgt definiert:

V = Volatilität

Angenommen im Januar 2020 hätte jemand zu Ihnen gesagt, dass zwei Monate später alle Geschäfte, Restaurants und v. a. alle Fitness- und Gesundheitseinrichtungen für einige Zeit behördlich verordnet schließen müssen und wir ca. acht Monate später erneut vor einer ähnlichen Situation stehen – hätten Sie das geglaubt?

Das hört sich doch eher nach einem Blockbuster von Steven Spielberg an als nach der Realität, die wir bisher kannten. Volatilität beschreibt die schnelle Veränderungsrate der Welt, in der wir leben – die Welt dreht sich redensartlich immer schneller und der Wandel ist immer dynamischer.

Der nächste Trend, der unseren Markt verändern kann, 'sitzt' bestimmt schon irgendwo in den Startlöchern.

U = Unsicherheit

Wie häufig haben wir in den letzten Monaten von angeblich streng geheimen, aber natürlich 'sehr verlässlichen' Informationen von höchster politischer Ebene bzgl. des weiteren politischen Vorgehens (z. B. Zeitpunkt der Studioöffnungen) gehört?

Die virale Verbreitung von (Fake-)Informationen befeuert unsere Sehnsucht nach mehr Sicherheit und Vorhersehbarkeit. Vielleicht entwickeln zwei Abiturienten gerade in Köln-Nippes in der Garage des Vaters eine Schlankheitspille, die dazu führt, dass Menschen zukünftig nicht mehr in Studios zum Training kommen müssen, um abzunehmen – wir wissen es nicht.

K = Komplexität

Im Vietnamkrieg entstand der Begriff 'Clusterfuck' – zwar waren die Amerikaner militärisch überlegen, aber die Situation entsprach nicht dieser Überlegenheit: V. a. eine multidimensionale Umgebung kann demnach eine chaotische Situation verursachen.

Laut Pfläging (2015) ist Komplexität als Maß für die Menge an Überraschungen zu verstehen. Bei umfassenden Vorgängen wie z. B. der Kommunikation mit einem Mitglied (Überraschungen können jederzeit auftreten) helfen uns Standards, Prozesse und Vorgaben (mit dem Ziel der Kontrolle der Komplexität) häufig nicht wirklich weiter – wir kommen mit unseren aktuellen Managementsystemen zunehmend an unsere Grenzen.

A = Ambiguität

Hat die Krise nur negative Auswirkungen auf uns und unser Leben oder können sich hierdurch auch Dinge verbessern? Glasklares Wasser auf der einen Seite und eine wirtschaftliche Krise auf der anderen Seite zeigen am Beispiel der Lagunenstadt Venedig deutlich die Ambiguität, d. h. die Mehr- oder Doppeldeutigkeit in der Welt.

Führt die Pandemie dazu, dass weniger Menschen zum Training kommen oder sprechen wir über das 'neue' Gesundheitsbewusstsein auch neue Zielgruppen an? Hier zeigt sich die Doppeldeutigkeit.

Fortschritt braucht Veränderung und Umdenkprozesse

Welche Erkenntnis können wir aus der VUKA-Welt für uns persönlich und für unser Geschäft ziehen? Schon Heraklit von Ephesos sagte: 'Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung' – ohne eine hohe Anpassungsfähigkeit und v. a. eine hohe Anpassungsgeschwindigkeit (Survival of the fittest), ohne eine ständige Veränderungsbereitschaft und ohne unsere Fähigkeit zur Zusammenarbeit wird es schwierig, dauerhaft erfolgreich zu sein.

Es ist möglich, die Pandemie als 'Trainingsreiz' zu verstehen – dieser Impuls kann uns zu einem persönlichen und unternehmerischen Wachstum und einer Potenzialentfaltung verhelfen.

Gerade in Zeiten von Krisen haben sich häufig neue Weltsichten entwickelt. Jede Veränderung bietet die Chance für einen Entwicklungssprung. Wir können diese Phase nutzen, um neue Fähigkeiten zur Zusammenarbeit zu entwickeln.

Unsere Unternehmen als Orte der Kooperation können wir jetzt neu formieren und damit anpassungsfähiger machen. Wie könnte ein Unternehmen aussehen, das neu 'gedacht' wird?

Reinventing Organizations – Unternehmen neu 'denken'

Der ehemalige Partner bei McKinsey & Company, Frédéric Laloux, hat eine Antwort auf die Frage nach zukunftsfähigen Unternehmensformen. In seinem Buch 'Reinventing Organizations' beschreibt er an konkreten Beispielen von gewinnorientierten, erfolgreichen Unternehmen, wie integral-evolutionäre Organisationen aussehen und durch was sie sich hervortun.

Seiner Meinung nach sind evolutionäre Organisationen (lebendige Systeme) durch folgende drei 'Durchbrüche', d. h. Veränderungen im Management, gekennzeichnet (Laloux, 2017):

Selbstführung

Eine Entwicklung weg von hierarchischen Strukturen, hin zu verteilter Autoritäts- und Teamverantwortung – nur so kann den Herausforderungen der heutigen Unternehmenswelt erfolgreich begegnet werden. Komplexität kann nur an der Peripherie des Unternehmens erfolgreich bewältigt werden (d. h. im Kontakt mit unseren Kunden).

Konkret bedeutet das, dass die Trainer mehr Entscheidungsverantwortung bekommen und situativ im Sinne des Kunden flexibel reagieren können, z. B. bei Beschwerden.

Suche nach Ganzheit

Wir Menschen wollen in unserer Ganzheit als authentische Persönlichkeiten (ohne Berufsmaske) gesehen und wertgeschätzt werden. Die gedankliche Trennung zwischen Berufs- und Privatleben schwindet völlig, integral-evolutionäre Unternehmen bieten die Sicherheit, sich als Mensch mit seinem ganzen Selbst zu zeigen.

Das Zukunftsinstitut hat schon 2018 von dem „Siegeszug“ der Emotionen als wichtigen Trend berichtet. Für 'Ego-Spielchen' und Machtdemonstrationen gibt es keinen Platz in zukünftigen Unternehmen.

Wer seinen Mitarbeitern kein Vertrauen entgegenbringt und diese nicht in ihrer ganzen Persönlichkeit ehrlich wertschätzt, kann nicht erwarten, dass Mitarbeiter hochmotiviert sind und sich trauen, sich selbst und ihre Ideen einzubringen. Emotionen sollen auch bei der Arbeit gelebt werden.

Evolutionärer Sinn

Wir Menschen sind sinnorientiert – mit einem wirklichen, übergeordneten Unternehmenssinn gibt es keine direkte Konkurrenz zwischen den einzelnen Akteuren mehr, da jedes Unternehmen sein ganz eigenes individuelles Sinn-Ziel verfolgt.

Planung und Kontrolle treten mehr und mehr in den Hintergrund – in der VUKA-Welt funktionieren diese aufgrund der fehlenden Vorhersehbarkeit nicht mehr gut. In integral-evolutionären Unternehmen geht es viel um Wahrnehmung und flexibles Reagieren – eine Organisation als lebendiges System hat die '…Freiheit, auf das zu reagieren, was ihrer Meinung nach gebraucht wird; sie werden nicht durch statische Stellenbeschreibungen, Reportingrichtlinien und funktionale Einheiten eingeengt' (Laloux, 2017, S. 128).

Langfristige strategische Planungen werden durch kürzere 'Strategiesprints' ersetzt, Menschen wollen den Sinn in ihrer Arbeit erkennen – Gewinne sind die Basis eines Unternehmens, aber sie können nicht der Sinn der Arbeit sein.

Fazit

Komplexe Change-Prozesse sind allgegenwärtig. Sobald wir unser grundlegendes Denken über Veränderungen anpassen, beginnen wir, Unternehmen neu zu 'denken'. Eine geführte Selbstreflexion des eigenen Unternehmens (Blick von außen) hilft besonders in Krisen zu erkennen, ob dieses zukunftsorientiert und flexibel aufgestellt ist.

Gerade jetzt bietet sich eine gute Möglichkeit, Ihr Unternehmen auf die Zukunft, in der viele neue Herausforderungen auf uns warten, einzustellen. Also entwickeln Sie es gezielt weiter und profitieren Sie von diesen innovativen Denkanstößen.

Über den Autor

Nicolai Rolli, Diplom-Sportwissenschaftler, ist u. a. Dozent an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) und an der BSA-Akademie.
Nach seinem Studium an der Deutschen Sporthochschule Köln, seiner Ausbildung zum Heilpraktiker und seinem betriebswirtschaftlichen Fernstudium arbeitete er jahrelang in personalverantwortlichen Positionen und als Geschäftsführer.

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