Erhalt von Muskelmasse und Muskelkraft im Alter
Als Sarkopenie bezeichnet man den altersbedingten Verlust von Muskelmasse, -kraft und -leistung, der mit Einschränkungen von Gesundheit und Lebensqualität einhergeht. Wie dem Voranschreiten dieser Erkrankung mit strategischer Trainingsplanung und einer gesteigerten Muskelkraft entgegengewirkt werden kann, zeigt der vorliegende Artikel.
Sarkopenie bedeutet so viel wie „Fleischarmut“. Sie ist neben dem Masseabbau der kontraktilen Elemente in der Muskulatur durch eine Verschlechterung des Zusammenspiels zwischen Nerven und Muskulatur gekennzeichnet.
Die daraus resultierende Verschlechterung der intra- und intermuskulären Koordination kann bei Betroffenen im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung zu einem Verlust der körperlichen Selbstständigkeit führen. Alltagsarbeiten können somit nur noch eingeschränkt durchgeführt werden (Schaupp, Martini, Schmidmaier & Drey, 2021).
Veränderte Körperzusammensetzung mit zunehmendem Alter
Bereits ab einem Alter von etwa 30 Jahren verändert sich die Körperzusammensetzung dahingehend, dass anteilig Körperfettmasse zu- und körperfettfreie Masse abnimmt.
Diese Veränderung zeigt sich im Laufe des weiteren Lebens immer deutlicher: Ab dem 50. Lebensjahr verringert sich die Muskelmasse um ca. ein bis zwei Prozent pro Jahr (Eglseer, 2016, S. 3). Dieser Wert steigt mit jedem weiteren Lebensjahr und betrifft alle Muskeln – auch die Herzmuskulatur.
Der reduzierte Muskelmasseanteil wirkt sich auf die Stoffwechselsituation aus. Neben steigenden Prävalenzen für Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2 ist dadurch auch die Wahrscheinlichkeit für eine Zunahme des Körperfettanteils, insbesondere des Viszeralfetts, erhöht.
Schwindende muskuläre Arbeitsleistung
Dies ist unter anderem darin begründet, dass die schwindende muskuläre Arbeitsleistung zu einer Senkung des kalorischen Gesamtumsatzes führt. Zwar sinkt aufgrund der homöostatischen Regulation mit geringerer Muskelmasse auch der kalorische Gesamtbedarf, dieser Mechanismus greift jedoch verspätet und nicht im gleichen Ausmaß.
Zusätzlich können Gewohnheiten oder gezielt appetitanregende Effekte industriell verarbeiteter Nahrungsmittel gegen den tatsächlich wahrgenommenen Nahrungsbedarf der Betroffenen spielen (Marzetti, 2009). Überschüssige Energie, die sich durch diese Mechanismen ansammelt, wird verstoffwechselt, ins Fettgewebe eingelagert und begünstigt somit den erhöhten Körperfettanteil.
Relevanz einer möglichst frühen Diagnose
Oft kommt es erst zur Diagnose Sarkopenie, wenn bereits eine erhebliche körperliche Leistungsminderung festzustellen ist. Betroffene sind dann schon nicht mehr vollständig in der Lage, Alltagsaktivitäten selbstständig durchzuführen.
Für eine Verlangsamung des Krankheitsfortschritts oder gar eine Rückgewinnung der ursprünglichen körperlichen Leistungsfähigkeit kann es dann bereits zu spät sein. Demnach leiden die Betroffenen unter dem Verlust der Lebensqualität sowie der Eigenständigkeit.
Sie befinden sich in einer Abwärtsspirale, durch die sie selbst auf immer mehr Pflege angewiesen und ihre Angehörigen mit erheblichen Mehrkosten konfrontiert sind. Eine möglichst frühzeitige Feststellung der Erkrankung ist also von großer Bedeutung, um wirksame Gegenmaßnahmen umsetzen zu können.
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Innerhalb eines Sarkopenie-Screenings, also der Diagnostik, wird beispielsweise die Gehgeschwindigkeit gemessen. Liegt sie unter 0,8 m/s, erfolgen die nächsten Messungen. Unter anderem findet die Muskelmassenbestimmung statt, oftmals mittels DEXA-Messung (DEXA = Dual Energy X-Ray Absorptiometry), die auch in der Osteoporose-Diagnostik angewendet wird.
Hier kann auch die körperliche Gesamtmasse bestimmt und differenziert analysiert werden. Weitere Diagnostikinstrumente sind die dynamo-metrische Muskelkraftmessung mittels Handkrafttest und der sogenannte Chair-Stand-Test, bei dem die Zeit gemessen wird, die die Testperson braucht, um fünf Mal ohne Armhilfe von einem Stuhl aufzustehen und sich wieder hinzusetzen (Buess et al., 2013).
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Werden in allen drei Untersuchungen die vordefinierten Grenzwerte unterschritten, muss laut leitlinienbasierter Handlungsempfehlung eine Therapie erfolgen.
Die vorgestellte Form der Diagnostik kann jedoch durchaus kritisch bewertet werden. Auch wenn beispielsweise keine Ganggeschwindigkeitsminderung festgestellt werden konnte, da ein:e Patient:in schneller als 0,8 m/s voranschreitet, schließt das keinesfalls aus, dass der Muskelmasseschwund und der damit einhergehende Kraftverlust bereits begonnen hat.
Auch die dynamo-metrische Muskelkraftmessung mittels Handkrafttest und der Chair-Stand-Test haben nur eine begrenzte Aussagekraft. Darüber hinaus ist eine DEXA-Messung zwar diagnostisch ein Goldstandard, jedoch auch mit nicht unerheblicher Strahlenbelastung sowie mit viel Aufwand und hohen Kosten verbunden.
Möglichkeiten zur Entgegenwirkung einer Sarkopenie
Sicherlich ist die muskuläre Atrophie eine körperliche Veränderung, die mit zunehmendem Alter jede:n betreffen wird. Schließlich sind Alterungsprozesse nicht aufzuhalten und ein normaler körperlicher Vorgang. In welcher Geschwindigkeit und in welchem Ausmaß diese meist natürlichen Prozesse stattfinden, kann jedoch nicht verallgemeinert werden. Denn hier spielen viele Einflüsse eine Rolle.
Infrage kommen Risikofaktoren wie hormoneller, oxidativer Stress und mitochondriale Dysfunktion, Ungleichgewichte in den Proteinsynthese- und -abbauwegen, Denervation der Skelettmuskulatur, abnormale Skelettmuskelreparatur, Dysbiose des Darmmikrobioms sowie der Einfluss genetischer Faktoren (Feike, Zhijie & Wei, 2021).
Risikofaktor Bewegungsmangel
Für Fachkräfte in Sport-, Fitness- und Gesundheitseinrichtungen sind jedoch vor allem die lebensstilbedingten Einflussfaktoren relevant.
Da auch der sedentäre („sitzende“) Lebensstil, Bewegungsmangel, Fehlernährung und Stress maßgeblich an einer verfrühten Prävalenz der Sarkopenie beteiligt sind (Beaudart et al., 2017; Smith et al., 2020; Yanagita et al., 2019), bilden diese Faktoren besonders gute Ansatzpunkte, um dem Verlust von Muskelmasse und -leistung entgegenzuwirken.
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Für den Umgang mit Betroffenen ist weiterhin die Änderung der medizinischen Bewertungsindikatoren der Sarkopenie von 2018 interessant. Demnach wird Sarkopenie nicht mehr als reiner Muskelmasseverlust, sondern vielmehr als messbarer Kraftverlust bewertet (Cruz-Jentoft et al., 2019).
Das hat Konsequenzen für die Therapie der Erkrankung, in der der Fokus nun stärker auf den Erhalt bzw. den Aufbau der Muskelkraft gelegt werden sollte.
Die Relevanz einer gesteigerten Kraft bestätigen auch aktuelle Studien, die Aufschluss über die Strategie zum Umgang mit Sarkopenie geben (Chen, He, Feng, Ainsworth & Liu, 2021). Demnach bestehen die Hauptindikatoren zur Vermeidung und Prävention des altersbedingten Muskelschwundes nicht nur, wie bisher angenommen, im extensiven Muskelaufbautraining, sondern vielmehr im Maximalkraftbereich.
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Der reine Muskelmasseverlust ist nun nicht mehr im Vordergrund der Betrachtung, sondern vielmehr ein Teilfaktor neben der hauptsächlich die Alltagsfunktionalität beeinträchtigenden Reduzierung der Kraftfunktion der Muskulatur.
So trägt eine funktionale Kraftleistung im maximalkräftigen Bereich deutlich mehr zur Sicherheit und Sturzrisikoprophylaxe bei als isoliertes und submaximales Muskelaufbautraining. Diese Trainingsform dauerhaft und intensiv sowie funktionsorientiert durchzuführen, minimiert signifikant die Symptomatik.
Sporttherapie als Grundlage für ein Leben ohne Muskelschwund
Altersbedingt nimmt die Muskelproteinsynthese immer weiter ab, was ein Voranschreiten der Sarkopenie begünstigt. Neuere Untersuchungen belegen in diesem Kontext, dass ein Maximalkrafttraining die Proteostase positiv beeinflusst (Calamini & Morimoto, 2012; Höhfeld et al., 2021).
Durch eine trainingsinduzierte Steigerung der Muskelproteinsynthese werden muskelaufbauende bzw. -erhaltende Effekte begünstigt und sarkopenische Prozesse gehemmt.
Bei bereits zu stark verringerter Muskelproteinsynthese kann die Wirksamkeit einer alleinigen konservativ-medikamentösen oder auf Nahrungsergänzungsmittel basierenden Therapie eingeschränkt sein, da zugeführte Proteine, Hormone und sonstige Medikamente vom Körper nicht mehr oder nur noch eingeschränkt zum Aufbau der Muskulatur genutzt werden können.
In solchen Fällen ist es möglich, ein angepasstes Krafttraining, das beispielsweise im Rahmen der sporttherapeutischen Trainingspraxis umgesetzt wird, als vielversprechende Ergänzung zur konservativen Therapie einzusetzen.
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Aber auch aus dem Bereich der Pharmakologie gibt es deutliche Signale im Hinblick auf die Bedeutung einer strategischen Trainingssteuerung. So sind neu entwickelte Medikamente vorhanden, die über verschiedene Signalwege auf die Proteostase einwirken.
Allerdings sind diese ohne entsprechende mechanische Reize nahezu wirkungslos (Feike et al., 2021). Das bedeutet, dass die Einnahme von Medikamenten ohne intensives Aufbautraining zu keinem nennenswerten Erfolg führen kann.
Fazit
Damit bei vorliegender Sarkopenie eine frühzeitige Intervention möglich ist, sollte eine Diagnostik mittels Ganzkörperkrafttestung und Analyse der Körperzusammensetzung regelmäßig durchgeführt werden. Hier können Bioimpedanzanalysen (z. B. Körperfettanalysen) und klassische Maximalkrafttestungen Abhilfe schaffen.
Reize für Muskulatur setzen
Dem Muskelschwund wird durch mechanische Reize auf die Muskulatur entgegengewirkt. Wurden diese nicht in Form von lebenslanger, harter körperlicher Arbeit gesetzt, können sie mittels Krafttraining erzeugt werden. Bei Letzterem sollte der Fokus auf intensiven Trainingsmethoden liegen, da das Sturzrisiko vor allem aufgrund des Verlusts von Kraftleistung und der funktionalen Einschränkungen im Alltag gefördert wird.
Über den Autor
Karl Kühne, M. A. Prävention und Gesundheitsmanagement, verfügt über langjährige Erfahrung als Coach von Wettkampfsportlern und als Therapeut von Patienten verschiedener Sportarten und medizinischer Fachbereiche.
Er ist seit vielen Jahren als Dozent und Tutor für die Deutsche Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) sowie die BSA-Akademie tätig. Seine Aufgabenbereiche umfassen die Trainingslehre, Gesundheitsförderung und Sporttherapie.
Auszug aus der Literaturliste
Buess, D. & Kressig, R. W. (2013). Sarkopenie: Definition, Diagnostik und Therapie. Praxis, 102 (19), 1167–1170.
Chen, N., He, X., Feng, Y., Ainsworth, B. E. & Liu, Y. (2021). Effects of resistance training in healthy older people with sarcopenia: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. European review of aging and physical activity: official journal of the European Group for Research into Elderly and Physical Activity, 18 (1), 23.
Feike, Y., Zhijie, L. & Wei, C. (2021). Advances in research on pharmacotherapy of sarcopenia. Aging Medicine, 4 (3), 221–233.
Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte marketing@dhfpg-bsa.de.
Diesen und weitere Artikel finden Sie in der mfhc 01/2022 & für Abonnenten EXKLUSIV vorab.
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