Gesundheitliches Krisenmanagement: Belastungsfaktoren, Ressourcen und Veränderungspotenziale
Die Corona-Krise ist nach wie vor allgegenwärtig. Zwischen Infektionszahlen, Shutdown, Impfchaos und Existenzangst. Wie also lassen sich die negativen Gefühle in positive Energie verwandeln? Und Krisen ganz allgemein als Chancen begreifen? Sie erfahren es in diesem Artikel oder in einem Haufe Online-Seminar am 25. März 2021. Darin geht es um die Bedeutung der psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt – Referentinnen sind die beiden DHfPG-Dozentinnen Prof. Dr. Julia Krampitz und Sarah Staut. Jetzt anmelden!
Online-Seminar zu psychischer Gesundheit
Aktueller Hinweis: Die beiden DHfPG-Dozentinnen Prof. Dr. Julia Krampitz (Co-Autorin dieses Artikels) und Sarah Staut sprechen in einem Haufe Online-Seminar am Donnerstag, 25. März 2021, über die Bedeutung der psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt. Es trägt den Titel 'Psychische Gefährdungsbeurteilung im Rahmen der positiven Psychologie'. Weitere Infos dazu erhalten Sie direkt hier auf der DHfPG-Website.
Krisenzeiten wie die aktuelle Corona-Pandemie, Lockdown und unsichere Zukunftsaussichten zwingen jeden zum Umdenken und Umstrukturieren. Unsicherheit, Existenzängste und unbeantwortete Fragen prägen das tägliche Leben.
Wie schafft man es, trotz der akuten Einschränkungen diese Krise als Chance zu begreifen? Wie kann man diese Herausforderung als Antreiber für nachhaltige und moderne Veränderungen nutzen? Als Basis jedes Veränderungsprozesses gilt es, negative Gefühle in positive Energie zu verwandeln.
Aber was bedeutet eigentlich 'Krise'? Der Begriff 'Krise' wird in der Gesellschaft immer als etwas Negatives gesehen, etwas Bedrohliches und den Menschen und sein Umfeld Gefährdendes.
In der Literatur findet man verschiedene Definitionen: Koselleck hat 2004 die Krise als „jenen Zustand der Gesellschaft bzw. zentraler gesellschaftlicher Bereiche (Wirtschaft, Bildungswesen, Sozialstaat), in dem unter Zeitdruck schwierige Probleme der Anpassung, der Koordination und ggf. der Strukturveränderung und Systemerhaltung zu lösen sind (gr. krisis = Entscheidung; entscheidende Wende)“, bezeichnet.
Auch in der Geschichte der Soziologie spielt der Begriff eine zentrale Rolle, da sie als Umbruch- bzw. Krisenwissenschaft begann.
Sind Krisen (vergleichbar der Entwicklung des Individuums) unabdingbare Voraussetzungen für Wachstum und Differenzierung?
Diese Position käme älteren geschichtsphilosophischen und fortschrittsoptimistischen positiven Bewertungen von Krisen sehr nahe und könnte Hoffnung für die jetzige Situation schöpfen lassen. Als Zwischenfazit lässt sich Folgendes sagen:
Krisen
- gehören zu unser aller Leben
- sind Ausnahmezustände
- treten meist akut, überraschend und mit dem Charakter des Bedrohlichen auf
- sind Störungen der bisherigen Lebensabläufe im Privaten wie im Arbeitsleben
- Krisen lösen Ängste aus
- lassen Gewohntes nicht mehr greifen
- können im ungünstigsten Falle auch zu dauerhaften Gesundheitsproblemen führen
- bieten prinzipiell die Chance zur Neuorientierung und Veränderung
- lassen uns stärker werden und uns reifen
- steigern nach der Bewältigung die Resilienz
Unterschiedlicher Umgang mit Krisen
1. Belastung und Beanspruchung
Die Wahrnehmung einer Krise und deren Ausmaß hängen sehr stark von den Persönlichkeitsmerkmalen und der individuellen Fähigkeit, mit Belastungen und Beanspruchungen umgehen zu können, ab.
Nach der DIN EN ISO 10075 ist eine psychische Belastung die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und auf ihn einwirken.Die psychische Beanspruchung ist die unmittelbare (nicht langfristige) Auswirkung der psychischen Belastung auf das Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien.
Typische psychische Belastungsfaktoren sind:
- fehlendes Vertrauen
- fehlende klare Regeln
- unklare, ungerechte Arbeitsteilung
- unreflektieres Verhalten
- keine gemeinsamen oder transparenten Ziele bzw. das Fehlen solcher Ziele
- unklare, unstrukturierte Kommunikation
- fehlende Transparenz
- fehlende Spontanität
- fehlende Flexibilität
- fehlende Konzentration auf das Wesentliche
Psychische Beanspruchung kann zu positiv anregenden und negativ beeinträchtigenden Effekten führen.
- Positive Beanspruchungsfolgen sind z. B. Übungs-, Anregungs- bzw. Aufwärmeffekte sowie Kompetenzentwicklungen, die es ermöglichen, in einem Zustand angemessener psychischer und körperlicher Funktionsfähigkeit Anforderungen leichter zu bewältigen.
- Negative Beanspruchungsfolgen behindern die Anforderungsbewältigung, zeigen sich in spezifischen Folgen wie psychischer Ermüdung, Sorgen, Angst, Unsicherheit, Überforderung, Sättigung, Stress und Monotonie und können ihrerseits Belastungsfaktoren darstellen.
- Kurz- und mittelfristige Beanspruchungsfolgen können langfristig Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden des Individuums sowie seine Leistungsvoraussetzungen haben.
2. Berufliches Umfeld
Im Sprachgebrauch spricht man im Rahmen von Krisen gern von der Belastung, die erhöht ist, genauso wie auch das Arbeitsumfeld heute als belastend erlebt wird. Dabei bezieht sich dieses Empfinden zumeist auf psychosoziale Belastungen, die den Einzelnen fordern und möglicherweise überfordern.
„Oftmals wird 'psychische Belastung' mit 'psychischer Störung' und damit zugleich mit individuellen Beeinträchtigungen oder verminderter Leistungsstärke in Verbindung gebracht. Der Begriff hat dadurch für viele einen negativen Beigeschmack. Im arbeitswissenschaftlichen Verständnis bezieht sich psychische Belastung jedoch auf äußere Bedingungen und Anforderungen im (Arbeits-)Leben“ (BAuA, 2014, S. 19).
Waren es früher Belastungsfaktoren wie Lärm, Hitze, Kälte, Zugluft, Kontakt mit Gefahrenstoffen, schwere körperliche Arbeit oder unergonomische Arbeitsmittel, werden heute Arbeitsverdichtung, Anforderungsverdichtung, Zeit-, Termin-, Kosten- und Leistungsdruck, unplanbare Arbeitszeiten, ständige Arbeitsunterbrechungen, häufige Reorganisationsprozesse, neue Kommunikationsanforderungen sowie Arbeitsplatzunsicherheit oft unter dem Überbegriff 'Stress' zusammengefasst.
Stress und Belastung haben häufig dieselbe Bedeutung. Das Wort 'Stress' wird nach Tausch (2008, S. 18) eher bei kleineren kurzzeitigen Einschränkungen und Bedrohungen im Alltag verwendet.
Kurzzeitiger Alltagsstress umfasst in der Regel nur einige Minuten bis maximal eine Stunde. Aber auch solch vermeintlich kurze Belastungen können eine große Wirkung, zum Beispiel im Sinne von Beeinträchtigungen, zeigen – und zwar immer dann, wenn sie mehrmals täglich auftreten und sich summieren. Treten länger andauernde Stressbelastungen auf, fühlen wir uns oftmals angespannt und wenig frei. Dies führt nicht selten dazu, dass sich die Fähigkeit, mit dem Alltag umzugehen, vermindert. Wie gelingt es nun damit umzugehen bzw. eine 'Hilfe zur Selbsthilfe' zu erlernen?
Ressourcen und ihre Aktivierung
Hobfoll und Buchwald (2004) befassten sich mit dem Thema der Ressourcenerhaltung sehr ausführlich. Für sie sind Konflikte, Krisen und traumatische Situationen Erfahrungen, die man im Laufe seines Lebens macht.
Jeder Mensch erwirbt in seinem Leben auch ein Grundwissen über den Umgang damit. Jede überstandene Krise, jeder gelöste Konflikt erweitert dieses Wissen und wird als neue Erfahrung im Gehirn verankert. Diese Erfahrungen führen wiederum zu veränderten Einstellungen und Haltungen, die dann neues Verhalten (Bewerten, Denken, Fühlen, körperliche Reaktionen und Handeln) leiten.
Wenn Krisen, Konflikte oder Ängste erfolgreich überwunden werden, führt dies häufig sogar dazu, dass man an den Herausforderungen reift und wächst. Viele Situationen erscheinen jedoch zunächst ausweglos, die verfügbaren Kräfte erscheinen nicht ausreichend für eine erfolgreiche Bewältigung.
Das Verständnis neurobiologischer Zusammenhänge kann dabei helfen, neue Auswege aus der Angst und Krise zu entdecken. Krisen, die mit dem Gefühl des ohnmächtigen Ausgeliefertseins einhergehen, aktivieren in der Regel 'Ego States' (Ich-Zustände), die mit Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit verbunden sind. Dadurch ist die Wahrnehmung eingeengt, das Gehirn ist nicht zu kreativen Problemlösungen fähig und individuelle Möglichkeiten können nicht voll ausgeschöpft werden.
Das damit verbundene Angstgefühl wird vom Hirnforscher Gerald Hüther als „das initial bei jeder psychogenen Stressreaktion ausgelöste Gefühl, das sich durch die individuelle Erfahrung der Bewältigung einer bestimmten psychischen Belastung zwangsläufig verändert“, bezeichnet.
Angst in diesem Sinne ist eher das Resultat einer Erfahrung und der daraus abgeleiteten Bewertung. Entsprechend hat Angst immer sowohl positive als auch negative Aspekte. Um Angst zu bewältigen bedarf es Ressourcen.
Ressource kommt von 'resurgere' ( lat.: 'hervorquellen') und beschreibt allgemein ein Mittel, um eine Handlung zu tätigen oder einen Vorgang ablaufen zu lassen. Im Bereich der Psychotherapie sind Ressourcen all das, was im Inneren und Äußeren vorhanden ist und einer Person zur Verfügung steht, um die in ihr angelegten Potenziale entfalten zu können. Die Arbeit mit Ressourcen zielt insgesamt auf die Stärkung der psychischen Widerstandskraft (Resilienz). Damit können auch schwere Belastungen im Leben besser bewältigt werden.
Veränderungspotenziale
In der beschriebenen Ressourcenorientierung wird an stärkende individuelle Erfahrungen im bisherigen Leben angeknüpft oder es werden Fähigkeiten, Talente und Stärken aktiviert, die oftmals gar nicht bewusst sind.
Dadurch können wir eine Krise als Wachstumschance wahrnehmen. Wachstum wird hier nicht nur aus quantitativer Perspektive, also rein ökonomisch, wahrgenommen, sondern vielmehr als qualitatives Wachstum, das nach innen gerichtet ist.
Die Corona-Krise kann hier durchaus als 'Lehrmeisterin' fungieren, denn sie lässt uns das eigene Resilienzkonzept bzw. unsere Fähigkeit, erfolgreich mit belastenden Lebensumständen und negativen Stressfolgen umzugehen, hinterfragen.
Dabei müssen unsere eigenen Schutzfaktoren, sowohl nach innen als auch nach außen reflektiert werden:
Innere Schutzfaktoren:
- Positives Selbstkonzept
- Kommunikationsfähigkeit
- Kooperationsfähigkeit
- Optimistische Lebenseinstellung
- Zielorientierung
- Empathie
- Talente und Hobbys
- Selbstwirksamkeitsüberzeugungen
Äußere Schutzfaktoren:
- Positive Rollenvorbilder
- Stimulierendes Lern- und Arbeitsumfeld
- Mindestens eine feste und zuverlässige Bezugsperson
- Möglichkeit zur Weiterbildung und zur Eröffnung neue Perspektiven
Die Resilienz geht über die Fähigkeit zur alltäglichen Stressbewältigung hinaus, denn es geht um das Bewältigen von Krisen und um persönliches Wachstum!
Wie Veränderungspotenzial konkret genutzt werden kann, wird im im nachfolgenden Modell des Resilienzzirkels aufgezeigt:
Abb.1: Der Resilienzzirkel (modifiziert nach Amann, 2015, S. 14)
Emotionen nehmen dabei aus evolutionsbiologischer Sicht eine Schlüsselrolle bei der Verhaltenssteuerung und den Verhaltensänderungen ein. Sie fungieren als Bewertungssignal des Nervensystems. Dieses emotionale Bewertungssystem geht wie ein Verkehrsleitsystem auf Dinge zu, die dem Individuum einmal gutgetan haben und meidet Dinge, die schmerzlich in Erinnerung sind. Emotionen sind Relevanzmarker mit Ampelfunktion.
Fazit
Krisen sind Gefahr und Chance zugleich. Krisen sind 'Lehrmeister' für Wachstum nach innen und außen. Sie stehen nach erfolgreicher Bewältigung für Weiterentwicklung. Kennen der eigenen Ressourcen und der Umgang mit ihnen bzw. deren Ausbau ist der Kern der eigenen Resilienz.
Resilienz ist für jeden Menschen individuell erlernbar und als Chance begreifbar! Es gibt gute und individuelle Ansätze zum Aufbau von Resilienz – sie zu nutzen ist die Chance, die eine Situation wie die derzeitige Krise bietet.
Die BSA-Akademie bietet zusätzlich ein umfangreiches Weiterbildungsangebot im Bereich Mentale Fitness und Entspannung.
Über die Autorinnen
Anke Mächler war nach ihrem Sport- und Germanistik-Studium viele Jahre als Geschäftsführerin und Inhaberin eines BGM/BGF-Dienstleistungsunternehmens tätig. Heute gibt sie ihre Erfahrung als BGM-Beraterin und Dozentin an der der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) und der BSA-Akademie weiter.
Prof. Dr. Julia Krampitz, Doctor of Public Health und M. A. Prävention und Gesundheitsmanagement, ist als Professorin für den Fachbereich Psychologie/Pädagogik an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) tätig. Julia Krampitz fungiert außerdem als Fachautorin und gefragte Expertin in den Medien.
Serie 'Gesundheitliches Krisenmanagement'
Lesen Sie auch die anderen Serienartikel der dreiteiligen Reihe 'Gesundheitliches Krisenmanagement':
Teil 2 mit Anke Mächler und Prof. Dr. Julia Krampitz 'Mehr Achtsamkeit wagen' und
Teil 3 mit Tanja Linhard 'Alternative Beschäftigungsmöglichkeiten für Kinder'.
Noch mehr Content der DHfPG-Experten
Folgenden zwei Artikel bieten weiteren spannenden Input und Impulse, damit Sie trotz Stress und Belastungen mental und körperlich immer auf der Höhe bleiben.
Literaturliste
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. (2014).Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2013 – Unfallverhütungsbericht Arbeit
. Zugriff am 20.11.2019. Verfügbar unter www.baua.de/de/Publikationen/Fachbeitraege/Suga-2013.html
Hahnzog, S. (2015).Psychische Gefährdungsbeurteilung. Impulse für den Mittelstand. Wiesbaden: Springer Gabler.
Hobfoll, S. E. & Buchwald, P. (2004).Die Theorie der Ressourcenerhaltung und das multiaxiale Copingmodell. Eine innovative Stresstheorie. In: P. Buchwald, C. Schwarzer & E. S. Hobfoll (Hrsg.), Stress gemeinsam bewältigen: Ressourcenmanagement und multiaxiales Coping (S. 11–26). Göttingen: Hogrefe.
Preisendörfer, P. (2016).Organisationssoziologie. Grundlagen, Theorien und Problemstellungen (4., überarb. Aufl.). Wiesbaden: Springer Fachmedien.
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