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Bewegung lässt neue Nervenzellen wachsen

Selbst noch so viele Denksportaufgaben können das Gehirn nicht so fit halten wie regelmäßige Bewegung. Was Barbara Tettenborn als Neurologin praktiziert und als Professorin lehrt, lebt sie als Triathletin.

Körperliche Bewegung lässt neue Nervenzellen im Gehirn wachsen, Denken hält sie am Leben. Selbst noch so viele Denksportaufgaben können das Gehirn nicht so fit halten wie regelmäßige körperliche Betätigung. Was Barbara Tettenborn als Neurologin praktiziert und als Professorin lehrt, lebt sie als Triathletin. Aus dem seiner Zeit beabsichtigten einmaligen Ironman sind inzwischen acht Ironman geworden, einschließlich die erfolgreiche WM-Teilnahme 2014 in Kona/Hawaii. Das Team der fitness MANAGEMENT international sprach mit ihr zwischen Klinik und Training.

fMi: Was ist für Sie als Neurologin Fitness? Und: Wer ist in Ihren Augen fit?
Barbara Tettenborn: Fitness bedeutet für mich physisches und psychisches Wohlbefinden. Das kann individuell sehr unterschiedlich sein. Für den einen bedeutet dies, dass er oder sie schmerzfrei den Alltagsaktivitäten nachgehen kann und geistig keine Einschränkungen seiner Konzentrations- und Merkfähigkeit zu verzeichnen hat. Für andere kann dies die Fähigkeit zu ambitionierten sportlichen Leistungen bis ins höhere Lebensalter sowie die absolut uneingeschränkte geistige Fitness, auch in Belastungssituationen, darstellen.

fMi: Lässt sich Fitness aus neurologischer Sicht messen?
Barbara Tettenborn: Die kognitiven Fähigkeiten lassen sich neuropsychologisch durch verschiedene standardisierte Testbatterien messen und damit in einem gewissen Ausmaß objektivieren. Zur körperlichen Fitness aus neurologischer Sicht gehört als Basis ein unauffälliger klinisch-neurologischer Untersuchungsbefund. Die Untersuchung beinhaltet z. B. auch die Durchführung von Einbeinhüpfen beidseits. Es ist zum Teil erschreckend, wie viele Menschen mittleren Lebensalters allein schon dieses Einbeinhüpfen nicht oder nicht mehr problemlos durchführen können, obwohl sie keine gesundheitliche Einschränkung im engeren Sinne haben. Wer seine Muskeln und sein Gehirn nicht ausreichend betätigt, wird langfristig nicht fit sein.

fMi: Was kann man tun gegen altersbedingt nachlassende Fitness?
Barbara Tettenborn: Der physiologisch bedingte Verlust der Skelettmuskulatur ist ein relativ langsamer Prozess, der bereits ab dem 30. Lebensjahr beginnt und ohne regelmäßiges Training kontinuierlich fortschreitet. Im Lauf der Jahre geht dabei bis zu 30 Prozent der gesamten Muskelmasse verloren. Aber sowohl die Muskelmasse als auch die Muskelkraft lassen sich im Alter noch aufbauen und trainieren. Natürlich gehört eine kardiovaskuläre Fitness auch mit zur Fitness aus neurologischer Sicht.

fMi: Was ist Ihre Fitnessempfehlung?
Barbara Tettenborn: Empfehlenswert sind, insbesondere auch für ältere Menschen, 30 bis 60 Minuten Sport pro Tag, bevorzugt Ausdauersport im aeroben Bereich, sprich, ins Schwitzen kommen, Pulsbeschleunigung, noch Reden können. Dazu kommt ein Mal pro Woche Krafttraining zur Erhalt der Muskulatur und zur Vorbeugung von Verletzungen sowie ebenfalls ein Mal pro Woche Gleichgewichts-/Geschicklichkeitstraining.

fMi: Welcher Sport hält fit? Können beispielsweise Spazierengehen und Treppensteigen fit halten?
Barbara Tettenborn: Ganz einfach ausgedrückt: Um die Fitness zu erhalten oder zu steigern, sollte die sportliche Betätigung auf alle Fälle zu einer Pulsbeschleunigung und zum Schwitzen führen. Nur dann ist die kardiovaskuläre Belastung so ausgeprägt, dass es einen gewissen Trainingseffekt hat. Regelmässiges Treppensteigen über mehrere Stockwerke ist sicher gut, alleiniges Spazierengehen ist wahrscheinlich zu wenig, um einen Trainingseffekt zu haben, aber immer noch besser, als sich gar nicht zu bewegen.

fMi: Dass Sport körperlich fit hält, ist unbestritten. Warum tut Sport aber auch dem Gehirn gut?
Barbara Tettenborn: Regelmässige körperliche Aktivität kann sich unabhängig vom Lebensalter sowohl kurz, als auch langfristig positiv auf kognitive Leistungen auswirken. Aufgrund der vorliegenden Studienlage besteht ein protektiver Effekt sowohl für leichte kognitive Defizite als auch für Demenzen, der das Risiko für eine Demenz nach aktueller Datenlage durchaus um 20 - 50 Prozent vermindern kann. Zusätzlich weisen verschiedene Untersuchungen darauf hin, dass körperliches Training antidepressiv wirkt, möglicherweise sogar wirksamer als eine antidepressive Medikation, was bei der Bewertung des protektiven Effektes von Sport auf die Kognition mit eine Rolle spielen kann.

Darüberhinaus besteht eine inverse Beziehung zwischen körperlicher Aktivität und Fitness und der Entwicklung einer arteriellen Hypertonie (fMi-Anm.: Bluthochdruck) und eines Diabetes mellitus Typ 2. Regelmäßige körperliche Aktivität senkt den Blutdruck um etwa drei bis vier Prozent. Körperliche Aktivität hat einen günstigen Einfluss auf den Lipidstoffwechsel und trägt dazu bei, dass das Körpergewicht gehalten oder sogar leicht gesenkt werden kann.

fMi: Ist Fitness Ausdruck eines Zeitgeistes, ein Trend oder bereits fest im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert?
Barbara Tettenborn: Meiner Meinung nach ist Fitness inzwischen fest im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert. Den meisten Menschen ist bewusst, dass sie regelmässig Sport treiben und sich gesundheitsbewusst ernähren sollten. Einige schaffen das auch sehr gut, bei anderen klappt es weniger gut, die Vorsätze in die Realität umzusetzen. Oft ist ein akutes Krankheitsereignis ein Anlass, die Lebensgewohnheiten zu ändern.

fMi: Eine letzte Frage: Wie halten Sie sich fit? Was sind Ihre sportlichen Ziele?
Barbara Tettenborn: Ich betreibe seit 2008 Triathlon. Ich trainiere mehr oder weniger täglich. Durch die drei Sportarten (fMi-Anm.: Schwimmen, Radfahren, Laufen) ist es ein zumeist abwechslungsreiches Training. Es ist oft eine echte Herausforderung, die beruflichen Verpflichtungen und Interessen mit dem sportlichen Trainingsprogramm zu koordinieren. Das erfordert ein enormes Mass an Disziplin und Zielorientiertheit, die man sowohl im Beruf als auch im Sport benötigt.

Der Sport ermöglicht es mir andererseits aber auch, bestmögliche Leistung bei der Arbeit zu bringen, da er einen sehr guten Ausgleich zu den beruflichen Verpflichtungen darstellt und mir eine sehr gute Organisation und Tagesstruktur abverlangt, einschließlich konzentriertem Arbeiten und raschen Entscheidungsfindungen. Zudem hilft der Sport bei der Verarbeitung und Bewältigung von Problemsituationen im beruflichen Bereich und verursacht eine gute bis sehr gute Stimmung sowie Ausgeglichenheit und Zufriedenheit.

fMi: Ihr nächstes sportliches Ziel?
Barbara Tettenborn: Der Ironman Lanzarote Ende Mai dieses Jahres.

PROF. DR. BARBARA TETTENBORN
>
Fachärztin für Neurologie
> seit 1999 Chefärztin der Klinik für Neurologie am Kantonsspital St. Gallen

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