Fitness, Gesundheit | Autor/in: Prof. Dr. Markus Wanjek |

Neue Trainingsempfehlungen für Krebsbetroffene

Körperliches Training besitzt bei richtiger Dosierung zahlreiche gesundheitsförderliche Effekte. Dies trifft auch bei Krebserkrankungen zu. Die Kenntnis darüber, welche Art von Training mit welcher Häufigkeit, Dauer und Intensität die besten Gesundheitseffekte bewirkt, ist für Fitnesstrainer und Physiotherapeuten, die mit Krebsbetroffenen arbeiten, wichtig. Auch Ärzte sollten die evidenzbasierten Trainingsempfehlungen kennen.

Training bei Krebs: Prof. Dr. Markus Wanjek erläutert neue ACSM-Empfehlungen.

Etwa jeder zweite Mann und jede zweite Frau in Deutschland muss im Laufe des Lebens damit rechnen, an Krebs zu erkranken. Pro Jahr gibt es etwa 500.000 neu diagnostizierte Fälle. Die häufigsten Arten sind Brust-, Prostata-, Darm- und Lungenkrebs (RKI & GEKID, 2019).

Erfreulicherweise haben sich die Heilungschancen verbessert. So liegt die durchschnittliche Überlebensrate über alle Krebsarten hinweg bei circa 55 Prozent.

Bedingt durch diese positive Entwicklung steigt die Anzahl der Krebsüberlebenden. Derzeit gibt es in Deutschland schätzungsweise vier Millionen Menschen, die eine solche Erkrankung überstanden haben oder chronisch mit ihr leben (Arndt, 2019; RKI & GEKID, 2019).

Folgen einer Krebserkrankung

Viele Betroffene leiden auch nach Abschluss der Behandlung noch über Jahre hinweg an den Folgen der Erkrankung und den Nebenwirkungen der Therapie.

Häufige Langzeit- und Spätfolgen sind z. B. Fatigue, Schmerzen, Neuropathie, körperliche Funktionseinschränkungen, Depressivität, Angstzustände und eine verminderte Lebensqualität (ESMO, 2017; Mehnert & Johansen, 2019). Darüber hinaus weisen viele Krebsbetroffene begleitend zu ihrer Grunderkrankung auch weitere chronische Erkrankungen wie etwa Diabetes oder Hypertonie auf (Heins et al., 2013).

Eine Krebserkrankung verändert auch das Bewegungsverhalten vieler Betroffener. Schonung und körperliche Inaktivität sind nach einer Krebsdiagnose häufig zu beobachten (Fassier et al., 2016). Anhaltender Bewegungsmangel kann bestehende krebsassoziierte Gesundheitsprobleme jedoch verschlechtern und die Entstehung von anderen Erkrankungen begünstigen.

Gesundheitseffekte von Training

Viele Krankheits- und Behandlungsfolgen können durch körperliches Training positiv beeinflusst werden. Inzwischen liegen mehr als 700 randomisierte, kontrollierte Studien vor, die positive Effekte von Training bei Krebsbetroffenen belegen.

Es ist mit überzeugender Evidenz nachgewiesen, dass durch strukturierte Trainingsprogramme die folgenden körperlichen und psychischen Gesundheitsprobleme verbessert werden: Fatigue, Depressivität, Angstzustände, Lymphödeme, körperliche Funktionseinschränkungen und Lebensqualität (Campbell et a., 2019).

Positive Effekte finden sich auch für weitere Langzeitfolgen, wie z. B. Polyneuropathie, Schmerzen und Schlafstörungen. Zudem zeigen zahlreiche Beobachtungsstudien, dass Training das Wiedererkrankungs- und das Sterberisiko reduziert und zu einer längeren Gesamtüberlebenszeit führt (Cormie et al., 2017; Patel et al., 2019).

Die hier genannten Effekte wurden primär für Brust-, Prostata- und Darmkrebs sowie für hämatologische Krebserkrankungen nachgewiesen. Die Auswirkungen scheinen jedoch auch auf andere Krebserkrankungen übertragbar zu sein (Campbell et al., 2019).

Trainingsempfehlungen für Betroffene

Basierend auf der aktuellen wissenschaftlichen Datenlage wurden vom American College of Sports Medicine (ACSM) Ende 2019 neue Trainingsempfehlungen für Krebsbetroffene veröffentlicht (Campbell et al., 2019).

Diese beinhalten erstmals konkrete Belastungsvorgaben bezüglich Art, Häufigkeit, Intensität und Dauer des Trainings, wodurch oft  vorkommende Langzeitfolgen wirksam gemindert werden können (vgl. Tab. 1).

Krebsbetroffenen wird nach Abschluss der Therapie ein kombiniertes Kraft- und Ausdauertraining unter qualifizierter Betreuung empfohlen.

Das Ausdauertraining sollte dreimal pro Woche für mindestens 30 Minuten bei einer moderaten Intensität durchgeführt werden. Ergänzend dazu sollte zweimal pro Woche ein Krafttraining mit zwei Sätzen pro Übung und 8 bis 15 Wiederholungen bei einer Intensität von 60 bis 85 Prozent des 1-RM (One-Repetition-Maximum) absolviert werden (vgl. Tab. 2).

Diese Trainingsempfehlungen sind mit dem größten gesundheitlichen Nutzen für die Betroffenen verbunden. Bereits nach acht bis zwölf Wochen sind signifikante Gesundheitseffekte erreichbar. Von den positiven Auswirkungen eines regelmäßigen Fitnesstrainings profitieren insbesondere Personen, die seit der Krebsdiagnose körperlich inaktiv waren.

Die ACSM-Empfehlungen beinhalten auch den eindringlichen Hinweis, dass körperliche Inaktivität zu vermeiden ist. Zudem wird hervorgehoben, dass körperliches Training für Krebsbetroffene sicher und gut verträglich ist. Dies gilt auch für die Durchführung von etablierten Fitnesstests (Schmitz et al., 2010; Campbell et al., 2019).

Umsetzungsaspekte beim Training

Um im Sinne der ACSM-Empfehlungen ein sicheres und effektives Training für Krebsbetroffene in Fitness- und Gesundheitseinrichtungen zu gewährleisten, sind von Trainern verschiedene Umsetzungsaspekte zu beachten (Campbell et al, 2019; Hayes et al. 2019):

Viele Krebsbetroffene weisen aufgrund der Krankheitsgeschichte und des meist fortgeschrittenen Alters ein erhöhtes Gesundheitsrisiko und eine eingeschränkte körperliche Leistungsfähigkeit auf.

Bevor ein Trainingsprogramm begonnen wird, ist daher eine ärztliche Sporttauglichkeitsuntersuchung zu empfehlen. Mögliche Kontraindikationen können dadurch ausgeschlossen werden.

Etablierte Fitnesstests (Ausdauer, Kraft etc.) sollten auch mit Krebsbetroffenen durchgeführt werden, um deren Leistungszustand zu beurteilen. Ebenso empfiehlt sich die Bestimmung der Körperzusammensetzung (z. B. Fettmasse, Muskelmasse). In Verbindung mit einer ausführlichen Anamnese ermöglicht dies eine individualisierte und bedarfsgerechte Trainingsplanung.

Typische Krankheits- und Behandlungsfolgen müssen bekannt sein und beachtet werden. Sie können die Belastungstoleranz reduzieren, sodass Trainingsmodifikationen erforderlich sind. Diese können sich sowohl auf die Belastungsgestaltung als auch auf die Übungsauswahl und -durchführung beziehen.

Je nach Ausgangssituation sollte das Training behutsam aufgebaut und sich langsam an die Trainingsempfehlungen herangetastet werden. Es ist daher empfehlenswert, dass das Training unter qualifizierter Anleitung erfolgt.

Fazit

Individualisiertes Fitnesstraining kann den Gesundheitszustand und die Lebensqualität sowie die Langzeitprognose von Krebsbetroffenen maßgeblich verbessern. Von daher ist Krebsbetroffenen nach Abschluss der Therapie ein regelmäßiges Fitnesstraining unter qualifizierter Anleitung dringend zu empfehlen.

Sowohl Ärzte als auch Bewegungsfachkräfte haben in dieser Hinsicht eine wichtige Beratungs- und Motivationsfunktion. Fitness- und Gesundheitseinrichtungen sind dazu angehalten, spezifische Trainingsangebote für Krebsbetroffene zu schaffen und diese transparent darzustellen (Schmitz et al., 2019).

Eine gute Kommunikationsmöglichkeit bietet z. B. das Netzwerk OnkoAktiv (Wiskemann, Köppel & Biazeck, 2019). Zur sachgerechten Umsetzung der evidenzbasierten Trainingsempfehlungen werden im Bereich 'Fitnesstraining in der Krebsnachsorge' spezifisch qualifizierte Trainer benötigt.

Über den Autor

Prof. Dr. Markus Wanjek ist stellvertretender Fachbereichsleiter Gesundheitswissenschaften und Dozent bzw. Referent an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) und der BSA-Akademie.
Er verfügt über eine 20-jährige praktische Berufserfahrung im Fitness- und Gesundheitsbereich. Der promovierte Sportwissenschaftler ist u. a. Mitinitiator der Trainerfortbildung 'Trainer/in für Fitnesstraining in der Krebsnachsorge'.

Auszug aus der Literaturliste

Campbell, K. L., Winters-Stone, K. M., Wiskemann, J., May, A. M., Schwartz, A. L., Courneya, K. S. et al. (2019). Exercise Guidelines for Cancer Survivors: Consensus Statement from International Multidisciplinary Roundtable. Medicine & Science in Sports & Exercise, 51 (11), 2375–2390.
Patel, A. V., Friedenreich, C. M., Moore, S. C., Hayes, S. C., Silver, J. K., Campbell, K. L. et al. (2019). American College of Sports Medicine Roundtable Report on Physical Activity, Sedentary Behavior, and Cancer Prevention and Control. Medicine & Science in Sports & Exercise, 51 (11), 2391–2402.

Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte marketing@dhfpg-bsa.de.

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