Fitness | Autor/in: Patrick Berndt |

Vorbereitung auf hohe Belastungen: Kettlebell Swing und Kettlebell Halo

Aktuelle trainingswissenschaftliche Erkenntnisse: Unsere Fachartikelreihe 'Angewandte Trainingswissenschaft' befasst sich mit komplexen Bewegungen aus dem funktionellen Krafttraining mit Langhanteln und Kettlebells, ihren technischen Besonderheiten sowie praktischen Anwendungsmöglichkeiten, um neue Impulse für die Trainingsgestaltung zu liefern. In diesem Teil dreht sich alles um die das funktionelle Aufwärmen mit der Kettlebell.

Angewandte Trainingswissenschaft (Teil 1): Funktionelles Aufwärmen mit Kettlebells

Lockeres Laufen mit anschließendem Dehnen, wie es jahrzehntelang als Aufwärmprogramm praktiziert wurde, bereitet nicht optimal auf die spezifischen Belastungen eines Krafttrainings vor, insbesondere wenn dieses ballistische Bewegungen beinhaltet (Andrade et al., 2015).

Um eine optimale Belastbarkeit des gesamten Bewegungsapparates herzustellen, muss im Kontext eines funktionellen Aufwärmprogramms darauf geachtet werden, dass die Belastungsintensität, Bewegungsgeschwindigkeit und -amplitude während des Aufwärmprogramms progressiv an die Anforderungen der Zielbewegung angepasst werden (McGowan, Pyne, Thompson & Rattray, 2015).

Allgemeine Erwärmung & spezielles Aufwärmprogramm

Dies ist insbesondere bei Krafttrainingseinheiten von Bedeutung, bei denen mit maximaler Last, Geschwindigkeit oder Amplitude trainiert wird. Nach der allgemeinen Erwärmung sollte demnach ein spezielles Aufwärmprogramm erfolgen, das sowohl die beanspruchten Muskelgelenksysteme mobilisiert als auch das neuromuskuläre System auf schnelle bzw. hochintensive Leistungen vorbereitet, um dadurch die nachfolgend erbrachten Trainingsleistungen zu optimieren (Fradkin, Zazryn & Smoliga, 2010).

Aufgrund der vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten sowie der einfachen Handhabung bei ballistischen Bewegungen eignen sich Kettlebells sehr gut zur Verwendung innerhalb eines funktionellen Aufwärmprogramms vor dem Schnell- und Maximalkrafttraining.

Stellvertretend für die Vielzahl möglicher Übungen werden nachfolgend die Übungen Kettlebell Swing (vgl. Abb. 1) und Kettlebell Halo (vgl. Abb. 2) näher thematisiert.

Übung 1: Der Kettlebell Swing

In der Startposition befinden sich die Füße in schulterbreitem Parallelstand, die Kugelhantel wird im Obergriff erfasst und die Hüft- und Kniegelenke sind leicht gebeugt, während der Oberkörper unter Beachtung der physiologischen Wirbelsäulenhaltung nach vorne kippt.

Nun wird die Kettlebell durch eine explosive Hüft- und Knieextension nach vorne oben beschleunigt. Die Arme bleiben passiv gestreckt und dienen nur der Kraftübertragung. Die Bewegung endet im aufrechten Stand, wobei die Kettlebell bis knapp über Schulterhöhe in die Horizontale weiter beschleunigt wird.

Am Umkehrpunkt wirkt die Schwerkraft und zieht die Kettlebell dem Masseschwerpunkt folgend nach unten. In der anschließenden exzentrischen Bewegungsphase werden Hüft- und Kniegelenke passiv gebeugt, der Oberkörper kippt wieder nach vorne und die Kettlebell schwingt zwischen den Beinen hindurch leicht nach hinten oben. 

Anschließend wird die Bewegung dynamisch wiederholt.

Es sollte darauf geachtet werden, dass die Beschleunigung der Kettlebell ausschließlich aus der Hüft- und Kniestreckung und nicht aus einer Armzugbewegung erfolgt. Während der gesamten Schwungbewegung muss der Rumpf in seiner physiologischen Haltung sowie die Schulterblätter nach hinten unten fixiert werden (Jonen & Netterville, 2014).

Der Kettlebell Swing kann auch einarmig ausgeführt werden (vgl. Titelbild), wobei der Bewegungsablauf mit der beidarmigen Variante weitgehend identisch ist.

Beidarmige vs. einarmige Ausführung

Bei beiden Varianten des Kettlebell Swings resultiert die primäre Kraftentfaltung zur Beschleunigung der Kettlebell aus einer explosiven Knie- und Hüftgelenkextension. Zudem erfordern die auftretenden Stabilisationsanforderungen eine Aktivierung der LWS-Extensoren (McGill & Marshall, 2012) und die Schulterblattstabilisatoren werden beansprucht.

In der Endphase der exzentrischen Bewegung müssen die unteren Bewegungssegmente des M. rectus abdominis angespannt werden, um die Beckenhaltung zu stabilisieren.

Bei der einarmigen Ausführung ist anzumerken, dass aufgrund der unilateralen Kraftübertragung in den oberen Extremitäten eine rotatorische Kraft auf den Schultergürtel einwirkt, die von der gesamten Rumpfmuskulatur stabilisiert werden muss.

Bei der einarmigen Ausführung konnte im Bereich der Mm. erector spinae eine höhere Muskelaktivität der zum kettlebellführenden Arm kontralateralen Seite registriert werden.

Umgekehrt konnte auf der Seite des kettlebellführenden Arms eine höhere Aktivierung des M. rectus abdominis festgestellt werden (Andersen et al., 2016; Andersen, Fimland & Saeterbakken, 2019).

Übung 2: Der Kettlebell Halo

Der Kettlebell Halo (engl. 'Halo' für 'Heiligenschein') kann, je nach Kettlebellgewicht, als Mobilisationsübung oder Kräftigungsübung für Schultergürtel und Schultergelenk eingesetzt werden.

Aufgrund der kreisenden Bewegungen werden hier konzentrische und exzentrische Arbeit muskelgruppenspezifisch kombiniert.

Der Trainierende nimmt einen etwa hüftbreiten Parallelschrittstand ein. Die Kettlebell wird beidhändig an den Seitenhörnern erfasst, wobei der Griff der Kettlebell nach unten zeigt.

Aus dieser Position wird die Kettlebell eng um den Kopf gekreist, wodurch der Masseschwerpunkt der Kugel aufgrund seiner exzentrischen Position während der gesamten Bewegungsausführung variiert (vgl. Abb. 2).

Durch ebendiesen variierenden Masseschwerpunkt der Kettlebell entstehen bei dieser Übung multidirektionale Stabilisierungsanforderungen für die gelenkumgebende Muskulatur.

Daher werden beim Kettlebell Halo alle Anteile des Deltamuskels, der obere Anteil des Trapezmuskels, die Rotatorenmanschette des Schultergelenks, die schulterblattfixierende Muskulatur sowie die Muskulatur der oberen Extremitäten beansprucht.

Bei der Übungsausführung ist darauf zu achten, dass die Bewegungsrichtung nach einer bestimmten Anzahl an Wiederholungen umgekehrt wird.

Fazit: Warm-Up mit Kettlebells

Der Kettlebell Swing beansprucht alle Muskelgelenksysteme der unteren Extremitäten sowie der Lenden- und Brustwirbelsäule.

Aufgrund dieser muskulären Beanspruchung und dem charakteristischen Widerstandsverlauf eignet sich diese Übung gut zur Vorbereitung auf komplexe Übungen für die unteren Extremitäten, insbesondere für ballistische Übungen.

Darüber hinaus kann die einhändige Ausführungsvariante als spezifische Aufwärmübung vor rotatorischen Belastungen genutzt werden. Ergänzend zum Kettlebell Swing kann der Kettlebell Halo zur Mobilisation von Schultergelenk und -gürtel dienen, welche bei ballistischen Übungen (z. B. Snatch, Clean & Jerk) ebenfalls stark beansprucht werden.

Insgesamt muss im Kontext des funktionellen Trainings beachtet werden, dass komplexe Übungen nicht nur adäquat von qualifiziertem Personal vermittelt, sondern auch alle beanspruchten Strukturen optimal auf die Belastung vorbereitet werden müssen, um effektiv und sicher zu trainieren.

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Über den Autor

Der Sportwissenschaftler Patrick Berndt ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent im Fachbereich Trainings- und Bewegungswissenschaft an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) und der BSA-Akademie tätig.

Durch seinen Einsatz als Athletik- und Personal Trainer in den Bereichen des Individual- und Mannschaftssports sowie als trainingswissenschaftlicher Berater verfügt er über umfassende Praxiserfahrung und Fachkompetenz.

Auszug aus der Literaturliste

Andersen, V., Fimland, M. S., Gunnarskog, A., Jungård, G.-A., Slåttland, R.-A., Vraalsen, Ø. F. et al. (2016). Core Muscle Activation in One-Armed and Two-Armed Kettlebell Swing. Journal of strength and conditioning research, 30 (5), 1196–1204.
McGowan, C. J., Pyne, D. B., Thompson, K. G. & Rattray, B. (2015). Warm-Up Strategies for Sport and Exercise: Mechanisms and Applications. Sports medicine (Auckland, N.Z.), 45 (11), 1523–1546.

Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte marketing@dhfpg-bsa.de.

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