Fitness, Gesundheit | Autor/in: Tobias Mischo |

Stellenwert der Sporttherapie in der Genesung: Behandlung einer Schulterinstabilität

Schulterinstabilitäten treten insbesondere bei Kontaktsportarten, allerdings auch vereinzelt durch Alltagsverletzungen auf und stellen die häufigsten Akutverletzungen im Schulterbereich dar. Im Therapieverlauf sind neben akut- und physiotherapeutischen Behandlungen sporttherapeutische Maßnahmen von essenzieller Bedeutung.

Stellenwert der Sporttherapie in der Genesung: Behandlung einer Schulterinstabilität

Das Schultergelenk ist eines der beweglichsten Gelenke im menschlichen Körper. Dies hat zur Folge, dass die Stabilität deutlich geringer ist als bei anderen Gelenkstrukturen.

Im Vergleich entstehen hier häufig Instabilitäten, zumeist in Form von traumatischen Schulterluxationen (Auskugeln der Schulter). Oft treten diese bei Stürzen (37 %), Verkehrsunfällen (23 %) oder Sportunfällen (17 %) auf (Hazmy & Parwathi, 2005). Mit über 90 Prozent sind Luxationen nach vorne unten am häufigsten (Neumann, 2021, S. 47).


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Hinsichtlich der Nachbehandlung gelten unabhängig davon, ob eine operative oder konservative Behandlung erfolgte, die gleichen Empfehlungen. Zu beachten ist jedoch, dass bei der operativen Therapie die rekonstruierten Strukturen eine gewisse Zeit der Immobilisation benötigen (Diemer & Sutor, 2010, S. 145).

Ist diese erfolgt, so sollte zeitnah mit therapeutischen Maßnahmen begonnen werden. Hier spielen neben physiotherapeutischen Behandlungen auch sport- und bewegungstherapeutische Maßnahmen eine große Rolle.

Gemeint sind hiermit ärztlich indizierte und verordnete Verfahren, die körperliche Bewegung bzw. körperliches Training als Interventionsmittel einsetzen und von Fachtherapeuten geplant und durchgeführt werden (Böhle et al., 2015, S. 62–63; Schüle & Deimel, 1990).

Therapieverlauf

Der Therapieverlauf kann bei Schultergelenksinstabilitäten in verschiedene Rehabilitationsphasen unterteilt werden (vgl. Abb. 1). Diese im Folgenden dargestellten Phasen sind jedoch nicht als in sich geschlossene Abschnitte zu betrachten, sondern gehen zumeist fließend ineinander über. Orientiert wird sich hier entsprechend an dem Wundheilungsprozess (Diemer & Sutor, 2010, S. 145–147; Gokeler, Lehmann, Knopf & Freiwald, 2003; Stein et al., 2015, S. 156).

Zu beachten ist, dass es sich hierbei lediglich um eine exemplarische, zeitlich modifizierte Darstellung des Therapieverlaufes handelt, um den Fokus auf die inhaltlichen Abläufe der sport- und bewegungstherapeutischen Inhalte zu legen. Zudem sollten die Vorgaben des behandelnden Arztes unbedingt Beachtung finden.

Phase eins: Akutphase

Während der Akutphase stehen die Schmerzreduktion sowie die Resorptionsförderung bei Weichteilgewebeschwellungen im Vordergrund (Imhoff, Beitzel, Stamer & Klein, 2015, S. 28).

Da es sich hierbei um überwiegend passive Maßnahmen handelt, die weitestgehend in den Bereich der physiotherapeutischen Tätigkeit fallen, kommen Sport- und Bewegungstherapeuten hier in der Regel kaum zum Einsatz.

Weitere Ziele dieser Phase sind die Minimierung der durch die Immobilisation bedingten Muskelatrophie und der Erhalt der Bewegungsausmaße. Zu diesem Zeitpunkt dürfen noch keine Übungen zur Außenrotation durchgeführt werden (Diemer & Sutor, 2010, S. 145).

Die Phase eins erstreckt sich von der Wundheilungsphase bis zum Ende der Proliferationsphase.

Phase zwei: Return to Sport

Nach der Freigabe der endgradigen Bewegungsausmaße im Schultergelenk und mit Beginn der Remodulierungsphase (> sechste Woche) beginnt Phase zwei (Return to Sport). Sport- und bewegungstherapeutische Maßnahmen spielen ab hier eine zunehmend größere Rolle.

Im Fokus dieser Phase stehen das Erreichen freier Bewegungsausmaße, die Zentrierung des Humeruskopfes und die Stabilisierung des Schultergelenkes sowie des Schulterblattes. Dazu werden primär Kräftigungs-, Mobilisations- und Koordinationsübungen durchgeführt (Beitzel, Stamer, Klein & Imhoff, 2015, S. 32; Diemer & Sutor, 2010, S. 146).


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Während zu Beginn isometrische Übungen mit niedriger Intensität überwiegen, verlagert sich der Fokus im Laufe der zweiten und dritten Phase immer mehr zu dynamischen Übungen mit zunehmender Intensität.

Ab dieser Phase darf ein aktives Mobilisieren des Glenohumeralgelenkes mit leichtem Dehnungsschmerz erfolgen. Zudem sollte bei anteriorer Instabilität bei allen Übungen anfänglich darauf geachtet werden, nicht in horizontaler Abduktion sowie Kombinationsbewegungen aus Abduktion und Außenrotation zu trainieren, da es sonst zu einer übermäßigen Belastung der geschädigten Strukturen kommen kann. Beim Liegestütz beispielsweise sind die Arme nah am Körper zu positionieren.


Über den Autor

Tobias Mischo, M. A. Prävention und Gesundheitsmanagement, ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent im Fachbereich Trainings- und Bewegungswissenschaft an der  Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) sowie BSA-Akademie tätig. Durch seine langjährige Berufserfahrung im Bereich der Sport- und Bewegungstherapie verfügt er über umfassende Praxiserfahrung in diesem Bereich.


Des Weiteren sollte zunehmend eine Kräftigung der Außenrotatoren erfolgen (Diemer & Sutor, 2010, S. 146). Der Fokus liegt hierbei auf der Kräftigung des M. subscapularis als primärer Innenrotator. Empfehlenswert ist besonders ein Training in 90-Grad-Abduktion, da er in dieser Position maßgeblich für die Stabilität des Gelenkes verantwortlich ist.

Darüber hinaus sind Übungen zur Kräftigung des M. biceps brachii und des M. deltoideus zu integrieren, da hierdurch die anteriore Translation im Glenohumeralgelenk reduziert wird (Kido, Itoi, Lee, Neale & An, 2003; Soslowsky, Malicky & Blasier, 1997).


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Im Laufe dieser Phase wird mit einem Krafttraining der gesunden Bereiche sowie einem Ausdauertraining begonnen, um die optimale Leistungsfähigkeit des gesamten Organismus schnellstmöglich wiederherzustellen.

Zudem ist ein Defizit der proximalen Stabilität häufig mit erhöhten Belastungen des Schultergürtels assoziiert, da dieser gegebenenfalls nicht optimal generierte oder weitergeleitete Kräfte kompensieren muss (Diemer & Sutor, 2010, S. 102).

Phase drei: Return to Play/Activity

Die Phase drei (Return to Play/Activity) beginnt ca. ab dem vierten Monat nach OP bzw. Verletzung. Sie zielt darauf ab, den Patienten mithilfe sportartspezifischer Übungen wieder adäquat auf seine Sportart bzw. seine Alltagsaktivitäten vorzubereiten, damit er diese möglichst uneingeschränkt mit minimiertem Rezidivrisiko wieder ausführen kann.

Eine Vollbelastung des Schultergelenkes in allen Gelenkpositionen mit möglichst vollständig wiederhergestellter statischer wie dynamischer Stabilität steht hier also im Vordergrund (Schmidt, Riedel & Grundler, 2023, S. 59).

Exemplarische Übungen für Handballer oder Badmintonspieler wären Wurfbewegungen sowie schnelle, richtungswechselnde Armbewegungen mit und ohne Zusatzbelastungen (Seilzug, Theraband etc.) mit immer größer werdenden Bewegungsamplituden und immer komplexer werdenden Kombinationsbewegungen (z. B. vom Schlag- zum Sprungwurf).

Weiterhin werden neben sportartspezifischen Übungen auch Kraft-, Ausdauer- und Koordinationstrainings durchgeführt. Hier ist ein Wechsel von umfangs- zu intensitätsorientiertem Training zunehmend angestrebt (Diemer & Sutor, 2010, S. 146).

Phase vier: Return to Competition

Ab ca. dem sechsten Monat beginnt die vierte Phase (Return to Competition). Sie ist charakterisiert durch den uneingeschränkten Wiedereinstieg in den Freizeit- bzw. Wettkampfsport, also eine vollständig funktionelle Wiederherstellung der Schulter.

Für Personen, die keinen Freizeit- bzw. Wettkampfsport betreiben, spielt diese Phase zumeist keine Rolle, da zu diesem Zeitpunkt in der Regel eine ausreichende Belastbarkeit besteht, um Alltagsaktivitäten mit möglichst geringem Rezidivrisiko durchzuführen.

Da der Übergang von der vorangehenden Phase fließend erfolgt, sind die Inhalte ähnlich. Jedoch nehmen Intensität und Komplexität der sportartspezifischen Übungen weiter zu, ebenso Anzahl und Schweregrad von Zusatzaufgaben bei sportartspezifischen Bewegungsabläufen.

Des Weiteren kommt es verstärkt zu Fremdeinwirkungen bei Übungsdurchführungen, um im Hinblick auf die Wiederaufnahme von Kontaktsportarten den Gegnerkontakt zu simulieren. Es erfolgt außerdem ein Training der Schulterstabilisatoren.

Die Entscheidung, wann der Wiedereinstieg erfolgt, sollte unbedingt in enger Abstimmung zwischen Trainern, therapeutischem sowie medizinischem Fachpersonal und dem Patienten bzw. der Patientin selbst erfolgen (Bloch, Mook, Schwandt & Bucholz, 2021, S. 19).

Ob eine ausreichende Belastbarkeit der betroffenen Strukturen für die Rückkehr zum Wettkampfsport besteht, muss anhand geeigneter Assessments geprüft werden. So gibt eine isometrische Krafttestung der Rotatorenmanschette bereits erste Hinweise auf die Toleranz gegenüber schulterrelevanten sportartspezifischen Anforderungen. Bei der Untersuchung der statischen und dynamischen Kontrolle hingegen empfiehlt sich beispielsweise der Y-Balance-Test (Bloch et al., 2021, S. 23).

Laut Imhoff et al. (2015, S. 19) sollte nach ca. neun Monaten ein vollständiger Einstieg in den Wettkampf bei Kontaktsportarten gewährleistet sein.


Fazit

Eine Schulterluxation bedarf einer präzisen und umfangreichen Nachbehandlung, damit schnellstmöglich und mit minimalem Rezidivrisiko eine Rückkehr zum Sport bzw. zu Alltagsaktivitäten ermöglicht werden kann.

Sport- und Bewegungstherapeuten spielen hierbei eine essenzielle Rolle, da die Kombination aus medizinischer Behandlung, physiotherapeutischer Betreuung und sporttherapeutischer Rehabilitationsarbeit eine bestmögliche Kuration der Verletzung ermöglicht und somit der Heilungsprozess sowie der potenzielle Wiedereinstieg in die betriebene Sportart kompetent und ganzheitlich begleitet wird.


Auszug aus der Literaturliste

Bloch, H., Mook, J., Schwandt, K. & Bucholz, I. (2021). Return-to-Competition – Testmanual zur Beurteilung der Spielfähigkeit nach akuter Verletzung der Schulter (VBG, Hrsg.). Hamburg: VBG.

Dickens, J. F., Rue, J.-P., Cameron, K. L., Tokish, J. M., Peck, K. Y., Allred, C. D. et al. (2017). Successful Return to Sport After Arthroscopic Shoulder Stabilization Versus Nonoperative Management in Contact Athletes With Anterior Shoulder Instability: A Prospective Multicenter Study. The American Journal of Sports Medicine, 45 (11), 2540–2546.

Kido, T., Itoi, E., Lee, S.-B., Neale, P. G. & An, K.-N. (2003). Dynamic stabilizing function of the deltoid muscle in shoulders with anterior instability. The American Journal of Sports Medicine, 31 (3), 399–403.

Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte marketing@dhfpg-bsa.de.

Diesen Artikel können Sie folgendermaßen zitieren:

Mischo, T. (2024). Behandlung einer Schulterinstabilität. medical fitness and healthcare, 1, 72–74.

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