Fitness, Gesundheit | Autor/in: Florian Schmidt |

Worauf Betreiber und Trainer bei der Rückkehr der Mitglieder achten sollten

Von November 2020 bis Anfang Juni 2021 dauerten die behördlich angeordneten Schließungen der Fitness- und Gesundheitsanlagen in Deutschland. Entsprechend wurde Millionen von Menschen der Zugang zu ihrem stationären Fitnesstraining im Studio verwehrt.

So geht Restart: Fachexperten der DHfPG beleuchten das Thema Wiedereröffnung der Fitnessstudios nach dem Corona-Lockdown interdisziplinär.

Aktuelle Studienergebnisse der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) zeigen, dass ein Großteil der Mitglieder im vergangenen halben Jahr deutlich weniger bis gar nicht trainiert hat. Für die Betreiber bedeutet dies: Sobald die Studios wieder öffnen dürfen, kommen zehn Millionen Mitglieder zurück, die sich aufgrund des zweiten Lockdowns veränderte Verhaltensmuster angeeignet haben sowie ein geringeres Fitnessniveau aufweisen. 

Vor diesem Hintergrund hat fitness MANAGEMENT international die folgende Frage gestellt: Auf was sollten Studiobetreiber und Trainer nach der Wiedereröffnung achten? Im Interview mit Fachexperten der DHfPG wird diese Thematik interdisziplinär beleuchtet. Die Gesprächspartner sind Prof. Dr. Sarah Kobel, Fachbereichsleitung Forschung und Entwicklung, der Diplom-Sportwissenschaftler Nicolai Rolli, Dozent des Fachbereichs Psychologie, und Patrick Berndt, M. Sc. Sportwissenschaft und Mitarbeiter des Fachbereichs Individualtraining.


 


fMi: Wie hat sich das Trainingsverhalten der Mitgliederdurch den zweiten Lockdown und die damit einhergehenden behördlich angeordneten Schließungen der Fitness- und Gesundheitsanlagen entwickelt?

Prof. Dr. Sarah Kobel:  Die neueste „Corona-Studie“ der DHfPG zeigt, dass aktuell etwa jeder Dritte, genauer 34,5 Prozent, maximal einmal die Woche oder seltener trainiert, was mit Blick auf die gesundheitsprotektive Wirkung von Fitnesstraining fatal ist. Zum Vergleich: In der Zeit zwischen den Lockdowns, als die Anlagen im Sommer 2020 geöffnet waren, trainierten lediglich 14,1 Prozent derart selten.

Hat sich der physische Trainingszustand der Mitglieder, verglichen mit dem Leistungsniveau vor Beginn des zweiten Lockdowns, nachweislich verändert? 

In der Tat. Wir haben die Trainierenden seit Beginn der Krise immer wieder nach ihrem körperlichen Befinden befragt. Es hat sich gezeigt, dass sich mit Schließung der Anlagen das körperliche Befinden drastisch verschlechtert. Sind die Anlagen geöffnet, fühlen sich die Befragten „eher gut“. Das wirkt sich natürlich auch auf deren Leistungsfähigkeit aus.

In Deutschland öffneten im Sommer 2020 die Fitnessstudios für einige Monate wieder. Auch im Frühjahr 2021 konnten sie in Modellregionen wie dem Saarland für kurze Zeit ihre Mitglieder empfangen. Welche Erkenntnisse lassen sich im Hinblick auf diese Wiedereröffnungen nachweisen? Wie wurde das Trainingsverhalten dadurch beeinflusst und wie haben die Mitglieder reagiert? 

Die DHfPG hat das Saarland-Modell im Bereich der Fitnessanlagen wissenschaftlich begleitet. Bereits in den ersten beiden Wochen nach der Wiedereröffnung der Anlagen waren sehr positive Effekte auf die mentale Gesundheit der Trainierenden festzustellen. Es zeigte sich eine regelrechte „Trainingseuphorie“. Die Mitglieder gaben an, äußerst glücklich zu sein und eine starke mentale Entlastung durch das Training zu spüren. Auch körperlich fühlten sie sich deutlich besser als im Lockdown: 94,8 Prozent der befragten Saarländer merkten eindeutig, wie gut ihnen das Training tut. 


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Wie wird sich das durch die Pandemie veränderte Gesundheitsbewusstsein auf den deutschlandweiten Restart der Studios und das Trainingsverhalten auswirken?

Wir sehen eine große Mehrheit der Mitglieder, die sich gern gesünder ernähren und einen gesünderen Lebensstil verfolgen möchte. Gleichzeitig zeigen unsere Ergebnisse, dass die Mitglieder die Umsetzung allein nicht schaffen. Hier ist es an den Fitness- und Gesundheitsanlagen, unterstützend einzugreifen. Der ganzheitliche Ansatz aus Fitness und Gesundheit muss und wird Einzug in das Portfolio der Anbieter halten. Fitness und ein gesunder Lebensstil gehen dabei mehr denn je Hand in Hand.

Gibt es auf Basis des aktuellen Forschungsstandes relevante Erkenntnisse bzw. Key-Learnings, auf was Trainer und Studiobetreiber nach dem Restart achten sollten? Wie geht man mit einem Mitglied um, das mehrere Monate nicht trainieren konnte? 

Der Lockdown wirkt sich negativ auf die Motivation und damit auch auf die Trainingshäufigkeit aus. Alternative Trainingsformen werden nur selten ausgeübt. Vor diesem Hintergrund muss man nach dem Restart bei den Mitgliedern Fingerspitzengefühl beweisen, um einer Frustration entgegenzuwirken. Vielen wird nicht klar sein, dass sie nicht dort weitermachen können, wo sie vor dem Lockdown aufgehört haben. Das muss unbedingt in der Kommunikation mit den Mitgliedern berücksichtigt werden.


 


Der Lockdown hinterlässt physische, aber auch psychische Spuren. Wenn wir die Verhaltensmuster betrachten, was hat sich bei den Mitgliedern in den letzten Monaten verändert?

Nicolai Rolli:  Vor allem bei älteren Mitgliedern haben sich Verhaltensmuster der Verunsicherung, u. a. durch die schwindende Berechenbarkeit der Welt, entwickelt. Sie haben zunehmend Angst, krank zu werden bzw. sich zu infizieren. Darüber hinaus hat das Auf-sich-allein-gestellt-Sein durch den Lockdown bei Menschen jeder Altersgruppe zu einer Verstärkung von Einsamkeit und eventuell zu einem psychischen Leere- und Sinnlosigkeitsgefühl geführt.

Auch Führungskräfte und Mitarbeiter von Fitness- und Gesundheitsanlagen leiden unter der ungewissen Situation. Wie können existenzielle Ängste und Unsicherheiten abgebaut werden und wie lässt sich das Team für den Neustart bestmöglich motivieren?

Die Beziehungen zu den Mitarbeitern müssen reaktiviert bzw. wiederaufgebaut werden. Über eine verbindende Kommunikation können die Mitarbeiter ein Gefühl von „psychologischer Sicherheit“ empfinden, das heißt sie können bedenkenlos ihre Ängste und Emotionen ehrlich mitteilen. Eine gezielte Unterstützung durch die Führungskräfte – „Was brauchst du?“ – und untereinander hilft dabei, Verbundenheit im und zum Unternehmen zu fördern.

Es ist nachgewiesen, dass Fitnesstraining insbesondere dann effektiv ist, wenn es regelmäßig durchgeführt wird. Wie können die Betreiber und Trainer ihre Mitglieder auch psychologisch dabei unterstützen, zeitnah wieder eine Trainingsroutine aufzubauen? Was gilt es in Sachen Motivation zu beachten?

Unsere Motivation entsteht durch den Sinn, den wir in unserem Training sehen, und die Zielsetzung, die wir damit verbinden. Es muss unsere Aufgabe sein, die Verantwortung der Mitglieder für sich selbst und ihre Gesundheit zu fördern. Sie in ihrem Tun, also im Training, zu bestärken und ihnen aufzuzeigen, dass sie schon einmal erfolgreich ins Training eingestiegen sind, hilft dabei. 

Viele Studiobetreiber und Trainer haben ihre Mitglieder seit mehreren Monaten nicht mehr persönlich gesehen. Gibt es Aspekte, die beim ersten Wiedersehen zu beachten sind? Wie wichtig ist gerade jetzt eine empathische Kundenbeziehung und die Nähe zum Mitglied?

„Wir sind für dich da und geben dir Sicherheit!“ – das sollte die zentrale Botschaft beim ersten Wiedersehen sein. Empathie bedeutet, sich in die Lage seines Gegenübers versetzen zu können. Ohne Empathie kann keine Beziehung gelingen. Mit Fragen wie „Wie fühlst du dich?“ und „Was ist dir besonders wichtig für den Wiedereinstieg“ können wir sozusagen Brücken zu unseren Mitgliedern schlagen.

Welchen Beitrag können qualifizierte Trainer und Mental Coaches leisten, damit die Mitglieder mental fit bleiben bzw. ihre mentale Fitness wiederherstellen können und langfristig die Resilienz gestärkt wird?

Unsere Resilienz (Anm. d. Red.: psychisches Immunsystem) kann gezielt über Fokusausrichtungen gefördert werden. Sich auf positive Emotionen zu konzentrieren – „Wie können wir deine Erfahrungen aus der Lockdown-Zeit für den Wiedereinstieg nutzen?“ –, einen offenen Austausch zu fördern und kleine Trainingserfolge der Mitglieder zu feiern, sind konkrete Beiträge, die Trainer leisten können, um die psychische Gesundheit ihrer Kunden zu verbessern. 

Ältere Mitglieder oder Mitglieder mit Vorerkrankungen könnten der Wiederaufnahme ihres Trainings kritisch gegenüberstehen. Wie kann man als Trainer, Betreuer oder Studioinhaber eventuellen Ängsten der Trainierenden vor einer Ansteckung oder verlorener Leistungsfähigkeit begegnen?

Durch persönliche Kommunikation und gezielte Aufklärung fördern Trainer das Sicherheitsgefühl von ängstlichen Mitgliedern und nehmen ihnen die Angst vor einer Ansteckung. Nach-Corona-Erfolgsgeschichten von anderen Trainierenden können unterstützend wirken. Die Wenn-dann-Verknüpfungen können das Sicherheitsgefühl der Mitglieder positiv beeinflussen – z. B. „Wenn ich mich sicher genug fühle, werde ich mit dem Training starten.“

 

Wie führt man die Mitglieder nach der langen Zwangspausewieder sicher an das Fitnesstraining im Studio heran? Welche Rolle spielt dabei der persönliche Kontakt und die Interaktion mit dem Trainer?

Patrick Berndt: Beim Wiedereinstieg einfach mit dem „Vor-Corona-Trainingsplan“ weiterzumachen oder Belastungsumfänge und -intensitäten zu schnell zu steigern, ist nicht empfehlenswert. Nach dem Restart sollten die Mitglieder „an die Hand“ genommen werden. Die Trainer müssen ihnen mit Feingefühl vermitteln, dass für ein sicheres und langfristig effektives Training die Trainingsinhalte und -methoden an den aktuellen Leistungsstand angepasst werden müssen.

Welche Tipps bzw. Empfehlungen können Sie Trainern und Mitgliedern für den Wiedereinstieg ins Training – Gestaltung des Trainings hinsichtlich z. B. Trainingsform, Intensität, Dauer oder Frequenz – geben? Worauf sollten die Trainer bei der Beratung besonders achten? 

Mitglieder, die während der Zwangspause gar nicht trainiert haben, müssen zunächst allmählich wieder an höhere Belastungen herangeführt werden. Dabei sollte auf eine sinnvolle Kombination von Trainingsinhalten zur Steigerung der Kraft- sowie der Grundlagenausdauer geachtet werden, wobei in diesem Stadium beide Trainingsformen in einer Trainingseinheit kombiniert werden können. Sobald ein grundlegendes Maß an Belastbarkeit wiederhergestellt ist, können intensivere Trainingsmethoden gewählt werden. Wenn Mitglieder sich im Lockdown mit Dauerläufen und Kraftausdauertraining z. B. mit dem eigenen Körpergewicht fit gehalten haben, kann ihr Wiedereinstieg ins Training auch mit etwas höheren Belastungsintensitäten und -umfängen gestaltet werden. Je nach Zielsetzung sollten Kraft- und Ausdauertraining auf verschiedene Tage aufgeteilt werden, um die Effektivität des Trainings zu optimieren.

Gibt es spezifische Hinweise, die es beim Training mit älteren Mitgliedern oder Mitgliedern mit Vorerkrankungen zu berücksichtigen gilt?

Ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen Trainer und Trainierenden ist äußerst wertvoll, da Mitglieder mit eingeschränkter Belastbarkeit häufig unsicher sind, insbesondere nach einer aufgezwungenen Trainingspause wie dieser. Um das Vertrauen der Mitglieder zu erlangen, sollten sich die Trainer auf der fachlichen Ebene mit allen Aspekten auskennen, die im Kontext des individuellen Gesundheitszustandes beim Training zu berücksichtigen sind. Außerdem sollten die Mitglieder verstärkt auf zwischenmenschlicher Ebene Motivation und Sicherheit erfahren, damit neben den Trainingseffekten auch Spaß am Training gewährleistet ist.

Welchen Rat können Sie Trainern und Studiobetreibern mitgeben, damit ein erfolgreicher Restart gelingt?

Prof. Dr. Sarah Kobel: Auf die Trainierenden eingehen, ihre individuellen Bedürfnisse aufdecken, ihnen Ziele setzen sowie Fortschritte aufzeigen und ganz wichtig: weiter den Spaß an der Sache vermitteln!

Nicolai Rolli: Den Fokus auf die Beziehung und damit auf die emotionale Verbindung zu bzw. zwischen den Mitarbeitern und Mitgliedern legen – über Empathie, also emotional die Menschen „abholen“, Mitgefühl und sehr viel Kommunikation. Die Studios sind ein wichtiger Anlaufpunkt für Menschen, die aus der Isolation bzw. der sozialen Vereinsamung sich nach Bindung und Austausch sehnen – dieses Bedürfnis sollte unbedingt berücksichtigt werden. Es geht also zukünftig noch viel mehr um die Förderung der psychischen Gesundheit in unserer täglichen Arbeit.

Patrick Berndt: Kompetente, individualisierte Trainingsbetreuung erzeugt Vertrauen, Sicherheit und nachhaltige Trainingseffekte bei den Mitgliedern. Dementsprechend stellt Qualität im Training ein hervorragendes Instrument zur Kundenbindung dar.


Fazit

Wenn Studiobetreiber und Trainer diese unterschiedlichen Aspekte auch über den Restart hinaus in der Praxis umsetzen und den Trainierenden eine interdisziplinäre Rundumbetreuung bieten, kann die Branche vom gestiegenen Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung langfristig profitieren. Kundennähe und Sicherheit sowie Vertrauen in eine professionelle Dienstleistung im Studio sind der Schlüssel, um künftig noch mehr Mitglieder für das gesundheitsorientierte Fitnesstraining zu begeistern und an das Studio zu binden.


Interviewpartner

Prof. Dr. Sarah Kobel promovierte am Institut für Konsum- und Verhaltensforschung an der Universität des Saarlandes.

Nicolai Rolli arbeitete jahrelang in personalverantwortlichen Positionen und als Geschäftsführer.

Patrick Berndt verfügt als Athletik- und Personal Trainer sowie als trainingswissenschaftlicher Berater über umfassende Praxiserfahrung und Fachkompetenz.

Diesen und weitere Artikel finden Sie in der fMi 03/2021 & für Abonnenten EXKLUSIV vorab.

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fMi 03/2021