Fitness, Gesundheit | Autor/in: Dr. Joshua Berger & Prof. Dr. Michael Fröhlich |

EMS-Heimtraining – der Wolf im Schafspelz

Der Gesetzgeber hat Ganzkörper-Elektromyostimulation (GK-EMS) in der Anwendung im kommerziellen sowie therapeutischen Sektor diversen Richtlinien und Vorgaben unterworfen, die ein sicheres und effektives Training unter professioneller Betreuung gewährleisten sollen. Wo liegt das Gefährdungspotenzial eines privaten EMS-Heimtrainings und warum ist gerade GK-EMS für ein selbstständiges Heimtraining oder als hybrides Trainingsangebot nicht geeignet?

EMS-Heimtraining als Wolf im Schafspelz

Ganzkörper-Elektromyostimulation (GK-EMS) ist eine zeiteffiziente und hocheffektive Trainingsform. Aufgrund des Personal-Training-Charakters sowie der individuellen Steuerung der Trainingsintensität ermöglicht sie einem breiten Anwender:innenkollektiv ein hochindividualisiertes Training, weshalb sie nicht zuletzt sowohl im leistungssportlichen, therapeutischen als auch im kommerziellen Sektor praktiziert wird.

Bei Rückenschmerz oder Reha bei Sarkopenie

Durch die simultane Stimulation großer Muskelgruppen werden ohne hohe Gelenkbelastung unwillkürliche Kontraktionen der Muskulatur ausgelöst und somit Leistungssteigerungen generiert, was eine Zugänglichkeit des Trainings auch bei motorischen Einschränkungen, wie unspezifischer Rückenschmerz, und im Rahmen von Rehabilitationsmaßnahmen bei Sarkopenie oder anderweitigen Vorerkrankungen ermöglicht (Berger, 2021).

Bereits vor 2016 erste Negativbeispiele in der Anwendung

2014 und 2015 wurden von unterschiedlichen Autor:innen Einzelfallstudien mit negativen gesundheitlichen Auswirkungen von GK-EMS publiziert (Finsterer & Stollberger, 2015; Kastner, Braun & Meyer, 2014). In diesen Fällen kam es nach einer oder mehreren GK-EMS-Anwendungen zu einer Rhabdomyolyse, was einen Gewebezerfall quergestreifter Muskulatur darstellt.

Infolgedessen wurde seitens öffentlicher Institutionen eine Regulierung in der Anwendung des GK-EMS gefordert, da Anwender:innen der Trainingsform ein größeres Verständnis für die physiologischen Mechanismen benötigten und Strategien zur Vermeidung der potenziell schädlichen Wirkung entwickelt werden müssten (Kemmler, Fröhlich & Eifler, 2021).

Norm erläutert sichere GK-EMS-Anwendung

Dies geschah in Form von Handreichungen des EMS-Fachkreises sowie im Rahmen einer Deutschen Industrie Norm (DIN 33961-5).

Die Publikation als auch die Norm erläuterten spezifisch die sichere Anwendung des GK-EMS durch die Trainer:innen und wiesen auf Kontraindikationen beim GK-EMS-Training hin (Kemmler, Fröhlich, Stengel & Kleinöder, 2016; Kemmler et al., 2019).

NiSV: Anforderungen an die GK-EMS-Anwendung

Anschließend wurde vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) im Jahr 2018 eine Verordnung zur Anwendung nicht-ionisierender Strahlung am Menschen (NiSV) veröffentlicht, die GK-EMS-Training miteinbezieht und seitdem diverse Anforderungen an die kommerzielle GK-EMS-Anwendung stellt.

Nicht nur die Durchführung des Trainings, sondern auch die ordnungsgemäße Verwendung des Gerätes muss genau protokolliert werden.


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Ab 1. Januar 2023 fordert die NiSV des Weiteren eine Zertifizierung aller EMS-Trainer:innen („Fachkunde EMF“ zur Stimulation), um ein sicheres und effektives GK-EMS-Training zu gewährleisten und körperliche Schäden der Trainierenden zu vermeiden.

Theorie und Praxis des GK-EMS

Um zu dieser Zertifizierung zugelassen zu werden, müssen Personen eine Schulung (24 Lerneinheiten) absolvieren, in der die theoretischen Hintergründe des GK-EMS sowie – unter ärztlicher Betreuung – die Anwendung an Kund:innen intensiv behandelt werden (BMU, 2019).

Zulassungsvoraussetzung für diese Schulung ist der Nachweis über eine Übungsleiter:innen- oder Trainer:innenlizenz mit mindestens 120 Lerneinheiten (à 45 Minuten).


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Die Entwicklung der EMS-Branche in den vergangenen Jahren führte somit von einer nicht regulierten, teils fehlerhaften Anwendung mit potenziell intensiven physischen Schäden zu einem sicheren und effektiven Personal Training mit qualitativ hochwertigen EMS-Geräten sowie fachlich geschultem Personal, das Trainierenden eine bestmögliche Betreuung ermöglicht.

Studiobetreiber:innen haben umfangreich in das angestellte Personal sowie die EMS-Geräte und die Studioausstattung investiert, um die Betreuung zu optimieren und den Kund:innen ein sicheres und effektives Training zu bieten.

Dies spiegelt sich ebenso in den „Eckdaten der deutschen Fitness-Wirtschaft 2022“ wider. Es zeigt sich, dass die EMS-Branche trotz Corona-Pandemie in der Anzahl der Studios gewachsen ist (DSSV, 2022).

GK-EMS in der Heimanwendung oder als hybrides System

Trotz steigender Studiozahlen wurde auch die EMS-Branche in der Corona-Pandemie vor große Herausforderungen gestellt. Ebenso veränderte sich an vielen Punkten das Profil von Kund:innen der Fitnessbranche im Allgemeinen, weshalb Heimtrainingsangebote generell immer populärer werden.

Neue Geschäftsmodelle versuchen sich daher an einer missbräuchlichen Anwendung von GK-EMS im Heimgebrauch und werben mit einer unbegrenzten Trainingsmöglichkeit, einfachem Handling und umfangreichen Leistungssteigerungen.

Die Angebote beginnen hier bereits bei einer kleinen monatlichen Leihgebühr für Geräte, variieren bezüglich Kosten und Qualität der Produkte und bieten teilweise Informationen über Apps oder ein hybrides System aus betreutem Training vor Ort, mobilem Training für unterwegs und zusätzlichem Heimtraining an.

Beschränkung der Heimtrainingssysteme notwendig

Ein Verbot der privaten, nicht beaufsichtigten Anwendung von GK-EMS liegt trotz Empfehlungen des EMS-Fachkreises und der Strahlenschutzkommission zum aktuellen Zeitpunkt offiziell nicht vor. Trotz der (noch) zulässigen Anwendung im Heimbereich stellt sich die Frage, ob dies eine Entwicklung ist, die die EMS-Branche weiterbringt oder vor noch größere Herausforderungen stellt.

Ab dem 1. Januar 2023 darf GK-EMS in der kommerziellen Anwendung nur von zertifiziertem („Fachkunde EMF“ zur Stimulation) oder medizinischem Fachpersonal durchgeführt werden, um die Kund:innen zu schützen und potenzielle Zwischenfälle zu vermeiden.

Eine exzessive private Durchführung des GK-EMS ohne professionelle Unterstützung wird die Zahl der Zwischenfälle und physiologischen Überlastungen mit großer Wahrscheinlichkeit exponentiell ansteigen lassen, woraus weiterführende staatliche Beschränkungen resultieren könnten.

Die Anwendung von GK-EMS wurde trotz der gesundheitlichen Risikoeinschätzung der Strahlenschutzkommission der Kategorie „hoch“ bislang unter Vorlage einer Fachkunde auch ausgebildetem Personal („Fachkunde EMF“ zur Stimulation) ermöglicht.

Sollte die Durchführung nur noch medizinischem Fachpersonal vorbehalten sein, würden nahezu 2.000 Inhaber:innen von EMS-Studios sowie viele hundert Angestellte, die deutschlandweit in dieser Branche tätig sind, in ihrer Existenz gefährdet sein.

Kompetente Betreuung für ein sicheres Training

Des Weiteren würde das Bild des GK-EMS als individualisiertes, sicheres und effektives Training für ein breites Anwender:innenkollektiv dauerhaft massiv geschädigt werden und als Geschäftsmodell unwiderruflich vom Markt verschwinden.

Trotz der weitgehenden Möglichkeit der technischen Umsetzung sollte in der Trainingsdurchführung des GK-EMS demnach nicht auf ein digitalisiertes, Video- oder App-basiertes System vertraut, sondern auf die kompetente Betreuung durch geschultes Fachpersonal für ein sicheres und effektives Training zurückgegriffen werden.

Konsequenz für Kund:innen des EMS-Marktes

Alle Entwicklungen des EMS-Marktes der letzten Jahre hatten stets die Sicherheit der Trainierenden durch hohe qualitative Standards sowie die effektive Trainingsdurchführung durch qualifiziertes Personal im Fokus.

Die eigenständige Anwendung und somit die Verlagerung der Verantwortung von qualifiziertem Personal zu den Anwender:innen persönlich wäre ein klarer Rückschritt der Entwicklung des EMS-Trainings und birgt mehr Gefahren als potenziellen Nutzen, sowohl individuell für die Trainierenden als auch für die gesamte Branche.

Über die Autoren

Dr. Joshua Berger arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent im Fachbereich Fitness/Individualtraining an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) und als Referent an der  BSA-Akademie.

Seit 2017 ist er Mitglied im EMS-Fachkreis, der sich mit aktuellen Themen rund um EMS-Training sowie mit praktischen Leitlinien für den konventionellen Gebrauch befasst.

 

Prof. Dr. Michael Fröhlich leitet die Arbeitsgruppe Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt „Bewegungs- und Trainingswissenschaft“ an der Technischen Universität in Kaiserslautern. Er hat zahlreiche nationale und internationale Beiträge zu GK-EMS publiziert und ist Gründungsmitglied des EMS-Fachkreises.

Er war maßgeblich an der Erstellung der Leitlinien für die sichere GK-EMS-Anwendung beteiligt und gilt als Vertreter der Safety-First-Strategie. Im Springer-Verlag erschien das gemeinsam mit Prof. Dr. Wolfgang Kemmler von der Universität Erlangen-Nürnberg und Prof. Dr. Christoph Eifler von der DHfPG verfasste Essential „Ganzkörper-Elektromyostimulation – Effekte, Limitationen, Perspektiven einer innovativen Trainingsmethode“.


Auszug aus der Literaturliste

Berger, J. (2021). Eine Evaluation der Anwendbarkeit und Effektivität von Ganzkörper-Elektromyostimulation. Dissertation, Technische Universität Kaiserslautern. Kaiserslautern.
DSSV e. V. – Arbeitgeberverband deutscher Fitness- und Gesundheits-Anlagen. (Hrsg.). (2022). Eckdaten der deutschen Fitness-Wirtschaft 2022. Hamburg: Hrsg.
Finsterer, J. & Stollberger, C. (2015). Severe rhabdomyolysis after MIHA-bodytec(R) electrostimulation with previous mild hyper-CK-emia and noncompaction. International Journal of Cardiology, 180, 100–102.
Kemmler, W., Fröhlich, M. & Eifler, C. (2021). Whole-Body Electromyostimulation: More Effectiveness and Safety Due to More Regulation? Current Developments, Challenges and Perspectives. Journal of Biomedical Research & Environmental Sciences, 2 (6), 429–430.

Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte marketing@dhfpg-bsa.de.

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