Fitness, Gesundheit, Management, Markt | Autor/in: Anke Sörensen & Jürgen Wolff |

Branchenkonzepte im Praxischeck: Wie viel mehr kann EMS?

Der Bereich EMS-Training ist seit vielen Jahren ein Erfolgsmodell. Die „Eckdaten der deutschen Fitness-Wirtschaft“ verzeichnen für Mikrostudios mit dem Angebot EMS Jahr für Jahr ein überproportionales Wachstum. Und auch immer mehr klassische Fitness- und Gesundheitsanbieter:innen integrieren EMS in ihr Angebot. Aber hat diese Trainingsform in unserer Branche den Stellenwert, der ihr gebührt? Wird schon das gesamte Potenzial genutzt? Wie viel mehr kann EMS? fitness MANAGEMENT international ist diesen Fragen nachgegangen und macht einen Praxischeck.

EMS-Training im Praxischeck

Modern, effektiv, zeitsparend – auf EMS-Training treffen viele positive Attribute zu. EMS ist u. a. mit relativ kurzen Anwendungszeiten sehr effektiv und braucht wenig Platz. Es bietet also sehr viele Vorteile.

Systemrelevanz von Fitnesstraining

Darüber hinaus hat EMS seinen Ursprung in der Gesundheitstherapie und der Rehabilitation nach Verletzungen, Unfällen oder Operationen.

Diese Form des Gesundheitstrainings sollte angesichts der pandemiebedingten Auflagen und der Frage nach Systemrelevanz von Fitnesstraining in Zukunft noch stärker in der Außendarstellung und der Positionierung herausgestellt werden.

Ursprünge in der Therapie

Um das Prinzip des EMS-Trainings richtig zu verstehen, lohnt sich ein Blick in die Geschichte dieses Trainings- bzw. Therapiekonzeptes. Die Anwendung der funktionellen Elektrostimulation wurde bereits Anfang der 1960er-Jahre für die therapeutische Rehabilitation zum Wiederaufbau von Muskeln entwickelt.

Die funktionelle Elektrostimulation der Muskulatur erfolgt sowohl in der Rehabilitation als auch im Training im Regelfall mit Oberflächenelektroden über die Haut. Durch Veränderung der Reizfrequenz können verschiedene Bereiche des Muskelfaserspektrums unterschiedlich stark beansprucht werden.

Die durch Strom induzierte Muskelkontraktion führt zu strukturellen Anpassungen der Muskulatur und zu einer messbar gesteigerten Leistungsfähigkeit der „behandelten“ Muskulatur.

Unterschiede in Zielsetzung und Steuerung

In der Therapie und im Training wird mit den gleichen EMS-Geräten gearbeitet. Der Unterschied liegt im Einsatzbereich sowie in der Zielsetzung und der Steuerung der Übungen.

Physiotherapeut:innen nutzen medizinische EMS in der Rehabilitation oder wenn Patient:innen mit Problemen wie Schmerz, Bewegungseinschränkungen oder Funktions- bzw. Kraftverlust zu ihnen kommen.

Intensität zu Patient:in passend

Sie wählen gezielt Übungen aus, die ein funktionelles Problem oder Krankheitsbild verbessern sollen und vom Schwierigkeitsgrad und der Intensität her genau zum Zustand des:der Patient:in passen.

Sowohl die lokale Stimulation als auch die Ganzkörperstimulation findet Anwendung in der Therapie.

Hohe Anforderungen an EMS-Anbieter:innen

EMS-Geräte erfüllen die hohen Anforderungen der Medizintechnik und sind als Medizinprodukte einzustufen, unabhängig von der Anwendung. Die Definitionen des Medizinproduktegesetzes (MPG) in den Paragrafen 2 und 3 sind eindeutig. Gleiches gilt für die Ausführungen der hierzu erlassenen Verordnung nebst Anlagen.

Die Zuordnung der EMS-Geräte zu den Medizinprodukten hat weitreichende Folgen. Diese wurden auch im Teil 5 (EMS-Training) der DIN 33961, der DIN-Norm für Fitnessanlagen, sowie in der aktuellen Version der Strahlenschutzverordnung (NiSV) berücksichtigt.

Die Anforderungen an EMS-Anbieter:innen sind damit hoch: Die Geräte müssen dem MPG entsprechen und die Umsetzung des fitness- und gesundheitsorientierten Trainings – inklusive der notwendigen Fachkunde jedes:jeder Trainer:in – muss gemäß der Strahlenschutzverordnung erfolgen und auch dokumentiert werden. Diese Verordnung müssen alle EMS-Anbieter:innen ab dem 1. Januar 2023 umsetzen (Stilke, 2021).

Wie effektiv ist EMS-Training?

Um die Effektivität einer Trainingsform zu ermitteln, eignet sich ein Vergleich mit einer anderen Trainingsform. Kemmler et al. (2015) haben der Ganzkörperelektrostimulation (WB-EMS) zu diesem Zweck ein hochintensives Krafttraining (HIT-RT) gegenübergestellt, um einen alltagsrelevanten Vergleich zwischen dem zeiteffektiven WB-EMS und dem Krafttraining zu gewährleisten.

HIT-RT vs. WB-EMS

HIT-RT, definiert als „Einsatztraining unter Einsatz von Intensivierungstechniken“ (Giessing, 2008; Steele, Fisher, Giessing & Gentil, 2017), ist ähnlich dem WB-EMS der Prototyp eines zeiteffektiven Trainings für Menschen mit geringem Zeitbudget.

Im Rahmen dieser Untersuchung trainierten 23 Männer nach Zufallseinteilung jeweils über 16 Wochen in einer HIT-RT- bzw. einer WB-EMS-Gruppe. Die HIT-RT-Gruppe trainierte zwei- (selten) bis dreimal pro Woche und absolvierte ein Ganzkörpereinsatztraining mit zunehmend ausbelastenden Intensivierungtechniken (u. a. Super- und Dropsätze).


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Muskelmasse, Maximalkraft, metabolisches Syndrom

Zusammenfassend betrachtet führten beide Trainingsmethoden zu einer signifikanten und hochrelevanten Erhöhung der Muskelmasse und einer in etwa ebenso hohen Reduktion der Körperfettmasse (≈1,0 kg). Die Entwicklung in der HIT-RT-Gruppe lag für beide Größen etwas günstiger.

Ebenfalls vergleichbare Ergebnisse zeigten sich für die Verbesserung der Maximalkraft, bei der die HIT-RT-Gruppe für die Beinkraft etwas höhere, für die Rückenkraft etwas niedrigere Kraftwerte zeigte.

Reduktion des Taillenumfangs

Beide Gruppen wiesen ebenfalls eine signifikante Reduktion des Risikos eines metabolischen Syndroms auf, aber hier waren die Ergebnisse für die WB-EMS-Gruppe deutlich günstiger. Dieser Unterschied war u. a. auf die deutlichere Reduktion des Taillenumfangs zurückzuführen.

Kemmler et al. (2015) kommen zu dem Schluss, dass faktisch beide Trainingsmethoden zu weitgehend vergleichbaren Verbesserungen von Gesundheits- und Leistungsgrößen führen.

Vergleich zu konventionellem Krafttraining

Beachtete man Kontraindikationen und die Richtlinien für ein sicheres und effektives WB-EMS-Training, so könne diese Trainingstechnologie aus metabolischer Sicht ebenso wie aus orthopädischer Sicht als besser belastungsverträglich im Vergleich zu einem intensiven konventionellen Krafttraining eingeschätzt werden.

WB-EMS stelle eine Bereicherung des gesundheitsorientierten Fitnessmarktes dar, folgern die Wissenschaftler:innen.

Ganzkörper-EMS als Option für Senioren

Darüber hinaus haben Forscher:innen festgestellt, dass die Trainingsmethode Ganzkörper-EMS und die Zielgruppe Senior:innen perfekt zusammenpassen (2018).

Bei Senior:innen zeigen sich neben positiven Effekten auf kardiometabolische Größen – kardiale Auswurfleistung, metabolisches Syndrom, Blutdruck und das gesamte sowie abdominale Körperfett – besonders bei Muskelmasse und -funktion Ergebnisse im Bereich eines intensiven Krafttrainings (Kemmler et al., 2015).

Spannungsfeld Sarkopenie

Gerade im Spannungsfeld der Sarkopenie zeigen kürzlich durchgeführte Untersuchungen deutlich das hohe Potenzial des WB-EMS-Trainings (Kemmler, et al., 2016; Kemmler et al., 2017) zur Erhöhung der funktionellen Kapazität älterer Menschen (70 Jahre +).

Auch die Muskelmasse, die neben der Muskelfunktion ebenfalls im Bereich der Thermoregulation und der Adipositasproblematik eine wichtige Rolle spielt, wird über eine WB-EMS-Anwendung signifikant positiv beeinflusst.

Nebenwirkungen: Fehlanzeige

Zudem zeigten die vorliegenden Untersuchungen mit älteren Menschen keine nennenswerten „unerwünschten“ Nebenwirkungen (Kemmler et al., 2018).

Bei konsequenter Überprüfung und Berücksichtigung von Ausschlusskriterien und medizinischen Kontraindikationen sowie einer Betreuung durch gut ausgebildete, WB-EMS-lizensierte Trainer:innen ist Ganzkörper-EMS-Training ein ideales „Tool“ für ein gesundheitsorientiertes Training bei älteren Menschen (Kemmler et al., 2018).


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Chancen & Perspektiven des EMS-Marktes

In den vergangenen beiden Jahren mussten die Menschen viele ihrer Gewohnheiten und Verhaltensmuster an die jeweilige Corona-Lage anpassen. Wobei neben vielen gesundheitsrelevanten Gründen sicher auch eine steigende Sensibilisierung und relevante Sicherheits- und Hygienefaktoren eine wichtige Rolle spielten.

Das bietet vor allem EMS-Einrichtungen die Chance, sich als ideales Kleinraumkonzept in der „Post-Corona-Phase“ zu positionieren.

Terminvergabe und hohe Hygienestandards

Viele Maßnahmen, die aufgrund von Corona wichtiger erscheinen als zuvor, sind in EMS-Einrichtungen bereits etablierter Standard. So befinden sich beim EMS-Training in der Regel maximal zwei bis drei Personen (1:1- oder 1:2-Betreuung) im Trainingsbereich.

Auch Warteschlangen oder Menschenansammlungen in Räumlichkeiten sind aufgrund von Terminvergabe nahezu ausgeschlossen. Hohe Hygienestandards wie die Desinfektion der Gerätschaften nach jeder Benutzung sind selbstverständlich (Tetzlaff, 2021).

Nur Vorteile? EMS im Praxischeck

Die Trainingsform EMS bietet viele Vorteile. Wir haben geprüft, ob und wie sich diese „PS auch auf die Straße bringen“ lassen. Welche Faktoren machen EMS-Training erfolgreich? Welche Zielgruppen fragen die Trainingsform nach? Wie sehen Studiobetreiber:innen die Perspektiven von EMS?

Antworten auf diese und weitere Fragen gibt Natalie Hütsch, die in Bornheim zwei EMS-Studios als Franchisenehmerin von Körperformen betreibt, im Interview.

Zum EMS-Interview


Auszug aus der Literaturliste

Stilke, E. (2021). Fachkunde und Sicherheitsstandards. medical fitness & healthcare, 01/2021, 66–67.
Kemmler, W., Teschler, M., Weissenfels, A., Fröhlich, M., Kohl, M. & von Stengel, S. (2015). Ganzkörper-Elektromyostimulation versus HIT-Krafttraining – Effekte auf Körperzusammensetzung. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 66 (12), 321–327.
Tetzlaff, S. (2021). Trotz Corona gestärkt in die Zukunft. fitness MANAGEMENT international, 2 (154), 62–64.

Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte presse@fitnessmanagement.de.

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