Fitness, Gesundheit | Autor/in: Jan Spielmann | Prof. Dr. Jan Mayer |

Psychologische Strategien bei Wiederverletzungsängsten: Coping-Strategien im Leistungssport

Eine Sportverletzung verursacht nicht nur Schmerzen, sie kann genauso das allgemeine Wohlbefinden beeinträchtigen und zu psychischen Belastungen führen. Auch nach der vollständigen physischen Heilung kann es weiterhin zu psychischen Reaktionen wie der aufkeimenden Angst vor Wiederverletzungen kommen. Hier können sportpsychologische Bewältigungsmethoden, sogenannte Coping-Strategien, bei der Betreuung von verletzten Sportlern helfen, um der Entstehung von Wiederverletzungsängsten entgegenzuwirken.

Coping-Strategien im Leistungssport – Fachartikel von Jan Spielmann und Prof. Dr. Jan Mayer

Nicht nur im Profisport spielen Verletzungen eine große Rolle: In Deutschland treiben circa 23 Millionen Menschen regelmäßig Sport, davon verletzen sich jährlich 1,25 bis 2 Millionen (Schmitt-Sody & Valle, 2015). Mit 46,5 Prozent ist die Verletzungsgefahr im Fußball am höchsten (Schmitt-Sody & Valle, 2015).

Eine Metaanalyse von Ivarsson und Kollegen (2010) zeigte, dass psychologische Einflussfaktoren wie sich verändernde Lebenssituationen (z. B. Änderungen des Gesundheitszustandes eines Angehörigen, Veränderung der Freizeitgewohnheiten oder persönlicher Erfolg) sowie eine geringe Stressresistenz als Prädiktoren für Verletzungen gesehen werden können.

Anwendung von Coping-Strategien

Der physiologische Heilungsprozess kann durch Gedanken, Glaubenssätze und Einstellungen sowohl positiv als auch negativ beeinflusst werden (Kleinert, 2019). Da die Bedeutung von psychischen und psychosozialen Faktoren für den Genesungsprozess mehrfach nachgewiesen wurde (Rosenberger, Jokl & Ickovics, 2006; Johnson & Podlog, 2014), liegt es nahe, diesen Prozess auch sportpsychologisch zu unterstützen (Kleinert, 2019).

Dabei können individuelle Bewältigungsmethoden, sogenannte Coping-Strategien, helfen. Sie ermöglichen einen konstruktiven Umgang mit Verletzungs- bzw. Wiederverletzungssituationen.

Der Begriff 'Coping' leitet sich aus dem Englischen ab und dient in der Psychologie als Sammelbegriff für Stressbewältigungsstrategien. Eingeführt wurde die Bezeichnung im Transaktionalen Stressmodell nach Lazarus (1984), das zwischen emotionsorientiertem, problemorientiertem und bewertungsorientiertem Coping differenziert (Lazarus & Folkman, 1984):


  • Emotionsorientiertes Coping: Beim emotionsorientierten Coping, auch palliatives Coping genannt, liegt der Schwerpunkt auf den Emotionen und es wird an der Regulation der eigenen emotionalen Erregung gearbeitet. Dazu werden negative Emotionen z. B. mit Entspannungsübungen oder positiven Selbstgesprächen bewältigt.
     
  • Problemorientiertes Coping: Bei dem Ansatz des problemorientierten Copings steht das Problem im Zentrum der Aufmerksamkeit und durch die Vorstellung von positiven Ereignissen wird eine Verminderung oder Lösung angestrebt.
     
  • Bewertungsorientiertes Coping: Das bewertungsorientierte Coping wird auch kognitives Coping genannt. Hier geht es um ein Umdenken oder Neubewerten einer belastenden Situation, wodurch der Stress bewältigt werden kann.

Coping-Strategien für den Alltag

Einige psychoregulative Coping-Strategien lassen sich sehr einfach in den Alltag integrieren:

Dazu zählen beispielsweise bekannte Entspannungsverfahren wie die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson (1990). Hier werden bestimmte Körperregionen im Wechsel aktiv angespannt und entspannt. Dadurch dass die Wahrnehmung auf diese An- und Entspannung gelenkt wird, entsteht ein Entspannungsgefühl.

Auch das Autogene Training gilt als wirksame Strategie zur Reduktion von Stress (Schultz, 2004). Die gesamte Konzentration wird durch Autosuggestion nach und nach zu verschiedenen Körperteilen gelenkt, was sich unter anderem positiv auf das vegetative Nervensystem auswirkt (Leithner & Wolner-Strohmeyer, 2007). Einige Sportler setzen zudem bewusst Musik ein, um ihre Aktivation zu regulieren.

Die Anwendung von Coping-Strategien sollte somit stets in individueller Abstimmung mit dem Sportler geschehen, um die optimale Wirksamkeit zu gewährleisten.

Die Angst vor der Wiederverletzung

Eine Untersuchung von Ekstrand, Hägglunnd und Waldén (2011) ergab, dass 16 Prozent der Profifußballer nach überstandener Verletzung eine Wiederverletzung erleiden. Diese wird durch das Zusammenspiel von bio-psycho-sozialen Aspekten begünstigt (Kleinert, 2002).

Aufgrund einer erneuten Verletzung wird der Athlet nicht nur wiederum aus dem sozialen Kontext und seinem gewohnten Umfeld gerissen (Spielmann, Hermann & Mayer, 2019), sondern es ist mit einem weiteren Leistungsabfall zu rechnen (Kleinert, 2002).

Durch diese ungewisse Situation schwindet das Selbstbewusstsein des Athleten und es können sich Angstsymptomatiken entwickeln.

Im von Kleinert (2002) postulierten Stress-Wiederverletzungs-Modell wird eine Beziehung zwischen kognitiven und emotionalen Komponenten angenommen. Die Sorge vor einer erneuten Verletzung kann sich negativ auf die Wiederherstellung von körperlichen Funktionen auswirken.

Studien zeigen, dass Wiederverletzungsängste Rehabilitationsprozesse hemmen und somit eine schnelle, erfolgreiche Rückkehr in den Sport erschweren können (Hsu, Meierbachtol, George & Chemielewski, 2017).

Die Anwendung sportpsychologischer Methoden einerseits sowie die Partizipation des Athleten an der Planung des Rehabilitationsablaufs anderseits können zu einer besseren Akzeptanz und Bewältigung der Verletzungssituation führen.

Fazit

Geeignete Coping-Strategien können zu einem positiveren Umgang mit verletzungsrelevanten Stressoren führen. Hierbei kann die sportpsychologische Betreuung dazu beitragen, die individuellen Bewältigungsstrategien zu reflektieren und als hilfreich oder weniger hilfreich zu kategorisieren.

Auf Basis dieser Selbstreflexion ist die Entwicklung neuer, stabiler Bewältigungsstrategien möglich. Spielmann und Kollegen (2019) empfehlen daher eine sportpsychologische Betreuung und Beratung 'vor, während und nach Sportverletzungen'.

Über die Autoren

Jan Spielmann, M. Sc. Sportwissenschaft und sportpsychologischer Experte (asp), war zuletzt als Doktorand an der Universität des Saarlandes tätig.

Aktuell ist er als Koordinator Sportpsychologie & Wissenschaft im TSG ResearchLab, als Leistungsdiagnostiker 'Sportpsychologie' bei der TSG 1899 Hoffenheim sowie als Sportpsychologe der TSG Reha aktiv.

Prof. Dr. Jan Mayer, Sportpsychologe, betreut aktuell die 1. Mannschaft der TSG 1899 Hoffenheim und berät den DOSB. Mit Prof. Dr. Hans-Dieter Hermann leitet er die Coaching Competence Cooperation Rhein-Neckar.

Zudem ist er Professor an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) und Honorarprofessor an der Universität des Saarlandes.


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Auszug aus der Literaturliste

Ekstrand, J., Hägglund, M., & Waldén, M. (2011). Epidemiology of Muscle Injuries in Professional Football (Soccer). The American Journal of Sports Medicine, 39 (6), 1226–1232.

Spielmann, J., Hermann H. D., & Mayer, J. (2019). Sportpsychologische Beratung und Diagnostik zur Prävention und Rehabilitation von Sportverletzungen. Sportphysio, 7 (5), 217–225.

Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte marketing@dhfpg-bsa.de.

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