mfhc: Der Schwerpunkt Ihres Behandlungsangebots liegt auf Orthopädie, Chirurgie und Sporttraumatologie. Sie behandeln vorwiegend Mannschafts- und Einzelsportler. Wie kam es zu dieser Ausrichtung?
Stefan Schulz: Die Nische Orthopädie, Chirurgie und Sporttraumata habe ich mit der myPhysio GmbH aus Eigeninteresse besetzt und bin sehr zufrieden, dass ich mich damit so klar positioniert habe. Wir bieten nicht flächendeckend alles an, sondern haben uns ganz klar auf diese drei Schwerpunkte spezialisiert.
Die Idee stammt von mir, weil ich selbst aus dem Leistungssport komme. Ich spielte beim 1. FC Köln und in der deutschen Junioren-Fußballnationalmannschaft, bis eine schwere Knieverletzung meine Karriere beendete. Durch diese Verletzung kam ich mit der Physiotherapie in Kontakt.
Den Umgang mit Menschen, die Spaß an der Bewegung haben, finde ich immer großartig, egal, ob sie jung oder alt sind. Das hat einen eigenen Vibe und die Atmosphäre ist unter Sportlern entspannt und locker, deshalb wollte ich diesen Bereich besetzen. Mittlerweile betreuen wir an zehn Standorten etwa 150 Mannschaften.
Wie viel Prozent Ihrer Arbeit fließen in Rehabilitation und Nachsorge im Vergleich zu Prävention?
Leider sind es bis zu 85 Prozent. Auf lange Sicht wäre es viel effektiver, wenn man stärker in die Prävention gehen könnte, aber diesen Faktor entscheiden die Krankenkassen mit. Leider fördern Krankenkassen sie nicht in dem Maße wie Nachsorge und Reha.
Auf lange Sicht wäre es viel effektiver, wenn man stärker in die Prävention gehen könnte. Leider fördern die Krankenkassen sie nicht in dem Maße wie Nachsorge und Reha.
Stefan Schulz, Geschäftsführer myPhysio GmbH und myPhysio Sport GmbH
Die Patienten kommen immer erst dann zu uns, wenn sie bereits Probleme oder Verletzungen haben. Aber man könnte so viel mehr bewirken, wenn man sie behandeln würde, bevor ein Problem überhaupt auftritt. Das machen wir zum Beispiel bei den Sportmannschaften. Wir analysieren die Spieler, machen ihre Verletzungspotenziale aus und steuern frühzeitig gegen. Im Idealfall entsteht durch die präventiven Maßnahmen kein externes Problem.
Sie verfolgen einen ganzheitlichen, interdisziplinären Behandlungsansatz und bieten ein sehr breites Leistungsspektrum. Wie gehen Sie vor, um aus der Vielfalt des Angebots für jeden Patienten die optimale Behandlung zu finden?
Das Wichtigste sind die Erstanamnese und die Befundung. Danach entscheiden die Therapeuten den weiteren Behandlungsverlauf und bieten passende Zusatzleistungen an. Jeder Patient und jede Patientin wird ganz individuell behandelt, denn jeder Mensch ist individuell, und so gibt es keine Schablone, die auf alle passt.
Wir bestimmen allerdings anhand eines Rasters, welchem Typ eine Person zuzuordnen ist, und steuern damit die weitere Therapie ein wenig. Die Behandlung wird dann auf jeden Einzelnen zugeschnitten.
Über den Interviewpartner
Stefan Schulz
Ursprünglich kommt Stefan Schulz, Inhaber und Geschäftsführer von myPhysio und myPhysio Sport, aus dem Leistungssport. Er spielte in der deutschen Junioren-Fußballnationalmannschaft und war beim 1. FC Köln unter Vertrag, bis eine Knieverletzung seine Karriere beendete. Nach seiner Ausbildung zum Physiotherapeuten an den Döpfer Schulen Köln machte er diverse physiotherapeutische Fortbildungen und studierte parallel Gesundheitsmanagement.
2014 eröffnete er seine erste Physiotherapiepraxis im Mediapark in Köln, 2017 folgte der zweite Standort sowie die Gründung der myPhysio GmbH. Derzeit besteht das Unternehmen aus zehn Standorten in Köln und Bonn, zwei weitere sind in Planung. In sieben seiner Praxen bietet er außerdem über myPhysio Sport Gesundheitstraining an.
Foto: Stefan Schulz/myPhysio GmbH
Ganz wichtig ist es, dass der Patient oder die Patientin die vorgeschlagene Therapie auch mittragen will. Jeder hat ein Mitspracherecht bei der Behandlung, denn wir können nur Empfehlungen aussprechen.
Gibt es in der Nachsorge und Rehabilitation starke Unterschiede, je nachdem, ob Sie einen Leistungssportler oder einen Amateur behandeln?
Leistungssportler haben in der Regel ein viel höheres Interesse daran, möglichst schnell wieder fit zu werden, weil sie ja im Idealfall vom Sport leben. Dementsprechend sind sie für alles offen. Wenn man ihnen sagt: „Mach diese Übungen bitte jeden Tag“, werden sie es tun. Wenn man ihnen Zusatzleistungen anbietet, werden sie diese zum Großteil annehmen, sofern sie sich sie leisten können.
Auf Amateursportler trifft das weniger zu, obwohl sich der Trend, für sich eine optimale Behandlung zu finden, auch bei ihnen immer mehr durchsetzt.
Was ist alles wichtig für den Heilungsprozess?
Der Patient oder die Patientin hat einen sehr großen Eigenanteil am Erfolg. Die Therapie ist immer nur ein kleines Rädchen im Genesungsprozess.
Zu uns kommen die Sportler zwei- bis fünfmal pro Woche. Zur Genesung zählt also noch viel mehr dazu, zum Beispiel die Ernährung oder der Verzicht auf Alkohol während der Wundheilungsphase. Was sollte ich zu mir nehmen, um positive Prozesse zu fördern? Die Ernährung ist essenziell, dafür haben wir mittlerweile separat die Firma Foodinations gegründet, deren Produkte wir bei uns vertreiben.
Weitere Interviews und Hintergründe
In einem weiteren Interview spricht Christian Graupner über Reha und Nachsorge.
Lies außerdem unseren Artikel 'Fit nach Verletzung' als Einstieg zum Thema.
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Außerdem geht es um die Frage, wann man Ruhephasen einlegen soll. Wir haben nur bis zu einem gewissen Maß Einblick in das Verhalten unserer Patienten und sprechen Empfehlungen aus. Letztendlich ist der Patient selbst der Indikator, ob die Therapie gut läuft.
In der Regel kann man mit Ernährung, Physiotherapie und Eigenverantwortung sehr viel erreichen. Wenn die Patienten diszipliniert sind, selbstständig zu Hause ihre Übungen machen und die Therapie gleichzeitig sehr zielführend ist, also keine Symptom-, sondern eine Ursachenbekämpfung darstellt, dann ist der Erfolg sehr hoch. Wir können leider nicht alle heilen, da sind auch uns Physiotherapeuten Grenzen gesetzt.
Wie schnell beginnen Sie mit einem Patienten nach einer Verletzung mit Trainingstherapie bzw. EMS? Wie hoch ist der Anteil der Manuellen Therapie in Rehabilitation und Nachsorge?
Das hängt vom Behandlungsbild ab. Sobald jemand aus der Akutphase heraus ist, die meist ein bis zwei Wochen dauert, beginnen wir mit der Trainingstherapie.
Sobald jemand aus der Akutphase heraus ist, beginnen wir mit der Trainingstherapie. Mit EMS-Training starten wir etwa zehn bis 16 Tage nach einer Verletzung.
Stefan Schulz, Geschäftsführer myPhysio GmbH und myPhysio Sport GmbH
Wenn ein Patient zum Beispiel mit einer Verletzung in der unteren Extremität der Beinmuskulatur kommt, fange ich natürlich nicht nach zwei Wochen mit schwerem Krafttraining an, kann aber die Muskulatur mit EMS-Training bereits ansteuern. Damit starten wir etwa zehn bis 16 Tage nach einer Verletzung. Der Anteil der Manuellen Therapie liegt bei uns zwischen 15 und 20 Prozent.
Haben bestimmte Arten von Indikationen und Verletzungen in den letzten Jahren in Ihren Praxen zugenommen?
Abgesehen von den klassischen Sportverletzungen beobachte ich, dass Rückenthematiken wie Bandscheibenvorfälle oder Schmerzsyndrome immer mehr zunehmen, außerdem CMD, die craniomandibuläre Dysfunktion des Kiefergelenks.
Wenn Patienten nachts mit den Zähnen knirschen, um Stress abzubauen, entstehen Verspannungen im Kiefergelenk, die sich über absteigende Ketten im Faszienbereich auf den ganzen Körper auswirken. Das betrifft die Schulter- und Nackenmuskulatur sowie den Rücken, kann bis ins Becken und weiter reichen. Wenn man es früh genug erkennt, lassen sich viele Rückenleiden bekämpfen. CMD behandeln wir in der Physiotherapie begleitend mit einem Aufrichtungstraining, um die Körperhaltung zu optimieren.
Die Ursachen für CMD und Rückenleiden sind also zu viel Stress und zu viel Arbeit am Schreibtisch?
Es ist definitiv eine Mischung aus beidem. Stress führt zu Verspannungen und wir sitzen viel zu viel. Es gibt zwar höhenverstellbare Schreibtische, aber eigentlich müssten wir nicht nur mehr stehen, sondern auch viel mehr gehen. Wer hat schon ein Laufband vor dem Schreibtisch?
Optimal wäre es, regelmäßig unsere Position zu verändern. Nüchtern betrachtet sitzen wir den Großteil unseres Lebens, ob vor dem Fernseher, im Auto oder am Schreibtisch. So wird die tiefe Bauchmuskulatur, die wir für eine aufrechte Haltung brauchen, immer schwächer. Durch den Bewegungsmangel geraten wir im negativen Sinn in eine Spirale hinein.
Welche Qualifikationen brauchen Ihre Mitarbeitenden zum einen im Therapie- und zum anderen im Trainingsbereich?
Unsere Physiotherapeuten haben natürlich eine fertige Ausbildung oder ein abgeschlossenes Studium. Im Idealfall bringen sie auch schon Zusatzqualifikation wie Manuelle Therapie, KGG oder Lymphdrainage mit, also Behandlungsmöglichkeiten, die wir in unserem Spezialgebiet sehr häufig benötigen. Auf der Trainingsfläche beschäftigen wir Sportwissenschaftler, die sich mit den Krankheitsbildern der Patienten auskennen.
Wie viel Zeit investieren Sie in Fort- und Weiterbildung?
Wir investieren viel Geld und Zeit, um unser Team zu zertifizieren. Es gibt abrechenbare Zertifikatspositionen sowie viele weitere Fortbildungen, die sich zwar nicht abrechnen lassen, aber die Therapeutinnen und Therapeuten trotzdem zu einer besseren Kraft machen. Letztere machen wir meist intern und holen uns Experten ins Haus, was sich bei unserer Größe lohnt.
Die Zertifikatspositionen finanzieren wir zum Großteil komplett. Wie in der Branche üblich gewähren wir unseren Therapeutinnen und Therapeuten dafür extra Fortbildungstage, damit sie dafür nicht ihren Urlaub nutzen. Im Urlaub sollen sie sich wirklich erholen. Wir machen regelmäßig Fort- und Weiterbildungen und thematisieren die Qualifikationen jedes Jahr in den Mitarbeitergespächen, um uns bestmöglich aufzustellen.
Mit welchen Studiengängen und Ausbildungswegen haben Sie positive Erfahrungen gemacht? Welche Impulse wünschen Sie sich von den Weiterbildungsinstitutionen?
Es gibt deutliche Unterschiede in der Qualität. Deutschland bietet ja als einziges Land zwei Möglichkeiten, um Physiotherapeut zu werden: entweder eine Ausbildung oder ein Studium. In allen anderen Ländern erfolgt die Qualifikation ausschließlich über ein Studium.
Für mich als Unternehmer sind die Struktur und der Aufbau des dualen Studiums an der DHfPG sehr angenehm. Ich weiß genau, wann die Studierenden bei uns sind und wann sie ihre Präsenzphasen an der Hochschule haben.
Das Studium lässt sich für uns super planen und bietet einen hervorragenden Austausch. Die Studierenden bekommen sehr gutes Wissen vermittelt, das wirklich praktisch umsetzbar ist. Es macht Spaß, diese jungen Leute zu schulen und ihre Entwicklung zu erleben. Von dem Konzept der DHfPG bin ich wirklich begeistert, deshalb haben wir auf unsere Standorte verteilt teilweise bis zu sieben Studierende gleichzeitig.
Die DHfPG setzt sehr gute Impulse und ist nah an den aktuellen Trends, auch in Bezug auf die Digitalisierung. Einige Aspekte der Ausbildung müssen definitiv face to face unterrichtet werden, aber es gibt auch Module, die inzwischen einfach online unterrichtet werden können, auch das setzt die Hochschule sehr gut um.
Seit der Gründung im Jahr 2014 ist die myPhysio GmbH auf zehn Standorte gewachsen, Ende des Jahres werden es zwölf Standorte sein. Was hat zu diesem großen Erfolg beigetragen?
Wir haben aus unseren Fehlern gelernt und immer besser verstanden, dass wir als Unternehmen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer attraktiv sein müssen. Gleichzeitig fahren wir eine klare Linie. So schaffen wir trotz unserer Größe einen familiären Charakter mit einer klaren, aber flachen Hierarchie.
Wir sind wirklich gut in Bezug auf Bezahlung, Weiterbildung und die Unternehmenskultur. Außerdem geben wir uns sehr viel Mühe, nie still zu stehen, und entwickeln uns ständig weiter.
Das in Kombination mit gut ausgewählten Standorten und einem gut aufgebauten Netzwerk aus Vereinen, Ärzten etc. hat dafür gesorgt, dass wir so erfolgreich wachsen konnten. Sehr wichtig ist natürlich, dass wir auch stets wachsen wollten und wollen.
An sieben Standorten bieten Sie zusätzlich mit der myPhysio Sport GmbH modernstes Training an. Wie viele Ihrer Patienten lassen sich in eine Mitgliedschaft überführen?
Das Gesundheitstraining an medizinischen Geräten in der myPhysio Sport GmbH ist nicht für eine externe Zielgruppe konzipiert, sondern ausschließlich für unsere Akutpatienten. Wir haben keine riesige Trainingsfläche mit großen Kapazitäten.
Die Patienten sollen verstehen, wie gut es ihnen tut, weiter bei uns zu trainieren, wenn die Behandlung vorbei ist. Dafür bieten wir faire Konditionen an, unser Training ist monatlich kündbar. Das ist für beide Seiten attraktiv: Die Mitglieder bleiben flexibel und wir gewinnen immer wieder Raum für neue Patienten. Etwa 15 Prozent der ehemaligen Patienten schließen eine Mitgliedschaft ab.
Welche Prozesse haben Sie dafür aufgesetzt?
Das Wichtigste ist, über dieses Angebot zu informieren. Schon im Anmeldebogen fragen wir: „Haben Sie Interesse daran, kostenfrei über weitere Leistungen informiert zu werden?“ Wenn ein Patient Ja ankreuzt, spricht sein Therapeut gleich bei der Anamnese das Gesundheitstraining an und thematisiert es auch während der Behandlung, sobald es notwendig scheint.
Viele unserer Patienten trainieren ohnehin bereits in einem Fitnessstudio. Dann müssen sie nicht zu uns wechseln, sondern bekommen Übungen gezeigt, die sie selbstständig in ihrem Studio praktizieren sollen.
Wird die Nachfrage nach Rehabilitations- und Nachsorgeangeboten in den kommenden Jahren steigen?
Vom Patientenpotenzial her wird die Nachfrage definitiv steigen. Ich weiß allerdings nicht, wie unser Gesundheitssystem in den nächsten Jahren funktionieren wird.
Die nächsten zwei bis drei Jahre sind kein Problem, aber ich frage mich, wie es in zehn bis 15 Jahren aussehen wird und ob unser Gesundheitssystem dann aus wirtschaftlicher Sicht noch funktioniert.