Ernährung, Gesundheit | Autor/in: Antje Ruhwedel |

Aufstiegskongress-Referentin über Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung

Die Digitalisierung verändert mehr und mehr das Leben. Flexibilität und Mobilität lautet die Devise – und dies auch im Bereich der Ernährung und Ernährungsbildung. Hat die klassische Face-to-Face-Beratung noch Zukunft und welche Chancen und Risiken gehen mit den neuen digitalen Möglichkeiten einher? Die Autorin war Referentin auf dem Aufstiegskongress 2019 in Mannheim.

'Qualifizierte Ernährungsberatung neu gedacht': Ernährungsberaterin Antje Ruhwedel ist Referentin auf dem Aufstiegskongress 2019.

Laut Statista nutzen aktuell rund 57 Millionen Menschen in Deutschland Smartphones und Tablets. Sie sind unsere ständigen Begleiter und somit immer zur Hand. Dabei liegt Anwendungssoftware für Mobilgeräte, sprich Applikationen/Apps, voll im Trend und vor allem der Markt für Gesundheits-Apps entwickelt sich rasant (Jäckel, 2011, S. 548).

Apps wecken den Spieltrieb und Wettbewerbsgeist, motivieren und helfen dabei, den „inneren Schweinehund“ zu überwinden, sei es beim Sport oder bei der Ernährung (Boyce, 2014, S. 14). Die Forschung zur mobilen Anwendungssoftware im Ernährungssektor befindet sich in den Anfängen, doch die Thematik neuer Technologien wird in Zukunft weiter an Wichtigkeit gewinnen, denn das Thema Ernährung steht bei den Nutzern hoch im Kurs (Röwe, 2015, S. 134).

Bislang werden Nutzer allerdings mit verschiedensten Informationen über Lebensmittel und Ernährung überhäuft, weshalb es ihnen schwerfällt, wissenschaftlich fundierte Informationen von zweifelhaften oder falschen Aussagen zu differenzieren (Keuthage & Schoppe, 2016, S. 125).

Marktpotenzial von Gesundheits- und Ernährungs-Apps

Laut einer von Ipsos Germany publizierten Marktforschungsanalyse verwenden bereits 16 Prozent der Bevölkerung in Deutschland Gesundheits-Apps und weitere 34 Prozent sind stark an einer Nutzung interessiert. (Lesen Sie auch: Apps auf Rezept)

Der typische Nutzer dieser Apps ist knapp 39 Jahre alt; bei potenziellen Nutzern liegt das Durchschnittsalter laut Umfrage sogar bei 44 Jahren. Im Schwerpunkt werden Gesundheits-Apps somit vor allem von Jüngeren genutzt, allerdings kann sich laut dieser Umfrage insbesondere die Gruppe der 50- bis 70-Jährigen am häufigsten vorstellen, entsprechende Programme aktiv einzusetzen (Reynolds, 2017, S. 2).

Ernährungsberatung: gestern – heute – morgen

Die klassische Face-to-Face-Ernährungsberatung stellt einen gewollten und gesteuerten Kommunikationsprozess zwischen Berater und Kunde dar. Ziel ist es, dem Kunden durch die Vermittlung von sachlichen Informationen und fachlichem Wissen die Basis für individuelle Entscheidungen und Handlungsmöglichkeiten zu geben, um Veränderungen anzustoßen und deren Umsetzung möglich zu machen (Wimmer, Buchacher, Kamp & Wimmer 2012, S. 10–12).

In diesem personenzentrierten und lösungsorientierten Beratungsprozess ist die tragfähige Beziehung zwischen Ernährungsberater und Kunde die wichtigste Variable.

Der Psychologe und Psychotherapeut Carl Rogers erforschte über viele Jahre Gespräche mit Klienten. Dabei entdeckte er, dass aus einer eindeutig strukturierten und gewährenden Berater-Klient-Beziehung für den Klienten die Möglichkeit entsteht, ein Verständnis seiner selbst in einem Ausmaß zu erlangen, das ihn befähigt, aufgrund dieser neuen Orientierung positive Schritte zu unternehmen.

Die sogenannte klientenzentrierte Gesprächsführung nach Carl Rogers erfordert vom Berater bestimmte Verhaltensweisen wie Wertschätzung und Akzeptanz, Kongruenz bzw. Authentizität sowie Empathie. Genau diese Beziehung ermöglicht es dann dem Klienten, das neue Verständnis seiner selbst zu erlangen, welches ihn dazu befähigt, eigene Schritte zu unternehmen, um sein Verhalten nachhaltig positiv zu verändern (Klotter & Trautmann, 2016, S. 8).

Digitale Ernährungsberatung – eine Frage der Professionalität und Qualität

Dahingehend wird auch in Zukunft die klassische, persönliche und individuelle Beratung nicht ersetzt werden können, da ernährungs- und lebensmittelwissenschaftliche Kompetenz in Verbindung mit Beratungskompetenz für eine nachhaltig erfolgreiche Betreuung der Kunden notwendig sind.

Die Kunden könnten aber über mobile Anwendungen aktiv(er) in den eigenen Gesundheitsprozess eingebunden und motiviert werden. Die alleinige Dokumentation des Ernährungsverhaltens bzw. der Lebensmittel bringt vielen Nutzern keinen Vorteil, da ihnen die fachlich fundierte Reflexion sowie wichtige Informationen zur Interpretation ihres individuellen Ernährungsverhaltens fehlen (Boyce, 2014, S. 15).

Zudem sind am Markt auch einige unwissenschaftlich arbeitende Anbieter von Apps präsent, die eigene Interessen verfolgen und nicht den Nutzen der User in den Vordergrund stellen. Qualitativ hochwertige (Gesundheits-)Apps, die valide Informationen bieten sowie ihre Zweckbestimmung verlässlich und sicher erfüllen, sind eher die Ausnahme als die Regel (Röwe, 2015, S. 141).

Denn jeder kann – ungeachtet seiner beruflichen Qualifikation – eine App herausbringen (Keuthage & Schoppe, 2016, S. 125). Daher fällt es Nutzern oftmals schwer, sich zu orientieren.

In der 2013 durchgeführten Health Care & Share Studie gaben 51 Prozent der Befragten an, dass sie sich eine Inanspruchnahme von Fitness- und Ernährungs-Apps ohne die Sicherheit und Unterstützung einer entsprechend geschulten Fachkraft nicht vorstellen können. Bei den Nutzern steht vor allem die Vereinfachung der Kommunikation mit dem Ernährungsberater/-coach im Vordergrund (Endres, 2018, S. 157).

Ernährungsberater bzw. -coaches müssen somit offen dafür sein, neue Möglichkeiten in der Beratung auszuprobieren und sich selbst mit mobilen Anwendungen auseinanderzusetzen. Dazu zählt auch die Möglichkeit, unabhängig von einem Bürostandort mit den Klienten zu kommunizieren.

„Always-on“ – Digitale Apps als Bausteine einer modernen Ernährungsberatung

Generell liegt einer der größten Vorteile bei der Verwendung von Smartphones und Tablets darin, dass viele Menschen ihre mobilen Kommunikationsgeräte den ganzen Tag eingeschaltet mit sich tragen, wodurch das Gerät jederzeit und überall z. B. für Dokumentationszwecke genutzt werden kann.

Dahingehend ist es für viele Klienten schneller und komfortabler, verzehrte Lebensmittel in einer App anzugeben, als ein handschriftliches Protokoll zu führen. Die entsprechenden Daten können dann selbst über große Distanzen hinweg übertragen und besprochen werden.

Diese Art des Kommunikationsmanagements fördert oftmals auch die Adhärenz der Klienten, denn sie erleichtert den Informationsaustausch (Keuthage & Schoppe, 2016, S. 124). Allerdings haben Studien gezeigt, dass entsprechende Apps einfach in den Tagesablauf integrierbar sein müssen und nicht viel zusätzliche Zeit in Anspruch nehmen dürfen, damit sie effizient genutzt werden (Röwe, 2015, S. 140).

Insbesondere zur Dokumentation des Ernährungsverhaltens stehen z. B. der digitale Barcode-Scan und Fotoaufnahmen zur Auswahl, wobei daraus die genauen Verzehrmengen noch nicht ersichtlich sind.

Dies unterstreicht insbesondere die Relevanz der Zusammenarbeit von Ernährungsberater/-coach und Kunden. Trotzdem kann – wie bei anderen Dokumentationsmethoden auch – ein eventuelles Over- und Underreporting nicht generell ausgeschlossen werden, denn Klienten können z. B. auch Speisen und Lebensmittel konsumieren, die sie nicht scannen oder fotografieren. Allerdings ist der Kunde subjektiv aktiver in den eigenen Gesundheitsprozess eingebunden (Boyce, 2014, S. 14).

Fazit

Die Fragestellung, ob die Gefahr besteht, dass neue Technologien Fachkräfte ersetzen oder ob Nutzer in Zukunft lediglich über die mobilen Anwendungen mit Fachkräften kommunizieren, bleibt offen.

Allerdings gilt es zu bedenken, dass Ernährung und Lebensstil eng zusammengehören und deshalb der Klient in seinem ganzen Lebensumfeld gesehen werden muss. Allgemein pauschalisierte Ernährungsempfehlungen und Tools zum Kalorienzählen entsprechen auch laut Studien nicht den Wünschen der Anwender.

Stattdessen legten die Studienteilnehmer insbesondere Wert auf eine einfache Handhabung und Verfügbarkeit sowie auf eine gute Strukturierung der Apps.

Des Weiteren wünschten sie sich eine personalisierte konkrete Beratung hinsichtlich der langfristigen Veränderung individueller Ernährungsgewohnheiten.

Somit bleibt es fraglich, welchen (langfristigen) Vorteil die leicht zugänglichen Beratungen mittels mobiler, digitaler Kommunikationsmedien ohne anfängliche Herstellung einer tragfähigen Vertrauensbasis bieten können.

Auch wenn sich die Formen der Beratung (Einzel- und Gruppenberatung, Telefon- und Onlineberatung) weiter differenzieren werden, ist Vertrauen immer die Basis einer wirksamen Fachberatung. Für die Zukunft wäre es dahingehend zielführend, die digitale Kommunikation mit der persönlichen Betreuung zu kombinieren.

Zur Person

Antje Ruhwedel absolvierte an der DHfPG die Studiengänge Bachelor of Arts Ernährungsberatung und Master of Arts Prävention und Gesundheitsmanagement mit Schwerpunkt Stressmanagement und Coaching.

Seit 2003 ist sie selbstständige zertifizierte Ernährungsberaterin und Gesellschafterin sowie Geschäftsführerin eines Gesundheitsstudios.

Auszug aus der Literaturliste

Boyce, B. (2014). Nutrition Apps: Opportunities to Guide Patients and Grow Your Career. Journal of the Academy of Nutrition and Dietetics 114 (1), 13–15.

Civey. (2019). Civey fragt, wie Deutschland tickt. Kein Schwein ruft mich an ... Zugriff am 25.07.2019. Verfügbar unter www.marktmeinungmensch.de/studien/kommunikationsverhalten-der-deutschen-im-privaten-/


Endres, E. M. (2018). Ernährung in Sozialen Medien. Inszenierung, Demokratisierung, Trivialisierung. Wiesbaden: Springer.
Jäckel, M. (2011). Good news? Szenarien zur Nutzung von Apps im Ernährungsbereich. Ernährungsumschau 10, 548–555.

Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte marketing@dhfpg-bsa.de.

Diesen und weitere Artikel finden Sie in der fMi 05/2019 Leseprobe & für Abonnenten EXKLUSIV vorab.

Zum Abonnement
fMi 05/2019 Leseprobe