Nicole Capelan im Expertentalk: „Es gibt nicht die Zielgruppe Frauen!“

Bei Betreuung geht es um die Bedürfnisse des Individuums, nicht um das Geschlecht. Expertentalk mit Nicole Capelan über Female Fitness.
Lesezeit: 7 Minuten
Zweiteilung: Links eine sportliche Frau in Fitnesskleidung springt konzentriert auf eine Holzbox in einem Trainingsraum mit Ziegelwand; rechts Portrait von Nicole Capelan mit blonder Bob-Frisur, Brille und blauer Bluse, die selbstbewusst mit verschränkten Armen dasteht.
Expertentalk mit Nicole Capelan über 'Female Fitness'
Was steckt wirklich hinter Female Fitness? Nicole Capelan verrät im Expertentalk, worauf es Frauen beim Training ankommt — und warum das Training für Männer und Frauen oft gar nicht so verschieden ist, wie viele glauben.

fM: Female Fitness ist – so wirkt es auf Social Media – zum Trendthema geworden. Dabei wird oft der Stempel „Special Interest“ aufgedrückt. Ist diese Ansicht gerechtfertigt?

Nicole Capelan: Stempel ist ein gutes Stichwort. Es gibt nicht die Zielgruppe Frauen! Es muss anerkannt werden, dass die Frau nicht anders dasteht als der Mann. Das Thema muss nur insofern anders behandelt werden, als dass es andere Bedürfnisse gibt, die im Vordergrund stehen. Wir versuchen uns mit typischen Frauenthemen, die über das Training hinausgehen, zu beschäftigen. Das lenkt aber vom eigentlichen Thema ab: Training und Wohlbefinden für alle.

In den Studios, die ich berate, wie auch in meinem eigenen Frauenstudio bestehen von außen Vorurteile wie „Die wollen nur ein bisschen Bauch, Beine, Po“. Tatsächlich sind Frauen die komplexesten Mitglieder. Es geht immer um das Ganze, insbesondere auf Seiten der Betreuung: Es geht um die Optimierung des Aussehens, um Mental Health und um Ernährung.

Wie die meisten Trainierenden holen sie sich viele Informationen aus dem Internet. Daher ist die ganzheitliche Begleitung durch die Anbieter besonders gefragt, um die vielfältigen Wünsche und Motive befriedigen zu können. Eine einfache Trainings- oder Ernährungslizenz reicht meist nicht aus, um kompetent zu wirken. Es geht um Motivation und Ansprache – Soft Skills, die Trainerinnen und Trainer mitbringen müssen. Sozialkompetenz ist der Schlüssel: Sobald die Frauen Vertrauen fassen, wenn man sie an die Hand nimmt und engmaschig betreut, entsteht Verbundenheit.

Auch geht es bei Female Fitness um den Bereich Resilienz, also wie Frauen ihren Alltag besser bewältigen können. Es wird immer noch oft unterschätzt, was Frauen im Alltag zu leisten haben. Sie verbinden nicht selten Haushalt, Familie und Job; und dann sollen sie sich noch um sich selbst kümmern. Auch hier kommt wieder das Thema Betreuung auf den Plan: Durch eine engmaschige Begleitung wollen wir dafür sorgen, dass Frauen das Thema Fitness in ihren Alltag einbauen können, ohne dass sie unter zusätzlichen Stress geraten.

Die Anzahl reiner Frauenstudios ist laut der Eckdatenstudie rückläufig, zeitgleich bieten immer mehr gemischte Anlagen Frauenbereiche an. Was sind Gründe für diese Entwicklung?

In unserem Frauenstudio in Düsseldorf haben wir einen riesigen Zulauf, gerade auch von jungen Frauen. Die Gründe für die Wahl unserer Anlage sind vielfältig, oft geht es aber um ein Gefühl von Sicherheit oder Ungestörtheit. Dabei spielt auch der Mitgliedschaftsbeitrag keine Rolle, denn unser Studio gehört nicht zu den günstigsten im Markt.

Dass immer mehr gemischte Anlagen nachziehen und eigene Bereiche schaffen, spricht für solche Angebote. Die Ausstattungen und Trainingsbedingungen sind identisch. Oft geht es den Frauen nicht zwangsläufig darum, beim Training nicht gesehen zu werden oder sich nicht vergleichen zu wollen. Es geht ums Wohlfühlen – und das hört nicht auf der Trainingsfläche auf, es geht auch um den Weg vom Parkplatz in die Umkleide.

Gibt es bei der Angebotswahl wahrnehmbare Geschlechterspezifika?

Wie die Studie von Prof. Dr. Sarah Kobel und Alexander Küstner aus 2024 zeigt, gibt es verschiedene Fitnesstypen und so ist es auch bei den weiblichen Trainingstypen. Neben klassischen Geräten, die zu einer soliden Grundausstattung dazugehören, zieht es immer mehr Frauen zu freien Gewichten.

Unser Freihantelbereich ist immer hoch frequentiert, von daher ist das eine klare Ausstattungsempfehlung. Aber auch besondere Bereiche wie Neuroathletik werden bei uns sehr gut angenommen, weshalb wir unsere Mitarbeitenden gezielt für spezifische Angebote ausbilden.

Bei den älteren Zielgruppen kommen hingegen elektronische Zirkel sehr gut an. Hinzu kommt Group Fitness, was im PRIDE Ladies die absolute Cashcow ist. Wir bieten ein starkes Kursprogramm mit über 70 Kursen pro Woche und einem großartigen Trainerniveau an.

Über die Interviewpartnerin

Porträt von Nicole Capelan

Nicole Capelan

Aufgrund einer Sportverletzung in der Leichtathletik führte der Weg von Nicole Capelan vor über 30 Jahren in die Fitness- und Gesundheitsbranche. Nach einer kaufmännischen Ausbildung in einem Chemiekonzern entschied sie sich für den beruflichen Wechsel in den Bereich Fitness und stieg im Alter von 22 Jahren in ein bestehendes Studio ein. Darauf folgten einige Jahre in einer kleinen Fitnessgruppe in Schleswig-Holstein sowie ein Studium zum B. A. Business Administration/Business Economics.

Als Expertin für Prozessoptimierung und Recruiting berät sie Betreiberinnen und Betreiber und ist zusätzlich Mitglied der Geschäftsleitung des Fitnessstudios PRIDE Ladies in Düsseldorf. Weiterhin ist sie als Dozentin, Autorin und Speakerin für die DHfPG sowie die BSA-Akademie tätig.

Foto: DHfPG/BSA

Hinzu kommt das Thema Optik. Die Ästhetik spielt auch eine Rolle. Wir arbeiten in unserer Anlage mit den Farben Gold, Pink und Türkis. Das hebt sich von medizinischen Einflüssen ab und ist zeitgleich freundlicher als das gern genommene Schwarz.

Auch in der Außendarstellung sind wir eher freundlich, farbenfroh und offen, weil wir glauben, dass es auch eine Lebenseinstellung verkörpert.

Schwangerschaft, Menopause und Co. spielen bei Female Fitness eine entscheidende Rolle. Wie wird mit den speziellen Herausforderungen am besten umgegangen?

Neben dem Training während der Schwangerschaft ist für Schwangere die Rückbildung ein großes Thema. Für die Studios geht es also um mehr, als den Begriff „Rückbildung“ zu verwenden. Es geht um mentale und hormonelle Probleme sowie um Gewichtszunahme. Trainerinnen und Trainer müssen daher mehr wissen als oft in einer klassischen Trainerausbildung vermittelt wird. Angebote, bei denen es um Fitness in der Schwangerschaft geht, können mit Fortbildungen gut abgedeckt werden. Was über deren Inhalte hinaus geht, weil es zu spezifisch ist, versuchen wir unserem Team über gesonderte Weiterbildungen, beispielsweise im Bereich Pränataldiagnostik, näher zu bringen. So können wir den Mitgliedern erklären, was im Körper passiert und dass es um mehr geht als das, was nach einer Schwangerschaft auf der Waage steht.

Wir benötigen also viel mehr Qualifikation für frauenspezifische Themen. Dazu zählt dann auch die Menopause, bei der Frauen ebenfalls besondere Bedürfnisse haben. Es ist ihnen unangenehm, wenn sie beispielsweise plötzlich Schweißausbrüche haben. Wir machen um solche Themen kein Aufsehen, eben weil es etwas Natürliches ist. Und genau das macht es auch aus, denn wir helfen mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen. Wir als Trainerinnen und Trainer nehmen das Thema auf und sprechen es an. Das kann ich aber nur proaktiv tun, wenn ich qualifiziert bin – trainings- und ernährungswissenschaftlich wie auch bei der Kommunikation.

Ein viel größeres und leider noch zu wenig besprochenes Thema ist Endometriose. Bei dieser Erkrankung haben die Frauen oft extreme Schmerzen. Das führt so weit, dass uns Mitglieder auf der Fläche auch schon kollabiert sind. Da müssen wir auch eingestehen, dass wir manchmal an unsere Grenzen kommen, denn wir wissen noch viel zu wenig über diese Erkrankung.

Aber auch bei Krankheitsbildern wie Brust- oder Gebärmutterhalskrebs kann mit der richtigen Aus- und Weiterbildung ein Angebot erbracht werden. In solchen Fällen ist aber die Zusammenarbeit mit den Ärzten notwendig.

Insbesondere der Bereich zyklusbasiertes Training ist auch auf Social Media ein großes Thema – trotz weniger wissenschaftlicher Erkenntnisse. Wie sollte auf veränderte Bedürfnisse während der Periode eingegangen werden?

Die Beschwerden sind unglaublich individuell und können nicht verallgemeinert werden. Hinzu kommen auch Nebenerscheinung wie fehlende Mikronährstoffe, da das Mitglied versucht, durch geringere Nahrungsaufnahme abzunehmen. Die Zusammenhänge können komplex sein, weshalb wir individuell versuchen müssen, herauszufinden, was die Ausgangslage ist. 

Es geht also um die richtigen Fragen, aktives Zuhören und Paraphrasieren. Den Zyklus können wir letzten Endes aber nicht beeinflussen. Wir versuchen das Thema daher nicht allzu groß zu machen, sondern uns auf die Dinge zu konzentrieren, die wir beeinflussen können: Schlaf, Regeneration, Reduktion von Stress oder vernünftige Ernährung.

Weitere Hintergründe

Lies außerdem unseren Artikel 'Expertentalk: Female Fitness' als Einstieg zum Interview.

Indem du auf das nachstehende Bild klickst, gelangst du direkt zum Artikel.

Wir schaffen es auch nicht immer, alle von der Couch wegzuholen. Aber was hilft, sind motivierende Erfolgserlebnisse. Und dafür müssen wir nah an der Kundin sein, beispielsweise mit Remindern über die studioeigene App. Dabei ist es wichtig, keinen Vorwurf zu erzeugen, sondern positiv zu sein. Ziel muss sein, das Training als Teil der Alltagsroutine zu etablieren.

Dabei sind wissenschaftliche Erkenntnisse und Alltag leider nicht immer vereinbar. Nehmen wir Sarkopenie als Beispiel: Um dem Muskelverlust entgegenzuwirken, müssten die Betroffenen mehrmals die Woche trainieren, doch das ist nicht immer realistisch. Wir müssen also einen Weg finden, das Training in das Leben der Mitglieder zu integrieren, ohne Stress zu erzeugen. Denn das Erste, was gecancelt wird, wenn der Stress überhandnimmt, ist bei vielen das Fitnessstudio. Auch wenn die Trainingssteuerung dann nicht optimal ist: Einmal die Woche zum Training zu gehen, ist 100 Prozent mehr als gar nicht zu kommen, und das müssen wir belohnen.

Vertrauen spielt gerade bei den sensibleren Themen eine wichtige Rolle. Wie kann das Trainerteam dieses bereits zu Anfang nachhaltig aufbauen?

Das Stichwort ist immer die Einstellung zur Arbeit. Es ist relativ einfach, das Vertrauen zu gewinnen, wenn man Interesse zeigt. Und das bedeutet Fragen zu stellen, die über „Was möchtest du erreichen?“ oder „Wie viel möchtest du abnehmen?“ hinausgehen. Es geht darum, diesen Menschen oder diese Frau als ganzes Wesen zu sehen: Was beschäftigt sie den ganzen Tag, was ist für sie wichtig und was ist auch nicht so wichtig. Es geht also auch hier wieder um die richtigen Fragen, aktives Zuhören und Paraphrasieren.

Die richtige Einstellung kann aber auch ein bisschen Überwindung kosten, da man schon sehr persönlich wird. Aber sie ist ein wichtiger Step zur Beziehungsebene. Gerade jüngeren Trainerinnen fällt es teilweise schwer, über Themen wie Menopause zu sprechen, da sie altersbedingt noch keine Berührungspunkte damit hatten. Deswegen versuchen wir auch Trainerinnen so einzusetzen, wie sie zu der Person, die uns gerade besucht, passen.

Aufgrund dieser Aspekte ist das Personal eine entscheidende Größe, wenn Studios sich abgrenzen wollen. Dabei geht es nicht nur um die Qualifikation, sondern auch Mitarbeitende, die wirklich empathisch sowie kommunikativ sind und sich kümmern möchten. Daher bin ich auch eine totale Verfechterin von Quereinsteigern, die möglicherweise vorher in einem anderen Job waren, aber das „Kümmerer-Gen“ besitzen. 

Manche unserer Mitglieder sind doppelt so alt wie unsere jüngsten Trainerinnen und haben teilweise das Gefühl, nicht richtig verstanden zu werden. Wenn Studios also ein gemischtes Team – sowohl in Alter, Herkunft als auch Lebenserfahrungen – haben, können sie jeder Kundin und jedem Kunden das passende Gegenstück anbieten.

Beim Thema Personal gab es in der Vergangenheit oft Debatten darüber, ob und wie männliche Trainer im Bereich Female Fitness eingesetzt werden können. Gibt es dafür eine Pauschalantwort?

Nein, da gibt es keine Patentlösung. Ein Unternehmen, das ich berate, setzt seit jeher auf einen festen männlichen Fitnesstrainer in seinem Mitarbeiterkreis.

In unserem Studio in Düsseldorf haben wir hingegen keinen männlichen Mitarbeiter auf der Fläche. Unser Beweggrund dafür ist simpel: Wir verfügen über einen hohen Anteil an Muslima und machen das daher aus Respekt.

Allerdings haben wir trotzdem männliche Trainer im Group-Fitness-Bereich. Auch für diese Differenzierung gibt es eine eindeutige Erklärung: Im Kursbereich wissen die Mitglieder, wer vorne steht, und können selbst entscheiden, ob sie teilnehmen.

Letzten Endes muss das aber jeder Anbieter für sich entscheiden. Und wenn man merkt, dass es Vorbehalte gibt, kann man es nicht mit aller Gewalt durchsetzen.

Welcher Aspekt kann im Bereich Female Fitness als Gamechanger für den Erfolg angesehen werden?

Das Team, die Mitarbeitenden, die Menschen. Die Wertigkeit von Personal ist in diesem Angebot noch mal anders wertzuschätzen. Dazu gehört, als Anbieter auch zu erkennen, dass unsere Trainerinnen und Trainer den Unterschied machen. 

Bringe ich meine Mitarbeitenden in eine Position, in der sie Wertschätzung erfahren und zeitgleich wertschätzend arbeiten können, bleiben die Mitglieder oft länger, die Fluktuation kann beeinflusst werden und Zusatzverkäufe fallen leichter. Der Schlüssel für den Erfolg ist also neben der Qualitätsführerschaft eindeutig das Personal.

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Für fitness MANAGEMENT berichtet

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