Neurowissenschaftlerin Dr. Julia Christensen: „Unser Gehirn liebt es, sich zu bewegen“

Gewohnheiten umprogrammieren: Wie das Gehirn Gewohnheiten lernt und was Tanz damit zu tun hat, verrät die ehemalige Balletttänzerin Julia Christensen im Interview.
Lesezeit: 3 Minuten
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Dr. Julia Christensen hält auf dem 2. Neuro Innovation Day den Vortrag „Mind the Gap – Gehirn und Tanz“
Dr. Julia Christensen hält auf dem 2. Neuro Innovation Day den Vortrag „Mind the Gap – Gehirn und Tanz“
Was Tanzen mit dem Gehirn macht und warum es bestimmte Bewegungen braucht, um Gewohnheiten zu ändern, erklärt Julia Christensen auf dem 2. Neuro Innovation Day. Wir haben sie vorab interviewt.

fM: Frau Christensen, als ehemalige Profi-Tänzerin verbinden Sie neurowissenschaftliche Erkenntnisse gerne mit Praxisbeispielen aus dem Tanz. Was macht diese Verbindung für Sie so reizvoll?

Julia Christensen: Es gibt rund um das Tanzen enorm viel zu erforschen und wir stehen erst am Anfang. Viele Menschen denken, bei Tanzforschung geht es „nur“ um die besonderen gesundheitlichen Auswirkungen des Tanzens. Diese sind natürlich auch relevant, aber vor allem kann man als Forscher:in die Expertise von Profi-Tänzer:innen nutzen, um grundlegende Funktionen des menschlichen Gehirns zu erforschen.

Man geht unter anderem der Frage nach, wie das Gehirn Gewohnheiten lernt und welche Auswirkungen Gewohnheiten und Routinen auf unser Gehirn und dadurch auf unsere Produktivität, unsere Motivation und auf unser Wohlbefinden haben. Profi-Tänzer:innen erbringen täglich Höchstleistungen, für die es sowohl körperlicher als auch mentaler Stärke bedarf – und dabei sieht ihr Tanzen komplett mühelos aus.


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Wer würde da nicht gern mal bei den Neuronen der Tanz-Profis nachhorchen, wie die das so machen? Im Englischen würde ich sagen „dance expertise is a window to human brain function“.

fM: Sie sprechen beim Neuro Innovation Day über das Umprogrammieren von Gewohnheiten. Was hat es damit auf sich?

Unser Gehirn hat sich genetisch in den letzten 200.000 Jahren so gut wie gar nicht verändert. Wir leben mit unserem Steinzeitgehirn in der Welt von heute und die hat herzlich wenig mit der Welt zu tun, in der unser Steinzeitgehirn durch die Evolution entstand.

Wir glauben, unser Gehirn liebt es „zu denken“. Was es aber vor allem liebt, ist sich „zu bewegen“. Dieses liebe Organ zwischen unseren Ohren ist ein aggressiver Überlebenskünstler, für den Bewegung alles ist. Das hat verschiedene Auswirkungen auf unsere Arbeit in der modernen digitalen Welt.

Viele denken, man kann sich gute Gewohnheiten und Routinen an-„denken“ oder irgendwie digital „einpflanzen“.  Das geht aber nicht. 'Matrix' ist und bleibt noch ein Science-Fiction-Film. Um sich eine Gewohnheit anzugewöhnen, braucht es bestimmte Bewegungen unseres Körpers. Sonst macht unser Gehirn gar nichts.

Die Neuroplastizität unseres Gehirns, also die Fähigkeit, neue Verknüpfungen zwischen Neuronen zu bilden, macht es möglich, dass Gewohnheiten überhaupt entstehen. Und Gewohnheiten sind, in ihrer grundlegendsten Form, die Verbindung zwischen einer Bewegung – zum Beispiel sich auf das Sofa fallen lassen – und einem Genuss – zum Beispiel das wohlige Gefühl der Entspannung auf dem Sofa.

Und Genuss macht etwas Besonderes mit uns: Es motiviert uns, Dinge wieder zu tun.  Das gilt für die guten Gewohnheiten, aber leider auch für die schlechten. Und unser Gehirn geht noch einen Schritt weiter: Es merkt sich, welcher Reiz diesen Genuss auslöst.


Lesen Sie auch: 'Neuro Innovation Day 2023'


Das heißt, schon der Anblick des Sofas reicht aus. Beim nächsten Mal, wenn wir das Sofa sehen, aktiviert unser Gehirn die Erinnerung an den Genuss vom letzten Mal und schon hat man das Gefühl das Sofa ziehe einen förmlich an. Unser Gehirn erinnert sich auch an die Bewegung, die wir ausführen sollen. Und schon bewegen wir uns in Richtung Sofa. Das nennt man in der Psychologie „positive Verstärkung“. (Auch lesenswert: 'Raus aus der Komfortzone')

fM: Was können wir noch von Tänzer:innen lernen?

Empathie und Mitgefühl. Aber das ist ein großes Thema, das ich gerne beim Neuro Innovation Day 2023 nochmal ausführlicher mit Ihnen diskutieren werde.

Vortrag beim 2. Neuro Innovation Day

Julia Christensen ist mit ihrem Vortrag „Mind the Gap – Gehirn und Tanz“ am 16. Juni 2023 auf dem 2. Neuro Innovation Day vertreten. Auf dem zweitägigen Kongress geben namhafte Neuro-Spezialist:innen spannende Einblicke in die vielfältigen Einsatzfelder neurozentrierter Übungen in Spitzensport, Training und Therapie.

Die Veranstaltung findet am 16. und 17. Juni 2023 in der Sportschule Hennef statt.

Über die Interviewpartnerin

Dr. Julia F. Christensen begann nach ihrem Schulabschluss eine professionelle Tanzausbildung. Ein Unfall zwang sie dazu, ihre Tanzkarriere zu beenden. Stattdessen machte die studierte Psychologin und Neurowissenschaftlerin den Tanz zu ihrem Forschungsschwerpunkt.

Heute arbeitet die gebürtige Dänin am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main und gilt als DIE Expertin, wenn es um das Thema Gehirn und Tanz geht. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Dr. Dong-Seon Chang veröffentlichte sie 2018 das Buch „Tanzen ist die beste Medizin. Warum es uns gesünder, klüger und glücklicher macht”.

Mehr zum Thema: 'Neurotraining – mehr als nur ein Trend?'

Neu: Neurotrainer-B-Lizenz

Die BSA-Akademie bietet jetzt den Lehrgang Neurotrainer-B-Lizenz an. Absolventinnen und Absolventen sind in der Lage, Ihren Kunden eine individuelle Betreuung auf Grundlage eines neurozentrierten Trainingsansatzes anzubieten, um gemeinsam wichtige Trainingsziele wie Leistungssteige­rung, Rehabilitation oder Schmerzreduktion zu erreichen.

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