Therapie von Zivilisationskrankheiten

Zivilisationskrankheiten sind auf dem Vormarsch. Wie können Fitnessstudios und Bewegungstherapien effektiv helfen?
Lesezeit: 5 Minuten
Therapie von Zivilisationskrankheiten: Bastian Bloier erklärt den Stellenwert von Kraft- und Ausdauertraining
Therapie von Zivilisationskrankheiten: Bastian Bloier erklärt den Stellenwert von Kraft- und Ausdauertraining
Zivilisationskrankheiten werden nicht durch die Zivilisation selbst, sondern durch einen ungesunden, der menschlichen Physiologie nicht entsprechenden Lebensstil verursacht, z. B. durch Bewegungsarmut oder Überernährung. Was sind wirksame Mechanismen, um Zivilisationserkrankungen vorzubeugen?

Zivilisationskrankheiten können sich in den verschiedensten Organsystemen manifestieren. Dazu zählen beispielsweise das Herz-Kreislauf-System, das muskuloskelettale System, aber auch das Gehirn.

So spricht man z. B. bei Diabetes mellitus Typ 2, arterieller Hypertonie, Adipositas, Atherosklerose oder Demenz von Zivilisationskrankheiten.

Risikofaktor: individuelles Verhalten

Alle genannten Erkrankungen haben gemeinsame Risikofaktoren, die auf das individuelle Verhalten zurückzuführen sind. Dazu zählen Bewegungsmangel und körperliche Inaktivität, Fehl- und Überernährung, Genussmittelabusus (Tabak und Alkohol) sowie chronischer Stress.

Für die Prävention und Therapie bietet sich hier jedoch ein starker Ansatzpunkt. Durch gezieltes körperliches Training lassen sich Risikofaktoren minimieren und Schutzfaktoren maximieren.

Als geeignete Mittel der Trainingstherapie haben sich Ausdauer- und Krafttraining etabliert, die neben einer Ernährungsmodifikation die wichtigsten nicht medikamentösen Bausteine der Therapie darstellen.

1. Säule: Ausdauertraining

Ausdauertraining wirkt auf verschiedenen Ebenen in der Prävention und Therapie von Zivilisationskrankheiten. So lassen sich positive Effekte auf Parameter, wie z. B. Nüchternglucose, Blutfettwerte oder Blutdruck, verzeichnen.

Die physiologischen Anpassungen durch Ausdauertraining sind vielfältig und umfassen molekulare, kardiovaskuläre, metabolische und hormonell-endokrine Anpassungen.

Molekulare Anpassungen: Wissenschaftliche Untersuchungen belegen nachdrücklich, dass die wiederholten Muskelkontraktionen beim Ausdauertraining spezifische mechanische Reize erzeugen, die eine molekulare Anpassung bewirken und fördern, wie z. B. Veränderungen in der Substratverfügbarkeit und -verwertung.

So wird beispielsweise die Fähigkeit, Glucose und Fettsäuren aus dem Blut in die Muskelzellen zu transportieren, durch eine Erhöhung der Substrattransporter GLUT4 und FAT/CD36 verbessert (Schumann & Ronnestad, 2023, S. 24–26).

Über den Autor

Bastian Bloier

Der Sport- und Bewegungstherapeut Bastian Bloier leitet die Abteilung Medizinische Trainingstherapie in einer Rehabilitationsklinik und promoviert als externer Doktorand der Medizinischen Fakultät der Universität des Saarlandes. An der DHfPG und der BSA-Akademie arbeitet er als Dozent im Fachbereich Trainings- und Bewegungswissenschaft.

Kardiovaskuläre Anpassungen: Die kardiovaskulären Reaktionen körperlichen Trainings drehen sich um die klassischen physiologischen Elemente Herzfrequenz, Schlagvolumen, Herzzeitvolumen, mittlerer arterieller Druck und gesamter peripherer Widerstand.

Die wichtigsten kardialen Anpassungen zur Verbesserung des Herzzeitvolumens durch Ausdauertraining sind eine verbesserte ventrikuläre Füllung und die Fähigkeit, den Frank-Starling-Mechanismus (Zusammenhang zwischen der Füllung und der Auswurfleistung des Herzens) während des Trainings zur Erhöhung der Ejektionsfraktion (Auswurfleistung) zu nutzen.

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Durch eine erhöhte Füllung des Herzens kommt es zu einer verbesserten Überlappung von Aktin- und Myosinfilamenten und einer erhöhten Sensitivität des kontraktilen Apparates gegenüber Calcium, sodass bei gleicher Herzfrequenz mehr Blut in den Kreislauf gepumpt wird. Zusammengenommen führen diese Veränderungen zu einer Erhöhung des Schlagvolumens (Schumann & Ronnestad, 2023, S. 27–28).

Metabolische Anpassungen: Die wichtigste metabolische Anpassungskomponente des Ausdauertrainings ist die gesteigerte Fähigkeit der Skelettmuskulatur, Substrate zur Energiegewinnung zu oxidieren.

Die gesteigerte Substratverwertungskapazität ist eine direkte Folge des erhöhten mitochondrialen Gehalts und des damit verbundenen Enzymaktivitätsprofils, insbesondere der Enzyme, die mit der β-Oxidation und dem Kohlenhydratstoffwechsel verbunden sind.

Das bedeutet, dass Fettsäuren und Glucose schneller aus dem Blut in die Muskelzellen transportiert werden können, um dort zur Energiegewinnung genutzt zu werden (Schumann & Ronnestad, 2023, S. 29–30).

Hormonell-endokrine Anpassungen: Beim Menschen gibt es eine Vielzahl von Hormonen und hormonwirksamen Substanzen, die endokrine, parakrine und autokrine Wirkungen auf eine Vielzahl von Geweben entfalten.

Diese Substanzen sind an der Regulierung zahlreicher physiologischer Prozesse beteiligt, z. B. des Stoffwechsels, des Wachstums und der Entwicklung, des Wasserhaushalts, der Herz-Kreislauf-Funktionen, der Immunantwort und der Stressreaktivität.

Zahlreiche Forschungsergebnisse belegen, dass Ausdauertraining die Hormone, die für ihre Produktion verantwortlichen endokrinen Drüsen/Gewebe und damit die Prozesse, die diese Substanzen regulieren und steuern, tiefgreifend beeinflusst. Akute sportliche Belastung stimuliert das endokrine System stark und führt zu einer Vielzahl von hormonellen Veränderungen (Schumann & Ronnestad, 2023, S. 32–35).

Niedrigschwelliger Einstieg: Gehen

In einer Studie von Banach et al. (2023) zeigt sich eine umgekehrte Beziehung zwischen der täglichen Schrittzahl und der Gesamt- und kardiovaskulären Mortalität, was bedeutet, dass diese mit steigender Schrittzahl sinkt. Positive Effekte fangen schon bei etwa 2.400 Schritten pro Tag an, maximieren sich jedoch mit einer höheren Schrittzahl und haben das günstigste Aufwand-Nutzen-Verhältnis bei etwa 11.500 Schritten täglich.

Bei inaktiven Personen (meist definiert als < 5.000 Schritte täglich) sorgt eine Erhöhung der täglichen Schrittzahl um 1.000 für eine Risikoreduktion der Gesamtmortalität um 15 Prozent.

Chiang et al. (2019) postulieren jedoch, dass es nicht nur ausreicht, ein tägliches Schrittziel festzulegen, sondern es hilfreich ist, auch intensivere Einheiten einzubauen. Diese intensiveren Einheiten können auch aus Gehen bestehen, sofern dabei auf eine ausreichend hohe Schrittrate geachtet wird. Dies führte zu einer signifikanten Verbesserung des Hüftumfangs, des viszeralen Fettgewebes und der Blutfettwerte.

Zur allgemeinen Orientierung der Dosis des Ausdauertrainings dienen die Richtwerte der Weltgesundheitsorganisation. Sie werden mit mindestens 150 bis 300 Minuten pro Woche moderat-intensivem (z. B. dreimal 50 min) oder 75 bis 150 Minuten intensivem (z. B. dreimal 25 min) Ausdauertraining angegeben.

Doch gerade in der Therapie können längere Einheiten teilweise unverträglich oder unpraktikabel sein. So kann es bei Menschen mit Adipositas sinnvoll sein, die Belastung auf viele kurze aerobe Belastungen aufzuteilen („short bouts“), um eine bessere langfristige Compliance zu erreichen. Selbst „short bouts“ in Alltagsaktivitäten einzubauen, also kein gezieltes Training im klassischen Verständnis, kann helfen, das viszerale Fettgewebe zu reduzieren.

2. Säule: Krafttraining

Neben den positiven Effekten, die das Ausdauertraining auf die kardiovaskuläre Gesundheit und somit diverse Zivilisationskrankheiten erzielt, hat auch Krafttraining äußerst positive Facetten, die im nachfolgenden näher beleuchtet werden sollen.

Skelettmuskeln können als Reaktion auf Krafttraining eine bemerkenswerte Plastizität, also Anpassungen der Masse, Struktur, Funktion sowie des Stoffwechsels aufweisen. Anpassungen innerhalb des Muskelmilieus an die mechanischen und metabolischen Anforderungen des Krafttrainings dienen dazu, den zellulären Stress während der nachfolgenden Trainingseinheiten zu reduzieren.

Zu den physiologischen und molekularen Anpassungen durch Krafttraining zählen Veränderungen der Muskelgröße, der Myofasergröße und Fasertyptransformation, der Muskelarchitektur, der Zuwachs von Satellitenzellen und Myonuklei, aber auch metabolische und molekulare Anpassungen sowie Anpassungen des Bindegewebes (Schumann & Ronnestad, 2023, S. 60).

Größenzuwächse der Skelettmuskulatur (d. h. Hypertrophie) sind die auffälligsten Anpassungen beim Krafttraining. Der mögliche Mechanismus des Faserwachstums ist eine erhöhte Muskelquerschnittsfläche und Proliferation von Myofibrillen, die zu einer erhöhten Anzahl von parallel angeordnetem kontraktilem Material und folglich zu einer Steigerung der Kraftproduktionskapazität führt (Schumann & Ronnestad, 2023, S. 60–61).

Trainingsadaptionen (modifiziert nach Mooren & Reimers, 2018, S. 17)

Die bisherige Annahme ist, dass Krafttraining eine Ergänzung und kein Ersatz für Ausdauertraining ist, wenn es um die Reduktion von kardiovaskulären Risikofaktoren geht. Die Studie von Liang et al. (2021) kommt zum Ergebnis, dass Krafttraining nicht nur eine Ergänzung darstellt, sondern eine gleichberechtigte Alternative bzw. eine unabhängige Rolle in der Prävention einnehmen kann.

Eine aktuelle Studie von Paluch (2024) stellt heraus, dass selbst 30 bis 60 Minuten Krafttraining pro Woche ausreichen, um positive Effekte davontragen zu können.

Das Mindestmaß von 15 bis 20 Minuten zweimal pro Woche kann schon einen positiven Einfluss auf Blutdruck, Nüchternglucose, Blutfettwerte, Körperkomposition, aber auch auf Arteriensteifheit, chronische Inflammation und die kardiorespiratorische Fitness haben, was sich ebenfalls positiv auf diverse Zivilisationskrankheiten auswirkt und demnach eine essenzielle Rolle in der Therapie dieser darstellt.

Abbildung 1 zeigt die Trainingsadaptationen des Körpers an Bewegung, demnach ein kombiniertes Kraft- und Ausdauertraining.

Fazit

Der Stellenwert von Kraft- und Ausdauertraining ist immens hoch und wichtiger als je zuvor, angesichts der weiterhin steigenden Inzidenzzahlen von Zivilisationskrankheiten. Die vielfältigen physiologischen Anpassungen durch körperliches Training sind durch keine anderen Behandlungsmethoden zu ersetzen und wirken darüber hinaus auch auf einer psychosozialen Ebene.

Auszug aus der Literaturliste

Banach, M., Lewek, J., Surma, S., Penson, P. E., Sahebkar, A., Martin, S. S. et al. (2023). The association between daily step count and all-cause and cardiovascular mortality: a meta-analysis. European Journal of Preventive Cardiology, 30 (18), 1975-1985.

Liang, M., Pan, Y., Zhong, T., Zeng, Y. & Cheng, A. (2021). Effects of aerobic, resistance, and combined exercise on metabolic syndrome parameters and cardiovascular risk factors: a systematic review and network meta-analysis. Reviews in Cardiovascular Medicine, 22 (4), 1523-1533.

Mooren, F. & Reimers, C. D. (2018). Praxisbuch Sport in Prävention und Therapie. München: Elsevier.  

Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte: literatur@fitnessmanagement.de.

Diesen Artikel kannst du folgendermaßen zitieren:

Bloier, B. (2024). Therapie von Zivilisationskrankheiten. medical fitness and healthcare, 02, 68–70.

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