fM: Wie würden Sie Longevity definieren?
Patrik Meier: Für mich bedeutet Longevity nicht einfach nur ein langes Leben, sondern ein langes Leben in guter körperlicher und mentaler Verfassung – also eine maximale Healthspan. Entscheidend ist nicht, wie viele Jahre wir leben, sondern wie viele dieser Jahre wir selbstbestimmt, kraftvoll und schmerzfrei leben können. Diese Fähigkeit baut auf einem starken Körper auf – insbesondere auf starken Muskeln.
Seit 15 Jahren erforscht Kieser die Auswirkungen von Krafttraining auf den menschlichen Körper. Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang den derzeitigen Hype um Longevity?
Der Begriff wirkt neu, das Konzept nicht. Was heute unter Longevity diskutiert wird, ist bei Kieser seit Jahrzehnten gelebte Praxis. Wir haben schon früh erkannt, dass Muskelkraft die Grundlage für Lebensqualität, Autonomie und Gesundheit im Alter ist.
Der aktuelle Hype hilft, Aufmerksamkeit zu schaffen – aber entscheidend ist nicht das neue Etikett, sondern die bewährte, wirksame Methode dahinter. Oder wie Werner Kieser es formuliert hätte: Die Wahrheit liegt im Widerstand – und nicht im Wellnessversprechen.
Das Geschäftsmodell von Kieser setzt also schon seit Jahrzehnten auf Tools und Trainingspläne, die das Ziel haben, die Healthspan zu verlängern?
Kieser stand für Longevity, bevor es so hieß. Seit über 50 Jahren helfen wir Menschen dabei, ihre funktionellen Fähigkeiten zu erhalten, Rückenbeschwerden zu überwinden und wieder Kontrolle über ihren Körper zu erlangen. Unsere Trainingsmethode ist minimalistisch, aber wissenschaftlich fundiert – und genau das braucht es, um physisch schwache Menschen in physisch starke zu verwandeln. Damit verlängern wir ihre Healthspan ganz konkret.
Das Konzept Longevity umfasst neben dem Training weitere Aspekte wie Ernährung, Regeneration, Schlaf und Lebensstil. Wie können Fitness- und Gesundheitsstudios das ganzheitliche Bewusstsein ihrer Mitglieder schärfen?
Indem sie nicht nur wunderschöne digitalisierte Geräte in Erlebniswelten anbieten, sondern Haltung vermitteln. Studios müssen die Menschen befähigen, Verantwortung für ihren Körper zu übernehmen. Dazu gehört Aufklärung über Ernährung, Schlaf und Stress genauso wie das richtige Krafttraining. Kieser fokussiert sich auf das Wesentliche – aber dieses Wesentliche muss mit höchster Qualität und Bewusstsein umgesetzt werden.
Welchen Stellenwert hat Krafttraining für ein langes gesundes Leben, auch im Vergleich zu den anderen Parametern?
Ohne Kraft geht nichts – wortwörtlich. Die Muskulatur ist ein zentraler Gesundheitsorganismus, der auf nahezu alle Systeme Einfluss nimmt: Stoffwechsel, Knochendichte, Hormonhaushalt, Gehirnfunktion. Ernährung, Regeneration und Schlaf sind wichtig, aber sie ersetzen nicht den Reiz, den nur ein gezieltes, intensives Krafttraining setzen kann. Krafttraining ist nicht eine von vielen Maßnahmen – es ist die Grundlage.
Welche Schwerpunkte sollten im Training gesetzt werden, wenn es um Longevity geht?
Es braucht eine hohe Trainingsintensität mit geringer Volumenbelastung – also das, was wir bei Kieser seit Jahrzehnten umsetzen: langsame Bewegungen, kontrollierte Ausführung, hohe Last, bis zur momentanen muskulären Erschöpfung. Nur so wird die Muskelproteinsynthese maximal angeregt. Wichtig ist auch die Individualisierung: Trainingspläne müssen sich an funktionellen Einschränkungen und Gesundheitszielen orientieren – nicht an ästhetischen Zielen.
Über den Interviewpartner
Patrik Meier
Patrik Meier ist Chief Operating Officer (COO) der Kieser Training AG und seit 2011 Mitglied der Geschäftsleitung. Kieser wurde 1967 von Werner Kieser gegründet und ist seitdem auf gesundheitsorientiertes Krafttraining spezialisiert. Der diplomierte Maschinen- und Wirtschaftsingenieur Patrik Meier hat umfangreiche Erfahrungen in Vertrieb, Marketing und Markenführung. Vor seiner Tätigkeit bei Kieser war er in verschiedenen Führungspositionen in der Gesundheitsbranche tätig. Seine Leidenschaft für Krafttraining entwickelte er durch die erfolgreiche Bekämpfung seiner eigenen Rückenbeschwerden. Er ist davon überzeugt, dass effektives Krafttraining ein Schlüssel zur Prävention und Behandlung von Zivilisationserkrankungen ist.
Foto: Dieser Training AG
Wie werden Ihre Forschungsergebnisse im Unternehmen umgesetzt?
Unsere Forschung fließt direkt in unsere Trainingsmethodik, Maschinenentwicklung und Ausbildungsstandards ein. Wir betreiben eine eigene Forschungsabteilung, arbeiten mit Universitäten zusammen und überprüfen laufend die Wirkung unserer Programme. Erkenntnisse über Muskelstoffwechsel, Myokine oder Sarkopenie übersetzen wir in praktische, verständliche Konzepte, die unsere Instruktorinnen und Instruktoren direkt auf der Fläche anwenden können.
Der Gap zwischen Lifespan und Healthspan wird größer. Welchen Beitrag können Fitness- und Gesundheitsanbieter leisten, damit Training hilft, die Healthspan zu verlängern? Indem sie wegkommen von Unterhaltung und zur funktionellen Gesundheit hinführen.
Weitere Hintergründe
Lies außerdem unseren Artikel 'Health-Trend Longevity' als Einstieg zum Interview.
Indem du auf das nachstehende Bild klickst, gelangst du direkt zum Artikel.
Die Branche muss den Mut haben, Klartext zu reden: Es geht nicht um Wellness, sondern um Widerstandskraft, Selbstwirksamkeit und die Fähigkeit, das eigene Leben aktiv zu gestalten. Wer Krafttraining richtig vermittelt, hilft Menschen nicht nur beim Training, sondern dabei, länger gesund zu bleiben.
Welches Konzept bietet Kieser an?
Ein klares, bewährtes Konzept mit einer Philosophie der Reduktion: kein Schnickschnack, sondern höchste Wirkung für eine klar definierte Zielgruppe. Unsere Kombination aus spezialisierten Maschinen, präziser Trainingssteuerung und der fundierten Ausbildung unserer Mitarbeitenden macht den Unterschied.
Zudem bauen wir unsere medizinische Kompetenz mit Fokusprogrammen in der Physiotherapie aus – insbesondere für Menschen mit Rücken-, Gelenk- oder Stoffwechselproblemen.
Welche Tests nutzen Sie, um zu sehen, ob das Training Ihrer Mitglieder in die richtige Richtung geht?
Wir arbeiten mit verschiedenen funktionellen Tests, z. B. Kraftmessungen, aber auch die Analyse der Körperzusammensetzung. Entscheidend ist für uns aber auch das subjektive Erleben: Kann die Person ihren Alltag wieder besser bewältigen? Hat sie weniger Schmerzen? Wird sie selbstbewusster? Gesundheit ist nicht nur messbar – sie ist spürbar.
Um einen Longevity-Effekt zu erzielen, kommt es auf regelmäßiges Training an. Wie schaffen Sie es, Mitglieder so zu motivieren, dass sie wirklich am Ball bleiben?
Wir setzen auf Vertrauen, Einfachheit und Wirkung. Unsere Mitglieder erleben schon nach kurzer Zeit konkrete Erfolge – weniger Schmerzen, mehr Energie, ein besseres Körpergefühl.
Das motiviert. Zudem ist unser Trainingskonzept effizient: Zweimal 30 Minuten pro Woche reichen, wenn man es richtig macht. Und das Wichtigste: Unsere Mitarbeitenden sind präsent, beobachten, korrigieren und motivieren – Beziehung schlägt App.
Wie wichtig ist dafür die Trainingsüberwachung und Steuerung durch qualifiziertes Personal?
Ohne qualifiziertes Personal wird aus Training oft nur allgemeine Bewegung – und Bewegung ist nicht gleich Training. Unsere Instruktorinnen und Instruktoren sind speziell ausgebildet, um das Training exakt zu steuern, zu dosieren und zu begleiten.
Gerade im Hinblick auf Longevity brauchen wir Menschen, die erkennen, ob das Training wirklich den Muskel reizt oder nur beschäftigt. Nur wer am Limit trainiert, erzeugt Wachstum. Wenn wir dies nicht tun, schonen wir die Alten nur zu Tode.
Muss ein Studio, das sich auf Longevity spezialisiert, noch andere Angebote unterbreiten als qualifiziertes Training?
Nicht unbedingt – wenn das bestehende Training konsequent auf medizinische Wirksamkeit und individuelle Betreuung ausgerichtet ist. Longevity ist kein neues Produkt, sondern ein uraltes Bewusstsein, dass das menschliche Leben endlich ist.
Entscheidend ist nicht das Angebot, sondern die Haltung, mit der es vermittelt wird. Die Branche steht an einem Wendepunkt: Immer mehr Studios verwandeln sich in sogenannte Wellness-Hubs mit Erlebniswelten, die alles versprechen – von mentaler Gesundheit bis hin zu Longevity-Lösungen.
Doch dabei darf das Wesentliche nicht verloren gehen: Der Körper verlangt nach Reiz und Reaktion. Longevity entsteht nicht durch Services, sondern durch Training. Nicht durch Aromatherapie, Pillen, Pülverchen und Horoskope, sondern durch progressive Überlastung. Und das braucht kein neues Konzept, sondern Konsequenz.
Was halten Sie von US-amerikanischen Longevity-Studios?
Vieles wirkt beeindruckend, das Meiste ist übertrieben. Natürlich ist es spannend, was technologisch alles möglich ist – Bluttests, Genanalysen, Supplements, Wearables. Aber Kraft lässt sich nicht digitalisieren.
Und oft fehlt der entscheidende Punkt: der Wille zur Anstrengung. Wer glaubt, Longevity sei käuflich, irrt. Langlebigkeit entsteht nicht durch Gadgets,sondern durch regelmäßige, bewusste Arbeit an sich selbst – vor allem am eigenen Körper – hart, ehrlich und reduziert. Vielleicht stehen wir heute an einem Punkt, an dem Fitnessstudios viel Neues wollen, aber auch Gefahr laufen, sich zu verzetteln.
Kieser bleibt bewusst fokussiert: Wir versprechen kein langes Leben. Wir geben Menschen die Kraft, es selbst in die Hand zu nehmen.