Gesundheit | Autor/in: Anna Weinmann |

Die Wirksamkeit von Pilates bei unspezifischen Rückenschmerzen

Rückenschmerzen gehören laut Bundesärztekammer zu den am häufigsten angegebenen Schmerzen in Deutschland. In repräsentativen Befragungen gaben 74 bis 85 Prozent der Deutschen an, dass sie mindestens einmal in ihrem Leben Rückenmerzen hatten (Lebenszeitprävalenz).

20,7 Prozent gaben an, dass sie im letzten Jahr unter Rückenschmerzen litten, die mindestens drei Monate oder länger anhielten. Die Vorbeugung und Behandlung von Rückenschmerzen durch ein gezieltes Pilates-Training wird in der Fachliteratur viel diskutiert. Aber wie effektiv ist das Training wirklich?

Rückenschmerzen in der deutschen Gesellschaft
Die vom Robert Koch-Institut durchgeführten Gesundheitssurveys 2003 und 2009 ermöglichen eine Darstellung der Prävalenz von Rückenschmerzen für die deutsche Bevölkerung, differenziert nach Geschlecht (vgl. Abb. 1). Frauen geben häufiger als Männer an, unter mindestens drei Monate anhaltenden Rückenschmerzen (fast täglich) gelitten zu haben. Bei beiden Geschlechtern zeigt sich eine nahezu lineare Zunahme der Häufigkeit chronischer Rückenschmerzen mit zunehmendem Alter.

Bereits im Kindes- und Jugendalter zählen Rückenschmerzen zu den häufigsten Beschwerden. Dies zeigen unter anderem Ergebnisse des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS) des Robert Koch-Instituts. In dieser Untersuchung wurden Kinder und Jugendliche (11 bis 17 Jahre) nach Schmerzen in den letzten drei Monaten gefragt, u. a. auch Rückenschmerzen. Die Untersuchung ergab, dass Rückenschmerzen vor allem bei den 14- bis 17-Jährigen mit einer Prävalenz von 44 Prozent auftreten. Dabei geben Mädchen häufiger als Jungen an, von Rückenschmerzen betroffen zu sein. Auf Grundlage der Ergebnisse stellen Rückenschmerzen ein behandlungsbedürftiges Problem in Deutschland dar.

Klassifikation von Rückenschmerzen
Rückenschmerzen werden durch die internationale statistische Klassifikation der Krankheiten (ICD-10-GM) je nach Erkrankung der Wirbelsäule und des Rückens klassifiziert (ICD-10-GM: M45-M54). Liegen keine Ursachen bzw. bekannte pathologische Veränderungen vor, dann spricht man von unspezifischen Rückenschmerzen (ICD-10-GM: M54); im englischsprachigen Raum auch von „Low Back Pain“. Es handelt sich hierbei um „Schmerzen im Rückenbereich unterhalb des Rippenbogens und oberhalb der Gesäßfalten, mit oder ohne Ausstrahlung in die Beine“. Unspezifische Rückenschmerzen tauchen in der Praxis wesentlich häufiger auf als spezifische Rückenschmerzen. Nach Diemer und Sutor leiden über 80 Prozent der Rückenschmerzpatienten unter unspezifischen Rückenschmerzen.

Ursachen von Rückenschmerzen
Die Ursachen sind nicht immer eindeutig zuzuordnen. In der Regel sind die Schmerzen das Ergebnis einer Vielzahl von Belastungsfaktoren. Dazu gehört auch der oft dargestellte Zusammenhang zwischen häufigem Sitzen und Rückenschmerzen. Dieser Belastungsfaktor kann anhand wissenschaftlicher Daten jedoch nicht bestätigt werden. Die momentane Studienlage postuliert andere Einflussfaktoren, welche primär für die Schmerzen verantwortlich sind. Mit einer hohen Evidenz werden biospsychosoziale Faktoren wie Depressivität, Stress und schmerzbezogene Gedanken (z. B. Hilfs-/Hoffnungslosigkeit) genannt. Ebenfalls arbeitsbezogene psychosoziale Bedingungen wie z. B. eine geringe Arbeitszufriedenheit und eine fehlende soziale Unterstützung am Arbeitsplatz sind primäre Risikofaktoren für Rückenschmerzen. Auch das Heben, Tragen und Bewegen von Material kann Schmerzen in der Rückenregion provozieren. Vor allem rückenunfreundliche Bewegungsmuster wie das Beugen bei gleichzeitiger Rotation der Wirbelsäule führen zu abnormalen Druckverhältnissen in den Bandscheiben und können Schmerzen verursachen. Aus Angst, die Schmerzen zu verschlimmern, bewegen sich die Betroffenen weniger und nehmen oft eine Schonhaltung ein. Die reduzierte körperliche Aktivität kann schnell zur Abnahme der haltungsstabilisierenden Muskulatur bis hin zur allgemeinen Dekonditionierung führen. Dadurch werden Mobilitäts- und Funktionseinschränkungen begünstigt und im Umkehrschluss Fehlhaltungen zusätzlich provoziert.

Effektivität körperlicher Aktivität
Zur Prävention und Behandlung von chronisch unspezifischen Rückenschmerzen belegen Untersuchungen von Smith, Littlewood und May die Effektivität körperlicher Aktivität. In dem Zusammenhang scheinen Trainingsprogramme zur Kräftigung der Muskulatur bessere Ergebnisse in Bezug auf die Linderung der Schmerzen zu erzielen, als ausdauerorientierte Trainingsprogramme. Empirische Befunde belegen einen Zusammenhang zwischen Kraftdefiziten der Rumpfmuskulatur und dem Auftreten von Rückenschmerzen. Die Befunde von Denner bestätigen, dass durch moderates und angepasstes Krafttraining das Bewegungssystem so weit trainiert werden kann, dass chronische Rückenschmerzen positiv beeinflusst werden. Grundsätzlich können alle Trainingsformen (funktionsgymnastisches Krafttraining mit und ohne Kleingeräte, apparatives Krafttraining etc.) in das Training integriert werden.

Die Pilates-Methode
In der Literatur wird vor allem die Wirksamkeit von Pilates zur Behandlung von chronisch unspezifischen Rückenschmerzen überprüft. Die Pilates-Methode wurde in den zwanziger Jahren von dem deutschen Joseph Pilates (1880 - 1967) entwickelt. Anfangs nannte er sein Trainingssystem noch „The Art of Contrology“. Die Kontrolle über den Körper, die Atmung und den Geist zu haben, war und ist einer der wichtigsten Ansätze seiner Übungen. Die Pilates-Methode ist nach sechs Prinzipien aufgebaut: Konzentration, Kontrolle, Zentrierung, Bewegungsfluss, Bewegungspräzision und Atmung. Diese gleichwertigen Grundsätze legen fest, wie die einzelnen Übungen durchzuführen sind.

Die Übungen sollen die Muskulatur dehnen und kräftigen, die Haltung verbessern und die Körperwahrnehmung schulen. Dabei liegt die Stärkung der rumpfstabilisierenden Muskulatur im Vordergrund, wobei die Aufmerksamkeit auf die tiefen, stabilisierenden Muskelanteile gelenkt wird.

Die Wirksamkeit von Pilates
Die Autoren Gladwell et al. (2006) und Hasanpour-Dehkordi, Dehghani und Solati (2017) bestätigen die Annahme, dass Pilates einen positiven Effekt auf chronisch unspezifische Rückenschmerzen hat. Gladwell et al. (2006) konnten zeigen, dass ein sechswöchiges Pilatestraining, bereits einmal pro Woche, den allgemeinen Gesundheitszustand, die Propriozeption sowie die Funktionalität und Mobilität des Bewegungssystems bei Frauen und Männern mittleren Alters (37 ± 8,1 Jahren) verbessert. Obwohl es sich bereits um Personen mit einem aktiven Lebensstil handelte, konnte durch das Pilates-Training eine zusätzliche Verbesserung erzielt werden (Gladwell et al., 2006). Auch Hasanpour-Dehkordi et al. (2017) kamen zu ähnlichen Ergebnissen. Nach der sechswöchigen Intervention (3x pro Woche 1h Pilates) bewerteten die Betroffenen ihren allgemeinen Gesundheitszustand besser und hatten weniger Schmerzen in der Rückenregion. Die Erhebung erfolgte mittels zweier Fragebogen, dem „General Health Questionnaire-28“ und dem „McGill Pain Questionnaire“. Bei beiden Studien klagten die Personen bereits seit mind. drei Monaten über unspezifische Rückenschmerzen. Rydeard, Leger und Smith (2006) gingen sogar noch einen Schritt weiter und verglichen die Wirksamkeit der Pilates-Methode mit einer allgemein üblichen Bewegungstherapie. Nach der vierwöchigen Intervention zeigten die Patienten, die nach der Pilates-Methode trainierten, eine signifikant höhere Reduktion der Rückenschmerzen.

Bei der Wahl der Trainingsform spielen vor allem der Schmerzgrad und die Dauer der Schmerzen (akut, subakut, chronisch) eine Rolle. Die aktuelle Studienlage bestätigt, dass Pilates als mögliche Trainingsform effektiv ist und sogar höhere Verbesserungen gegenüber traditionellen Behandlungsmethoden bewirken kann (Gladwell et al., 2006; Hasanpour-Dehkordi et al., 2017; Posadzki et al., 2011; Rydeard et al., 2006). Dafür spricht vor allem die positive Wirkung auf Körper und Geist. Da die Autoren darauf hinweisen, dass unspezifische Rückenschmerzen zum einen durch körperliche Aktivität und zum anderen durch Reduzierung der psychosozialen Belastungsfaktoren behandelt werden können, stellt das Pilates-Training eine optimale Trainingsform dar. Es wird gezielt die tiefliegende Rumpfmuskulatur gestärkt und das Körperbewusstsein geschult. Durch die präzise und kontrolliert ausgeführten Bewegungen, die Konzentration auf sich selbst und die Atmung werden Körper und Geist zu einer Einheit. Gemäß der Philosophie von Joseph Pilates (1945) ist es „der Geist, der den Körper bewegt.“ Wie bereits erwähnt, können Rückenschmerzen bereits durch eine Verhaltensänderung und einen gesunden Geist vermindert werden, wozu bereits ein einstündiges Pilates-Training pro Woche beitragen kann.

Fazit
Ein regelmäßiges Pilates-Training optimiert nicht nur physische Faktoren wie Körperkraft, Flexibilität und Koordination sondern baut auch Stress ab, schärft die Aufmerksamkeit und fördert ein gesteigertes Wohlbefinden. Zudem erhöht sich durch die schnell auftretenden Trainingsfortschritte die Motivation zu regelmäßiger, körperlicher Aktivität. Demnach ist Pilates neben anderen Trainingsformen eine geeignete Methode zur Prävention und Behandlung von chronisch unspezifischen Rückenschmerzen. Im Hinblick auf die aktuelle Studienlage sollten weitere Studien folgen, um die klinische Evidenz eindeutig zu bestätigen.

Anna Weinmann
Die Sportwissenschaftlerin arbeitet als pädagogische Mitarbeiterin an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement sowie der BSA-Akademie im Fachbereich Trainings- und Bewegungswissenschaft. Praktische Erfahrungen in Bereich Gruppen- sowie Individualtraining sammelte sie in Fitness- und Gesundheitseinrichtungen. Sie ist zudem ausgebildete Pilates-Trainerin.

Auszug aus der Literaturliste
Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung & Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (Hrsg.). (2017). Nationale Versorgungs Leitlinie. Nicht-spezifischer Kreuzschmerz (2. Aufl.) (Langfas- sung). Verfügbar unter http://www.awmf.org/uploads

-Diemer, F. & Sutor, V. (2011). Praxis der medizinischen Trainingstherapie (2. Aufl.). Stuttgart: Thieme.
-Hoffmann, S. & Müller, S. (Hrsg.). (2010). Gesundheitsmarketing: Gesundheitspsychologie und Prävention (1. Aufl.). Bern: Hans Huber.
-Müller, G. (2005). Effektive betriebliche Maßnahmen zum Umgang mit Rückenschmerzen. (AOK Baden Württemberg).
-Raspe, H.-H. (2012). Rückenschmerzen (Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Bd. 53). Berlin: Robert-Koch-Inst.

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