Fitness, Gesundheit | Autor/in: Dr. Joshua Berger |

Sicheres und effektives Ganzkörper-EMS-Training

Ganzkörper-Elektromyostimulation (GK-EMS) zählt zu den führenden Trainingsformen in Boutique- und Mikrostudios und hat sich durch viele positive Effekte und den intensiven Personal-Training-Charakter bewährt. Welche Faktoren beeinflussen GK-EMS-Training und worauf sollte man bei der Planung und Umsetzung achten?

So wenden Trainer:innen GK-EMS-Training sicher, effektiv und zielführend an

GK-EMS bezeichnet die simultane Stimulation aller großen Muskelgruppen (mindestens sechs applizierte Stromkanäle) mit einem trainingswirksamen Reiz und wird als hochintensive und zeiteffiziente Trainingsform in unterschiedlichen Bereichen angewendet. (Lesen Sie auch: 'Wie ticken EMS-Nutzer?')

Geschichte des GK-EMS

Vom Fitnesstrend für Gewichtheber:innen in den 1970er-Jahren bis hin zu einem der am stärksten wachsenden Bereiche im Leistungsumfang von Fitness- und Gesundheitsanlagen gemäß DIN-Norm 33961 hat das GK-EMS einen langen Weg hinter sich (DSSV, 2022).

Leistungssteigerungen durch GK-EMS

Die zu trainierende Zielgruppe sowie die gewählten Trainingsinhalte sind wie bei jedem sportlichen Training auch beim GK-EMS zwei der zentralen Inhalte, die berücksichtigt werden müssen, um Leistungssteigerungen zu erzielen.

Effektivität des Trainings

Diese Leistungssteigerungen bzw. die Effektivität des Trainings hängen von diversen Faktoren wie der Wahl der Stimulationsparameter der GK-EMS ab und variieren je nach trainierender Person oder der Dauer der Trainingsperiode (Filipovic, Kleinöder, Dörmann & Mester, 2012).

Die Maximalkraft ist einer der am häufigsten untersuchten Parameter und konnte Verbesserungen in der Rumpfextension (> 20 %), der Rumpfflexion (> 33 %) sowie der Knieextension (> 31 %) und der Knieflexion (> 20 %) durch unterschiedliche GK-EMS-Protokolle aufweisen (Berger, 2021).

GK-EMS bei Freizeitsportler:innen & Eliteathlet:innen

Die Höhe der Leistungssteigerungen variiert hierbei je nach Zielgruppe und angewandten Stimulationsparametern.

Es konnten allerdings bei adäquater Anwendung des GK-EMS sowohl bei Freizeitsportler:innen als auch bei Eliteathlet:innen maßgebliche Verbesserungen der Maximalkraft, der Sprunghöhe sowie der Sprintschnelligkeit festgestellt werden (Berger, Ludwig, Becker, Kemmler & Fröhlich, 2020; Berger et al., 2020; Filipovic et al., 2012).


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Speziell der positive Einfluss von GK-EMS auf unspezifische Rückenschmerzen ist ein essenzieller Aspekt, da Personen mit Kinesiophobie (Bewegungsangst), begrenzten Zeitressourcen oder eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten durch unterschiedliche Vorerkrankungen aufgrund der Zeiteffizienz und gelenkschonenden Belastung ein realisierbares Training geboten wird, das wiederum eine Alternative zum kommerziellen Krafttraining darstellt (Weissenfels et al., 2019).

Das Vier-Faktoren-Modell des GK-EMS

Bei der Planung und Durchführung eines GK-EMS-Trainings müssen diverse Faktoren berücksichtigt werden, um ein sicheres und effektives Training zu gewährleisten und einen Trainingserfolg zu ermöglichen.

NiSV und DIN 33961 als Basis

Im kommerziellen Kontext ist auf Basis der aktuellen Strahlenschutzverordnung (NiSV) und der deutschen Norm DIN 33961 anhand der relativen und absoluten Kontraindikationen klar eingegrenzt, mit welchen Personen GK-EMS durchgeführt werden darf (Kemmler et al., 2019).

Abgesehen von der Anwendung im kommerziellen Sektor können weitere Personengruppen mit Vorerkrankungen internistischer oder orthopädischer Art z. B. in der klinischen Therapie trainiert werden, was allerdings je nach Zielgruppe zusätzliche Maßnahmen und Anpassungen der Trainingsinhalte bedingen kann.

Das Vier-Faktoren-Modell beschreibt den Zusammenhang der essenziellen Inhalte zur Durchführung und Überprüfung von GK-EMS, die situationsspezifisch aufeinander abgestimmt werden müssen.

Zielgruppe

Die Zielgruppe des GK-EMS ist breit gefächert und beinhaltet tendenziell alle Personen, die ebenfalls ein konventionelles Krafttraining durchführen könnten. Darüber hinaus ist die Anwendung bei Patient:innen, die durch Vorerkrankungen wie z. B. Sarkopenie oder Adipositas nur eingeschränkt bewegungsfähig sind, möglich und effektiv.

Planung des GK-EMS

Die Durchführung eines konventionellen Krafttrainings wird für Personen mit diesen Erkrankungen aufgrund unterschiedlicher Aspekte, wie einer erhöhten Gelenkbelastung, maßgeblich erschwert oder ist für sie sogar ausgeschlossen (Kemmler, Engelke & Stengel, 2012).


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Auf Grundlage der Charakterisierung der gewählten Zielgruppe, was in der Planung eines sicheren und effektiven GK-EMS immer den ersten Schritt darstellt, erfolgt die Festlegung der Trainingsinhalte.

Trainingsinhalte

Bei den gewählten Trainingsinhalten kann in gerätespezifische sowie trainingsspezifische Aspekte unterteilt werden.

Die Gerätespezifik stellt im GK-EMS eine Besonderheit dar, da die spezifischen Stimulationsparameter variabel wählbar sind und keiner einheitlichen Anwendung unterliegen. Viele Varianten aus Impulsstärke (Intensität des Impulses), Impulsfrequenz (Anzahl der Impulse, die pro Sekunde auf den Körper einwirken) sowie dazugehörigem Impulsdauer- und -pausenverhältnis sind in vorangehenden Untersuchungen kombiniert worden.

Die Intensitätssteuerung mittels einer CR10-Borg-Skala bei einer subjektiv wahrgenommenen Anstrengung von RPE 4–8 (RPE = rate of perceived exertion), einer Impulsfrequenz von 85 Hz sowie einer Impulsdauer von vier bis sechs Sekunden mit einer anschließenden Pause von vier Sekunden haben sich hierbei in der praktischen Anwendung bewährt und werden vorrangig verwendet.

Physiologische Schutzmechanismen fehlen

Es sollte in der Planung stets ein besonderer Fokus auf der Intensitätssteuerung liegen, da beim GK-EMS durch die unwillkürliche Kontraktion der Muskulatur physiologische Schutzmechanismen wie muskuläres Versagen im konventionellen Krafttraining nicht bestehen, weswegen es eher zu einer Überlastung des Organismus kommen kann.


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Trainingsspezifische Inhalte charakterisieren die Übungsauswahl, die Verwendung von zusätzlichen Geräten sowie die Häufigkeit des Trainings. Diese Aspekte sind in besonderem Maße von der gewählten Zielgruppe abhängig, da z. B. mit Athlet:innen vorrangig dynamische Übungen mit höherer Intensität durchgeführt werden, wohingegen bei Patient:innen mit Vorerkrankungen moderat-intensive, statische Trainingsinhalte gewählt werden.

Die Wahl adäquater Trainingsinhalte basierend auf der Zielgruppe bedingt im direkten Umkehrschluss die Diagnostik.

Diagnostik

Alle Möglichkeiten zur Überprüfung potenzieller Leistungssteigerungen bzw. physischer Adaptation durch GK-EMS werden unter dem Faktor Diagnostik zusammengefasst. Die Möglichkeiten sind hierbei nahezu unbegrenzt und umfassen beispielsweise Maximalkraftdiagnostiken, Sprungdiagnostiken, Messungen der Körperzusammensetzung oder Blutuntersuchungen.

Verletzungsrisiken vermeiden

Die Wahl der adäquaten diagnostischen Maßnahmen wird ebenfalls von der Zielgruppe beeinflusst, da z. B. Athlet:innen Maximalkraft- und Sprungdiagnostiken problemlos durchführen können, diese allerdings für viele Zielgruppen aufgrund potenzieller physischer Überforderung inadäquat wären und Verletzungsrisiken bergen würden.

Ein weiterer Faktor, die Sicherheit, spielt aus diesem Grund auch hier eine wichtige Rolle.

Sicherheit

Durch besondere physiologische Ansprüche sowie eine hohe Intensität des Trainingsreizes ist das GK-EMS eine besondere Herausforderung für den Organismus und kann bei falscher Anwendung gesundheitliche Schäden hervorrufen.

Untersuchungen konnten immense Erhöhungen des Enzyms Kreatinkinase nach zu intensiven, initialen GK-EMS-Anwendungen feststellen, was ein ernst zu nehmendes Risiko für den Organismus darstellt (Kemmler, Teschler, Bebenek & Stengel, 2015).

Hilfestellung für Anwendende

Die Anwendung von GK-EMS ist im nicht-medizinischen, kommerziellen Sektor durch die Implementierung der Abfrage von Kontraindikationen reguliert und bietet den Anwendenden eine Hilfestellung für die Frage, mit welchen Zielgruppen GK-EMS unbedenklich durchführbar ist.


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Losgelöst hiervon kommt dem Faktor Sicherheit in dem vorliegenden Modell auch deswegen ein besonderer Stellenwert zu. Durch die fehlenden physiologischen Schutzmechanismen bei GK-EMS sowie aufgrund der hohen körperlichen Belastung kommt den Trainer:innen eine besondere Sorgfaltspflicht zu.

Abfrage der Trainingsintensität

Der Sicherheitsaspekt beeinflusst daher alle weiteren Faktoren und sollte in seiner Beständigkeit wiederkehrend im Trainingsverlauf überprüft werden – beispielsweise durch Abfrage der Trainingsintensität zur Vermeidung von Überlastung oder durch Abfrage von plötzlich auftretenden Kontraindikationen vor den Trainingseinheiten usw.


Fazit 

Das Vier-Faktoren-Modell des GK-EMS unterliegt einer stetigen Dynamik: Die Veränderung eines Faktors beeinflusst automatisch alle weiteren und kann je nach Ausprägungsgrad deren Anpassung bewirken.

Essenzielle Faktoren des GK-EMS

Es fasst demnach die für das GK-EMS essenziellen Faktoren zusammen, um eine Maximierung des Trainingserfolgs durch die Kontrolle der Inhalte bei gleichzeitiger Minimierung des Risikos für Trainierende zu ermöglichen. Somit kann das Modell als Leitbild zur sicheren, effektiven und zielführenden Anwendung eines GK-EMS-Trainings betrachtet werden (Berger, 2021).


Über den Autor

Dr. Joshua Berger arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent im Fachbereich Fitness/Individualtraining an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) und als Referent an der BSA-Akademie.
Seit 2017 ist er Mitglied im EMS-Fachkreis, der sich mit aktuellen Themen rund um EMS-Training sowie mit praktischen Leitlinien für den konventionellen Gebrauch befasst.


Auszug aus der Literaturliste

Berger, J. (2021). Eine Evaluation der Anwendbarkeit und Effektivität von Ganzkörper-Elektromyostimulation. Dissertation. Technische Universität Kaiserslautern. Kaiserslautern.
Kemmler, W., Weissenfels, A., Willert, S., Fröhlich, M., Ludwig, O., Berger, J. et al. (2019). Recommended Contraindications for the Use of Non-Medical WB-Electromyostimulation. Deutsche Zeitschrift fur Sportmedizin, 70 (11), 278–282.
Weissenfels, A., Wirtz, N., Dörmann, U., Kleinöder, H., Donath, L., Kohl, M. et al. (2019). Comparison of Whole-Body Electromyostimulation versus Recognized Back-Strengthening Exercise Training on Chronic Nonspecific Low Back Pain: A Randomized Controlled Study. BioMed research international, 2019, 1–9.

Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte marketing@dhfpg-bsa.de.

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