Science Lab: Ganzkörper-Elektromyostimulation (WB-EMS)-Training bei Krebserkrankung
Die Elektromyostimulation (kurz: EMS) hat sich in den letzten Jahren als eine wichtige Trainingsform in der Fitness- und Gesundheitsbranche etabliert. Gleichzeitig rückt das EMS-Training immer mehr auch in den Fokus der Wissenschaft. Die Bachelor-Thesis der DHfPG liefert mittels eines systematischen Reviews einen Überblick über die Sicherheit, Machbarkeit und Wirksamkeit von EMS-Training bei onkologischen Patienten.
Die Bedeutung von körperlicher Aktivität und Sport in der Prävention, Therapie und Nachbehandlung onkologischer Erkrankungen ist in den letzten 15 bis 20 Jahren zunehmend Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen geworden.
Zahlreiche Studien zeigen positive Einflüsse im Hinblick auf die Lebensqualität, das Gesamtüberleben, die Verarbeitung von krankheits- und therapiebedingten Belastungen und das Therapie- bzw. Rehabilitationsergebnis (Campbell et al., 2019).
Eine spezifische Trainingsform in der Fitnessbranche, deren Bekanntheitsgrad und Anzahl der Anwender in den letzten Jahren enorm zugenommen hat, ist das EMS-Training, kurz EMS (Eifler, Fröhlich & Berger, 2017). Auch in der Therapie (insbesondere bei orthopädischen und neurologischen Erkrankungs- und Verletzungsbildern) wird EMS seit vielen Jahren eingesetzt, um die muskuläre Leistungsfähigkeit zu verbessern und einen systematischen Rehabilitationsprozess zu unterstützen.
Weiterentwicklung der EMS-Technologie
Bei EMS wird durch elektrische Impulse eine Muskelkontraktion hervorgerufen. Während EMS in der Therapie oft lokal eingesetzt wird (z. B. zur Stimulation der Muskulatur eines verletzten Beins nach Ruhigstellung), können mittlerweile durch die Weiterentwicklung der EMS-Technologie hin zu 'Anzügen', in die Elektroden eingearbeitet sind, große Muskelareale stimuliert werden.
Aufgrund dessen hat sich für diese Trainingsform der Begriff Ganzkörper-EMS oder WB-EMS etabliert. Dem WB-EMS werden bei verantwortungsvoller Anwendung und unter Aufsicht von qualifiziertem Personal zahlreiche leistungssteigernde (z. B. Erhöhung der Maximalkraft), morphologische (z. B. Zuwachs an Muskelmasse) und gesundheitsprotektive (z. B. Reduktion von Rückenschmerzen) Effekte zugeschrieben (u. a. Filipovic, 2012; Kemmler et al., 2017). Andererseits sind bei unqualifizierter Anwendung gesundheitsschädliche Wirkungen nicht auszuschließen.
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In Bezug auf onkologische Erkrankungen wären die positiven Effekte, die EMS mit sich bringen kann, von besonderem Nutzen, um von Muskelaufbau, einer gesteigerten Leistungsfähigkeit oder speziellen Funktionsverbesserungen profitieren zu können.
Unzureichende Datenlagen
Immer mehr Krebsbetroffene interessieren sich daher für EMS während und nach der Therapie. Bisher wird EMS bei Tumorerkrankungen allerdings als Kontraindikation geführt, da die wissenschaftliche Datenlage nicht ausreicht, um das Training in der Behandlungsphase wie auch in der Nachsorge als sicher einzustufen.
Um Aufschluss über den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand zur Sicherheit, Realisierbarkeit und Wirksamkeit von EMS mit onkologischen Patienten zu erhalten, wurde im Rahmen der hier vorgestellten Bachelor-Thesis ein systematisches Review durchgeführt.
Methodik
In der internationalen Datenbank 'PubMed' wurde eine Literaturrecherche zur Anwendung von EMS bei Krebsbetroffenen durchgeführt (Zeitpunkt der Recherche: März 2019). Gesucht wurde nach Studien, die sich entweder mit den Effekten einer WB-EMS- oder einer lokalen EMS-Anwendung beschäftigten. Nach Volltextprüfung konnten insgesamt zwölf Studien mit den nachfolgend dargestellten Kennzeichen in die Auswertung miteinbezogen werden.
Kennzeichen der eingeschlossenen Studien (eigene Darstellung):
Studiendesigns
• 4 randomisierte, kontrollierte Studien (RCTs)
• 2 nichtrandomisierte, kontrollierte Studien
• 1 Cross-over-Studie
• 2 einarmige Studien
• 2 Fallserien
• 1 Fallbericht
Teilnehmendencharakteristika
• gesamt n = 370
• Alter Ø 59 (31–74) Jahre
• verschiedene Krebsarten, verschiedene Stadien, unterschiedlicher Therapiestatus
Art des EMS-Trainings
• WB-EMS: 2 Studien
• EMS zur Steigerung der Beinkraft: 6 Studien
• EMS zu therapeutischen Zwecken: 4 Studien
Ergebnisse
Zum Thema WB-EMS bei Menschen mit einer Krebserkrankung lagen zum Untersuchungszeitpunkt lediglich zwei Studien vor. Schink et al. (2018a, 2018b) konnten bei Patienten mit fortgeschrittenen soliden Tumorerkrankungen (z. B. Darmkrebs) und hämatoonkologischen Erkrankungen (z. B. Leukämie) unter Therapie zeigen, dass ein zweimaliges WB-EMS pro Woche zu einem Zuwachs an Muskelmasse und zu einer Verbesserung der Ausdauer führt.
Auch traten keine unerwünschten gesundheitlichen Ereignisse ein, sodass das Training (unter professioneller Aufsicht) in der Durchführung sicher zu sein scheint. Eine ausreichende Evidenz für ein Training im Fitnessstudio lässt sich für diese spezifische Zielgruppe allein aus diesen beiden Studien jedoch nicht ableiten.
Unerforschtes Wissenschaftsfeld
Die weiteren einbezogenen Studien beschäftigten sich mit den Effekten lokaler EMS-Anwendung auf die Beinkraft (z. B. Crevenna, 2006; O’Connor et al., 2019; Strasser et al., 2009) bzw. zu speziellen therapeutischen Zwecken (z. B. Baldwin et al., 2012; Belmonte et al., 2012).
Hier lässt sich zusammenfassend feststellen, dass die Datenlage, was die Anzahl und Qualität der Studien angeht, aktuell unzureichend ist und die Anwendung von EMS mit Krebsbetroffenen lediglich bei ausgewählten Fragestellungen im therapeutischen Bereich erprobt ist. Am ehesten zeigen sich auch hier positive Effekte dahingehend, dass EMS einem Abbau an Muskulatur entgegenwirken kann.
Fazit
Die EMS-Anwendung bei Krebsbetroffenen in der Behandlungsphase und Nachsorge war zum Recherchezeitpunkt ein noch weitgehend unerforschtes Wissenschaftsfeld.
Wenngleich erste Studien zur WB-EMS positive Effekte zeigen, was den Erhalt und den Aufbau von Muskelmasse angeht, ist die Datenlage für den Einsatz bei dieser spezifischen Zielgruppe auch angesichts jüngerer Studienergebnisse (Schwappacher et al., 2020) als (noch) unzureichend zu betrachten.
Hier sind weitere Studien erforderlich, um verlässliche Aussagen zur Sicherheit, Durchführbarkeit und Wirksamkeit von EMS mit Krebsbetroffenen treffen zu können.
Über die Autorin
Nina Schruff
Alter: 40 Jahre
Abschluss: Bachelor of Arts Fitnesstraining
Aktuelle Tätigkeit: Selbstständige Fitnesstrainerin
Für die hier verwendete Literaturliste kontaktieren Sie bitte marketing@dhfpg-bsa.de.
Diesen und weitere Artikel finden Sie in der fMi 05/2021 & für Abonnenten EXKLUSIV vorab.
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