Psychologische Strategien zur Bewältigung von Sportverletzungen
Leistungssport und die Teilnahme an Wettkämpfen, aber auch ambitionierter Freizeitsport bergen für Sportler aufgrund ihrer hohen physischen und psychischen Anforderungen ein erhöhtes Verletzungsrisiko. Doch auch wenn körperliche Schmerzen schnell besiegt sind, bleibt bei vielen Athleten der Kampf mit Sportverletzungen auf der psychischen Ebene lange bestehen.
Die Erfahrung einer Sportverletzung kann sich verschieden auf den Einzelnen und das Team, den Verein oder auch die Organisation auswirken. Auf individueller Ebene sind bei verletzten Athleten negative kognitive und emotionale Reaktionen wie Stress, Sorge, Angst und Traurigkeit weit verbreitet (Wiese-Bjornstal, 2010).
Auf Team- und Vereins- bzw. Organisationsebene gehen die negativen Auswirkungen häufig mit erhöhten Kosten (Ekstrand, 2013) sowie mit Leistungseinbußen einher (d. h. schlechtere Leistungen einzelner Athleten führen zu schlechteren Mannschaftsleistungen und somit zu schlechteren Platzierungen in der Ligatabelle; Hägglund et al., 2013).
Diese Erkenntnisse verdeutlichen nicht nur die Wichtigkeit der Verletzungsprävention, sondern auch die adäquater Rehabilitationsprogramme. Sie folgen einem biopsychosozialen Ansatz, um den Athleten den Wiedereinstieg in den Sportalltag zu erleichtern und die individuelle und teambezogene Leistungsfähigkeit zu erhalten bzw. zu verbessern.
Psychologische Prädiktoren von Sportverletzungen
Um effektive Programme zur Prävention von Verletzungen und deren Rezidiv (Wiederauftreten) nach abgeschlossener Rehabilitation zu entwickeln, ist es wichtig, Risikofaktoren zu identifizieren, die die Wahrscheinlichkeit von Sportverletzungen erhöhen können.
Das Modell von Stress und Sportverletzungen von Andersen und Williams (1999; Abb. 1) liefert einen theoretischen Rahmen, um den Zusammenhang zwischen psychologischen Variablen und dem Auftreten von Verletzungen zu erklären. Dieses Modell postuliert, dass das Risiko einer Sportverletzung durch das Ausmaß der Stressreaktionen des Athleten beeinflusst wird und zudem eine bidirektionale Beziehung mit der Einschätzung des Athleten über seine potenzielle Stresssituation (z. B. Wettbewerb) besteht. Sowohl das Ausmaß der Stressreaktionen des Athleten als auch dessen Einschätzung der Situation werden vom Zusammenspiel verschiedener psychologischer Faktoren beeinflusst. Diese Faktoren können laut des besagten Modells in drei Kategorien eingeteilt werden: Persönlichkeitsfaktoren, Geschichte der Stressoren und zur Verfügung stehende Bewältigungsressourcen. Sowohl die Persönlichkeitsfaktoren als auch die Bewältigungsressourcen können die Stressreaktion direkt beeinflussen, zudem kann auch die Vorgeschichte erlebter Stressoren und der damit einhergehende Effekt auf Fähigkeiten und Bewältigungsmechanismen einen direkten Einfluss ausüben.
Deutlich wird dies, wenn man sich einen Athleten vorstellt, der sich in seiner Gedankenwelt ständig mit verschiedenen Dingen seines Lebens beschäftigt. Die kürzlich durchlebte Trennung von seiner Partnerin sowie eine generelle Vorsicht und Ängstlichkeit führen zu einer starken Stressreaktion, allein schon, wenn er an die Trennung denkt. Eine solche als stark erlebte Stressreaktion kann dazu führen, dass der Athlet eine verminderte Wahrnehmungsfähigkeit und eine daraus resultierende schlechtere Entscheidungsfindung bei der sportlichen Tätigkeit aufweist, was seine Verletzungsanfälligkeit wiederum erhöht. Wenn Interventionsansätze diesen negativen Effekt hemmen, kann dies zu einem reduzierten Verletzungsrisiko des Athleten führen.
Psychologische Strategien zur Bewältigung der Stressreaktion
In Untersuchungen zur Vorhersage von Verletzungen stehen die Merkmale „Ängstlichkeit“ (Devantier, 2011) und „Sorge“ (Noh et al., 2005) in Verbindung mit einem erhöhten Verletzungsrisiko. Das heißt, dass insbesondere Personen, die ein hohes Maß an Ängstlichkeit oder Sorge verspüren, prädisponiert dafür sind, Situationen als stressig wahrzunehmen. Das subjektiv empfundene Stressniveau gilt als stärkster Prädiktor für Sportverletzungen. Eine mögliche Erklärung für die Beziehung zwischen negativen Stressereignissen und einem erhöhten Verletzungsrisiko ist, dass Ereignisse, die von Athleten als negativ empfunden werden, eine erhebliche Auswirkung auf ein breites Spektrum an psychologischen Zuständen wie z. B. auf die Stimmung und die wahrgenommene Kontrolle haben (Baumeister et al., 2001). Dies erhöht wiederum die Wahrscheinlichkeit sich zu verletzen bzw. verletzt zu werden.
Eine Bewältigungsstrategie, die nachweislich die Stärke der Stressreaktion verringern kann und mit einem geringeren Verletzungsrisiko verbunden ist, stellt die soziale Unterstützung dar (Andersen & Williams, 1999). Für einen Athleten, der sich in einer Umgebung mit fürsorglichen Menschen befindet, verringert sich das Ausmaß der Stressreaktion. Zudem konnte nachgewiesen werden, dass neben sozialen Ressourcen auch wissenschaftlich fundierte Interventionen in Form von kognitiven und verhaltenstherapeutischen Ansätzen (Perna et al., 2003) sowie Achtsamkeits- (Ivarsson et al., 2015) und psychologischen Kompetenztrainings (Tranaeus et al., 2015) das Ausmaß der Stressantwort reduzieren. Der Einsatz dieser Interventionsansätze senkte nicht nur das Verletzungsrisiko, sondern beeinflusste zugleich den Rehabilitationsprozess positiv.
Zudem spielt in diesem Zusammenhang die Selbstwirksamkeitserwartung der Athleten, also deren Wahrnehmung selbst fähig oder effektiv in ihren Bestrebungen oder Bemühungen zu sein, eine zentrale Rolle. Um gestärkt aus einer Verletzung hervorzugehen, bedarf es Selbstvertrauen, positiven Denkens und Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten.
Hier stellt der Einsatz des Mentalen Trainings eine wirksame Maßnahme dar, wobei hierunter die planmäßig wiederholte und bewusst durchgeführte Vorstellung einer Bewegung oder Handlung unter Einbezug möglichst vieler Sinnesmodalitäten, ohne deren gleichzeitige praktische Ausführung, verstanden wird (Eberspächer, 2001). Um das Verletzungsrisiko zu minimieren, lernt der Athlet beispielsweise sich durch Mentales Training auf Schlüsselstellen seines Wettkampfs zu konzentrieren. Nach einer Verletzung kann das Mentale Training darüber hinaus eingesetzt werden, um Bewegungsabläufe in der Vorstellung weiterhin zu trainieren (Mayer & Hermann, 2015), verletzungsbedingte Ängste abzubauen, das Kontrollgefühl zu stärken und die Selbstwirksamkeit positiv zu beeinflussen.
Fazit
Sportverletzungen sind häufig negative Ereignisse, die fast alle Athleten während ihrer Karriere einmal oder sogar wiederholt erleben. Durch die Arbeit mit evidenzbasierten Methoden, wie zum Beispiel entspannungsbasierten Interventionen oder Mentalem Training, scheint es möglich zu sein, das Verletzungsrisiko zu reduzieren oder auch nach einer eingetretenen Verletzung erfolgreich und leistungsfähig in den Sport zurückzukehren. Durch die Integration einer psychologischen Perspektive in den Bereich der Sportverletzungen ist es möglich, den Athleten noch gezielter bei der Wiedererlangung und Erhaltung seiner sportlichen Leistungsfähigkeit zu unterstützen.
Prof. Dr. Julia Krampitz
Julia Krampitz studierte Diplom-Fitnessökonomie, B. A. Ernährungsberatung und M. A. Prävention und Gesundheitsmanagement. Während ihres Master-Studiums begann sie als freie Dozentin für die Deutsche Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) und die BSA-Akademie in den Fachbereichen Psychologie und Pädagogik, Betriebliches Gesundheitsmanagement und Gruppentraining zu arbeiten. 2016 promovierte sie im Bereich Public Health an der Universität Bielefeld bei Prof. Bernhard Badura und ist seitdem Professorin an der DHfPG.
Prof. Dr. Jana Timm
Die Diplom-Psychologin Prof. Dr. Jana Timm ist stellvertretende Fachbereichsleiterin des Fachbereichs Psychologie und Pädagogik und Dozentin an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) sowie der BSA-Akademie. Sie promovierte im Bereich der kognitiven Neurowissenschaften an der Universität Leipzig. Im Jahr 2016 wurde ihr der Professorentitel verliehen.
Auszug aus der Literaturliste
Andersen, M. & Williams, J. (1999). Athletic injury, psychosocial factors and perceptual changes during stress. Journal of Sports Sciences, 17, 735 – 741.
Baumeister, R., Bratslavsky, E., Finkenauer, C. & Vohs, K. (2001). Bad is stronger than good. Review of General Psychology, 5, 323 – 370.
Devantier, C. (2011). Psychological predictors of injury among professional soccer players. Sport Science Review, 20, 5 – 36.
Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte: marketing@dhfpg-bsa.de.
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