Fitness, Gesundheit | Autor/in: Ulrich Hamberger |

Training nach Bandscheibenvorfall und -vorwölbung – Rehabilitatives Fitnesstraining

80 Prozent der Deutschen haben mindestens einmal in ihrem Leben Rückenschmerzen. Auch Bandscheibenvorfälle und -vorwölbungen sind häufig, aber oft ohne Schmerz und klinische Konsequenzen. Welche Bedeutung hat das Symptom Rückenschmerz und welche Rolle spielen hierbei Bandscheibenvorfälle und Begriffe wie Red-, Blue- oder Yellow Flags? Diesen Fragen nähert sich der vorliegende Artikel, denn Training in der Rehabilitation mit qualifiziertem Fachpersonal ist von fundamentaler Bedeutung für eine optimale Heilung.

Rehabilitatives Fitnesstraining (Teil 3) – Training nach Bandscheibenvorfall und -vorwölbung

Rückenschmerzen gehören zum Alltag vieler Deutscher. Knapp drei Viertel der Erwachsenen leiden mindestens einmal im Jahr darunter. Zum Großteil handelt es sich hierbei um einen nichtspezifischen Rückenschmerz, das heißt trotz Schmerzen ist eine zuordenbare körperliche Ursache nicht erkennbar (Casser, Seddigh & Rauschmann, 2016).

Schädigung zieht Symptome mit sich

Ein geringer Anteil aller Rückenschmerzen entfällt auf den spezifischen Rückenschmerz, das bedeutet, es besteht eine eindeutig zuordenbare Krankheitsursache. Ungefähr ein Drittel davon wird durch Bandscheibenvorfälle/-vorwölbungen (BSV) verursacht, die eine Nervenwurzelschädigung mit entsprechender radikulärer Symptomatik nach sich ziehen (Casser, Sedding & Rauschmann, 2016).

Eine Nervenwurzelschädigung kann gleichermaßen durch Vorfall und Vorwölbung verursacht werden und bewirkt einen radikulären Schmerz. Das heißt, zusätzlich zu den Rückenschmerzen werden Beschwerden in den Bereichen der unteren Extremität wahrgenommen, die durch den jeweils geschädigten Nerv sensibel und motorisch versorgt werden.


 


Hierbei ist anzumerken, dass eine Nervenwurzelschädigung nur von einem kleinen Anteil aller lumbalen BSV verursacht wird. BSV gehören ebenso wie nichtspezifische Rückenschmerzen zum Alltag vieler Menschen.

Unter Gesunden ohne Schmerzen und klinische Symptome lassen sich bei mindestens 20 bis 30 Prozent der unter 60-Jährigen und bei über 60 Prozent der über 60-Jährigen BSV feststellen (Brinjikji et al., 2015; Jensen et al., 1994).

Die Aufgabe der medizinischen Diagnostik ist es, Rückenschmerzen mit ernsthaften Krankheitsursachen und/oder -auswirkungen von harmlosen Verläufen zu unterscheiden.

Medizinische Diagnostik und Flaggenmodelle

Bei akuten Schmerzen sollte grundsätzlich eine medizinische Diagnostik durchgeführt werden. Hierbei unterscheidet man zwischen ernsthaften Erkrankungen und Risikofaktoren sowie harmlos verlaufenden akuten nichtspezifischen Rückenschmerzen ohne Risikofaktoren.


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Zu den ernsthaften Erkrankungen zählt unser Beispiel des spezifischen Rückenschmerzes, ein lumbaler BSV mit radikulärer Symptomatik. Die Nervenwurzel wird hierbei durch die Bandscheibe oder den Bandscheibenkern geschädigt. Der vom Nerv versorgte Beinbereich zeigt motorische und sensible Störungen.

Bei schwerwiegenden Verläufen kann ein Cauda-Equina-Syndrom entstehen (Schär, Pollo, Ulrich & Raabe, 2019). Dieses verursacht unter anderem Blasenstörungen und Stuhlinkontinenz durch Lähmungserscheinungen sowie zunehmenden Kraft- und Gefühlsverlust in den unteren Extremitäten. Das Cauda-Equina-Syndrom zählt zu den sogenannten Red Flags und zieht dringenden Handlungsbedarf nach sich (Verhagen, Downie, Popal, Maher & Koes, 2016).

Therapiemöglichkeiten

Die Therapie des BSV mit radikulärer Symptomatik umfasst Medikation, konservative, invasive oder operative Maßnahmen und medizinisch-therapeutische Nachbehandlungen.

Die medizinische Diagnostik ordnet verschiedenen Risikofaktoren unterschiedliche Flaggenfarben zu. Kann die Diagnostik Red Flags ausschließen, werden Risikofaktoren wie Yellow-, Blue- und Black Flags abgeklärt.

Hierbei handelt es sich um psychosoziale und berufliche Belastungsfaktoren, die eine Chronifizierung und somit eine schwerwiegende Erkrankung wahrscheinlich machen (Gebhart & Schmidt, 2013).

Beim nichtspezifischen Rückenschmerz sind diese Risikofaktoren des Öfteren vorzufinden. Zur Behandlung wird eine multimodale Therapie mit biopsychosozialen Inhalten empfohlen (Borys, Lutz, Strauss & Altmann, 2015).


 


Zentrale Säule: systematisches Training

Je nach Symptomlage ist früher oder später ein systematisches körperliches Training in die Behandlung zu integrieren.

Im Falle des akuten und subakuten nichtspezifischen Rückenschmerzes ohne Risikofaktoren wird empfohlen, körperliche Aktivierung so früh wie möglich aufzunehmen und Edukation zur Aufklärung über den milden Verlauf dieser Symptomatik durchzuführen.

Körperliche Aktivierung ist wichtig

Bei nichtspezifischem Rückenschmerz mit entsprechenden beruflichen, psychischen und sozialen Risikofaktoren ist die körperliche Aktivierung in Form von Physio- und Sporttherapie in dem biopsychosozialen Konzept integriert.

Bei spezifischem Rückenschmerz, in unserem Beispiel BSV mit Nervenwurzelschädigung, erfolgt zunächst die akutmedizinische Versorgung, begleitet von physiotherapeutischen Maßnahmen. Im Anschluss erfolgt die medizinische Rehabilitation, in der das medizinische Aufbautraining eine zentrale Rolle spielt.

Nach Abschluss der jeweiligen Maßnahmen empfehlen die medizinischen Fachgesellschaften die Beibehaltung der körperlichen Aktivität.

Zertifizierte Fitnesseinrichtungen mit qualifizierten Trainern sind prädestiniert, diese Maßnahmen als systematisches Training fachgerecht zu gestalten!

Rehabilitationstraining im Fitnessstudio nach lumbalem BSV

Die Voraussetzung 'abgeschlossene medizinische Heilbehandlung' ist erfüllt!

Akutentzündliche Prozesse werden in der Eingangsdiagnostik ausgeschlossen. Der Ist-Zustand wird in allen relevanten Bereichen u. a. durch Studium der ärztlichen Unterlagen, Befragung, biometrische und motorische Testungen erfasst.

Strukturierter Trainingsaufbau

Es erfolgt die Erarbeitung der Zielsetzung, die Trainingsplanung und die Umsetzung unter Auswahl geeigneter Trainingsmethoden. Ein passendes Periodisierungsmodell mit entsprechenden Analysemöglichkeiten dient dem strukturierten Trainingsaufbau.

Dabei ist zu beachten, dass die Belastung individuell und jederzeit an die jeweilige Beanspruchbarkeit des Trainierenden angepasst werden muss. Bei Notwendigkeit sollen behandelnder Arzt und Physiotherapeut hinzugezogen werden.

Mögliche Trainingsschwerpunkte

1. Bradytrophes Training/Lokales Muskelausdauertraining 

Bradytrophes Training unterstützt die Proliferation und Remodellierung geschädigter Bindegewebsstrukturen im Umfeld des betroffenen Segmentes. Lokale Muskelgruppen, die durch Nervenschädigung katabolen Prozessen ausgesetzt waren, müssen über lokales Muskelausdauertraining infrastrukturell und mit Nährstoffen versorgt werden. 

2. Propriozeptives Training 

Propriozeptives Training dient dazu, die reaktive dynamische Stabilisationsfähigkeit der Wirbelsäule durch aktive Strukturen (Muskulatur) qualitativ wiederaufzubauen. Im Bereich der Wirbelsäule kann dies im Rahmen der segmentalen Stabilisation (siehe Trainingsschwerpunkt 4) durchgeführt werden. 

3. Allgemeines aerobes Ausdauertraining 

Ein allgemeines aerobes Ausdauertraining schafft angemessene Leistungs- und infrastrukturelle Voraussetzungen des Herz-Kreislauf-Systems für Regenerationsprozesse und das Krafttraining. 

4. Segmentale Mobilisation und Stabilisation 

BSV können zu Bewegungseinschränkungen in betroffenen und Instabilitäten in angrenzenden Wirbelsäulensegmenten führen. Um dies zu korrigieren, mussdie lokale, also die direkt an Quer- und Dornfortsätzen ansetzende, segmentüberspannende Muskulatur trainiert werden.

Sie sorgt für die richtige Position von Gelenkpartnern und die koordinierte Führung segmentaler Gleitbewegungen zwischen den Facettengelenken. Reaktive Verfahren mit Schwingstäben und instabilen Unterstützungsflächen sind ebenso geeignet wie dynamisches Krafttraining in allen Bewegungsebenen unter Beachtung der segmentweisen Mobilisation oder das Training der lokalen Stabilisation (Hamilton, 2012).

5. Qualitatives und quantitatives Krafttraining 

Ein qualitativ und quantitativ hochwertiges Krafttraining im Bereich des Rumpfes optimiert die Beanspruchbarkeit der betroffenen Regionen. Klassische Periodisierungsmodelle mit Mehrwiederholungskrafttestung sind hilfreich. 

Trainiert wird sowohl statisch stabilisierend gegen alle Bewegungsrichtungen als auch dynamisch in allen Bewegungsrichtungen über vollständige Bewegungsamplituden, unter Beachtung von technischer Ausführung, Bewegungsgeschwindigkeit und Beanspruchbarkeit.

6. Alltagsspezifisches Training

Zum Abschluss muss die Beanspruchbarkeit für den jeweils individuellen Alltag wiederhergestellt werden.

Fazit

Sowohl beim sehr häufig auftretenden nichtspezifischen Rückenschmerz als auch beim lumbalen BSV nach abgeschlossener medizinischer Heilbehandlung leistet systematisches Training einen wesentlichen Beitrag zur Wiederherstellung von Gesundheit, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit. 

Zertifizierte Fitnesseinrichtungen mit qualifizierten Trainern sind prädestiniert, diesen Beitrag auf höchster fachlicher Ebene und sozialkompetent zu leisten.


 

Über den Autor

Ulrich Hamberger ist Physiotherapeut sowie Gesundheitsmanager (B. A.). Er arbeitet als Dozent für die Deutsche Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG). Außerdem widmet er sich mit seiner Mitbegründerin im gemeinsamen Unternehmen der Entwicklung gesundheitsfördernder und präventiver Konzepte. Diese finden in Theorie und Praxis Anwendung und werden regelmäßig auf wissenschaftlichen Symposien und Kongressen präsentiert.


Auszug aus der Literaturliste

Casser, H.-R., Seddigh, S. & Rauschmann, M. (2016). Acute Lumbar Back Pain. Deutsches Ärzteblatt international, 113 (13), 223–234.
Schär, R. T., Pollo, C. C., Ulrich, C. T. & Raabe, A. (2019). Das Cauda-equina-Syndrom. Swiss Med Forum, 19 (2728), 449–454.

Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte marketing@dhfpg-bsa.de.

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