Fitness, Gesundheit | Autor/in: Sven Seidenstücker |

Eine Neubewertung der Rolle des Laktats bei Belastung

Ob Ausdauer- oder Krafttraining, intensive körperliche Belastung bewirkt eine erhöhte Laktatproduktion in der arbeitenden Skelettmuskulatur. Noch immer werden Übersäuerung und muskuläre Ermüdung häufig mit einer eingeschränkten Laktattoleranz begründet. Bei objektiver Betrachtung muss die Rolle des Laktats bei Belastung jedoch neu bewertet werden.

Bedeutung des Laktats – eine Neubewertung

Können unter Ruhebedingungen Fette und Kohlenhydrate aus dem Blut die vorrangige Energiequelle darstellen, werden mit zunehmender Arbeitsintensität die im Skelettmuskel gespeicherten Fette und Kohlenhydrate (intramuskuläre Fettsäuren und Muskelglykogen) vermehrt abgebaut (Romijn, Coyle, Sidossis, Rosenblatt & Wolfe, 2000).

Zur Aufrechterhaltung einer sportlichen Leistung ergänzen sich dabei die aerobe und anaerobe Energiebereitstellung in Abhängigkeit weiterer Einflussfaktoren.


 


Bei moderaten sportlichen Belastungen wird der erhöhte Energieumsatz der beanspruchten Skelettmuskulatur ganz wesentlich über den aeroben Weg der Energiebereitstellung abgesichert.

Dieser findet in den Mitochondrien statt. Deckt jedoch dieser sauerstoffabhängige Weg der muskulären Energiegewinnung nicht mehr ausreichend den akuten Energiebedarf bei hohen Intensitäten, kommt es zeitgleich zur Steigerung der anaeroben Energiegewinnung aus Kohlenhydraten. Die Folge ist eine deutliche Erhöhung der Laktatproduktion (Löffler, 2005, S.676–677).

Ursache von Übersäuerung

Noch immer wird in der Sport- und Fitnesscommunity fälschlicherweise die Auffassung verbreitet, dass das Laktat bei intensiver Trainings- und Wettkampfbelastung für die Übersäuerung des Organismus, insbesondere der Skelettmuskeln, verantwortlich ist.

Eine plötzlich einsetzende Leistungsminderung und muskuläre Ermüdung soll dann angeblich daraus resultieren.


FOLGEN Sie uns bei LinkedInFacebookInstagram & Twitter
und verpassen Sie keine Fitness-NEWS mehr!


Richtig ist, dass die Säurekonzentration der Muskelzellen mit dem in der Zelle herrschenden pH-Wert, also der Konzentration der in der Zelle freigesetzten Wasserstoffionen (sogenannte Protonen), in Zusammenhang steht. Je mehr die Konzentration an Wasserstoffionen steigt, desto tiefer sinkt der pH-Wert in ein saures Milieu.

Komplexes Geschehen

Innerhalb eines komplexen biochemischen Geschehens wird bei hohen Trainingsintensitäten die anaerobe Glykolyse und Glykogenolyse, gemeint ist hiermit die anaerobe Energiebereitstellung aus Glukose und Glykogen, stark erhöht.

Damit versucht der Körper, den drastisch erhöhten ATP-Verbrauch der Arbeitsmuskeln bestmöglich zu decken. Dass es dabei zu einer hohen Laktatbildung kommt, ist unstrittig, jedoch resultiert daraus nicht die Übersäuerung der Muskeln.

Zwei Faktoren gesellen sich dazu

Zwei andere Faktoren – die enormen Ausmaße der Glykolyse und der ATP-Spaltung – sind die wesentlichen Quellen einer vermehrten Freisetzung von Protonen und der damit einhergehenden Senkung des pH-Wertes. Eine fortschreitende Übersäuerung der Muskelzellen wäre die Folge (Robergs & Amann, 2003).

Rolle des Laktat-Shuttles bei Belastung

Heute gilt es als gesichert, dass die Skelettmuskeln während der Belastung sowohl Laktatproduzent als auch Laktatverbraucher sind. Tatsächlich kann der Muskel über den aeroben Weg der Energiebereitstellung das zuvor gebildete Laktat in den Mitochondrien verwerten.


 


Damit das Laktat als energiereiches Molekül zur Energiegewinnung beitragen kann, sind besonders während eines Trainings spezielle Laktattransportproteine in den Muskelzellen und anderen Geweben aktiv.

Transport per Shuttle

Diese werden vereinfacht als sogenannte Laktat-Shuttles, in der Fachsprache Monocarboxylat-Transporter (MCT), bezeichnet. Während vor allem die Typ-2-Muskelfasern bei hoher Trainingsintensität glykolysebedingt mehr Laktat produzieren, verwerten vor allem die mitochondrienreichen Typ-1-Fasern das Laktat zur Energiegewinnung.

Besonders bemerkenswert ist der Aspekt des Cotransports von einem Molekül Laktat und einem Proton mithilfe des Laktat-Shuttles. Das heißt, dass mit jedem MCT, der die Muskelzelle mit Laktat verlässt, zusätzlich ein Proton aus der Muskelzelle ausgeschleust wird.

Das ist der Grund, warum ein gut funktionierender Laktattransport die Übersäuerung der Muskelzellen durch die gleichzeitige Ausschleusung der Protonen vor allem bei intensiven Belastungen verzögern kann und nach Belastungsende die Herstellung eines normalen pH-Wertes in den Zellen beschleunigt (Juel, 2004).

Bedeutung für die Ausdauertrainingsplanung

Durch ein Ausdauertraining kann eine deutliche Steigerung der maximalen Sauerstoffaufnahme erreicht werden, die bei mehrjährigem Training bis zu 40 Prozent betragen kann (Hollmann & Hettinger, 2000, S. 371).

Eine der wichtigsten Anpassungen auf der muskulären Ebene besteht in einer Vergrößerung der Mitochondriendichte im Herzmuskel und in der Skelettmuskulatur.

Durch die damit verbundene Erhöhung der oxidativen Kapazität bei der Energiebereitstellung wird die Abhängigkeit einer frühzeitig einsetzenden anaeroben Glykolyse verringert und damit auch das Ausmaß der Protonenfreisetzung, die letztendlich für die Übersäuerung verantwortlich ist.

Training im Bereich Fettstoffwechsel

Für die Stoffwechselökonomisierung zugunsten des Fettstoffwechsels und der daraus resultierenden Glukoseeinsparung wird bei sehr gut ausdauertrainierten Personen ein hoher Anteil des Trainings im Bereich des Fettstoffwechseltrainings gefordert (ca. 75–80 % des Gesamttrainingsumfangs bei ca. 55–75 % VO2max).

Jedoch sollten die restlichen ca. 20 Prozent des Gesamttrainingsumfangs konsequent bei sehr hohen Intensitäten von mindestens 90 Prozent der VO2max stattfinden (Wahl, Hägele, Zinner, Bloch & Mester, 2010).

Hochintensives Ausdauertraining

Erst durch das ergänzende hochintensive Ausdauertraining können die Entwicklungen der VO2max verbessert und Entwicklungsreize zur Erhöhung der Herzschlagvolumina, Mitochondriendichte sowie zur Optimierung des Laktat- bzw. Protonen-Shuttle-Systems gesetzt werden (Holfelder & Bubeck, 2016).

Auch durch intensives Krafttraining bzw. hochintensives Intervalltraining im Kraftraum zeigt sich eine Verbesserung der Laktattoleranz, jedoch im modernen Sinne – durch verbesserte Umverteilung und Verstoffwechselung des beim Training entstehenden Laktats und der Protonen im Organismus.


Fazit

MCTs finden sich außer im Muskel in vielen verschiedenen Geweben, u. a. in den roten Blutzellen (Erythrozyten), im Herz und in der Leber. Damit unterstützen die Laktat-Shuttle-Systeme die Umverteilung von Laktat zwischen Muskeln und anderen Geweben zur Energiegewinnung und der Neubildung von Glukose und Glykogen. Dadurch wird die Aufrechterhaltung einer hohen Leistungsfähigkeit unter Belastung gefördert.

Um die MCT-Dichte zu erhöhen, bedarf es vor allem für den Skelettmuskel eher eines intensiven Intervalltrainings. Die intensitätsbedingte Laktatproduktion und Protonenfreisetzung des Muskels stellt einen adäquaten Reiz zur vermehrten Bildung der MCTs dar.

Letztendlich stellt das Laktat- bzw. Protonen-Shuttle-System ein Bindeglied zwischen der anaeroben und aeroben Energiebereitstellung dar und trägt zu einer erhöhten Leistungsfähigkeit effektiv bei (Wahl, Bloch & Mester, 2009).

Dass Laktat Einfluss auf eine ganze Reihe von Veränderungen in der körperlichen Strukturen hat, ist ein weiterer interessanter Aspekt für dessen Neubewertung. Es lohnt sich also, dieses Thema auch in Zukunft weiter zu verfolgen.


 

Über den Autor

Sven Seidenstücker ist Diplom-Fitnessökonom. Als Trainer und in seiner Tätigkeit als Dozent an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) und der BSA-Akademie befasst er sich für verschiedene Zielgruppen vor allem mit den Möglichkeiten der Leistungssteigerung durch Training.


Auszug aus der Literaturliste

Holfelder, B. & Bubeck, D. (2012). Theoretische Betrachtungen über die Trainingssteuerung anhand des Laktatstoffwechsels und der Muskelfasertypisierung.Schweizerische Zeitschrift für Sportmedizin und Sporttraumatologie, 60 (1), 32–39.
Kreutz, T. (2010). Der Einfluss einer sporttherapeutischen Trainingsintervention auf die Dichte der Monocarboxylattransporter in Skelettmuskulatur und Erythrozyten bei nicht-insulinpflichtigen Typ 2 Diabetikern. Dissertation, Deutsche Sporthochschule. Köln.

Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte marketing@dhfpg-bsa.de.

Diesen und weitere Artikel finden Sie in der fMi 04/2021 & für Abonnenten EXKLUSIV vorab.

Zum Abonnement
fMi 04/2021