Digital, Fitness, Management | Autor/in: Prof. Dr. Ronny Pohl |

Sportuhren, Herzfrequenzvariabilität und wirtschaftlicher Erfolg

Für den wirtschaftlichen Erfolg von Sporteinrichtungen ist unter anderem ein guter (fachlicher) Ruf von großer Bedeutung, dessen Verbesserung bei Führungskräften im Fokus stehen sollte. In diesem Fachbeitrag wird deutlich, wie ein Studiobetreiber eine Reputation auch in anderen Bereichen aufbauen kann: Innovative Funktionen von Sportuhren bieten den Nutzern nicht nur neue Vorteile, sondern werfen auch Fragen auf, die von den Fachkräften beantwortet werden sollten.

Sporttreibende haben Ziele wie die Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und die Verbesserung der Entspannungsfähigkeit, des Energiemanagements (Ökonomisierung von Alltagsaufgaben), der Regenerationsfähigkeit sowie der sportlichen Leistungsfähigkeit.

Durch neue Uhrenfunktionen, entwickelt von Firmen wie Polar, Garmin, Suunto oder Apple, werden diese Ziele unterstützt.

Problemstellung und Zielsetzung

Einen Teil dieser Funktionen sollen Sporttreibende selbst interpretieren. So stellen Unternehmen die Informationen zu Schlag-zu-Schlag-Intervallzeiten und Herzfrequenzvariabilitätswerten in Millisekunden (ms) ihren Nutzern zur Verfügung (vgl. Abb. 1 und 2). Diese Indizes basieren auf der Herzfrequenzvariabilität (HRV).

Trainer sollten für die Uhrennutzer als fachkundige Ansprechpartner fungieren, damit diese Innovationen vonseiten der Sportler akzeptiert werden (Bruhn & Homburg, 2001, S. 334; Edelmann, 1996, S. 368–370; Lischka, 2000, S. 163; Picot & Reichwald, 1985, S. 104–105; Pohl, 2020, S. 26–31; Scheuch, 1996, S. 48–49). Besonders aufgrund der Tatsache, dass diese und ähnliche Telemetriedaten in Zukunft verstärkt zum Einsatz kommen (Stichwort: E-Health) (Pohl, 2020, S. 9–14), müssen die Fachkräfte dieses physiologische Wissen haben.

Dieser Beitrag vermittelt entsprechende Grundkenntnisse, sodass durch die ersten Antworten auf die Fragen der Sportler auch die Unternehmensreputation steigt – ein wichtiger Faktor für den Unternehmenserfolg.

Abb. 1: Smartphone-App mit Schlag-zu-Schlag-Intervallzeiten und Herzfrequenzvariabilitätswerten in Millisekunden (©DHfPG/BSA)
Abb. 2: Herzfrequenzvariabilitätswerte in Millisekunden (©DHfPG/BSA)

Physiologische Hintergründe des autonomen Nervensystems

Das autonome Nervensystem (ANS) mit dem sympathischen und dem parasympathischen Strang steht unter anderem in Verbindung mit der Leistungserbringung durch Energieverbrauch sowie mit der Energieregeneration durch Erholungsprozesse. Beide Stränge arbeiten antagonistisch. Ein Strang hat aber immer eine zeitaktuell dominantere Ausprägung (vgl. Abb. 3 und 4).

Damit die Sporttreibenden die eigenen Ziele erreichen, sollte eine hohe Aktivität des Parasympathikus vorhanden sein, um die eigenen (Lebens-)Ressourcen wieder zu regenerieren. Sport- und Fitnessuhren zeigen diesen Regenerationsprozess mittels Indizes an (z. B. Schlag-zu-Schlag-Intervalle in ms, Werte der Herzfrequenzvariabilität in ms, HRV-Grundwerte in ms).

Herzfrequenzvariabilität

Hinter all diesen Indizes steht die Herzfrequenzvariabilität. Wenn der parasympathische Strang dominiert, kommt es zu zeitlichen Verschiebungen zwischen den Herzschlägen (vgl. Abb. 5).

Die Hersteller nutzen diese zeitlichen Abstände, um mittels Algorithmen die Anpassungsfähigkeit an (sportliche) Belastungsfaktoren sichtbar zu machen (Pohl, 2018, S. 72–77). Diese errechneten Indizes lauten unter anderem Schlag-zu-Schlag-Intervall in ms, Herzfrequenzvariabilität in ms sowie rMSSD in ms und werden in den Uhren bzw. den Apps angezeigt. Der rMSSD-Wert ist dabei eine mathematisch errechnete Größe, die die Parasympathikusaktivitäten widerspiegelt. Nachfolgend werden diese Werte näher erläutert.

Durchschnitt Schlag-zu-Schlag-Intervall in Millisekunden

Hier werden ausschließlich die durchschnittlichen zeitlichen Abstände zwischen den R-Zacken angegeben, so z. B. innerhalb eines Vier-Stunden-Abschnittes in der nächtlichen Ruhephase. Bei einer Herzfrequenz von im Schnitt 60 S/min wäre der Wert 1.000 ms.

Dieser Wert ist aber unabhängig vom Ausprägungsgrad der Variabilität. Denn auch bei einer höheren Variabilität wären es 60 S/min, also ebenfalls 1.000 ms bzw. ein Schlag pro Sekunde im Mittel der ausgewählten vier Stunden. Da dieser Millisekundenwert in einem linearen Zusammenhang mit den Herzschlägen pro Minute steht, kann man auch die durchschnittliche Herzfrequenz (HF) pro Minute nutzen, um die nächtliche Funktionslage des ANS zu erkennen.

So deutet eine niedrigere HF pro Minute bzw. eine höhere Millisekundenzeit zwischen den Herzschlägen auf eine stärkere Dominanz des parasympathischen Strangs hin. Dies deutet in den meisten Fällen auf eine bessere Anpassungsfähigkeit bei Belastungen sowie Beanspruchungen hin. Gerade in Verbindung mit trainingswirksamen Reizen bzw. höheren Alltagsherausforderungen können die vorab im Artikel definierten Ausgangsziele der Sportler langfristig und zumeist kardioprotektiv erreicht werden.

Herzfrequenzvariabilität in Millisekunden

Hierbei handelt es sich ebenfalls um den Durchschnittswert einer bestimmten Zeitspanne.

Im Beispiel der nächtlichen vier Stunden würde ein Wert von 75 ms bedeuten, dass sich die zeitlichen Abstände zwischen den einzelnen Herzschlägen innerhalb der gemessenen vier Stunden im Mittel um 75 ms ändern. Was heißt dies nun für die Trainierenden? Ab welchem Wert kann von einer Unterstützung bei der grundlegenden Zielerreichung gesprochen werden?

Um dies zu erkennen, muss eine besondere Sichtweise eingenommen werden. Mithilfe dieser werden die individuellen Gegebenheiten und Einflussfaktoren (exogen und endogen) berücksichtigt, die bei der Person vorliegen. Zuerst muss den Trainern klar sein, dass es nicht DEN einen guten Wert gibt genauso wenig wie auch nicht DER eine gute Wertebereich existiert.

Ob eine höhere Funktionslage des parasympathischen Strangs (siehe auch sympatho-vagale Balance) vorliegt, was auf eine gute Anpassungsfähigkeit an die Reize hindeutet und die gewünschte Erholung (u. a. Energieregeneration) beinhaltet, kann durch Betrachtung der HRV-Werte im Verhältnis zu einem individuellen Grundwert, einer sogenannten Baseline, festgestellt werden. Dieser Grundwert ist der durchschnittliche HRV-Wert in einem bestimmten zurückliegenden Zeitraum.

So kann der Grundwert der letzten 28 Tage bei 60 ms liegen. In Bezug auf diesen wird der tagesaktuelle Wert gesetzt. Ist er höher (mehr ms), deutet das auf eine höhere Funktionslage des parasympathischen Strangs hin. In diesem Zusammenhang sollten sich interessierte Trainer dem Fachwissen weiterer Indizes, wie beispielsweise pNN50, NN50 (50 steht für 50 ms als Grundwert), widmen und sich fortbilden.

Um einen aussagekräftigen HRV-Wert zu erhalten, sollte immer ein individueller und zeitlich begrenzter Grundwert beachtet werden. Ohne diesen kommt es zu stark verallgemeinernden Aussagen, was für den Einzelnen aber nicht vorteilhaft sein muss.

rMSSD-Wert in Millisekunden

Ein letzter Wert, der von den Herstellern häufig angegeben bzw. für die Interpretation genutzt wird, ist der Wert rMSSD (auch: RMSSD, r-MSSD). Hierbei handelt es sich um die „Root Mean Square of Successive Differences“ also „die Quadratwurzel des quadrierten Mittelwertes der Summe aller Differenzen sukzessiver RR-Intervalle“ (Hottenrott, 2002, S. 15).

Dabei steht RR nicht für Riva Rocci (siehe Blutdruckmessung), sondern für die R-Zacke der Herzschlagspitze. Auch dieser Wert hat die Einheit Millisekunde. Ein höherer rMSSD-Wert weist ebenfalls auf eine stärkere Funktionslage des parasympathischen Strangs des ANS hin. Auf weitere Indizes wird im Rahmen dieses Beitrags nicht eingegangen. Vermutlich nutzen die Entwickler und Hersteller auch diese Werte.

Damit man auf das vollständige Potenzial der Uhren zurückgreifen kann, ist spezifisch ausgebildetes Fachpersonal erforderlich, das die Nutzer in den Gebrauch einweist.

Praktische Empfehlungen für Fach- und Führungskräfte

Ausgehend von der dargestellten Problematik, den Zielen und den physiologischen Hintergründen lassen sich folgende praktische Empfehlungen für die Trainer, für weitere Fachkräfte und auch für Führungskräfte von Sporteinrichtungen ableiten:

Die neuen Funktionen der Uhren sollten nicht als Spielereien abgetan werden, denn diese beinhalten ein enormes Potenzial in Zeiten von E-Health und Telemetrie.

Um Kunden erste Antworten geben zu können, bedarf es eines Grundverständnisses der physiologischen Abläufe.

Dieses sollte den Nutzern in Form von zielgruppenspezifischen (Kurz-)Vorträgen vermittelt werden, denn die Akzeptanzforschung zeigt eindeutig, dass ein höherer Wissensstand eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Interaktion zwischen Trainer und Trainierendem ist (Pohl, 2020, S. 59–67).

Fazit

Die aktuellen und zukünftigen neuartigen Funktionen von Sport- und Fitnessuhren können eine Unterstützung für eine nachhaltigere Trainingsbelastung sein.

Damit dies möglich ist, bedarf es eines hohen Fachwissens vonseiten der Trainer. Nur so können auftretende Fragen von Nutzern bzw. Kunden sehr gut beantwortet werden. Dieses Wissen sollte auch als nützlich für den wirtschaftlichen Erfolg aufgrund einer gesteigerten Reputation angesehen werden.

Über den Autor

Prof. Dr. Ronny Pohl ist u. a. Dozent an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) und der BSA-Akademie.
Von 2008 bis 2016 promovierte er zum Thema „Einflussnahme auf das autonome Nervensystem durch sportliche Aktivitäten“. Zusätzlich ist er ein gefragter Experte im Bereich der pädagogischen Psychologie und veröffentlichte einige Publikationen zu diesen Themen.

Auszug aus der Literaturliste

Pohl, R. (2020). Die 15 Faktoren zur erfolgreichen Innovationsentwicklung von E-Health-Anwendungen. Praktische Empfehlungen für Fach- und Führungskräfte im Gesundheitsmarkt. Markranstädt: HumanVerlag Dr. Pohl.

Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte marketing@dhfpg-bsa.de.

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