Fitness, Gesundheit | Autor/in: Oliver Walle |

Warum BGM gerade jetzt besonders wichtig ist

Die dritte Corona-Welle ist gebrochen, die Inzidenzen sinken und nun kommt das große Aufräumen. Die Pandemie hat viel Leid und wirtschaftlichen Schaden gebracht, zudem werden nach einem Jahr Homeoffice und Social Distancing die physischen und psychischen Folgen der Lockdowns sichtbar. Zeigte sich schon vor Corona ein Bedeutungszuwachs für das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM), so wird es nun wichtiger denn je.

BGM in Corona-Zeiten – Fachartikel von Oliver Walle

Die Anfänge der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) und des BGM reichen bis in die 1980er Jahre zurück. Damals dominierte noch der Arbeitsschutz, hin und wieder gab es neben Präventionsprogrammen auch Check-ups für das Top-Management.

Heute erleben wir eine bunte Welt von Maßnahmen, angefangen bei Gesundheitstagen über Angebote zur Gesundheitsförderung und Prävention sowie Obstkörbe bis hin zu spezifischen Themen wie Ergonomieanalyse, gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung, Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen, Resilienztraining, Führungsprogramme und das Mitwirken im Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM)

Der PDCA-Zyklus

Diese Beispiele stellen jeweils für sich betrachtet noch kein BGM dar, auch wenn einige Unternehmen ihre Gesundheitsförderung gern als BGM bezeichnen. Das 'richtige' BGM benötigt auf den Bedarf des Unternehmens ausgerichtete Ziele und orientiert sich hinsichtlich der Vorgehensweise an dem bekannten Plan-Do-Check-Act-Zyklus (kurz: PDCA-Zyklus).

Bei diesem gilt es, Maßnahmen zu planen (P), durchzuführen (D), den Erfolg zu messen (C) und Verbesserungen abzuleiten (A). Dieser Zyklus wiederholt sich im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP), da Anforderungen sich ändern können. Und dies erleben wir insbesondere in den letzten zehn Jahren, zuletzt durch die Corona-Pandemie.


 


Beweggründe für ein BGM

Nach wie vor spielen hohe Krankenstände eine zentrale Rolle, in manchen Betrieben sind sie sogar der Hauptgrund für ein BGM. Nicht selten wird der demografische Wandel, der gerade bei Unternehmen, deren Beschäftigte schwere körperliche Arbeit leisten, zu einer besonderen Herausforderung: Der Erhalt der Arbeitsfähigkeit bis zur Rente und die Abmilderung des Anstiegs an Krankentagen mit zunehmendem Alter sind dabei essenziell. 

Demgegenüber stehen Unternehmen, deren Anforderungen sich eher durch die Wünsche und Forderungen der Generationen Y und Z nach einer wertschätzenden und partizipativen Führung sowie nach einer Flexibilisierung der Arbeitszeiten hin zu einer tatsächlich möglichen Work-Life-Balance ergeben.


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Beim 'Ingangsetzen' eines BGMs werden sicherlich beide Richtungen eine Rolle spielen, wobei sich ein stetiger Wandel in den Schwerpunkten zeigt, weg vom BGM als reine Problemlösung für hohe Krankenstände hin zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität und präventiven Ausrichtung.

Einfluss von Corona auf das BGM

Auch wenn zunehmend der Begriff BGM verwendet wird, zeigt sich in der praktischen Umsetzung deutlich stärker die verhaltensbezogene Gesundheitsförderung und Prävention in Form von Bewegungspausen am Arbeitsplatz, Rückenprogrammen oder Yogakursen in entsprechenden Räumlichkeiten auf dem Firmengelände oder außerhalb sowie in Kooperationen mit Fitnessstudios und Gesundheitszentren.

Infolge der beiden Lockdowns kam es sozusagen auch zu einem Herunterfahren des BGMs, vor allem aber zu einer Einschränkung der Vor-Ort-Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention. Die Gründe lagen vor allem in der Vermeidung von Kontakten und damit in der Sicherstellung des Infektionsschutzes.

Wegen dieser erforderlichen Maßnahmen stiegen die Herausforderungen in Bezug auf die Mitarbeitergesundheit, sei es aufgrund entstehender Ängste ausgelöst durch die Pandemie, einer geringeren Zahl an Arztterminen und verschobener OPs, ergonomischer Probleme im Homeoffice oder reduzierter Sozialkontakte (Social Distancing).

Mehr Depressionen und Angststörungen

In den Sonderauswertungen der Krankenkassen zum Arbeitsunfähigkeitsgeschehen in 2020 zeigt sich, dass Corona massiv Einfluss genommen hat. So berichtet die Techniker Krankenkasse über einen Rückgang der Erkältungskrankheiten, während im Gegenzug die psychischen Diagnosen wie Depressionen und Angststörungen zugenommen haben (TK, 2021).


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Beides lässt sich gut nachvollziehen: Das Tragen der Maske hat auch in vielen Fällen grippale Infekte und die 'echte' Grippe verhindert. Die Reduzierung der persönlichen Kontakte durch die Lockdowns, die verstärkte Homeoffice-Tätigkeit und die Angst vor Infektionen, aber auch die Unsicherheit bzgl. der beruflichen Zukunft begünstigten das Auftreten oder die Verstärkung bereits vorhandener Depressionen und Angststörungen

Rückenschmerzen auf dem Vormarsch

Die DAK verzeichnete eine deutliche Zunahme von Fehltagen aufgrund von Rückenschmerzen und Anpassungsstörungen. Insgesamt erreichten die psychischen Erkrankungen, zu denen auch die Angststörungen gehören, einen neuen Höchststand (DAK, 2021).


 


Seit April 2020 wurden zahlreiche Umfragen bei Beschäftigten im Homeoffice durchgeführt. Eine Herausforderung stellt nach wie vor die Ergonomie beim mobilen Arbeiten dar. Durch den plötzlichen Wechsel von vormals reiner Tätigkeit im Unternehmen zu Homeoffice war es kaum möglich, für entsprechende ergonomische Lösungen zu sorgen. Schlecht bewertet wurden vor allem Stuhl, Tisch und Bildschirm (Walle & Krieger, 2020).


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Auch in der Studie des Fraunhofer IAO werden in gleicher Reihenfolge diese Ausstattungskomponenten bemängelt (Bauer, Riedel & Rief, 2020). Gleiches gilt für die Umfrage der Technischen Hochschule Köln: Vor allem die 'Homeoffice-Novizen' bewerten die räumliche Ausstattung zu Hause deutlich schlechter (30 %) als die Homeoffice-Erfahrenen (16 %) (Ernst, 2020).

Ein Ergebnis fällt in fast allen Studien auf: die fehlenden sozialen Kontakte und Austauschmöglichkeiten mit den Kollegen auf der Arbeit.

Zuhause ergonomisch gestalten

Die Ergebnisse der Gesundheitsreporte, aber auch die zahlreichen Umfragen zur Pandemie und zum Homeoffice machen deutlich, dass Corona Einfluss auf die Gesundheit und das Gesundheitsverhalten genommen hat. Hierbei zeigen sich positive wie negative Aspekte, die gerade bei der Ausrichtung des BGMs zukünftig beachtet werden müssen.

So wird das Homeoffice auch nach Corona ein Handlungsfeld für das BGM bleiben. Beschäftigte müssen in die Lage versetzt werden, ihr Zuhause selbstständig ergonomisch gestalten und Maßnahmen zur Gesunderhaltung durchführen zu können. Hierzu braucht es spezifische Ergonomie- und Gesundheitskompetenzen, weshalb im BGM der Ressourcenaufbau bei der Maßnahmenplanung deutlich stärker berücksichtigt werden sollte.

Beschäftigte müssen darüber hinaus auch gut informiert, beraten und gecoacht werden, daher sind heute und auch zukünftig neue (digitale) Konzepte zur Betrieblichen Gesundheitsförderung notwendig.

Durch BGM die Arbeitgeberattraktivität steigern

Bereits vor Corona zeichnete sich ein Wertewandel in der Gesellschaft ab, von dem das BGM ebenfalls schon beeinflusst wurde. Gerade die Generationen Y (je nach Literaturstelle ab 1980 bzw. 1985 Geborene) und Z (ab 1995 bzw. 2000 Geborene) kennzeichnen sich dadurch, dass sie der Work-Life-Balance und auch der Forderung nach deren Einhaltung eine stärkere Bedeutung zukommen lassen.

Die Generationen Y und Z

Zudem sind die als Digital Natives bezeichneten Generationen Y und Z mit dem Internet aufgewachsen und unterscheiden sich zu den Babyboomern insbesondere in der Verwendung neuer Medien und Kommunikationsmittel. Gerade die Generation Z informiert sich primär über das Internet, stellt nachdrücklicher eigene Ansprüche in Bezug auf die Gestaltung der Zukunft unserer Gesellschaft und sieht die Familie und das Privatleben an erster Stelle. Zugleich ist 79 Prozent der Jugendlichen eine gesundheitsbewusste Lebensweise wichtig (Shell Deutschland, 2019). 

Die Erkenntnisse zur Generationenforschung machen deutlich, dass gerade bei der Personalgewinnung in Branchen mit Fachkräftemangel auch andere Faktoren als das Gehalt und die Aufstiegsmöglichkeiten betrachtet werden müssen. 


Fazit

Zunehmend rücken Arbeitnehmer in den Mittelpunkt und äußern ihre Vorstellungen zur Gestaltung der Arbeitswelt. In Sachen Gesundheit erwartet man Benefits und konkrete Maßnahmen, die eine gute Work-Life-Balance und Gesunderhaltung ermöglichen. Treffend formuliert hat es bereits in 2014 der Titel einer Studie zur Generation Y: 'Don’t manage me, #understandme' (Morga & Richards, 2014).

Daher muss das BGM mit seinen Maßnahmen deutlicher an den Bedürfnissen der Mitarbeiter und des Unternehmens ausgerichtet werden, zudem sind neben Kursprogrammen auch individualisierte Maßnahmen wichtig.

Berücksichtigt man dann noch die Erkenntnisse aus der Corona-Pandemie und digitale Lösungen als Ergänzung zu den klassischen Präsenzmaßnahmen, wird das BGM für alle Generationen attraktiv und trägt damit auch zur Arbeitgeberattraktivität nach innen und außen bei.


 

Über den Autor

Oliver Walle ist Dozent der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) und der BSA-Akademie, Geschäftsführer eines BGM-Beratungsunternehmens und stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes Betriebliches Gesundheitsmanagement. Als Experte für den strategischen Aufbau und die Steuerung eines BGM berät er namhafte Unternehmen.


Auszug aus der Literaturliste

DAK. (2021). DAK-Krankenstands-Analyse: Krankheitsgeschehen in der Arbeitswelt während der Pandemie massiv verändert.
Zugriff am 23.06.2021.
Deutsche Shell Holding GmbH. (2019). Jugendstudie 2019. Weinheim: Beltz.

Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte marketing@dhfpg-bsa.de.

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