Muskel-Skelett-Erkrankungen, insbesondere Rückenschmerzen, gehören zu den häufigsten und kostenintensivsten Gesundheitsproblemen in der Arbeitswelt. Sie führen nicht nur zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität der Betroffenen (Wilke, Krämer, Biallas & Froböse, 2012), sondern verursachen auch hohe Fehlzeiten und steigende Gesundheitskosten für Unternehmen und Gesellschaft (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin [BAuA], 2024).
Besonders sitzende Tätigkeiten, die in vielen Berufen vorherrschen, sind ein Risikofaktor für die Entstehung dieser Beschwerden und stellen ein zunehmendes Arbeitsschutzrisiko am Arbeitsplatz dar (European Agency for Safety and Health at Work, 2020). In Deutschland arbeiten etwa 50 Prozent der Beschäftigten vorwiegend sitzend (Eurostat, 2024).
Daher ist der Arbeitsplatz ein geeignetes Setting, um den gesundheitlichen Auswirkungen mithilfe ergonomischer Arbeitsplatzgestaltungen und individueller Bewegungsförderungsprogramme entgegenzuwirken (BAuA, 2025; Sauter et al., 2024, S.4). Allerdings zeigen konventionelle Interventions- und Therapieansätze oft eine unzureichende Berücksichtigung der spezifischen Arbeitsanforderungen der Betroffenen.
Ein innovativer Ansatz zur Prävention und Therapie von arbeitsbezogenen Muskel-Skelett-Erkrankungen sollte daher darin bestehen, die Kompetenzen von Therapeuten im Hinblick auf arbeitsspezifische Interventionen zu erweitern. Dies würde nicht nur die Anpassung der Therapie an die individuellen Arbeitsanforderungen ermöglichen, sondern auch eine nachhaltige Verbesserung der gesundheitlichen Situation der Betroffenen fördern.
Bewegungsarme Tätigkeiten und ihre Gesundheitsfolgen
Bildschirm- und Bürotätigkeiten sind häufig mit einem Mangel an Bewegung verbunden. Sie werden überwiegend im Sitzen ausgeführt und sind durch das Fehlen von regelmäßigen Pausen oder Belastungswechseln, einen geringen Energieverbrauch sowie eine niedrige muskuläre Aktivität charakterisiert (Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft, 2024, S. 34).
Das Muskel-Skelett-System ist auf Bewegung und wechselnde Belastungen angewiesen. Längere Phasen der körperlichen Inaktivität führen dazu, dass wichtige Belastungsreize, die für die Gesundheit förderlich sind, fehlen. Allerdings wird diese Art der Unterforderung im Vergleich zu einer Überforderung nicht unmittelbar als nachteilig empfunden und zeitweise sogar als angenehm erlebt. Die negativen Auswirkungen zeigen sich erst mittelfristig darin, dass sich eine durch Bewegungsmangel induzierte Dekonditionierung entwickelt (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung [DGUV], 2020, S. 35).
Mögliche Folgen des langen Sitzens können Muskelermüdung und schmerzhafte Muskelverspannungen sein, die in erster Linie im Rücken oder im Schultergürtel auftreten. Auf lange Sicht können solche bewegungsarmen Tätigkeiten schmerzhafte funktionelle Einschränkungen des Bewegungsapparats hervorrufen (z. B. Rücken- oder Nackenschmerzen). Darüber hinaus führt die körperliche Inaktivität auch zu einer verringerten Belastbarkeit des Herz-Kreislauf-Systems (Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege [BGW], 2025).
Grundlagen und Bedeutung der Ergonomie
Das Verhalten, die Aktivitäten und das Wohlbefinden von Menschen werden durch verschiedene menschliche, technologische, wirtschaftliche, umweltbezogene und organisationsbezogene Faktoren beeinflusst (DIN EN ISO 26800, S. 4). Ergonomie ist die wissenschaftliche Disziplin, die sich mit den Wechselwirkungen zwischen dem Menschen und den relevanten Faktoren eines Systems beschäftigt.
In Bezug auf die Gestaltung von Arbeitssystemen wendet sie theoretische Grundlagen, Prinzipien, Daten und Methoden an, um sowohl das Wohlbefinden des Menschen als auch die Leistung des gesamten Systems zu verbessern (DIN EN ISO 26800, S. 5). Wenn ein Unternehmen seine Arbeitsplätze beispielsweise so gestaltet, dass sowohl die ergonomische Sitzposition der Mitarbeitenden als auch die Arbeitsorganisation berücksichtigt werden, fördert dies nicht nur das Wohlbefinden der Mitarbeitenden, sondern steigert gleichzeitig die Effizienz und Leistung des gesamten Unternehmens.
Ergonomie spielt somit eine zentrale Rolle für die gesundheitsförderliche Arbeitsplatzgestaltung, indem sie die Arbeitsbedingungen derart optimiert, dass Belastungen minimiert und die natürliche Funktionsweise des Körpers unterstützt werden. Ein erfolgreiches Präventions- und auch Therapieprogramm sollte sich demzufolge nicht nur auf individuelle verhaltensbezogene Maßnahmen stützen, sondern das gesamte Arbeitssystem berücksichtigen.
Bewegungsförderung als integraler Bestandteil ergonomischer Prinzipien
Trotz der Vielzahl an (Risiko-)Faktoren, die die Entstehung von Rückenschmerzen beeinflussen, besteht allgemeiner Konsens, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und Rückenschmerzen gibt (Bohm, Mersman & Arampatzis, 2024, S. 56). Im Allgemeinen gelten mangelnde körperliche Aktivität, ein geringes Fitnesslevel sowie ein Arbeits- und Lebensstil mit vornehmlich sitzenden Tätigkeiten als nachteilig für die Rückengesundheit. Demgegenüber kann aber auch übermäßige bzw. intensive körperliche Aktivität mit einem erhöhten Risiko für Rückenbeschwerden einhergehen.
Insofern gilt ein ausgewogenes Maß an Bewegung respektive moderater körperlicher Aktivität als entscheidend für den Schutz und den Erhalt der Rückengesundheit (BAuA, 2019). Nach Bohm, Mersman und Arampatzis (2024, S. 61) besteht Evidenz dafür, dass ein Spektrum an verschiedenen körperlichen Aktivitäten mit moderater Intensität und Dynamik das Risiko für Rückenschmerzen reduziert. Dies bestätigt auch ein systematischer Cochrane-Review (249 Studien, n = 24.486, mittleres Alter 44 Jahre, 59 % Frauen), demzufolge körperliches Training eine effektive Methode zur Schmerzreduktion und Verbesserung der Funktionalität bei chronischen unteren Rückenschmerzen darstellt (Hayden et al. 2021).
Körperliche Aktivität und Bewegungspausen beugen bei sitzenden Tätigkeiten Rückenbeschwerden vor.
Jens Brehm
Neben der ergonomischen Gestaltung von Arbeitsplätzen ist es daher wichtig, bewegungsarme Tätigkeiten immer wieder durch Bewegung zu unterbrechen. Diesen Ansatz unterstützen auch die Empfehlungen der „Nationalen VersorgungsLeitlinie Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“. Sie empfiehlt Bewegungstherapie in Kombination mit edukativen Maßnahmen auf Basis verhaltenstherapeutischer Prinzipien als primäre Behandlung subakuter und chronischer nicht spezifischer Rückenschmerzen. Ebenso sollen Maßnahmen zur Unterstützung der beruflichen Wiedereingliederung geprüft und ggf. initiiert werden.
Im Zuge präventiver Bestrebungen soll den Betroffenen körperliche Bewegung zur Vermeidung oder Verkürzung von Rückenschmerzepisoden und Arbeitsunfähigkeit empfohlen werden. Gleichsam sollen Maßnahmen am Arbeitsplatz (ergonomische Gestaltung, Verhaltensprävention, Förderung der Arbeitsplatzzufriedenheit) eingesetzt werden (Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung & Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, 2017).
Prävention und Therapie durch Ergonomie und Bewegungsförderung
Die Prävention und Therapie von arbeitsbezogenen Muskel-Skelett-Erkrankungen und insbesondere Rückenschmerzen erfordert eine integrative Herangehensweise, bei der sowohl Bewegungsförderung als auch Ergonomie berücksichtigt werden müssen.
Die Kombination von Bewegungsförderung und ergonomischer Gestaltung zielt darauf ab, sowohl die Arbeitsumgebung als auch das Verhalten der Beschäftigten zu optimieren. Ergonomische Maßnahmen helfen, körperliche Belastungen wie Fehlhaltungen und daraus resultierende gesundheitsgefährdende Belastungsfolgen zu minimieren, während regelmäßige Bewegung bei der Arbeit und in der Freizeit die körperlichen Leistungsvoraussetzungen stärkt und so das Risiko von Muskel-Skelett-
Erkrankungen verringert.
Insbesondere Sport-, Bewegungs- und Physiotherapeuten spielen eine wichtige Rolle in der Prävention und Therapie von Muskel-Skelett-Erkrankungen, da sie durch individuelle Beratung und gezielte Interventionen den Betroffenen helfen können, (arbeitsbedingte) Belastungen und Risikofaktoren zu reduzieren. Spezielle Aus- und Weiterbildungen zu ergonomischen Prinzipien und der Integration von Bewegungsförderung ermöglicht es ihnen, individuell zugeschnittene Behandlungspläne zu erstellen, die auf die spezifischen Bedürfnisse der Betroffenen abgestimmt sind und die Arbeitssituation miteinbeziehen. Durch diese ganzheitliche Betrachtung werden nicht nur die Symptome, sondern auch die arbeitsbedingten Ursachen von Muskel-Skelett-Erkrankungen adressiert, wodurch eine nachhaltige Verbesserung der Gesundheit unterstützt wird.
Chancen für Therapeuten und gesundheitsorientierte Fitnessanbieter
Ein zukunftsorientiertes Angebot im Bereich der arbeitsbezogenen Muskel-Skelett-Erkrankungen, sowohl auf dem Fitnessmarkt als auch in der Therapie, Rehabilitation und im Betrieblichen Gesundheitsmanagement, deckt daher beide Bereiche ab: Bewegungsförderung und Ergonomie.
Physiotherapiepraxen sowie Gesundheitsanlagen können ihr Leistungsportfolio entsprechend deutlich erweitern, indem sie qualifiziertes Personal einsetzen, das durch eine entsprechende Aus- und/oder Weiterbildung sowohl mit therapeutischen als auch präventiven Maßnahmen im Bereich arbeitsbezogener Muskel-Skelett-Erkrankungen vertraut ist.
Durch diese Expertise und die gezielte Erweiterung und Spezialisierung der Dienstleistungen wird die Patientenzufriedenheit und somit auch die Patientenbindung gestärkt. Dies fördert nicht nur den Erfolg der Behandlung, sondern auch die Reputation und die Wettbewerbsfähigkeit der Einrichtung.
Fazit
Rückenschmerzen und andere Muskel-Skelett-Erkrankungen lassen sich durch ergonomische Arbeitsplätze und mehr Bewegung reduzieren. Eine gezielte Kombination beider Ansätze fördert die Rückengesundheit und beugt langfristigen Beschwerden vor. Nur ein ganzheitliches Konzept, umgesetzt von qualifizierten Therapeuten, sichert nachhaltige Verbesserungen.
Auszug aus der Literaturliste
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) (Hrsg.). (2024). Volkswirtschaftliche Kosten durch Arbeitsunfähigkeit 2023. Dortmund: BAuA.
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (Hrsg.) (2023). DGUV Information 208-033. Muskel-Skelett-Belastungen – erkennen und beurteilen. Verfügbar unter https://publikationen.dguv.de/regelwerk/dguv-informationen/458/muskel-skelett-belastungen-erkennen-und-beurteilen
Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte: literatur@fitnessmanagement.de
Diesen Artikel kannst du folgendermaßen zitieren:
Brehm, J. (2025). Ergonomie und Bewegung im Arbeitsalltag. medical fitness and healthcare, 01/2025, 64-66.