Fitness, Management | Autor/in: Anke Sörensen |

Tim Josko: „Den Mut haben, anders zu denken“

Bedürfnisse, Treiber und Barrieren der Zielgruppe kennen: Das kann am besten, wer selbst dazu gehört. Im Team von Josko fitness sind alle Altersgruppen vertreten. Das schafft neben den generationsübergreifenden Werten des Unternehmens Vertrauen bei den Mitgliedern. Im Interview erklärt Geschäftsführer Tim Josko, wie wichtig es ist, für Jüngere und Ältere spezielle Angebote zu schaffen, aber auch die Gemeinsamkeiten der Generationen zu finden.

Interview Tim Josko 'Gemeinsame Werte'

fM: Der tätowierte Best Ager beim Crosstraining, junge Frauen mit Langhanteln bei Deadlifts und Kniebeugen, Seniorinnen im Zumba-Kurs – beobachten Sie einen Wandel im Lifestyle und im Selbstverständnis Ihrer Mitglieder? Können wir die Studiomitglieder von heute noch genauso adressieren wie vor 20 Jahren?

Tim Josko: Im Studio sehen wir einen Querschnitt des aktiven Teils der Gesellschaft in unserer Region. Die Älteren wirken heutzutage längst nicht mehr alt und sehen nicht mehr so aus, sondern wollen ihren Lebensabend genießen und auf der Harley in den Club fahren (lacht). (Lesen Sie auch: 'Mitglieder verstehen')

Junge Mädchen, die heute an die Langhantel gehen, sind sehr von den Posts und Trainingsvorschlägen auf den Social-Media-Plattformen beeinflusst, aber selbst reifere Frauen um die 60 Jahre wagen sich zum ersten Mal daran, weil sie davon beeinflusst werden.

Lassen sich Studiomitglieder heute noch in spezifische Alters- bzw. Zielgruppen unterteilen? Oder muss man Stereotypen in der Denkweise aufbrechen, um für möglichst viele Mitglieder ein passendes Trainingsangebot zu schaffen?

Für mich ist wichtig, dass unser Unternehmen generationsübergreifend für bestimmte Werte steht, die unabhängig von wechselnden Interessen Vertrauen schaffen. Unsere Kundinnen und Kunden fühlen sich gut aufgehoben und trainieren mit Gleichgesinnten. (Lesen Sie mehr: 'Studio des Monats: Josko fitness in Binzen')

Wir bedienen eine breite Altersrange von 14 bis 95 Jahre. Ein Fitnessclub ist einer der wenigen Orte, an dem sich unterschiedliche Generationen mit den gleichen Zielen treffen. Es ist spürbar, wie Ältere den Kontakt mit Jüngeren genießen und umgekehrt. Voraussetzung sind eine Atmosphäre und ein Umgang, mit der bzw. dem sich alle identifizieren können.


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Dann entsteht ein unvergleichliches Miteinander. Unsere Herangehensweise wird von der Frage bestimmt, welche Problemlösung und Unterstützung wir den unterschiedlichen Altersklassen anbieten können, sowie davon, wo die Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Generationen liegen.

Die Bandbreite der Studiobesucher reicht heute von der Generation Z bis zu den Babyboomern. Nutzen Sie für die verschiedenen Mitgliedergruppen unterschiedliche Ansprachen und entsprechende Marketingtools?

Was zählt, ist die Kommunikation. Wir sind ein Familienunternehmen. Wie kommuniziere ich, dass wir im Studio ein familiäres Miteinander leben? Viele Unternehmen schreiben sich klassische Floskeln auf die Fahnen, wie „Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt“. (Auch interessant: 'Generationenmanagement, die Nachfolge gestalten')

Wichtig ist aber, wie das gelebt wird. Ich bin überzeugt, dass sich die Werte in der Teamkultur und Mitarbeiterstruktur widerspiegeln müssen, um unterschiedliche Altersgruppen zufriedenzustellen. Wenn auf der Trainingsfläche nur junges Personal arbeitet, ist es schwierig, Ältere überzeugend anzusprechen. Also brauche ich auch Teammitglieder, die über 60 Jahre sind. Unterschiedliche Generationen und Altersklassen im Team sind sehr wichtig für mich.


Über den Interviewpartner

Tim Josko der Geschäftsführer des „Josko fitness“ wurde 1985 quasi in das Studio hineingeboren. Sein Laufstall stand auf der Trainingsfläche, später hat Tim Josko für fünf Mark sonntags die Geräte geputzt. In einem dreijährigen Fernstudium in einem Fitnessclub in Worms und einigen Zusatzausbildungen sammelte er viele Erfahrungen außerhalb des eigenen Betriebes, bevor er 2007 aktiv in das Unternehmen einstieg.

2014 übernahm Tim Josko die Geschäftsführung von seinen Eltern und gründete 2022 außerdem ein Start-up, um die Entwicklung des Unternehmens noch weiter voranzutreiben.


Das lässt sich an einem Standort mit 40 Mitarbeitenden leichter umsetzen als in einer größeren Kette, die sich in erster Linie auf eine hohe Anzahl an Mitarbeitenden konzentrieren muss, wodurch andere Stärken unter Umständen in den Hintergrund rücken – ein wichtiger Grund, warum sich das ältere Publikum in kleineren Unternehmen gut aufgehoben fühlt.

Das ist eine große Chance für inhabergeführte Einzelclubs. Wir fahren wenige externe Marketingkampagnen, sondern konzentrieren uns auf die Aktion „Mitglieder werben Mitglieder“ im Frühjahr und im Herbst. Die ist sehr erfolgreich, weil unsere Mitglieder sehr zufrieden sind.


Lesen Sie auch: 'Erlebnisqualität steigern'


Für Bestandsmitglieder sind wir über unsere Social-Media-Plattformen aktiv. Mein Learning: Wer auf unsere Posts reagiert, ist zum großen Teil 50 plus. Die Älteren liken und kommentieren viel, folgen aber weniger Accounts als z. B. eine Zwanzigjährige. Andere Studiobetreibende konzentrieren sich in ihren Social-Media-Kanälen stark auf die junge Zielgruppe, wir liefern bewusst gemischte Themen für alle Altersgruppen.

Neben dem Newsletter produzieren wir einmal pro Woche seit über 13 Jahren die schön gestaltete Zeitung „News“. Obwohl wir pro Woche an über 2.000 Abonnenten Newsletter verschicken, werden etwa 300 physische Exemplare wöchentlich im Club mitgenommen. Mit den gleichen Informationen bedienen wir also unterschiedliche Kanäle für verschiedene Altersgruppen, auch ein internes TV-Angebot. Der Mix macht es.

In welchen Bereichen haben Sie Ihr Angebot erweitert bzw. in Ihr Portfolio investiert, um „auf der Höhe der Zeit“ zu agieren? Inwieweit grenzen Sie sich dadurch von Ihren Mitbewerbern ab?

Wir wollen Probleme besser lösen als die Mitbewerber. Leider werden Probleme in unserem Gesundheitssystem eher verzerrt. Gleichzeitig besteht meine Zielgruppe aus einem Personenkreis, der bereit ist, selbst Verantwortung zu übernehmen.

Früher wartete ein Mitglied mit einem Knieproblem drei Monate lang auf einen Termin beim Orthopäden, kam zwei Wochen später ins Studio und versuchte, uns zu erklären, was der Arzt meinte. Unsere Lösung dafür ist Josko fitness Health. Im Studio bieten ein Facharzt für Orthopädie und Sportmedizin sowie ein Heilpraktiker und Osteopath eine Sprechstunde auf Selbstzahlerbasis an.

Außerdem beschäftigen wir auch einen Physiotherapeuten im Kernteam. Bei über zwei Drittel der Termine ist ein Trainer dabei, der mit dem Arzt bzw. Therapeuten den Lösungsweg definiert und diesen dann direkt mit dem Kunden in der Trainingsplanung umsetzt.

In den letzten anderthalb Jahren führten wir mit unseren Kunden 370 Health-Termine erfolgreich durch, für die wir in der Vergangenheit intern keine Lösung gehabt hätten. Das ist die moderne Form der Therapie, miteinander statt gegeneinander. (Auch lesenswert: 'Wie gelingt der Übergang von Therapie zu Training?')

Wir erweitern das, organisieren für die Mitglieder auch externe Arzttermine und stellen ein Ärzteteam zusammen, das gemeinsam an der Problemlösung der Kunden arbeitet. In Kombination mit dem Spaß, der bei uns gelebt wird, ist das ein sehr konstruktives, positives Herangehen an Gesundheitsprobleme, von dem vor allem die ältere Zielgruppe in Zukunft enorm profitieren wird.

Werden die Trainings- und Kursangebote wirklich nur von der ursprünglich anvisierten Zielgruppe genutzt oder mischen sich die Interessen und Ansprüche der Mitglieder inzwischen unabhängig vom Alter?

Wichtig ist es, sowohl für Ältere als auch für die Jüngeren ein Angebot zu schaffen, in dem sie sich wiederfinden, und einen Ort, an dem man gern zusammen Zeit verbringt. BODYJAM® und BODYCOMBAT® sind z. B. permanent von der jungen Zielgruppe ausgebucht, für sie veranstalten wir Bar- und Zumba-Nights in einem angesagten Club.

Bei den „Fit for Agern“ im Kurs läuft „Aber bitte mit Sahne“, anschließend gibt es ein Kaffeekränzchen. Mehrfach im Jahr veranstalten wir für die Älteren Rebenwanderungen und für das gemischte Publikum Yoga im Park oder am Samstagabend Livekonzerte im Club.


Weitere Interviews und Hintergründe

In weiteren Interviews sprechen Bernhard Beidl, Edith Gribs und Thomas Mathes über die generationsübergreifende Ansprache von Mitgliedern. Lesen Sie außerdem unseren Artikel 'Up to age' als Einstieg zu den Interviews.

Indem Sie auf das entsprechende Bild oberhalb dieses Textes klicken, gelangen Sie direkt zum jeweiligen Artikel.


Der Querschnitt aller Mitglieder ist auf unserem Social-Media-Kanal schön zu sehen. Dann gibt es aber auch Rita, die mit 84 jeden Samstag am Zumba-Kurs teilnimmt. Basis sind die gemeinsamen Werte. Das können wir toll bedienen.

Es ist unsere Stärke, dass wir ein inhabergeführtes Familienunternehmen mit zwei Generationen in der Führung sind und dadurch eine besondere Clubkultur leben – mit jungen Studenten und auch Mitarbeiterinnen, die seit 30 Jahren dabei sind. Aus dieser breiten Range entstehen Ideen und Konzepte. Dafür musst du die Bedürfnisse, Treiber und Barrieren deiner Zielgruppe kennen, das kann am besten, wer selbst dazugehört. (Lesen Sie auch: 'Interview mit Tim Josko: „Bedürfnis nach individuellen Lösungsansätzen“')

Welche Herausforderungen und Chancen gehen mit der steigenden Nachfrage nach individualisierten Konzepten in Sachen Mitarbeiterqualifikation und Weiterbildung einher? Welche Lizenzen sind wichtig, um Kunden optimal abzuholen?

Wir konzentrieren uns darauf, ein Netzwerk von Experten ins Haus zu holen, die in der Region bekannt sind und eigene Praxen haben. Mit zwei Bachelor-Absolventen der Studiengänge Fitnessökonomie und Gesundheitsmanagement und einem Physiotherapeuten sind wir im Kernteam auf der Fläche sehr gut aufgestellt.

Dazu kommen noch weitere Trainer, Trainerinnen und Studierende. Persönlichkeit und Altersstruktur sind meiner Meinung nach in Bezug auf alters- und zielgruppengerechte Ansprache genauso wichtig wie die Fachkompetenz, die man sich nach Bedarf aneignen sollte.

Wo sehen Sie im Markt weiteres Wachstumspotenzial? Was müssen Studiobetreibende tun, um langfristig von der steigenden Nachfrage nach individualisierten Angeboten zu profitieren?

Ich muss klar überlegen: Für was stehe ich als Unternehmer? Was sind meine Werte und Kernbotschaften? Welche Probleme löse ich besser als andere? Die Babyboomer sind die erste Generation, die mit Sport älter geworden ist und am eigenen Leib erfährt, wie ein aktiver Lebensstil das Älterwerden beeinflusst.

Sie sprechen aus Erfahrung – eine riesige Chance für unser Image. Die Gesellschaft wird immer älter. Für die Arbeit mit Älteren zählt: Menschen brauchen Menschen. Das haben wir mit der Digitalisierung, Automatisierung und Vereinfachung von Strukturen aus den Augen verloren. (Lesen Sie mehr: 'Beziehungsqualität in der Fitnessbranche')

Ältere Personen brauchen Nähe, Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Persönlichkeiten, also die Investition in Kundennähe. Dort liegt das große Potenzial, nachhaltig zu einer gesellschaftlichen Entwicklung beizutragen. Wenn wir sagen, wir sind Teil einer Lösung, müssen wir dafür Strukturen schaffen und den Mut haben, ein bisschen anders zu denken.

Diesen und weitere Artikel finden Sie in der fMi 01/2023 & für Abonnenten EXKLUSIV vorab.

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