Fitness | Autor/in: Patrick Berndt und Marc Götza |

'Angewandte Trainingswissenschaft': Umsetzen und Ausstoßen mit der Langhantel

'Angewandte Trainingswissenschaft' – Unserer Fachartikelreihe widmet sich komplexen Bewegungen aus dem funktionellen Krafttraining mit Langhanteln und Kettlebells, ihren technischen Besonderheiten und praktischen Anwendungsmöglichkeiten, um neue Impulse für die Trainingsgestaltung zu liefern. In diesem Artikel werden die Teilbewegungen der olympischen Gewichtheberdisziplin Stoßen einzeln dargestellt und deren technische Merkmale detailliert betrachtet.

Angewandte Trainingswissenschaft (Teil 2) – Disziplin beim Gewichtheben: Umsetzen und Ausstoßen mit der Langhantel

Beim Begriff 'Langhanteltraining' haben vor zehn Jahren viele Trainierende ausschließlich an Übungen wie Bankdrücken oder Bizeps-Curls gedacht. Allerdings hat das Freihanteltraining, wie es aktuell betrieben wird, deutlich mehr zu bieten und ist in vielen Ausprägungen und Erscheinungsformen in der Branche vertreten.

Mit der inhaltlichen Neustrukturierung von Teilen der Fitnessbranche, die sich auf funktionelles Training, Gewichtheben, Cross- und Athletiktraining fokussieren, nimmt auch gleichzeitig die Bedeutung des Freihanteltrainings immer weiter zu.

Kerndisziplinen Stoßen & Reißen – Clean and Jerk & Snatch

In solchen Studioformaten wird auch das olympische Gewichtheben immer populärer, wobei grundsätzlich zwei Kerndisziplinen existieren: das Umsetzen und (Aus-)Stoßen (engl.: clean and jerk) sowie das Reißen (engl.: snatch).


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Die Integration von Gewichtheberübungen (oder Teilen davon) in den Trainingsplan eines Sportlers kann vielerlei Vorteile haben. Hierbei muss jedoch die Komplexität der Technik in jedem einzelnen Bewegungsabschnitt hervorgehoben werden. Das Erlernen der korrekten Bewegungstechnik muss daher aus verletzungsprophylaktischer Sicht in jedem Fall im Vordergrund stehen, bevor die Ausführung mit höheren Lasten in Betracht gezogen wird.

Lernprozess länger als bei Freihantelübungen

Auch wenn der motorische Lernprozess bei diesen Übungen deutlich länger dauert als bei klassischen Freihantelübungen, können Sportler unter Umständen langfristig davon profitieren. Ob allerdings das Erlernen der gesamten Übung sinnvoll ist oder ob lediglich eine vereinfachte Form wie beispielsweise das Umsetzen aus dem Hang ohne Ausstoßen (engl.: hang clean) angestrebt werden sollte, muss individuell entschieden werden.

Sofern die zu erwartenden Leistungssteigerungen höher gewichtet werden als der für den Lernprozess erforderliche Zeitaufwand, spricht jedoch nichts gegen das Erlernen der gesamten Bewegung. Insbesondere in Sportarten und Trainingsformen, in denen das Umsetzen und Ausstoßen in der kombinierten Ausführung fester Bestandteil ist, muss unbedingt eine sichere Bewegungstechnik gewährleistet werden, die nachfolgend näher beschrieben wird.


Bewegungstechnik beim Umsetzen

Die Bewegungstechnik beim Umsetzen kann aus methodisch-didaktischer Sicht in mehrere Teilbewegungen untergliedert werden, die in Form einer methodischen Übungsreihe nacheinander bzw. in verschiedenen Kombinationen vermittelt werden können (vgl. Abb. 1):

  • Erste Zugphase
  • Kniepassage
  • Zweite Zugphase
  • Umgruppieren
  • Abbremsen
  • Aufrichten

Der Athlet geht in die tiefe Hocke und ergreift die auf dem Boden liegende Langhantel in einem etwas mehr als schulterbreiten Ristgriff (Ausgangsposition ist weitgehend identisch mit dem Kreuzheben).

Der erste Zug setzt sich aus der gleichzeitigen Streckung der Knie- und Hüftgelenke zusammen, ohne dass sich die Vorneigung des Oberkörpers aus der Startposition ändert. Der Oberkörper verschiebt sich also parallel nach oben, weshalb man hierbei auch von der 'Parallelverschiebung' spricht. Am Ende des ersten Zuges befindet sich die Langhantel knapp unter den Knien, woraufhin die Kniepassage erfolgt.

Beschleunigung der Langhantel durch die Hüfte

In der zweiten Zugphase wird die Langhantel durch das explosive und schnelle Endstrecken der Knie- und Hüftgelenke maximal in der Vertikalen beschleunigt. Die Hüfte wird dabei explosiv nach vorne geschoben und leicht überstreckt, sodass die Langhantel sich in einer geraden Linie am Körper vorbei nach oben bewegen kann. Nach der maximalen Beschleunigung der Langhantel durch die Hüfte erfolgt direkt darauf eine maximale Schulterelevation (engl.: shrug) und das Umgruppieren der Langhantel auf die Schultern.

Die Handgelenke sind in maximaler Extension fixiert; die Ellenbogen zeigen, möglichst parallel zueinander, nach vorne. Gleichzeitig wird der eigene Körperschwerpunkt unter den Masseschwerpunkt der Langhantel gebracht und dabei eine Hockposition eingenommen.

Maximal tiefe Hockposition

Bei deutlich submaximalen Lasten kann die Langhantel höher beschleunigt werden; der eigene Körperschwerpunkt muss dementsprechend nicht bis in eine maximal tiefe Hockposition abgesenkt werden. Die Hantelbeschleunigung wird kurz vor der tiefsten Hockposition abgebremst und mit weitgehend aufrechtem und nur leicht nach vorne geneigtem Oberkörper in die tiefe Hockposition gebracht.

Die Ellenbogen werden in der Endphase der Bewegung nach vorne und nach oben gezogen. Dadurch entsteht eine Zwischenposition in der Hockstellung und eine Hantelfixierung auf dem vorderen Schultergürtel, die identisch mit der Ausgangsposition der Front-Kniebeuge ist. Aus dieser Zwischenposition wird abschließend eine Front-Kniebeuge ausgeführt, um in den aufrechten Stand zu gelangen (Wirth et al., 2012, S. 50–51; Zawieja, 2013, S. 22–24).


Bewegungstechnik beim Ausstoßen

An das Umsetzen kann sich eine weitere Übung, das sogenannte Ausstoßen (alternativ: 'Schwungstemme' bzw. engl.: split jerk), anschließen, die ebenfalls in mehrere Bewegungsphasen unterteilt werden kann (vgl. Abb. 2):

  • Auftakt
  • Anstoßen
  • Umgruppieren
  • Abbremsen
  • Aufrichten

Die Endposition beim Umsetzen ist gleichzeitig die Ausgangsposition für die Schwungstemme. Initial zur Ausstoßbewegung beugt der Athlet die Kniegelenke leicht ein (engl.: dip), um danach wieder ohne Pause explosiv in die Kniegelenkstreckung gehen zu können (Auftakt).

Der Oberkörper bleibt dabei möglichst aufrecht (Blick nach vorne). Die Langhantel wird durch die explosive Endstreckung der Kniegelenke senkrecht nach oben beschleunigt (Anstoßen). In dem Moment der maximalen Körperstreckung im Zuge des Anstoßens springt der Athlet in eine Ausfallschrittstellung.

Körper unter Masseschwerpunkt der Langhantel

Durch das 'Abtauchen' unter die Hantel in den genannten Ausfallschritt und der damit gleichzeitigen Streckung der Arme befördert er seinen Körper unter den Masseschwerpunkt der Langhantel und bremst den Fall derselben ab (Umgruppieren und Abbremsen).

Nach dem Fixieren der Langhantel in der Ausfallschrittstellung wird zuerst das vordere Bein gestreckt und dann um circa die Hälfte der Wegstrecke zum Körperschwerpunkt herangezogen. Erst danach wird das hintere Bein nach vorne in die parallele hüftbreite Fußstellung gesetzt (Wirth et al., 2012, S. 77; Zawieja, 2013, S. 24).

Umsetzen und Stoßen im Functional- und Crosstraining

Die beiden Übungen Umsetzen und Stoßen ergeben zusammen als komplexen Bewegungsablauf die erste Gewichtheberübung (engl.: clean and jerk). Im Functional Training sowie in vielen Formaten des Crosstrainings wird die Technik von Umsetzen und Stoßen in mehrere Bewegungen aufgeteilt und nur als vereinzelte Phasen in das Training eingebaut.

Unterschiede zwischen Fitnessstudio und Olympia

Somit liegt bei der Ausführung dieser Übung der Hauptunterschied zwischen Fitnessbranche und olympischem Gewichtheben in der Vielzahl an Abstufungen und Ausführungsvariationen, da nicht immer auf die gesamte Bewegung abgezielt wird.

Fazit

Durch die Nutzung der unterschiedlichen Bewegungsrichtungen und Belastungen beim Umsetzen und Stoßen bieten Gewichtheberübungen eine gute Möglichkeit, die alltägliche Trainingsroutine durch eine neue Bewegungsform zu bereichern. Durch die Belastung, die der Körper dabei erfährt, können insbesondere die Schnell- bzw. Explosivkraft und die Bewegungskoordination verbessert werden.

Übungskontrolle für Bewegungen des olympischen Gewichthebens

Dabei ist jedoch unbedingt die Komplexität der Bewegungstechnik zu berücksichtigen, die bei solchen ballistischen Übungen die größte Herausforderung darstellt. Aus diesem Grund muss, insbesondere bei (Teil-)Bewegungen des olympischen Gewichthebens, eine fachgerechte Einweisung und Übungskontrolle durch spezifisch ausgebildetes Personal gewährleistet werden, um eine sichere Ausführung und langfristige Trainingsfortschritte zu ermöglichen.

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Über die Autoren

Sportwissenschaftler Patrick Berndt ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent im Fachbereich Trainings- und Bewegungswissenschaft an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) und an der BSA-Akademie tätig.
Durch seinen Einsatz als Athletik- und Personal Trainer in den Bereichen des Individual- und Mannschaftssports sowie als trainingswissenschaftlicher Berater verfügt er über umfassende Praxiserfahrung und Fachkompetenz.

Marc Götza, Dozent der BSA-Akademie, setzt seine Erfahrungen in den Bereichen Training, Entwicklung, Mitarbeiterführung und Strukturen als selbstständiger Berater für EMS- und Fitnessanlagen in Europa ein.
In dieser Tätigkeit war er unter anderem für den Aufbau des größten EMS-Filialsystems der Welt auf bis dato 49 Standorte federführend verantwortlich. Spezialisiert hat er sich auf die Bereiche EMS und CrossFit®.

Auszug aus der Literaturliste

Wirth, K., Schlumberger, A., Zawieja, M. & Hartmann, H. (2012).Krafttraining im Leistungssport. Theoretische und praktische Grundlagen für Trainer und Athleten. Köln: Sportverlag Strauß.
Zawieja, M. (2013).Leistungsreserve Hanteltraining. Handbuch des Gewichthebens für alle Sportarten (2. Aufl.). Münster: Philippka.

Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte marketing@dhfpg-bsa.de.

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